Edmunds Schicksale
Aus Allwills Papieren.

Meine Universitätsjahre waren zu Ende. Nicht ohne ernste Wehmuth blickte ich aus dem blühenden Lebensfrühling in die schwülen Gefilde des Sommers hinüber, wo die Mühen der Erndte meiner warteten. Trennung von den Jugendgefährten, mit denen mich Herzlichkeit und academische Freiheit so eng verbunden hatte – die Wahrscheinlichkeit, sie nie wieder zu sehen, mit der ich den Einen nach Süden, den Andern nach Norden ziehen sah, und die Unwissenheit, in welche Himmelsgegend mich mein eigenes Schicksal noch rufen werde, da ich kein Vermögen besaß, und meine Thätigkeit als die Basis meines künftigen Unterhalts betrachten mußte – alles dies umdüsterte meinen Sinn mit einer mir sonst fremdartigen Schwermuth, und folgte mir in trüben Bildern auf meiner Rückreise nach meiner Vaterstadt.

[59] Mein Reisegefährte, Graf Edmund von Willbeck, der einzige, aber wie ich mit dankbarer Rührung gegen Gott erkannte, der liebste meiner Universitätsfreunde, der mit mir eine gemeinschaftliche Vaterstadt hatte, theilte, diese Gefühle mit mir, ob er gleich einer weit heitern Bestimmung als ich entgegen ging. Als einziger Sohn eines vielgeltenden Ministers, und reich, standen ihm Wege genug offen, sich künftig nach seiner Neigung zu beschäftigen, oder auch willkührlich sich in die Unabhängigkeit eines sorgenfreien Privatlebens zurück zu ziehen.

Mit meiner Lage auf's innigste vertraut, ging er liebevoll und theilnehmend in meine dunklen Aussichten ein, und gelobte mir, sie aufhellen zu helfen, indem er den Einfluß seines Vaters für mich in Anspruch zu nehmen versprach. Auch hielt er redlich Wort; denn bald nach meiner Ankunft erlangte ich durch seine Vermittelung die vortheilhafte Anstellung als Legationssecretair bei einer Gesandschaft, die mich zwar auf einige Jahre von meiner Heimath entfernte, mir aber alsdann wohlgegründete Ansprüche auf eine ehrenvolle und einträgliche Versorgung gab.

Die Perspective dieser sichern Vortheile bewog mich, trotz dem widerstrebenden Gefühl, das mir stets auch den ansehnlichsten Gesandschaftsposten im trüben Licht einer Verbannung aus dem Vaterlande zeigte, mich dieser Prüfungszeit zu unterwerfen, da Vernunft und Nothwendigkeit es mir anriethen.

Während ich in reger Thätigkeit mich zu einer baldigen und langen Entfernung rüstete, bemerkte ich Anfangs nur flüchtig, doch nach und nach immer deutlicher [60] eine auffallende Veränderung in der Stimmung meines Freundes Edmund.

Da wir offen genug gegen einander waren, uns Rechenschaft von dem zu geben, was in unsern Gemüthern vorging, so verhehlte er mir auch nicht, als ich theilnehmend forschte, daß seit einer erst kürzlich in dem Vorzimmer seines Vaters gemachten Bekanntschaft, ihm eine ganz neue und bessere Welt im Innern aufgegangen sey.

Du siehst, wie sehr ich dir vertraue, setzte er lachend hinzu, indem ich dir verspreche, dir heut Abend den Stern zu zeigen, der mir so herrlich leuchtet, und der fortan durch alle Nächte meines Schicksals mir glänzen wird. Bliebest du hier, und hättest Zeit und Lust, dich in einen Wettstreit der Liebenswürdigkeit mit mir einzulassen, so würde ich freilich kein solcher Thor seyn, dir selbst den Weg zu bahnen, auf dem du mich leicht überwinden könntest.

Ich schloß aus der leichten, scherzhaften Art, mit der er diesen Gegenstand berührte, daß, wenn irgend ein weibliches Wesen Eindruck auf sein Herz gemacht habe, dieser wenigstens gewiß nicht tief sey.

Als er mich aber am Abend abholte, und in eine dürftige Wohnung führte, wo ich eine kränkliche und halb gelähmte Matrone in der Mitte dreier Töchter fand, unter denen die Aelteste, Amalie, in blendender Schönheit und Lieblichkeit hervorstrahlte, änderte ich meine Meinung. Denn dieses himmlische Antlitz, in jedem Zug, in jeder Miene das Gepräge einer göttlichen Abkunft verkündend, diese ganze Gestalt, [61] über welche die höchste weibliche Grazie und die reinste Würde der Unschuld sich ergoß, dieser Geist, durch Güte und Kindlichkeit gemildert – kurz – diese vollendete Liebenswürdigkeit des Körpers und der Seele – ich fühlte wohl, daß ein Herz, das sich ihr einmal zum Altar geweiht, nie im Leben eine andere Flamme dulden könne.

Mein Freund wurde um seiner selbst, und ich um seinetwillen mit vieler Auszeichnung empfangen. Er schien hier keinesweges mehr fremd zu seyn; wenigstens schloß er sich mit der ihm eigenthümlichen Anmuth in heiterer Vertraulichkeit an diesen Cirkel an, als wenn er auf's engste zu ihm gehöre. Die Mutter begegnete ihm mit vieler Achtung – es schien mir jedoch, als ob sie hauptsächlich dem Sohn des Ministers sie zolle, und es entging mir nicht, daß sie in einem Augenblick, wo sie sich unbeobachtet glaubte, ihn nach den Fortschritten seiner Verwendung bei seinem Vater befragte, und ihn dringend um sein Fürwort ersuchte. Amalie hingegen fand die Ursache, weshalb sie mit leuchtenden Blicken so oft an ihn hing, als es nur immer ihrer Meinung nach unbemerkt geschehen konnte, nicht in fremden Motiven, und Absichten des Eigennutzes, sondern in ihrem bewegten, von den ersten Schauern der Liebe ergriffenen Herzen, das sich unverkennbar in ihrem schüchtern innigen Benehmen verrieth. Ihre beiden jüngeren Schwestern hatten in ihrem Betragen gegen Edmund ganz die trauliche Herzlichkeit, mit der liebende Geschwister mit einander umgehen.

Wir brachten den Abend in harmloser, aber [62] stets innerhalb der Gränzen des feinsten Geschmacks sich erhaltender Fröhlichkeit zu. Es erwies sich, daß Edmund – Meister im Gesang und auf der Gitarre – Fräulein Amaliens Lehrer in diesen reizenden Künsten sey. Stolz auf seine Schülerin legte sie auf seine Bitte ein Probestück ihrer Gelehrigkeit ab, und erhöhte durch den Zauber ihrer vollen, reinen, wunderschönen Stimme die Bewunderung noch mehr, die der seltene Verein so vieler Vollkommenheiten nothwendig in jedem unverwahrloseten Gemüth erregen mußte.

