(wußten wir an Ihrer diesjährigen Geburtstags-
Feier, so schön umgeben, beschenkt, bekränzt, daß wir
mit unsern kleinen Gaben nicht in die Festreihen
zu treten wagten. Wir thun es daher den kleinen Wirths-
häusern nach, die an dem Tage, wo die großen Gärten
Illumination, Tanz und Musik ankündigengeben1, sich ruhig verhalten,
hernach aber eine Nachfeier ankündigen, bei der sie immer
noch ihre Rechnung finden
Nehmen Sie das beiliegende Gedicht: "Die Farben" als
ein Zeichen der innigsten Theilnahme an Ihrem Wirken
und Ihren Werken auf, der Theilnahme, die sich nicht
[292v]darauf beschränken will, nur zu genießen, sich nur an dem
Schönen und Unvergänglichen was Sie als Dichter der Welt und
Nachwelt schenkten mühlos zu erfreuen, sondern die sich thätig
bestrebt, durch Erkenntniß dessen was Ihnen die Wissenschaft
und namentlich die Physik verdankt, Ihnen die Gewißheit
zu geben, daß keine Seite Ihrer Bemühungen, durch welche Sie
uns die Natur geistreich aufgeschlossen haben, wenn auch an-
gefochten und verkannt, jemals verlohren gehen könnte.
Mein Gedicht ist ein Versuch in der Weise Ihres Gedichtes: Me-taphoseMe-tamorphose2 der Pflanzen und war zunächst einigen jungen Freundin-
nen bestimmt. Ein Lehrgedicht ist freilich immer ein wagliches
Unternehmen und am wenigsten würden Sie es gut heißen, ein
Compendium der Physik elegisch vorzutragen, allein hier war
es um weiter nichts zu thun, als einigen Frauen gefällig zu
sein und einem verstockten Physiker der Gesellschaft zu
[293r]zeigen, daß uns Ihre Farbenlehre so geläufig ist, daß
wir sie in Versen - und wenn es auch nur versus memo-
riales sind, vortragen können.
In Berlin haben wir während Ihrer Krankheit im letzten Win-
ter große Besorgniß gehabt; nur meine liebe Laura
blieb immer getröstet. Sie sah nämlich öfter nach den schö-
nen Blumen, mit {der} Sie so gütig waren sie zu beschenken
und diese zeigten immer noch so schöne Farben, daß sie
daran ein Zeichen zu haben glaubte, daß auch Ihnen
der Frühling des Herzens noch erhalten sei.
Unser Freund, der Philosoph, schickt Ihnen ernstere Gaben,
will aber doch so gut sein mein leichtfertigeres Geschenk
an Sie zu besorgen.
Phil. Dr.
Farbenlehre.
Die Beschwörung.
Geister wollen wir bannen in bunten Kleidern
um Mittag,
Kinder des Lichts und der Nacht, loser gespen-
stischer Art.
Ueberall sind sie zu Haus, sie wählten den
Himmel zur Wohnung,
Wählten verborgene Schlucht tief in der Erde
sich aus.
Flüchtig nahen sie bald, dann eilen sie wieder
vorüber,
Bald mit geschlossener Kraft halten am
Schweren sie {vest}.
Und wir rufen die Fernen herab von der Höhe,
wir rufen
Aus der Tiefe sie heut lustig herauf an
den Tag.
Aber des Spruches bedarf es dabei, es bedarf
der Beschwörung,
Und in verschlossener Thruh bring' ich manch
Zaubergerät;
Denn die Natur ist ein stummes Gebild und
bringst du nicht selber
Schon zu der Frage das Wort, löst sie
das Räthsel dir nicht.
Nahst du ihr aber mit sinnigem Auge, ver-
ständig, bedenkend,
Dann von der göttlichen Stirn schlägt sie
den Schleier zurück.
Fromm ist unser Gebet: ich glaube, Natur, dich ver-
nünftig,
Und mit vernünftigem Sinn tret ich zu deinem
Altar.
Reich ist der Teppich geschmückt, den du webst,
wohin wir auch schauen,
Ueberall sehn wir erstaunt schweigende
Wundergestalt.
Doch nicht wollen wir staunen verstummt, wir
wollen erkennen,
Und so wählen wir heut Eins von den
Wundern uns aus.
Dir erschließt sich gewiß, o Freundin! manches
Geheimnis,
Wirst du der Farbenwelt stille Gesetze
verstehn.
