[83r]
An den Königlichen Ausserordentlichen
Regierungsbevollmächtigten und Curator der Rhein-
universität Herrn Geheimen Rath v. Rehfues.

um Verwendung zur Beförderung zu einer
ausserordentlichen Professur der Medicin zu Bonn.

Hochwohlgeborner Herr

Es sind nunmehr anderthalb Jahre, als ich
unter Bestimmung des Hohen Ministerii der Geistliche[n]
Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten Berlin
verließ und mich nach der Königlichen Rheinuniversit[ät]
verfügte, um mich für den Vortrag der Physiologie,
der allgemeinen Pathologie und vergleichenden Anatomie
zu habilitiren. Seit dem 19. October 1824 durch
drei Semester in dieser Thätigkeit begriffen, hatte ich [mich]
einer steigenden Theilnahme an meiner Wirksamkei[t]
zu erfreuen, so daß es mir nunmehr gelungen ist,
was mir das Hohe Ministerium zum Vorwurfe
machte, in Vereinigung mit den Hochverdienten
Mitgliedern der medicinischen Facultät und in ein[em]
für mich selbst sehr aufmunternden freundschaftlich[en]
Verständniß zur Vervollständigung des medicinischen
Unterrichtes auf dieser Universität beizutragen.

In Hinsicht der Fortschritte meiner Wirksamkeit in dies[er]
Stellung wollen Euer Hochwohlgeboren einen Blic[k]
auf das Verzeichniß der von mir in diesen 3 Semes[tern]
gehaltenen Vorlesungen und der Zahl ihrer Theilnehm[er]
werfen. Die Anzahl meiner Zuhörer belief sich
im Wintersemester 1824/25 in den öffentlichen Vo[r-]
lesungen über die Physiologie der Sinne, der Stim[me]
und der Sprache auf 55, und in einem Pri[va-]
tiss[imum]
[83v]in lateinischen Disputirübungen
über medicinische Gegenstände
auf 4.

Im Sommersemester 1825 zählte ich

  • 1. in den öffentlichen Vorlesungen über Encyclo-
    pädie und Methodologie der Medicin 43 Zuhörer,
  • 2. in den Privatvorlesungen über die specielle
    Physiologie des Menschen und die vergleichende, mit
    Demonstrationen und Experimenten. 8.
  • 3. Das Disputatorium wurde während des ganzen
    Semesters fortgesetzt.

Im Wintersemester 1825/26 war der Vortrag einer
für die gesammten späteren medicinischen Studien
höchst wichtigen Disciplin, der allgemeinen
Pathologie meinen Kräften allein anvertraut;
die Zahl meiner Zuhörer in diesen Privatvorlesungen
beläuft sich auf 25.

Ausserdem hielt ich öffentliche Vorträge über die
Physiologie der Zeugung und des Fötus, worin ich nicht
weniger als 80 Zuhörer zählte. Auch wurden die
Disputatorien wie bisher und zwar auch unter größerer
Theilnahme fortgesetzt.

Ich war auch so glücklich, von dem Erfolge einer
früher durch die Gnade des Hohen Ministerii eingelei-
teten, für mich äusserst wichtigen Bildungsperiode
und von der Verwendung einer so kostbaren Zeit
durch wissenschaftliche Forschungen Rechenschaft zu
geben. In diesem Sinne erschienen im Winter
1824/25 meine physiologischen Untersuchungen über
die Entwickelung der Gliederthiere und eine neu-
entdeckte Verbindung des Rückengefässes mit den
Ovarien bei den Insecten, welche einen bedeutenden
Theil der 2. Abtheilung des 12. Bandes der Acten
der (Kaiserl.)Kaiserlichen (L. C.)Leopoldino-Carolinae Academie der Naturforscher einnehmen
und so erscheinen nunmehr in Beziehung auf
einen andern Theil meiner anatomisch-physiologischen
Forschungen die Untersuchungen zur vergleichenden
Physiologie des Gesichtssinne der Menschen und der
[84r] Thiere, welche in dem Bewusstsein einer für
den Verfolg meines Berufes im im grössten Grade
wichtigen hohen und gnadenvollen Theilnahme
(Sr.)Seiner Excellenz dem Staasminister Freiherrn
Stein von Altenstein demuthsvoll zugeeignet
sind.