Als ich nach diesen genußvollen Stunden nach Hause kam, erwartete mich die Nachricht von dem Gesandten, dem ich untergeordnet war, daß er Befehl erhalten habe, unsere Abreise zu beschleunigen.

Es blieb mir nur noch ein einziger Tag, der in den Unruhen des Einpackens und Abschiednehmens mir wie ein Traum vorüberrauschte, ohne daß mir noch eine recht zusammenhängende, vertraute Unterredung mit Edmund geworden wäre.

Ich sah indeß, daß sein ganzes Wesen einem blühenden Frühling gleich, in der seligsten Aufregung war, und als ich, nach dem stummen Händedruck des Lebewohls in den Wagen steigend, die Wehmuth der Trennung hinter freundlichen Scherz verstecken wollte, und den Namen: Amalie ihm zu flüsterte, sagte mir der Blitz seines Auges und die flammende Röthe, die freudig in seine Wangen stieg, daß ich mit diesem Ton das Innerste seiner Seele getroffen hatte.


[63] Nach einem Zeitraum von drittehalb Jahren, während welchem Edmund mir nur Anfangs zuweilen, und jedesmal sehr flüchtig, ohne Amaliens zu erwähnen, geschrieben hatte, kehrte ich endlich, meines Postens ehrenvoll entlassen, und einem ruhigern entgegen sehend, in die Residenz zurück.

Da ich mit Niemanden Briefe gewechselt hatte, fand ich mich, durch eine Entfernung von mehr als hundert Meilen, fremd in den Verhältnissen meiner Bekannten geworden, und trat gewißermaßen in eine mir ganz neue Welt, in der ich mich herzlich nach dem Wiedersehen meines Edmund sehnte.

Er war verreist. Ungern entbehrte ich seine freundliche Nähe, und suchte leise und vorsichtig nach ihm zu forschen, um, wo möglich, mir ein Bild seiner Gegenwart entwerfen zu können, bis er selbst kommen und den Schleier hinweg ziehen würde, den eine lange Abwesenheit über sein Herz geworfen hatte.

Wie sehr erstaunte ich aber, als auf meine Erkundigung nach ihm die Schmähsucht das ganze Uebermaß ihrer Galle in den bittersten Beschuldigungen über ihn ergoß. Man erzählte mir, das Amalie von Derbald vor ungefähr vier Monaten durch seine Schuld, und von ihm verlassen, auf eine entsetzliche Weise im Hospital gestorben, und unbezweifelt das Opfer seiner Leidenschaft und seiner Grausamkeit geworden sey.

Mit Schaudern vernahm ich den Untergang des liebenswürdigen Wesens, das ich zwar nur einmal, aber genug gesehen hatte, um es nie wieder zu vergessen. Es schmerzte mich tief, daß so viel [64] Schönheit und Holdseligkeit eine Beute des Todes geworden war, und unmöglich konnte ich meinen Freund in der Characterschilderung wieder erkennen, die man mir von ihm machte – unmöglich ihn, der von Amaliens Werth einst so innig durchdrungen schien, für ihren Mörder halten. Mit warmem Eifer nahm ich seine Parthie und suchte ihn zu vertheidigen – aber die allgemeine Stimme war gegen ihn – und ich vermochte nicht, sie zum schweigen zu bringen.

Endlich vernahm ich seine Zurückkunft, und eilte zu ihm. Aber welche ungeheuere Veränderung erschreckte mich bei seinem Anblick. Hinweggetilgt von der Hand des Grams war die frische Jugendblüthe, in der ich ihn verlassen hatte. Bleich, abgezehrt, mit tief gesunkenen, erloschenen Augen, die die Wirklichkeit nicht mehr beachtend, gleichsam schon auf den dunklen Gefilden einer andern Welt verweilten, starrte er mich träumend an, als müsse er sich erst auf mich besinnen. Die Thränen aber, mit denen ich mich in seine Arme stürzte, erweckten auch die seinigen und schmolzen die Rinde der Erstarrung, die sein Herz umgab.

Er saß, als ich zu ihm ins Zimmer trat, mit schwermüthig gestütztem Haupt, in Gedanken versunken, vor einem Tisch, auf welchem ein offener Brief von einer weiblichen Hand lag, den er, als das Geräusch meines Eintritts ihn zum Umsehen bewog, sogleich in seinen Busen verbarg.

Der Anblick seiner Jammergestalt erschütterte mich bis ins Innerste. War es der Schmerz, mit [65] dem ein unverdientes Unglück uns beugt, oder war es Kummer über eine Schuld, die sein Gewissen ihm vorwarf, was seine Gesundheit untergraben, seinen Muth und seine Kraft zerstört hatte – ich wußte es nicht; – aber Ansprüche auf mein tiefstes Mitleid gab ihm der Zustand, in dem ich ihn fand, auch wenn die Erinnerung der Vergangenheit und unserer Jugenfreundschaft nicht so laut zu meinem Herzen gesprochen hätte.

Nach den ersten, in wehmuthsvollem Schweigen zugebrachten Augenblicken suchte ich ihm den Antheil zu bezeugen, den ich an seiner Traurigkeit nahm. Thränen traten von neuem in sein Auge. Ja, du hast Recht mich zu bedauern, sagte er, auf sein Herz deutend. Denn die Wunde, die hier blutet, wird niemals heilen, und doch hat sie mich noch nicht getödtet.

Er zog bei diesen Worten ein Bild aus seinem Busen und drückte es zärtlich an seine bleichen Lippen. – Ich erkannte Amaliens himmlische Züge. –

Schone dich mein Freund! sprach ich zu ihm, du bist krank gewesen, wie ich sehe – bist noch jetzt nicht völlig genesen, Alles was so schmerzlich auf dein Gefühl wirkt, muß auch deiner Gesundheit nachtheilig seyn. Entferne diese Erinnerungen, bis du mehr Kraft gewonnen hast, sie zu ertragen.

Ich bin nicht krank gewesen, antwortete er mir, und dies Bild, der einzige Trost, der mir übrig blieb, verursacht meine Verzweiflung nicht, es nährt sie nur. Aber sie ist mir lieber, als eine Schaale aus Lethes Fluthen mir wäre.

[66] Er hielt das Bild, auf dem meine verstohlenen Blicke ruhten, mir näher. Ob ich gleich das Original desselben nur einmal gesehen hatte, so erinnerte ich mich doch lebhaft dieser einnehmenden, unschuldigen Mienen, dieses Lächelns der Güte, dieses Auges voll Geist und Innigkeit. Sie ist todt, das holde Wesen, dem diese sanften Züge glichen, rief ich bewegt aus. Zur Blüthe entfaltet dachte ich diese reizende Knospe wieder zu finden, dir in Liebe hingegeben, dich beglückend – und finde ihr Grab! O Edmund! wenn es wahr ist, was man sagt, daß du sie aus dem Leben drängtest – daß du, indem du sie verließest, das Herz gebrochen hast, das des reinsten Glücks würdig schien – wie kannst, wie wirst du dies entsetzliche Bewußtseyn ertragen?

