Die Quelle Leuconia

Wanderer.

Laß mich ruhen in Deinem süßen Geflüster, das die Ermüdung einwiegt in leisen Schlummer, Quelle, die Du aus der dunklen Brust der Erde rein und klar dem goldenen Lichte des Tages Dich entgegen drängst. Laß mich schöpfen aus Deinen labenden Fluthen, und empfange den Kranz, den ich pflückte auf sonnedurchglühtem Pfade, um ihn dankbar dem ersten Gewässer zu weihen, das mir wohlthätig rauschen würde in dürrer Wüste. Aber wie wird mir? – welch neues Leben strömt in Schauern der Wehmuth mit Deinem erquickenden Naß durch mein Inneres? Und die Blumen meines Opfers – wie erheben sie, die verwelkten, von Dir benetzt, wunderbar in frischem Farbenglanz die mattgesenkten Häupter? – O Du bist keine gemeine Quelle. Sicher stürzt Dein heller Strom aus der geheiligten Urne irgend einer Gottheit, die verborgen im Dunkel Deiner Grotte [138] thront. – Oder bist Du vielleicht eine Nimpfe, die hier in rieselnden Wogen ihr rasches Jugendleben ergießt, und in verwandelter Gestalt dem mächtigen Ocean entgegen eilt?


Die Quelle.

Wohl bin ich der Unsterblichen Eine, und meine Thränen hast Du getrunken, o Fremdling! Aber bebe nicht schaudernd zurück vor der seltsamen Labung. Thränen reiner Liebe gleichen dem Thaue, der die welken Blüthen der Erinnerung erfrischt, und in ihnen schmilzt der Schmerz gelindert dahin. Schöpfe wieder aus meiner Tiefe – – und möcht ich neue Kraft Dir verleihen zu Deinem einsamen, beschwerlichen Wege.


Wanderer.

Nein, nicht mehr wag ich Dich zu berühren gleich gemeinen Fluthen – denn in der flüsternden Bewegung Deiner Wellen glaube ich jetzt die Seufzer eines fühlenden Herzens zu vernehmen, und Ehrfurcht gebietend dünkt mir das Blau des Himmels, das sich in Dir spiegelt, gleich einem heiligen Schilde Dich zu schützen. Auch hast Du meinen brennenden Durst gelöscht, und mir Stärke gegeben, weiter zu wandern nach kurzer Rast. Aber sage mir, wer Du bist, ehe ich scheide, damit ich in meiner fernen Heimath die Wunder Deines Daseyns verkünde, und Kränze aufhänge an den Altar meiner Hausgötter zum Dank der Labung die Du mir gewährt hast.


Die Quelle.

Traurig, o Jüngling, ist das Schicksal, das Du zu erforschen begehrst – Doch ich will es Dir [139] enthüllen. Gedenke dann in der Ferne mitleidsvoll zuweilen der Armen, die jetzt in kalter Wasserfülle durch die Gefilde sich windet, welche ehemals ihr Fuß im leichten Reihentanz betrat. Hast Du nimmer von Leuconen, der Tochter des Aphidas, vernommen?


Wanderer.

Nimmer.

Die Quelle.

Aphidas, mein Vater, beherschte der Tegner weites Gebiet, und fröhlich blüht ich an seiner Seite dem Jugendglück entgegen. Doch nicht in dem Duft berauschender Mirthenhaine sucht ich es mir. Höher strebte mein Sinn – irdische Flammen vermochten nicht meine Brust zu entzünden. Frühe schon widmete ich mich dem mühsamen Dienste Dianens, und kannte nur die Geschosse der Jagd, nicht die des Gottes der Liebe. Gleich wie durch einen Panzer war mein Herz beschirmt vor all' den Pfeilen, die aus den liebefordernden Blicken der Männer auf mich eindrangen. Kaltsinnig verschloß ich mein Ohr den zärtlichen Klagen der Schäfer, so wie den stürmischen Bitten der Helden, und das Verlangen begehrender Faunen erwiderte ich nur durch stumme, finster zurückschreckende Verachtung.


Wanderer.

Trugst Du denn kein Gefühl im Busen, o Nimphe! um hart und ungerührt das Schönste zu verschmähen, was Leben und Jugend uns bieten?


Die Quelle.

