[179]

Als ich, verehrter Mann, Ihre liebwerthe Hand unter einem Schreiben an mich gezeichnet sah, war es eben ein Augenblick, als ich im Sinne hatte einige Zeilen an Sie zu erlassen, ja dadurch ward ich denn aufgemuntert es zu thun und hab es bis jetzt nur wegen zudringender vielfacher Geschäfte unterlassen.

Gegenwärtig nehme mir die Freyheit inliegenden Brief zu übersenden, der die Wünsche des Bittstellers wie ich glaube deutlich genug ausdrückt. Möchten Sie die Gefälligkeit haben mir die Frage zu bentworten: ob, nach Umsicht der in dem preußischen Königreiche gegenwärtig obwaltenden Einrichtungen und Gesinnungen, diese Wünsche wohl Erhörung finden könnten.

Die Bemühungen, welche dieser junge Mann erst meinem Faust und nachher der griechischen Literatur gewidmet, mußten mich für ihn interessiren und eine nähere Betrachtung seines Lebens- und Studienganges nur dieses Interesse vermehren. Leider sah ich seine Hoffnungen, die er auf eine Anstellung in Berlin gefaßt hatte, zuletzt verschwinden und mußte für ihn auf irgend Weise Sorge zu tragen bisher aufgeben.

Das Gesuch das er an mich brachte wußt ich nicht zu fördern; ich wagte nicht, selbst durch nähere Verhältnisse berechtigt, mich denjenigen zu nähern, [179]welche hierinnen zu entscheiden haben könnten, da ich beiden Theilen das Unangenehme einer abschläglichen Antwort ersparen möchte; deshalb entschließ ich mich jene Frage an Sie zu richten. Haben Sie die Güte mir deshalb ihre einsichtigen Gedanken zu eröffnen. Freylich weiß ich wohl, daß man eher eine freye Gnade als die Ausnahme von einer bedeutenden Regel zu hoffen hat, indessen wollt ich für den jungen Mann, der mir wirklich am Herzen liegt, nicht ganz unthätig seyn und lasse dieses Blatt abgehen, in Hoffnung daß Sie solches nicht ungeneigt aufnehmen.

Ich freue mich und danke schönstens daß Sie mein bey Ihrem bedeutenden literarischen Unternehmen haben gedenken wollen. Sie kennen den Kreis in welchem ich mich mit literarischen Freunden in Weimar bewege; deuten Sie mir auf irgend einen Punct, von wo Ihnen eine Mittheilung angenehm seyn möchte. Zwar gibt mir die Herausgabe meiner Werke viele und nicht immer erfreuliche Beschäftigung, doch ruft uns wohl irgend eine freundliche Aufforderung zu einer Zwischenarbeit auf, zu der wir durch eigenen Trieb nicht veranlaßt wären. Erhalten Sie mir ein wohlwollendes Andenken. Empfehlen Sie mich Herrn Varnhagen v. Ense auf's allerbeste und bleiben einer wahrhaften treuen Anhänglichkeit gewiß.

 hochachtend wie vertrauend
 ergebenst
J. W. v. Goethe.
CC-BY-NC-SA-4.0

Editionstext kann unter der Lizenz „Creative Commons Attribution Non Commercial Share Alike 4.0 International“ genutzt werden.


Rechtsinhaber*in
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 9. Mai 1827. Goethe an Hegel. Z_1827-05-09_d.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-1F3C-E