Wie? unterbrach er mich voll Erstaunen, ist es Irrthum oder Verläumdung, die so lieblos über mich urtheilt.

Die Welt sagt es, erwiederte ich, und der Schein ist gegen dich. Daher wenn du dich schuldlos fühlst, so befreie mich von dem bittern Argwohn, den die allgemeine Stimme unwillkührlich in mir geweckt hat, und gieb mir den schönen Glauben an Dich wieder.

Das Urtheil der Menschen ist mir gleichgültig, sagte er, aus der momentanen Aufregung, in die mein Vorwurf ihn versetzt hatte, in seinen tiefen, Trübsinn zurücksinkend. Aber daß Du, der Du mich so genau kennest, der Schmähsucht dein Ohr leihen konntest, das schmerzt mich, und ich will suchen, durch eine treue Darstellung meines traurigen Schicksals deine gute Meinung wieder zu gewinnen.

[67] Er hielt Wort, und was er in einzelnen Mittheilungen, oft gestört durch die damals schon beginnende Verwirrung seines Geistes, in der er späterhin seine Tage endete, und öfterer noch unterbrochen durch seine Seufzer und Thränen, mir anvertraute, habe ich in diesen Blättern niedergelegt, um dadurch, wo möglich, das Andenken meines unglücklichen Freundes noch nach seinem Tode zu rechtfertigen.


Frau von Derbald, die Witwe eines Landedelmanns, war, als ihr Gemahl starb, in sehr verwickelten Vermögensumständen zurück geblieben. Das ganze Wohl oder Wehe ihrer Zukunft, in so fern es von irdischen Gütern abhing, beruhte auf einem Prozeß, dessen Entscheidung sich nun schon Jahre lang verzögert und der sie endlich zu den Entschluß gebracht hatte, in die Residenz zu ziehen, um seine Beendigung zu erwarten, und wo möglich zu betreiben.

Da die Kosten dieses Prozeßes bisher wie in einen bodenlosen Abgrund die geringen Einkünste ihres Witwengehalts, und alles, was sie noch an Sachen von Werth besaß, verschlungen hatten, so blieb ihr, ob sie gleich den letzten Rest ihres Besitzthums zusammen raffte, nur wenig übrig, um sich an einem so theuern Ort einzurichten, und mit ihren Kindern, deren Erziehung zum Theil noch nicht vollendet war, zu erhalten.

Schon längst an der Gicht leidend, und halb gelähmt durch ihre fürchterlichen Wirkungen, miethete sie in einem Seitengäßchen, das an das Hotel des [68] Ministers von Willbeck stieß, eine dürftige Wohnung, wo ihre älteste Tochter Amalie, – eben erst sechzehn Jahr alt – sich bestrebte, durch Fleiß, Ordnung und häusliche Thätigkeit der ärmlichen Einrichtung einen Anstrich von Bequemlichkeit, und ihrer ganzen eng beschränkten Lebensweise ein freundlicheres Colorit zu geben.

Nicht nur durch kindliche Pflege, der sie mit der vollen Innigkeit ihres liebenden Herzens sich unterzog, sondern auch durch ihren eben so sanften als heitern Sinn, und durch ihre Geschicklichkeit gelang ihr dies. Denn manche bei der späten nächtlichen Lampe verfertigte feine Arbeit, die sie heimlich verkaufte, schaffte der kränkelnden Mutter Erquickung, und erleichterte ihre Sorgen. Auch wußte sie sich stets still und fromm in die oft sehr drückenden Launen der durch körperliche Schmerzen und mannichfache Unfälle erbitterten Frau zu fügen, und mit unerschütterlicher Gelassenheit die rauhe Begegnung hinzunehmen, die ihr oft wurde. Sie wußte, daß ihre Mutter, ungeachtet der aufbrausenden Heftigkeit ihres Characters, ihre Kinder doch von Herzen liebte, und – daß sie unglücklich war: Gründe genug für Amalien, um mit kindlicher Unterwerfung zu dulden und nie auf dem dornenvollen Wege ihrer Pflichten zu ermüden.

Um dem Minister Willbeck nahe zu seyn, dessen letzte Enscheidung viel, nach der Meinung der Frau von Derbald alles über den Ausgang ihres Prozeßes vermochte, hatte sie diese Wohnung bezogen, da sie hier ohne Aufwand von Geld oder körperlicher Kraft, [69] sehr leicht zu Fuß sein Vorzimmer erreichen konnte, wo sie sich lange Zeit, unbemerkt und ohne vorgelassen zu werden, unter der Zahl der Bittenden befand, die es belagerten.

Da sie gelähmt und viel zu schwach war, um ohne Stütze gehen und sich aufrecht erhalten zu können, so mußte Amalie sie jedesmal begleiten, und mancher lüsterne Blick der Aus- und Eingehenden ruhte auf dem reizenden Mädchen, das, sich unbehaglich in dieser ihr fremden geräuschvollen Welt fühlend, die schönen Augen schüchtern senkte, und nur bemüht war, ihrer Mutter die Zeit des vergeblichen Wartens, das lange Stehen und, wenn sie wieder unverrichteter Sache weggehen mußte, die Bitterkeit der abermals getäuschten Erwartung zu erleichtern.

Zu arm, und vielleicht auch zu unerfahren, um, wie andere thaten, die übermüthige Dienerschaft des Ministers zu bestechen, und sich so endlich Zutritt zu erkaufen, hatten sie schon manchen Morgen hoffnungslos hier verloren, und selbst mehrere schriftlich eingereichte Bitten waren unbeantwortet geblieben, als eines Tages Edmund aus dem Zimmer seines Vaters trat, und gleichgültig seinen Blick über die bunte Versammlung hingleiten ließ.

Der Anblick einer ältlichen, mehr noch durch Leiden und Muthlosigkeit, als durch ihre Jahre niedergebeugten Frau, deren Anstand unwillkürlich verrieth, daß sie früher wohl nicht gewohnt gewesen sey, im Vorzimmer wie eine Bettlerin zu harren, würde, bei der Güte seines weichen Herzens, sein [70] Mitleid schon allein rege gemacht haben, hätte der Engel, der ihr zur Seite stand, ihr nicht augenblicklich noch weit innigere Ansprüche auf seine Theilnahme gegeben.

Sehr dürftig gekleidet, war ihre Schönheit und die höchste Reinlichkeit ihr einziger Schmuck, und das tiefe Erröthen der Scham, sich hier so geringschätzig behandelt, und von so vielen unzart begafft zu sehn, das ihre Wangen noch immer nicht verlernen konnten, verschönerte sie nicht nur, sondern drückte auch so, wie ihre niedergeschlagenen, mühsam ihre Thränen zurückdrängenden Augen unverkennbar aus, wie qualvoll ihr dieser Zustand war.