Doch genug des Gesprächs, jetzt gilt es Ver-
such und Erfahrung,
Glauben sollst Du, du sollstsehen vor
Allem dabei.
Das Urphänomen
[14r]Ruft sich der Dichter die Muse, wir rufen
den Dichter uns günstig,
Der, wie ein Gott einst rief: Werde! Da
wurde das Licht,
Das uns Newton verbaut mit mathemati-
schem Rüstzeug,
Führt mit schaffendem Wort Göthe heraus
an den Tag.
Freudig bringen wir ihm die festliche Spende
des Weines,
Füllen mit dunkeler Fluth goldengerän-
dertes Glas,
Welches der Dichter gesandt vom heilquell-
sprudelnden Karlsbad,
Wo [ihn] die Nymphe so gern scherzend
empfing in der Fluth,
Und ihm mit heiligem Thaue die Schläfe netztebenetzte3,
den Lorbeer,
Und in das weiße Gelock zierliche Ro-
sen ihm wand,
Daß ihm die Anmuth treu und die Freude
gefälligen Umgangs
Und, zu der Jugend gesellt, treu ihm
die Jugend verblieb.
Nicht mit Magistergeschwätz, blind überliefertem Schul-
zwang
Führt er, als Dichter führt Er uns ins Reich der
Natur.
Wahrheit gab er der Dichtung und dichtend schuf er
das Wahre,
Nie von der wirklichen Welt hat er sich träu-
mend verirrt.
Heiter leeren wir ihm dies Glas auf Wohl
und Gesundheit,
Sind von dem Geiste geführt, ihm dem Be-
geisterten nah.
Schilt der Professor uns auch, fänd er uns hier
bei dem Weinglas,
Zeigt uns der Dichter darin wundersam Ur-
phänomen.
Denn getränkt ist das Glas mit unentschiedener
Trübung,
Aber es scheiden daraus hell sich die Far-
ben dir ab.
Hältst du dem Licht entgegen das Glas, so schwin-
det die Trübung
Und es klärt sich der Streif rein zu ent-
schiedenem Gelb.
Wendest du aber das Glas abwärts vom Lichte
zum Dunkeln
Wandelt mit wechselndem Schein Gelb sich
zum himmlischen Blau.
Aber den schwankenden Schein befestigt die Macht
des Gedankens
Und der Dichter erkennt Urphänomen u. Gesetz.
Dieses nun ists: Die Farben entstehen aus Lich-
tem u. DunkelemDunklem4.
Und in dreieinigem Kreis ruhn sie geordnet
und fest.
Wird in dem Trüben das Dunkle besiegt, es lich-
tet zu GelbBlau5 sich,
Herrscht in dem Trüben das Licht,Drängt in das Lichte die Nacht,6 wird es gedunkelt zu Gelb.
Wie sich zu beiden das dritte gesellt, du wirst
es erfahren,
Wenn in dem Purpurgewand prächtig die
Königin naht.
Zweiter Versuch.
Die Linse.
Immer erweist sich das erste Gesetz mit be-
harrlicher Vollmacht,
NimNimm7 zu dem zweiten Versuch dieses vergrö-
ßernde Glas.
Siehst du darunter ein Dunkles gedehnt in die
helle Begrenzung,
Dann erscheint dir das Bild gelb an dem Sau-
me gefärbt.
Dehnst du nun aber ein Weißes hinaus in die
dunkle Begrenzung
Siehst du das helle Bild blau an dem Ran-
de gesäumt. (Fig.
I.)8
(230904_1.jpg)
[15v]Mischung nennen wir's nicht; denn wollten wir's rühren
und kneten
Gibt uns weiß und schwarz immer ein schmutziges
Grau.
Dritter Versuch.
Das Prisma.
Vor dem Gericht erscheinen die Zeugen, zu bürgen
die Wahrheit,
Und so bring ich dir auch, Freundin, die dritte Ge-
währ.
Ein dreiseitiges Glas, es rückt das Bild von der Stelle,
Wie du den Winkel dir hältst, immer hinab u.
hinauf.
Hefte von schwarzem Stoff einen Streif an die
Scheibe des Fensters,
Daß auf erleuchtetem Grund dunkel Begrenztes
erscheint.