Wohl regte tief in meinem Innern sich der [140] Empfindung glühende Fülle, aber fester Ensschluß war's in mir, sie nicht an das Eine zu verschwenden, was oft die Ruhe unseres Lebens unwiederbringlich vergiftet. Denn schon frühe zog die Erfahrung den rosigen Schleier der Täuschung mir vom Auge, und ich schaute um mich her, und suchte vergebens dauerhaftes Glück der Liebe in den Verbindungen, die ich schließen sah. Was mit dem höchsten Enthusiasmus der Leidenschaft begann, endete oft in kalter, herzloser Verstimmung – öfterer in bitterem, unheilbarem Weh, das selbst die Zeit mit ihrem schmerzstillenden Balsam nur zu mildern, nicht zu heilen im Stande war. Daher entsagt ich Amors Kränzen und Hymens Fesseln, und die Leere der Sehnsucht in meinem Gemüth, strebt' ich auszufüllen durch die Würde mütterlicher Pflichten. Denn Aleus, mein Bruder, dem die feindseligen Parzen die liebende Gattin entrissen hatten, vertraute meiner Sorgfalt seine Tochter Augis an, und in der sanft sich entwickelnden Holdseligkeit des anmuthigen Kindes blühte mir ein süßer Lohn für jegliche Mühe auf, die ihre Erziehung mir kostete.

Augis war schön wie der Frühling, wenn er im Sonnenglanze lächelt, und mit leise bildender Hand mischte ich Muth in das Zagen ihrer schüchternen Unschuld, und Festigkeit in die zarte Hingebung ihres weichen, leicht bewegten Gefühls. Ich lehrte sie den Bogen führen, und zeigte den tödtenden Pfeilen ihres Köchers den sicheren Weg in das Herz des Adlers in den Lüften, so wie in die Brust des Rehes im Gebüsch. Aus Furcht vor den Verfolgungen [141] der Waldgötter wich ich nimmer von ihrer Seite, und stählte sie durch die Beschwerlichkeiten immerwährender Beschäftigung gegen, allen Zauber zärtlicher Lockungen. Immer schimmernder mehrten sich ihre Reize, und Götter und Hirten entbrannten in Liebe für sie. Doch sorgsam hütete ich das theure mir anvertraute Kleinod, und keinem gelang es, meine nie ermattende Wachsamkeit zu hintergehen.

Da hörte Aphrodite im Kreise der Götter die Klagen derer, welche umsonst strebten, die Liebliche für ihre kühnen Wünsche zu gewinnen. Boshaft lächelte die Königin der Herzen, und gebot ihrem Sohne sich aufzulehnen gegen das eifrige Bestreben, mit welchem ich Augis Gemüth jeder sinnlichen Regung verschloß, und als der muthwillige Knabe fand, daß ich den Busen meines Zöglings vor seinen drohenden Waffen zu schirmen wußte, traf er verletzend ihr zartes Ohr, und öffnete es dem Syrenengesange des begehrenden Sehnens, das ihre Schönheit entflammt hatte. Sie wurde aufmerksam auf die Seufzer hoffnungsloser Liebe, die sonst unbemerkt an ihr vorüberwehten. – – Stille Schwermuth verdrängte ihre fröhliche Unbefangenheit, und ohne meinen Lehren zu widersprechen, sah ich doch deutlich, daß sie, von einem geheimnißvollen, verderblichen Zuge ergriffen, sich nicht mehr bemühte, ihnen zu folgen.

Einst, als Krankheit mich an mein Lager fesselte, rief ein Befehl meines Bruders sie auf einige Zeit ins väterliche Haus zurück. Unheil ahnend, ließ ich sie aus meinen Armen, und in dem Schmerz der Trennung schien auch ihr im dumpfen Vorgefühl [142] düster das nahende Geschick vorzuschweben. Dort – fern von meiner mütterlichen Aufsicht – erblickte sie den Hercules, dem Aleus gastfrei sein Haus geöffnet hatte. Ihn entzückte die muthige Jägerin. Seine männliche Schönheit, der Stolz des Halbgottes, der vor ihren Reizen in zärtlichem Flehen dahin starb, der Glanz seines Rufs, der schon damals, als er ihr noch fremd war, ihre schüchterne Meinung blendend erobert hatte, und die eigene Schwäche ihres nicht mehr bewaffneten Herzens gewannen ihm ihre Neigung, und sie unterlag den Nachstellungen des Verführers, der nach dem kurzen Rausch eines erträumten Glücks sie verließ.

Die Stimme des Bewußtseyns in ihrer Seele rieth ihr, mein Angesicht zu meiden. Ach, sie wußte nicht, daß eine Liebe, wie die meinige, eher zu verzeihen, als zu strafen geneigt ist. Sie suchte ihren Aufenthalt am Hofe ihres Vaters zu verlängern, ohne zu ahnen, daß sie ihr Unglück dadurch beschleunigte. Denn als bald darauf Verdacht in Aleus Seele drang, und er sie hochgegürtet schaute, entbrannte sein Zorn gegen die Entehrte, und er erblickte in der strafbaren Tochter nicht mehr die Zierde ihres Geschlechts, auf die er einst stolz war, sondern die Schande seines königlichen Hauses, welche nur, wie er wähnte, durch den schmachvollsten Tod der Verbrecherin zu vertilgen war. Taub gegen alle Einwendungen väterlicher Liebe gab er nur der Wuth und der Rachsucht Gehör, und befahl dem Nauptius, seinem Vertrauten, die Unglückliche in den tiefen Schlund einer grimmigen Wasserleitung zu stürzen, [143] um so sie sammt den Folgen ihres Fehltritts zu begraben.