Edmund ging sogleich auf die Matrone zu, und indem er, ohne erst nach ihrem Anliegen zu fragen, in einem gebieterischen Tone den Dienern befahl, Sessel für die Damen herbei zu schaffen, kündigte er sich durch die unterwürfige Schnelligkeit, mit der sie ihm gehorchten, als Sohn des Hauses an, ehe er ihnen noch seinen Namen genannt hatte.

Als Mutter und Tochter sich gesetzt hatten, suchte er mit der ihm eigenen Feinheit und Milde ehrerbietig nach ihren Wünschen zu forschen. Keine Neugier, sondern nur das Verlangen, ihr nützlich zu seyn, sagte er, sey die Ursache dieser vielleicht unbescheidenen Zudringlichkeit, und nur in dieser Hinsicht hoffe er, sie werde sie ihm vergeben.

Sie trug ihm in gedrängter Kürze ihr Anliegen vor; als sie aber geendigt hatte, wurden die Thüren, die in das Cabinet des Ministers führten verschloßen. Dieses Signal, daß die zu Audienzen bestimmte Zeit [71] für heute verfloßen sey, trieb die Versammlung aus einander, und auch Frau von Derbald stand auf, um sich zu entfernen. Edmund verlangte seinen Wagen, indem er sich die Erlaubniß erbat, sie nach Hause zu bringen. Da sie ihm aber sagte, daß ihre Wohnung nur wenig Schritte entfernt sey, bot er ihr den Arm, sie dahin zu begleiten, und nahm mit dem Versprechen von ihr Abschied, daß sie am folgenden Morgen seinen Vater ganz gewiß sprechen solle.

So heiter wie heute waren Mutter und Tochter noch nie nach Hause gekommen. Gleich einem guten Engel war ihnen der Jüngling erschienen, der sich so freundlich ihrer angenommen hatte, und den sein liebenswürdiges Aeußere schon allein empfohlen haben würde, hätte es seine Güte, seine Theilnahme und der Ernst, der in seinem Anerbieten lag, nicht bereits gethan. Ermuthigt durch seine Bekanntschaft und sein Versprechen, sah Frau von Derbald dem folgenden Tage entgegen, und Amaliens Herz klopfte lauter, wenn sie daran dachte, ihn wieder zu sehn.

Als sie am andern Morgen in dem Vorzimmer er schienen, wo sie so manche Demüthigung, so manche Kränkung erlitten hatten, wartete ein ganz anderer Empfang, als der gewöhnliche, der eigentlich keiner war, auf sie.

Statt mit nachlässiger Insolenz sie zu übersehen, oder mit spöttischen und beleidigenden Blicken sie zu messen, beeiferten sich die Bedienten jetzt auf's sorgfältigste, sie, Edmunds Befehlen gemäß, mit der größten Ehrerbietung zu empfangen.

Man führte sie in ein elegantes Zimmer, durch [72] eine wohlthätige Scheidewand von der ihnen verhaßten Antichamber getrennt. Nach wenig Momenten trat Edmund freundlich und zuversichtlich, wie ein Bote der Hoffnung, zu ihnen ein. Die Versicherung, daß sein Vater ganz beschämt über die Schwierigkeiten sey, die Frau von Derbald bisher bey ihrem Wunsche, ihn zu sprechen, gefunden habe, daß er sie erwarte, und entschloßen sey, durch die möglichste Beeilung ihrer Angelegenheiten, sie für die verlorne Zeit zu entschädigen, vollendete durch die fröhlichste Wirkung den Eindruck, den seine beglückende Erscheinung auf das bereits verzagende Gemüth der Mutter hervorgebracht hatte, und Amalie fühlte sich neben der stillen Bewunderung seiner mänlichen Grazie so von Dankbarkeit durchdrungen, daß es ihr schwer wur de, den innigen Ausbruch derselben zurück zu halten.

Unter dem Vorwand, daß eine langwierige juristische Unterredung das Fräulein unmöglich interessiren könne, suchte er sie von der Begleitung ihrer Muster auszuschließen. Denn er wünschte nicht, daß der mistrauische Character seines Vaters in ihrer unwiderstehlichen Schönheit den Grund der auffallenden Verwendung suchen möchte, mit der er sich bemüht hatte, dieser zurückgesetzten Familie zu nützen. Er erbot sich, an ihrer Statt Frau von Derbald, freilich mit weniger Geschicklichkeit, aber mit derselben vorsichtigen Sorgfalt, wie sie, zu führen, und öffnete, um ihr einstweilen in der Einsamkeit Unterhaltung zu gewähren, die Thüren einer angränzenden Gemäldegallerie, in der, unter mehreren Familenportraits, auch das seinige sich befand.

[73] Der Minister, der Edmund gerne verbinden wollte, weil er seine Bereitwilligkeit bei manchen hochfahrenden Planen noch zu vermehrender künftiger Größe wiederum in Anspruch zu nehmen gedachte, empfing die Wittwe mit glatter Höflichkeit, und lieh ihren Klagen und Beschwerden ein geduldiges Ohr. Er war, oder schien, von der Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche überzeugt, gelobte ihr, seinen ganzen Einfluß zu ihrem Besten anzuwenden, und entließ sie sehr zufrieden mit der Versicherung, daß der glückliche Ausgang ihres Prozeßes ihr aufs baldigste beweisen solle, wie sehr es ihm Ernst sey, der besondern Empfehlung seines Sohnes, so wie ihren Verdiensten, Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen.

Als Edmund die mit freudigem Dank ihn überhäufende Matrone hinweg, und zu einem Sopha des vorigen Zimmers geleitet hatte, ging er raschen Schritts in die Gallerie, Amalie von ihrer Zurückkunft zu benachrichtigen.

Er fand die Liebenswürdige vor seinem Bilde knieend, Arme und Blicke zu ihm empor gehoben, und in dem Ausdruck ihrer Züge die glühendste Begeisterung mit der frommen Schwärmerei der höchsten Andacht verschmolzen.

Ein wenig betroffen richtete sie sich auf, als sie ihn erstaunt neben sich erblickte. Aber nur flüchtig weilte das Erröthen, sich überrascht zu sehen, auf ihrem zarten Antlitz, denn die Reinheit ihres Bewußtseyns gab ihr bald ihre ganze Unbefangenheit wieder.

[74] Ich habe Gott gebeten, unsern Wohlthäter für seine Güte zu segnen, sagte sie.

Möchte Gott mir so viel Macht verleihen, als ich Willen habe, Ihnen zu nützen, antwortete er verwirrt und innig gerührt, indem er ihre Hand küßte und sie dann schweigend zu ihrer Mutter führte.