Tritt mit dem Prisma davor u. richte den Winkel
nach unten,
Abwärts die Augen gewandt. Wie sich das Bild dir
verrückt,
Siehst du am obern Rande das Dunkle gelichtet zum
Blauen
Und an dem unteren Rand Helles gedunkelt zu Gelb.
Beide noch stehen sich fern, als wollten sie
feindlich sich meiden,
Aber den Widerspruch bindet in eins die Na-
tur. (Fig:
II)9
(230904_2.jpg)
[16r]Und zwei Weisen begegnen uns hier der gesuchten Ver-
einung
Eine gleichgültig, passiv, thätig die andre und frei.
Führst du zum Blauen das Gelb, so verhalten die Far-
ben sich leidend,
Fügen sich äußrer Gewalt, gelbengeben10 gleichgiltiges
Grün.
Läßt du sie aber gewähren, daß frei sie ihr Inn-
res erschließen,
Geben sie beide sich dann Eins in dem Andern
zurück.
Beide wohl tragen ein Andres im Innern, doch beide
dasselbe,
Dränge das Gelb nur in sich, dränge das Blau nur
in sich,
Dann erscheinet Orange dir dort, es erscheint {Vi-
olet} hier,
Aber die innerste Gluth immer in Beiden ist
Roth.
Mischen kannst du sie nicht, doch laß sie sich
suchen u. einen,
Und in dem Purpur gewinnt Liebe den
höchsten Triumph.
Suche die Farbe dir jetzt am Fenster auf durch
das Prisma,
Wie sich aus Dunkel und Hell Streifen an
Streifen gelegt.
Wird ohnmächtig im Blau das Licht, so zeigt sich
uns Blauroth,
Schwindet in Gelb ihm die Kraft, siehst
Du orange den Saum,
Langsam tritt nun zurück, du siehst {Violet} u. Oran-
ge
Wo sie sich beide berührt, stellen den Purpur
sie dar. (Fig:
III)11
(230904_3.jpg)
Willst Du nun Gelb und Blau zusammenführen
zum Grünen,
Sieh nach dem Weißenweißen12 Streif auf dem ge-
dunkelten Grund.
Wie sich der Purpur vorher am Fensterbilde dir
zeigte,
Färbt aus Blau und Gelb hier nun die
Mitte sich grün. (Fig.
IV)13
(230904_4.jpg)
Objectiv-Prismatischer
Versuch.
Freier bilden wir nun die Farben des sonnigen
Bogens,
Welchen mit rosiger Hand Iris am Him-
mel gespannt.
Rufe die Göttin, sie wird in freundlicher Helle
dich grüßen,
Waren die Himmlischen doch immer den
Guten geneigt.
Auch dich rufen wir an, du Erdumwandler Apollon
Grüße mit günstigem Blick unser behagliches
Spiel.
Und du sollst nicht bedrängt dich stehlen durch
Ritzen u. Löchlein,
Immer im Ganzen erscheint immer im Schönen
der Gott;
Denn wir empfangen dich gern, wir öffnen dir
Fenster und Laden,
Schließen den Freien nicht eng in ein dunk-
les Gemach.
Niemals reden wir auch von Strahlenbündeln
und Theilchen,
Nehmen das sonnige Bild, wie es der
Himmel uns gibt;
So empfängt es das Glas u. wie es dann wei-
ter hindurchscheint,
Wird es herübergerückt über ein dunkleres
Bild.
Dann erscheinet dir blau am obern Rande, am
untern
Gelb u. wir bilden so fort wieder den far-
bigen Streif.
Wie von der Wand du das Glas nur entfernst,
so werden die Säume
Breiter, ein grüner Streif bildet aus Blau
sich u. Gelb. (Fig.
V.)14
(230904_5.jpg)
Willst du den Purpur gewinnen, so lege
nur über das Prisma
Auf die Fläche die du gegen die Sonne gewandt,
[17v]Jetzt ein Streifchen gedunkelt15 Papier, du findest Orange
Zum Violetten gesellt, wie sie sich einen zu
Roth. (Fig.
VI)16
(230904_6.jpg)
Körperliche Farben.
Die Elemente.
Doch nicht flüchtige Schatten nur zeigen die
Farben, sie sind auch
Mit ursprünglichem Sein fest an die Körper
gebannt.
Vier Elemente nun17 sind an die Schwelle der Erde
gebunden,
Halb noch flüchtiger Art, halb nach flüchtigerArtschon dem Festen verwandt.18
Und es vertheilte mit schicklicher Wahl die
Natur an die Schwestern
Farbige Kleider zum Schmuck Jeder ein
andres Gewand.