Das Gerücht von Augis Vergehung, so wie von dem schrecklichen Loose, mit dem sie ihr Vater bedroht hatte, gelangte zu gleicher Zeit zu mir, und gefoltert von Angst und Schmerz über diese Elende, raffte ich mich auf, ihr beizustehen in der Verzweiflung ihrer Lage, und den harten Sinn des Königs zum Widerruf seines grausamen Befehls zu bewegen. Aber ach – ich kam zu spät um sie zurück zu halten vom finstern Todeswege, denn sie hatte ihn bereits betreten. Wehklagend durchstrich ich jetzt die verödeten Wälder, auf deren dunklen Bahnen die geliebte Tochter einst neben mir wandelte, und wenn ich die tobenden Wellen, in denen sie unterging, vom Felsen herabrauschen sah, rief ich jammernd ihren Namen, und hörte schaudernd, wenn Echo, meines Schmerzes spottend, kalt und herzlos ihn mir nachsprach.

Seitdem waren alle Freuden des Lebens mir verglommen, gleich matten Funken, von trüber Asche bedeckt, und immer schwebte mir der Gedanke, was ich verloren, vor meiner Seele, um mir die Nichtigkeit dessen zu zeigen, was mir übrig blieb. Selbst in meinen Träumen stand das bleiche Bild des geliebten Kindes vor mir, und oft erblickt ich sie in kläglicher Gestalt, wie sie den gräßlichen Todeskampf beginnend, die Arme Hülfe fordernd, nach mir ausbreitete, und dann rettungslos sich versenkte in den gähnenden Abgrund, wo die erzürnten Wogen brausend über ihr zusammen schlugen. – –

[144] Mein Leiden, und das heiße Flehen nach einem lindernden Ende derselben rührte endlich die Götter, und als ich einst wiederum das ganze Weh meines Verlustes in bitteren Klagen ergossen hatte, dünkt ich mir in meinem Innersten zu erkalten, und wie aus weiter Ferne erklang mir sanft und melodisch eine Stimme: »Fließe hin in Thränen, sprach der himmlische Laut, und wie Du wohlthätig und segnend im Leben warst, so sey es auch nach Deinem Tode. Mit leise strömenden Wellen, die Deines Daseyns Kraft enthalten, netze die Fluren, die Du rüstig in Dianens Dienst, als unermüdete Jägerin durchschrittest, und schwelgrisch dufte üppiges Grün, mütterlich von Dir genährt, um Dich her. Reiche dem Wanderer Labung und verjüngte Stärke im reinen Krystall, der Deiner Tiefe entquillt, und selbst den lechzenden Herden, die Dein Ufer erreichen, stille kühl und freundlich den quälenden Durst.« – – So fühlt' ich dämmernd und sanft, wie der nahende Schlummer Bilder des Wachens verlöscht, mein Leben dahin rinnen, und in den Krümmungen der mir vorgeschriebenen Bahn stürze ich mich sehnend der Untiefe zu, in welcher der Liebling meines Herzens mir verschwand, und suche sie vergebens, doch mit besänftigter Trauer, auf dem feuchten Grunde der tosenden Fluth, die auch mich verschlingt, um meine Wellen, mit den ihrigen vereint, ins ferne Meer hinab zu wälzen.


Wanderer.

Märtyrerin der reinsten, uneigennützigsten Liebe – gütige Nimpfe, die mich erquickte – habe Dank, daß Du Dein trübes Schicksal mir entschleiert hast. [145] Walle ungehemmt in Deinem wohlthätigen Laufe dahin durch die blühenden Gefilde, die Du nährst, und gewähre noch oft dem schmachtenden Wanderer, den aus der Ferne Dein sanftes Flüstern herbei führt, Erfrischung in den Gluthen des Mittags. Wenn Pan, der Freund der Hirten und Heerden, mich sicher nach den Thälern geleitet, wo meine Hütte steht, will ich noch dankbar und liebevoll Dein Andenken feiern, und die schönsten Blumen, die meine Trifft hervorbringt, zu Deinem Andenken in der Wehmuth dunkles Cipressengeflecht winden.

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TextGrid Repository (2011). Ahlefeld, Charlotte von. Erzählungen. Gesammelte Erzählungen. Erster Band. Die Quelle Leuconia. Die Quelle Leuconia. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D775-E