Die Erlaubniß, sie besuchen zu dürfen, um, die er bat, und die ihm gewährt wurde, war der erste Lohn seiner theilnehmenden Bemühung. Er machte sehr bald von ihr Gebrauch; und da er auf den ersten Blick die mit ihrer Kleidung übereinstimmende Dürftigkeit ihrer Wohnung bemerkte, nahm er freudig die Gelegenheit wahr, sie sich aufs neue zu verbinden.

Ihre Sache, gnädige Frau, sprach er ehrerbietig zu der Mutter, wird, wie ich von meinem Vater höre, ganz gewiß zu Ihrem Vorrheil entschieden werden. Aber der Gang des Rechts ist langsam, und er selbst vermag ihn nicht zu beeiligen, besonders da sich Chicanen in den Weg werfen, die ihn wenigstens aufhalten, wenn sie auch keinesweges zu fürchten sind. Wie ungerecht wäre es gegen sich selbst und gegen Ihre Kinder, wenn Sie bei dieser sichern Erwartung in einer Beschränkung fortleben wollten, die Ihrer nicht würdig ist. Erlauben Sie mir, Ihnen ein Darlehn anzubieten, bis der Gewinn Ihres Prozeßes Ihnen gestatten wird, es mir mit Bequemlichkeit zurück zu zahlen, und seyn Sie überzeugt, daß Sie mich unendlich durch die Annahme eines so geringfügigen Dienstes verbinden.

[75] Dieser Vorschlag berührte eine sehr wunde Stelle in Frau von Derbalds Gemüth mit schmerzstillendem Balsam. Seit sie durch Edmunds Vermittelung so bedeutende Fortschritre in ihren Angelegenheiten gemacht hatte, fühlte sie sich allerdings sehr erleichtert und zur Hoffnung ermuntert. Aber Freude vermochte noch nicht in ihr vielfach gequältes Herz zu dringen, da Nahrungssorgen sie aufs peinlichste bestürmten. Sie hatte bereits jedes ihr zu Gebote stehende Mittel erschöpft, um sie zu heben, aber umsonst. Mit jedem Tage wurde ihre Schwere drückender, und völlig fremd und ohne Credit sah sie den schrecklichen Augenblick nahen, wo ihr nichts übrig bleiben würde, die dringendsten Bedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen.

In dieser Lage erschien Edmunds Anerbieten ihr wie eine Hülfe, von oben gesandt, sie vor der Verzweiflung zu bewahren; und es war sehr natürlich, daß der helle Schein, der durch seine zuvorkommende Achtsamkeit und Güte an ihrem trüben Horizont aufdämmerte, auf ihn zurückstrahlte, und ihn in ihren Augen mit einer Glorie umgab.

Der Wohlstand erforderte demohngeachtet einige Weigerungen, aber Edmund bekämpfte sie durch sein inniges Bitten, und war so glücklich, nicht nur eine Summe von hundert Louisd'or in ihre Hände niederlegen zu dürfen, sondern er empfing, auf sein dringendes Anhalten, das Versprechen, daß sie so lange sie es bedürfen werde, Niemanden anders, als ihm gestatten wolle für sie zu sorgen.

Wie das dem Erlöschen nahe Lämpchen, durch[76] neues Oel erfrischt, hell wieder auflodert, so trat seitdem eine unbekümmerte Gemüthlichkeit, ein ruhiger Frohsinn an die Stelle banger Beklommenheit und mühsam verhehlter Angst in diese Familie, und Edmund genoß im Stillen eine der süßesten Freuden, die es giebt, die nämlich, den Gegenstand seiner Liebe vor Mangel geschützt, und statt der Dornen Rosen auf seinen Weg gestreut zu haben.

Obgleich Amalia keine Gelegenheit hatte, Edmund anders, als im Beiseyn der scharf beachtenden Mutter, zu sprechen, so lag doch die zarte Neigung, die beide für einander fühlten, und das wortlose, aber innige Einverständniß ihrer Seele klar am Tage.

Wenn auch dadurch Edmunds großmüthiger Antheil weniger laut in den Augen der Frau von Detbald erschien, da eine Nebenabsicht ihm offenbar zum Grunde lag, so bemerkte sie doch mit heimlichen Wohlgefallen seine achtungsvolle und ernstlich-scheinende Liebe, und es kam ihr weder unwahrscheinlich noch unschicklich vor, in ihm sich ihren künftigen Schwiegersohn zu denken.

Zwar war Amalie jetzt arm, und hatte auch im glücklichsten Falle nur auf eine beschränkte, Edmunds Ansprüchen nicht angemessene Mitgift zu hoffen. Aber die um so reichere Aussteuer, die sie von der Natur empfangen hatte, schien ihr mit Recht ein hinlänglicher Ersatz für dies Entbehren, und ihre Geburt – ein Umstand, der dem ahnenstolzen Minister wohl wichtiger, als das Vermögen seyn mochte – stellte sie durch alten und untadelhaften Adel dreist an seine Seite.

[77] So waren einige Monate vorüber geeilt, ohne daß Edmund anders, als durch Blicke von dem, was in seinem Innern vorging, zu Amalien gesprochen hätte. Endlich aber vermochte er nicht länger diese immer mächtiger werdenden Gefühle in sein Herz zurück zu drängen. Er sehnte sich nach einigen Momenten des Alleinseyns mit ihr, um von ihren Lippen das süße Bekenntniß zu hören: daß sie ihm zu hoffen erlaube.

Zwar glaubte er längst in ihrem ganzen, so lieblich gegen ihn erwärmten Wesen, die Antwort auf diese Frage, die sein Schicksal entscheiden sollte, günstig für seine Wünsche wahrzunehmen. Aber nicht ewig stumm wollte er sich in diesen Ahnungen berauschen – eine selige Wirklichkeit in ihren Armen sollte ihn überzeugen, daß sein Glück, so wie seine Hoffnungen, kein Traum waren.

Nachdem er aber vergebens erwartet hatte, ein freundlicher Zufall werde ihm zu Hülfe kommen, wagte er es einst, als er, wie gewöhnlich, in der Mutter Beysein, ihr Unterricht auf der Guittarre gab, der Geliebten einige Zeilen in die Hände zu spielen, in denen er sie seine Absichten errathen ließ, und sie beschwur, ihm Gelegenheit zu einer kurzen, ungestörten Unterredung zu verschaffen.

Zitternd und erröthend nahm Amalie den verhängnißvollen Brief, der ihre nähern Verhältniße einleitete, und verbarg ihn, ohne Edmund anzusehen, in ihren Busen. Sie entfernte sich jedoch nicht, ihn zu lesen, wie seine Ungeduld wünschte, um je eher je lieber ihre Erwiederung zu empfangen. Aber er bemerkte,[78] daß sie in tiefes Nachdenken versank, und daß ihre Seele abwesend war, wenn auch der Körper sich bemühte, mechanisch die ihr obliegenden kleinen Geschäfte, so wie sonst, zu verrichten. Es war ihm daher für heute genug, sie mit sich willig in einem Einverständniß zu wissen, das ihn zu den schönsten Erwartungen berechtigte; und in der Hoffnung, nun seinem Ziele einige Schritte näher zu treten, kam er am folgenden Tage wieder.