Trage, so sprach sie zur Luft den blauen Schleier
des Himmels,
Heiter von oben herab leuchte der glück-
liche Tag.
{Vester} gürte sich dann die Erde mit {ehrenem}
Harnisch,
Und in dem Irdischen sei Gold das geronnene
Licht.
Schlage die Flamme dann auf aus dem Berg in
purpurner Rothgluth
Und in dem Feuerkleid fahre vom Himmel
der Blitz.
Unentschieden erscheint dann zwischen dem Vesten
und Losen
Wellenschlagendes Meer immer im grünen Gewand.
Physiologische Farben.
Das Auge.
Wie du die Welt nun außer dir findest,
geordnet, ein Ganzes,
Also findest du auch in dir geordnet die
Welt.
Wurde dem Himmel die Sonne verliehn zur
leuchtenden Freude,
Ging in dem Auge dir auf treulich ein leuch-
tend Gestirn.
Und ich gedenke zuerst des Spieles, das uns
als Kinder
Öfter mit lieblichem Schein bunter verän-Veränd-19
drung20 erfreut.
Brachte die Mutter uns Abends zu Bett, da
baten wir schmeichelnd,
Daß sie ein Weilchen noch blieb still mit dem
brennenden Licht.
Nicht als hätten wir uns vor Butt gefürchtet
und Kobold,
Nein wir riefen uns dreist selbst die Ge-
spenster herbei.
Also geschah's: wir sahn in das Licht und schlossen
die Augen,
Und wir erwarteten still Geistererscheinung
zu sehn.
Bald erschien uns ein leuchtender Stern, er färb-
te sich wechselnd
Und wir gestalteten uns feurige Drachen
daraus.
Friedrich der Große erschien uns dann auch in
blauer Mondierung,
Jäger im grünen Kleid, Blumen der buntesten
Art.
Aber am glücklichsten war, wer zuerst in dem
Purpurgewande
Mit diamantener Kron' herrlich die Königin
sah.
Was uns als Kinder ergötzt, nicht fehlet ihm
Sinn u. Bedeutung
Und mit bedächtigem Ernst wollen das Spiel
wir erneun.
Schau mit unverwandtem Gesicht in die blenden-
de Sonne,
Schließe die Augen dann zu gegen das Dunkle
gewandt,
Und dir gehen vorüber in wechselnd farbigem Abklang
Alle die Geister, die wir früher als Kinder citirt.
Achtest du weiter darauf, so findest Du Ordnung im
Wechsel,
Und ein beharrlich Gesetz ward auch dem Auge ver-
liehn,
Und es ruft sich mit schaffender Kraft aus dem Dun-
kel die Farben
Ruft aus dem Licht sie hervor fest in geschlosse-
nem Kreis.
(230904_7.jpg)
Aber das strenge Gesetz wird uns zu freier Ge-
wohnheit,
Unbewußt suchen wir uns Farbe mit schicklicher
Wahl.
Und den Frauen zumal ist ein sinniges Auge gegeben;
Denn es ruht ihr Gemüth näher der stillen Natur;
Immer zeigen sie uns, was sich ziemt und ordnen
das Rechte,
Sicher geführt vom Gefühl, wo der Verstand sich
verirrt.
Wählt die Brünette doch gern zu Himmelblau sich
Orange
Blaßgelb zu {violet} wählt die Blondine sich aus.
Nie mit grünem Band umgürtest ein blaues Ge-
wand du
Windest den VeilchengranzVeilchenkranz21 um den italischen
Hut.
Auch durch die Zimmer hindurch, wir finden ge-
ordnete Farben,
Gelbe Gardine verziert gern violettes Gemach,
[19v]Und zu der rothen Tapete du wähltest grün dir den
Sopha
Zu der orangenen Wand stellst du das blaue Geräth
Nicht zufällige Wahl u. Modegeschmack nur bestimmt
Dich
Frage dein Auge, das zeigt immer das Rechte dir an.
Denn es lebt ein Gesetz in der Welt der Natur und
des Geistes
Daß zu dem Einen sich immer sein Anderes fügt.
Wo dir das Wahre begegnet in Licht, imin22 Leben u. LiebenLiebe23
Hat das Verwandte sich immer gewählt u. geeint.