Der Plan, nach welchem ich meine Wirksamkeit als
academischer Lehrer auf der Rheinuniversität fortzu-
setzen gedenke, ist kein anderer, als derjenige, welcher
schon im Sommer 1824 einem Hohen Ministerio
gehorsamst eingereicht worden und von Hochdemselben
gebilligt wurde; er gründet sich zum Theil auf die
meinem Leben gesetzte Bestimmung, theils auf die
bei der Universität selbst obwaltenden Verhältnisse
des Unterrichtes, und macht es sich insbesondere zur Aufgabe,
das Vertrauen der Hochverdienten Mitglieder der
medicinischen Facultät {zur} erhalten. Demnach
bleibt die Hauptrichtung meiner Wirksamkeit die Physio-
logie in ihrem ganzen Umfange in Verbindung
mit der vergleichenden Anatomie. Diesen Vorträgen
schliessen sich zunächst die über die allgemeine Patho-
logie an. Ausserdem wird es wie bisher mein Vorwurf
seyn, den Bedürfnissen des Unterrichtes, so viel an
mir liegen kann, auch anderweitig entgegenzukommen
und besonders durch Fortsetzung der Lateinischen Rede-
übungen über medicinische Gegenstände zur Erfüllung
der in dieser Beziehung an die Ärzte gemachten Forderungen
beizutragen.

Kann der Ausführung dieses Vorwurfes und dem
Umfange meiner wissenschaftlichen Unternehmungen
etwas entgegenwirken, so ist es der Mangel an
Subsidien der eigenen Existenz. Eine nunmehr
anderthalbjährige, bei dem absoluten Mangel
eigener Mittel +++harte und prüfungsvolle1 Stellung,
welcher nach Erlangung der Doctorwürde und Appro-
bation ein fast ebenso grosser Zeitraum der Vorbe-
reitung in Berlin vorausgieng. Die schon längst
eingetretene Consumtion sowohl meines Vermöge[ns]
als des Vermögens meiner Geschwister, welches
[84v]seit siebentehalb Jahren für die Erreichung meiner
Bestimmung verwandt wurde, die Nothwendigkeit,
von der zur Ausübung der Medicin und Chirurgie
erlangten Approbation unter einer Überzahl
von practischen Ärzten in Bonn gar keinen
Gebrauch machen zu können und also auch von
dieser Seite aller Subsidien entlößt zu seyn,
alle diese Umstände machen mir eine endliche
Verbesserung meiner Lage und Stellung dringend
wünschenswerth. Unter diesen Umständen müssen
mich die sonst glücklichen Fortschritte meiner Wirk-
samkeit ermuthigen, in unterthäniger Bitte der
Hohen Staatsbehörde das Gesuch vorzulegen:

mir durch Beförderung zu einer ausserordentlichen
Professur die Verfolgung meines Berufes möglich
zu machen und meine Stellung sichern zu wollen.

Euer Hochwohlgeboren, welche so oft mich auf das
Huldvollste bei der Hohen Staatsbehörde vertraten,
mögen auch die Beförderung dieses unterthänigen
Gesuches zu vermitteln geruhen. In gehorsamer
Ergebenheit ersuche ich Hochdieselben, dem Hohen
Königlichen Ministerio der Geistlichen- Unterrichts-
und Medicinal-Angelegenheiten diese Bitte
vorzulegen und Ihre vielvermögende Fürsprache
für die gnädige Erfüllung derselben huldvoll
verwenden zu wollen.

In tiefster Hochachtung und Ehrerbietung
(Ew.)Euer Hochwohlgeboren
gehorsamster
Dr. Joh. Müller,
Privatdocent der Medicin zu Bonn.
Bonn am 10 Februar 1826.
+++harte und prüfungsvolle]
CC-BY-NC-SA-4.0

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Rechtsinhaber*in
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 10. Februar 1826. Johannes Müller an Rehfues. Z_1826-02-10_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-1DC1-8