Amaliens Empfang, in den statt der gewöhnlichen, ihr eigenthümlichen Munterkeit, sich heute ein gewißer Ernst mischte, der fast der Rührung glich, erregte eine eigene, wunderbare Spannung in seinem Gemüth. Doch lag in ihrem sprechenden Auge so viel Zärtlichkeit – es ruhte, wenn sie sich unbemerkt glaubte, mit so sinnender Beschauung, mit so seelenvollem Ausdruck auf ihm, daß seine Pulse freudig höher klopften, da er nicht umhin konnte, sich selbst zu gestehn, er habe keine Ursache, zu verzagen.

Wie unendlich stieg aber der frohe Tumult in seinem Innern, als Amalie sich anschickte, seinen musikalischen Unterricht entgegen zu nehmen, und, in ihren Notenbüchern blätternd, ihm eines derselben aufgeschlagen hinreichte, das ein kleines Blatt von ihrer Hand mit folgenden Worten enthielt:

»Morgen wird meine Mutter mit ihrem Sachwalter vor Gericht erscheinen. Sie hat mir erlaubt, während dieser Zeit die Messe bey den Franziscanern zu hören, und ich erwarte Sie dort um zehn Uhr, um zu vernehmen, was Sie mir zu sagen haben.«

Diese laconische Art, sich auszudrücken, hätte [79] billiger Weise in Edmund Besorgnisse erregen können, wenn die Milde in ihrem Lächeln ihm nicht Muth eingesprochen hätte. Sehnsuchtsvoll zählte er die Stunden bis zum folgenden Morgen, und säumte nicht, sich aufs pünklichste einzufinden.

Wenig Augenblicke nach ihm erschien auch sie. Es herrschte in ihrer Haltung eine Ruhe, eine Würde, die ihn mit Ehrfurcht erfüllte, da sie, wie er von ihrer unverstellten Geradheit erwarten konnte, kein Werk der Kunst, sondern eines mit sich selbst einigen, fleckenlosen Herzens war.

Nachdem sie ihn freundlich begrüßt hatte, knieete sie nieder, ihre Andacht zu verrichten. Die Inbrunst ihres Gebets, das diesmal, wie er sich schmeichelte,seine und ihre ganze Zukunft umfaßte, einige Thränen, die leise ihren zum Himmel gewandten Augen entfielen, und die Selbstvergessenheit ihrer frommen Begeisterung, die weder auf ihn, noch auf die übrigen Anwesenden achtend, sich nur mit Gott, und dem Anliegen beschäftigte, das sie ihm vortrug, überzeugte ihn von dem tiefen Gefühl, das in ihr rege war.

Endlich war die Messe aus. Sie stand auf – die Kirche wurde leer, und sie waren allein.

Mit derselben stillen Fassung, die immer Friede gewährt, mit der sie zuerst ihm genaht war, kam sie ihm auch jetzt entgegen, und reicht ihm die Hand mit himmlischer Freundlichkeit.

Sie haben mich zu sprechen verlangt, sagte sie, und ich bin hier, Sie zu hören. Der Dank den wir Ihnen schuldig sind, und die Achtung die Sie [80] mir noch ins besondere eingeflößt haben, hat mir Muth gegeben, zum erstenmal in meinem Leben meine Mutter zu täuschen. Es ist Unrecht, das fühl ich wohl – auch habe ich lange dagegen gekämpft, ehe ich mich entschließen konnte, und wenn ich den Ahnungen trauen wollte, die wachend und träumend seitdem mich ängstigen, so hätte ich Sie fliehen müssen, statt Sie aufzusuchen. Aber mein fester Wille überwand dies alles, und seitdem ich über diese heilige Schwelle schritt, kehrten Zuversicht und Hoffnung wieder in meine beklommene Seele zurück. Lassen Sie uns nun die kurz uns zugemessenen Augenblicke benutzen – lassen Sie mich wissen, was Sie mir mitzutheilen haben.

Ob sich gleich Edmund der reinsten Gesinnungen gegen sie bewußt war, so konnte er doch kaum die Hoheit ihres, in Himmelsglanz ihm erscheinenden, Wesens ertragen. Sie dünkte ihm so weit erhaben über seine kühn zu ihr aufstrebenden Wünsche, daß nur die zarte Erwiederung, die er in ihrem, so innig auf ihm ruhenden Blicke fand, ihm den Muth gab, sie ihr auszusprechen.

Das Geständniß seiner Liebe befremdete sie gar nicht. Sie hörte es an, als habe sie es erwartet, und als könne es nicht anders seyn. Gleichwohl flog ein trüber Schatten über ihr sonnenhelles Angesicht, als er – sein Urtheil von ihrem Ausspruch erwartend – schwieg, und eine leise Trauer mischte sich in den Ton, mit dem sie ihm antwortete.

Ich glaube, was Sie mir sagen, sprach sie alsdann, weil eine Gewalt in meinem Innern, die ich [81] mir nicht erklären kann, mich dazu zwingt. Ein eigner Zauber, der nicht die Wirkung der Dankbarkeit, sondern eines noch weit höhern Gefühls ist, zieht mich zu Ihnen hin – mir ist, als hätten wir uns schon lange gekannt, als hätten wir zusammen gespielt in unserer Kindheit, wären neben einander fortgeschritten in der Entwickelung unserer Jugend, und würden auch in Zukunft eines dem andern zur Seite seyn.

Entzückt hörte Edmund ihrer Rede zu. O diese Ansicht, rief er aus, wie ist sie aus meiner Seele genommen! Wie bestätigt sie die innere Nothwendigkeit, die in jedem Schlag meines Herzens mir zuruft: daß wir für einander geboren sind, und daß wir uns nur gefunden haben, um uns anzugehören fürs ganze Leben, um uns niemals mehr zu trennen.

Mit ernster Wehmuth schüttelte Amalie das schöne Haupt. Zu diesem Ziele wird unsere Bekanntschaft nicht führen, erwiederte sie, aber mächtig eingreifend in mein Schicksal kann ich mir keine andere Entscheidung desselben denken, als die, die aus ihr hervorgeht.