So verlangt auch das Auge zur einen Farbe die andre
Gibst du die Eine ihm nur, schafft es die Andre
sich selbst.
Willst du es prüfen, Du findest im Kästchen bunte
Papiere,
{Nim} sie zu weitrem Versuch, wie wir es leh-
ren heraus.
Bring auf den weißen Grund ein rothes Blätt-
chen u. richte
Läßlich das Auge darauf, {nim} es dann wieder
hinweg.
Und ein Schatten erscheint, ein flüchtiges Bild
auf der Fläche,
Nenn es nicht Täuschung, du siehst hier das
geforderte Grün.
Gelbes ruft {Violet}, es ruft sich Orange das
Blaue
Wechseln magst du das Spiel, wie es dir
eben gefällt.
Nun zu gleichem Versuche wir nehmen uns farbige
Gläser,
Zwischen zwei Lichter zuerst stellen dieß rothe wir
auf.
Hältst Du ein Stäbchen dazwischen, so müssen zwei
Schatten erscheinen,
Roth ist der Eine gefärbt, aber der andre ist grün.
So versuch' es mit Blau, mit grünem Glas und orangem,
Nach dem bewährten Gesetz wählt sich Dein Au-
ge das Bild.
Dritter Versuch24Farbiger Mondschatten.
Was uns im Kleinen gelang, versuchen wir
später im Großen,
Wenden vom irdischen SehenLicht25 uns zu dem
himmlischen Schein.
Wenn uns am Morgen die Sonne geführt in be-
lehrenden Umgang,
Abends vertrauen wir uns gern dem ver-
schwiegenem Mond.
Wieß uns der freundliche nicht den Weg durch die
duftige Waldung,
Wo er durch flüsterndes Laub schattiger Bu-
chen sich stahl;
Wurzeln suchten wir nicht zu Zaubergeträn-
ken u. Kräuter,
Aber du suchtest am Bach stille Vergiß-
meinnicht auf.
Heut nun suchen wir nicht umschattetes Dunkel der
Waldnacht
Luna, du sei uns gegrüßt heiter mit vollem
Gesicht.
Dieß nun bemerke zuvor: auf weißem Grunde
gefangen
Zeigt das Mondenlicht immer gemildertes BlauWeiß26.
Und empfängst du dagegen das Kerzenlicht auf
dem Papiere,
Siehst du orange das Blatt bräunlich beim
Lichte gefärbt.
Halte dann zwischen den Mond u. zwischen die
Kerze das Stäbchen,
Und zwei Schatten vor Dir siehst Du nun wie-
der gefärbt.
Wo du dem Mondlicht wehrst mit Deinem Stab
die Beleuchtung,
Hat orangenfarb Kerze den Schatten gefärbt
Wo du das Kerzenlicht verdeckst mit gehaltenem
Stäbchen
Zeigt sich der Schatten dir blau, den du daneben entdecksterblickst27.
Und du weißt es, warum? es suchte die
Sehnsucht des Auges,
Zu dem orangenen Bild sich das gefor-
derte Blau.
Farben-Kunst.
[21r]Ward nothwendig Gesetz der Natur und den
Sinnen gegeben,
Schafft sich der denkende Geist freier die
eigene Welt.
Denn es weiß der Mensch, was er sieht, u. was
ihm begegnet,
Trägt er von außen herein tief in die füh-
lende Brust.
Und das Innere trägt er nach außen u. stellt
sichs entgegen,
Außen u. Innen in Eins faßt er mit gei-
stiger Kraft.
Wozu wäre denn auch des Weltalls rasender
Aufwand,
Sonnen, Planeten, Gestirn über den Himmel
verstreut?
Wozu der Erde Pracht, des Frühlings duftende
Wittrung,
Wenn sich zuletzt nicht daran fühlend
ein Glücklicher freut!
Nennst du nun aber die Welt den Tem-
pel Gottes, so nenne
Allerheiligstes drin menschlich vernünf-
tigen Geist;
Denn nicht redet zu uns die Morgenröthe, die
Blume,
Mit so vernehmlichen Ton, als es der Künst-
ler vermag,
Der, ein Rafael, uns des Glaubens heilig Geheim-
niß,
Da uns das Wort noch gefehlt, herrlich in
Farben enthüllt.
Nicht in Marmor u. Erz den griechischen Helden
vergleichbar
Treten des Christentums himmlische Scharen
heran.
Schönres, wir wissen es wohl, als euch, ihr Olym-
pischen Götter,
Sah nie vergangene Zeit, wird nie die künf-
tige sehn.
Aber nach außen nur seid ihr gewandt in voll-
kommner Gestaltung,
Zu dem verschloßnen Gemüt öffnet das
Auge sich nicht.
Anders hat sich die christliche Welt nach Jenen
gewendet,
Himmel u. Erde gebannt eng in ein liebendes
Herz.
Siehst du den griechischen Gott, du freust dich der
Form u. der Schönheit,1
Tief aus dem christlichen Bild redet ein innerer Gott.2
[22r]Doch kein Nächtliches soll das Göttliche sein, kein
Verschloßnes.
Was wir im Herzen gefühlt, sehnt sich heraus
an den Tag.
Farben erwählte zu sinnlichem Stoffe der christli-
che Künstler,
Tief auf die Fläche gelegt waren sie selbst
nur ein Schein.
Aber das Leben erscheint uns darin u. die Freude
des Daseins,
War doch der ewige Gott selbst erschienen im
Fleisch.
Da genügte nicht hartes Gestein, den Gott zu ge-
stalten,
Mit aufquellender Lust lag in der Krippe das
Kind;
Blühend lag es u. frisch u. es reichte die Mut-
ter die Nahrung,
Aber mit seligem Schmerz ruhten die Augen
auf ihm.
Wählte die christliche Kunst sich Farben zur
Sprache des Bildes,
So mit bedeutendem Sinn hat sie der Künst-
ler vertheilt.
Rosenfarbnes Gewand umschließt die lieben-
de Mutter,
Die als demüthige Magd göttliche Gnade gewann.
[22v]Naht als Himmelskönigin sie, das Kind auf dem Arme,
Hüllet die Göttliche sich ein in das himmlische
Blau.
Christus als siegender Held trägt purpurfarbenen
Mantel,
Joseph, bescheidenen Sinns, kleidet ein bräunlicher
Rock.
Tragen die Heiligen so die Farben nach Wahl
u. Bedeutung,
Sind auf dem Bilde sie Euchauch28 schicklich zusam-
mengestellt.
Die Farben-Symbolik.
Scherzhaft sangst du mir einst ein Lied von
der FarbenbedeutungFarben
Bedeutung29,
Aber im ernsteren Sinn hab ich dein Wort mir
bedacht.
Blau bedeutet die Treue: die goldenen Sterne
des Himmels
Und ein vertraulicher Blick leuchtet aus freund-
lichem Blau.
Gelb ist die Farbe des Neids, die Farbe der ir-
dischen Flamme,
Die mit dem Andern zugleich gierig sich selber
verschlingt.verzehrt.30
Grün ist die Farbe der Saat u. der Knospenhülle
der Blätter
Eh noch mit reicherem Schmuck farbige Blüthe
sich zeigt.
Und so nennen wir grün die Farbe der glück-
lichen Hoffnung,
Aber im stillen dabei denken der Blüthe wir
nach.
Hold begegnet uns dann die Königin unter den
Blumen,
Und in dem rosigen Schein fanden wir, Liebe
dein Bild.
Aber die Jungfrau empfing mit schüchternem
Auge die Gabe
Und von der Rose zu ihr flog auf die Wange
die Gluth.
Schweigend kündiget dann die Morgenröthe der
Liebe
Im jungfräulichen Zorn stille Verheißung uns
an.
Hat uns die ernste Belehrung geführt zum
Gruß der Geliebten,
Freun wir mit heiterem Sinn uns des ge-
wonnenen Glücks!
Mögen die Farben umher mit flüchtigem
Schein dich umgaukeln,
Ruhig erkennst du darin Ordnung u. stetes Gesetz.
Aber die Deutung ist dein, dir begegnet das
Wahre, das Schöne,
Wie du die Welt anschaust, schaut sie auch
wieder zurück.
So vertraue dem Geist, vertraue dem sinnigen
Auge;
Das, wie ein leitender Stern, sichere Bahn
Dich geführt.
Sagt uns ein Freund: Es ruht in deinem Auge
die Welt mir,
Dann verstehst du des Worts holde Be-
deutung gewiß.
Berlin
- Rechtsinhaber*in
- Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 4. September 1823. F. C. Förster an Goethe. Z_1823-09-04_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-1C00-3