Sie lieben mich? fuhr sie fort, ach in diesen Worten ist die Erfüllung des Wunsches enthalten, der bei Ihrem ersten Anblick in meiner Seele aufstieg. Während ich in Ihnen nur den hülfreichen Menschenfreund und unsern Retter aus drückender Erniedrigung zu ehren glaubte, täuschte ich mich selbst, denn es warLiebe was ich empfand, und ich gestehe Ihnen offen, daß ich Ihre Gefühle aufs innigste erwiedere. Doch erst seit wenig Tagen ist es mir völlig klar – eben so klar aber die weite Kluft, die [82] das Verhängniß trennend zwischen uns geworfen hat. Daher lassen sie uns berathen, wie zwei, die an einem unheilbaren Uebel leiden, auf welche Weise es wenigstens zu lindern ist.

Edmund konnte nicht Worte genug finden, um ihr die Freude auszudrücken, die eine so zärtliche Erklärung ihm verursachte. Doch mit Ruhe und schärferer Umsicht, als er ihrer jugendlichen Unerfahrenheit zugetraut hatte, setzte sie ihm die Hindernisse aus einander, die sie befürchten ließen, ihm niemals angehören zu dürfen.

Der allgemein bekannte Stolz seines Vaters, der auf dem hohen Standpunkt, auf dem sein Rang ihn stellte, nimmer ein armes unbekanntes Mädchen zur Gattin seines einzigen Sohnes erheben werde, ihr Mangel an Vermögen und an einer zum Glänzen in der großen Welt erforderlichen Erziehung, nebst der Pflicht, ihrer für diese höhern Kreise eben so wenig passenden, so ganz an sie gewöhnten Mutter, stets im weitesten Sinn des Worts kindlich unterworfen, und nahe bleiben zu müssen, alles dies drohte jede Hoffnung, die freudig in ihren Gemüthern aufdämmern wollte, trostlos niederzuschlagen, wenn Edmunds Liebe und Gewandtheit nicht Gründe genug aufgefunden hätte, sie zu widerlegen.

Er läugnete nicht, daß sie in ihrem Urtheil über seinen Vater sich nicht irre; ja, daß sein Stolz und seine Ansprüche vielleicht noch ungemessener wären, als das Gerücht es ausspreche. Er betrachtete Amalien bereits so eng mit seinem Herzen und mit seinem Loose verbunden, daß er offen, wie in seinen [83] eignen Gedanken, ihr bekannte, er habe Ursache, zu vermuthen, daß ein bereits entworfener Plan desselben ihm eine der ersten, glänzendsten Parthieen des Landes bestimme. Ein aufrichtiges Geständniß werde, wie er seinen Vater kenne, nur seinen Unmuth reitzen, statt ihn für seine Hoffnungen zu gewinnen, aber die Verschiedenheit ihrer Denkungsart entschuldige es, wenn er die Waffen ergreife, mit denen es dem Sohn gestattet sey, seiner besseren Ueberzeugung folgend, die väterlichen Vorurtheile zu bekämpfen.

Und welche Waffen sind das? unterbrach ihn Amalie. Gehorsam ist der Sohn dem Vater schuldig. Trauern darf er wohl über den unbeugsamen Willen, der seine Wünsche ihm verweigert, aber seine Pflicht ist, sich ihm zu unterwerfen.

Mein Vater hat das Recht, mir eine Heirath zu verbieten, die ihm mißfällt, versetzte Edmund, aber er kann mich zu keiner zwingen, die meinem Herzen widerstrebt. Und ist eine rechtmäßige Verbindung weniger heilig, weniger gültig, wenn tiefes Geheimniß sie umhüllt? Das Vermögen meiner Mutter macht mich schon seit mehreren Jahren unabhängig von meinem Vater. Es ist hinreichend, unsere Zukunft vor Sorgen zu schützen, auch wenn Zeit und Zufall ihm verrathen sollte, daß wir uns auf ewig verbunden haben, und es uns nicht gelänge, ihn zu versöhnen. Indeß bin ich überzeugt, er wird, wie alle Menschen, weit eher in Geschehenes sich finden, weil es unabänderlich ist, als etwas gestatten, was seinen Planen entgegen ist, und noch zu verhindern in seiner Willkühr steht.

[84] Amalie hörte ihm aufmerksam zu. Ihre leisen Einwendungen wurden eben so mächtig von der Stimme in Ihrem Innern bestritten, die nur allzulaut zu seinem Vortheil sprach, als von den Ueberredungskünsten, welche er anwandte, sie mit dem Gedanken einer heimlichen Vermählung vertraut zu machen, die er ihr vorschlug.

Ich willige ein, sprach sie endlich nach tiefem Nachdenken, indem sie seufzend ihr erröthendes Angesicht an seine Brust neigte, um es zu verbergen. Ich willige ein – ich lege mein Schicksal in Ihre Hände nieder, Edmund, und das dumpfe Vorgefühl, daß ich nicht glücklich seyn werde, das trübe mir die Aussicht in die Zukunft verhüllt, möge Ihnen zum Beweis dienen, wie innig ich Sie liebe, da ich demohngeachtet Ihren Wünschen das Opfer meines ganzen Daseyn bringe.

Wie? unterbrach sie Edmund betroffen, Sie zweifeln daran, glücklich mit mir zu seyn? Woher diese bange Furcht, die ein kränkendes Mißtrauen in meine Redlichkeit, in meine Treue, in meine Liebe verräth?

Verkennen Sie mich nicht, erwiederte Amalie, den bethränten Blick bittend zu ihm aufrichtend. Wenn ich an Ihnen selbst zu zweifeln vermöchte, wie könnt' ich ferner dann das Leben ertragen, das ich freudig Ihnen zu widmen entschloßen bin. Nein Edmund, mit vollem Vertrauen, mit unbegränzter Achtung und mit einer Liebe, die stark genug ist, um bis über das Grab hinaus zu reichen, gebe ich Ihnen Herz und Hand – aber kann ich darum mir [85] abläugnen, daß ein schreckendes Gespenst oft zwischen uns treten und das Glück Ihres Besitzes mir vergiften wird? Verbunden durch ein heiliges Sacrament, werden wir vor Gott uns angehören, und unbescholten darf ich meine Augen zu ihm empor richten, ohne daß mein Bewußtseyn einer leichtsinnigen Verletzung meiner Ehre mich anklagt. Aber ist das alles, was wir bedürfen, um unsern innern Frieden durch Reinheit des Gewissens uns zu sichern? Verletzen wir nicht Pflichten, fast so heilig als die, die wir erfüllen, indem wir, ohne die Einwilligung derer, die uns das Leben gaben, uns wählen, und statt des Segens, der uns zum Altar begleiten sollte, vielleicht dereinst ihren Fluch auf uns herabrufen?

Mit der innigsten Zärtlichkeit suchte Edmund ihr schmerzlich bewegtes Gemüth zu beruhigen. Er glaubte, daß der Vorschlag, ihre Mutter zur Vertrauten ihres Geheimnisses zu machen, wesentlich dazu beitragen werde, den Kampf zwischen Liebe und Pflicht zu mildern, der den Frieden ihrer schönen Seele zu trüben drohte; aber Amalie lehnte ihn, als unausführbar, ab, so dankbar sie auch seine liebevolle Absicht erkannte.

Ich kenne meine Mutter, sagte sie. Ihr Stolz und ihre Heftigkeit würden, unerweicht von meinen Bitten, unser Glück zertrümmern, da es nur auf Verheimlichung gegründet seyn kann. Außerdem würde die Furcht, den Prozeß zu verlieren, von dem die Wohlfahrt unserer ganzen Familie abhängt, sie weit eher bewegen, mich einem Kloster zu opfern, als irgend etwas zuzulassen, was Ihren Vater beleidigen [86] oder mißfallen könnte. Gewiß wäre sie nach ihrer Denkungsart die erste, die ihn von unserem Verständniß unterrichtete – eine ewige Trennung würde die unausbleibliche Folge seyn, und ich fühle mich stärker, jedes Leiden, das uns vereint trifft, als diese zu ertragen. Daher muß unsere Verbindung ihr vor allen andern verborgen bleiben, und der schöne Spruch:Das Weib wird Vater und Mutter verlassen und an seinem Manne hangen, soll, indem ich ihn als Ausspruch eines höhern Wesens betrachte, Balsam in die Wunde gießen, die das Bewußtseyn kindlichen Ungehorsams meinem Innern schlägt.

Da Edmund befürchtet hatte, weit mehr Schwierigkeiten anzutreffen, als er wirklich fand, so hatte er nur darauf gedacht, diese zu überwinden, nicht aber einen bereits bestimmten Plan für ihre Zukunft zu entwerfen. Sie verabredeten jetzt, da sie sich trennen mußten, einen geheimen Briefwechsel, sich für den Zwang des Beisammenseyns in Gegenwart der Frau von Derbald zu entschädigen, so wie gewisse Zeichen, durch welche Amalie ihn aufmerksam zu machen versprach, wenn es ihr vergönnt seyn werde, an dieser heiligen Stätte ihn wieder zu sehen.

Berauscht von seinem Glück und in noch seligere Träume der Zukunft vertieft, ging Edmund nach Hause, ohne das Gewitter zu ahnen, das finster an dem hellen Frühlingshimmel seiner Liebe sich zusammen zu ziehen begann.

Sein Vater, der sich sonst wenig um sein Thun und Treiben bekümmerte, und von seinen geselligen [87] Verhältnissen weiter nichts verlangte, als daß sie sich innerhalb der Schranken der Konvenienz erhielten, hatte zwar schon seit einiger Zeit sich nach den häufigen Besuchen erkundigt, die er offen und unverhehlt im Hause der Frau von Derbald abstattete, aber dennoch keine Mißbilligung darüber, noch weniger den Wunsch bezeugt, daß er sie unterlassen möchte.

Jetzt aber wiederholte er sein Forschen deshalb, und zwar auf eine Weise, die Argwohn verrieth. Er ließ sich nicht undeutlich merken, daß die Wärme, mit der Edmund unbefangen fortfuhr, sich für die Angelegenheiten dieser Familie zu interessiren, ihm, seit er erfahren, daß eine schöne Tochter die Zierde derselben sey, nicht wie früher als eine Aufwallung des Mitleids und der Menschenliebe, sondern als das Zeichen eines nähern Antheils erscheine, den er keineswegs gut zu heißen entschloßen war.

Mit der Glätte eines Hofmannes suchte er jedoch den Schein zu vermeiden, als räume er dem gefaßten Verdacht die Wichtigkeit ein, die er wirklich in seinen Augen hatte. Er behandelte ihn vielmehr, wie ein unstatthaftes Gerücht, viel zu ungereimt, um darauf zu achten, und als Edmund einige bittere, das Haus seiner Geliebten herabwürdigende Scherze nicht ohne Unmuth anhörte und beantwortete, warf er es bloß leicht hin, daß ihm es freilich sehr gleichgültig seyn könne, wo sein Sohn die Abende zubringe, und daß er gerne glaube, daß in einer Familie, auf die man eben keine besondere Rücksichten zu nehmen verpflichtet sey, der Ton eine fröhliche Ungezwungenheit und bequeme Nachlässigkeit habe, die [88] einen jüngen Menschen wohl anziehen könne, jemehr man in höheren Kreisen sie vermisse, daß aber seine künftigen Verhältnisse doch eine gewisse Behutsamkeit des Betragens verlangten, weshalb er ihn bitte, diesen nicht ganz schicklichen Umgang abzubrechen.

Edmund glühte über und über bei dieser geringschätzigen Art, sich auszudrücken; doch die Klugheit bewog ihn, sein aufgeregtes Gefühl zu beherrschen. Er wußte recht gut, daß unter seinen künftigen Verhältnissen die Verbindung mit der jungen Gräfin Berg gemeint sey, die schon seit Jahren der Lieblingsplan beider Familien war, aber er fand es nicht für rathsam, eine nähere Erklärung zu veranlassen, sondern suchte ihr mit einer Geschmeidigkeit auszuweichen, die – seinem geraden Character völlig zuwider – nur aus Liebe zu Amalie ihm zu erkünsteln möglich war, und die ihm den Vortheil gewährte, daß er einem förmlichen ernsten Verbot, sie ferner zu sehen, entging.

Statt sich aber durch die klar am Tage liegenden Gesinnungen seines Vaters in seinem romantischen Vorsatz abschrecken zu lassen, eilte er vielmehr, alle Anstalten zu seiner baldigen Ausführung zu treffen, und besuchte während dieser Zeit nach wie vor das Haus der Frau von Derbald, sich wenigstens an dem Anblick seiner Geliebten zu weiden, wenn ihm auch unter den Augen der Mutter keine innige Unterhaltung mit ihr gestattet war.

Mit Hülfe eines treuen Dieners, dem er sich vertraute, hatte er in einer der Vorstädte eine verborgene, ganz seinen Wünschen entsprechende, Wohnung [89] bei guten redlichen Bürgersleuten gefunden, deren patriarchalisch eingezogene Lebensweise ihn nicht befürchten ließ, daß sie je seine wahren Verhältnisse entdecken würden. Dort sollten einige freundliche Zimmer, die er bemüht war, mit allem auszuschmücken, was zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehört, Amalien aufnehmen, und der Schleier des Geheimnisses, so lange als möglich, das Glück seiner Liebe den neidischen Blicken der Welt verhüllen.

Auch war es ihm gelungen, eines der wichtigsten Hindernisse zu überwinden, das seine Heirath bisher noch zu verzögern drohte, indem er die Bekanntschaft eines alten ehrwürdigen Geistlichen machte, der bei allen Bedenklichkeiten ängstlicher Gewissenhaftigkeit sich dennoch überreden ließ, die Trauung zu übernehmen.

Freilich verstand er sich nicht dazu, ohne vorher Edmunds ihm unter dem Siegel der Beichte anvertrauten Wunsch, durch alle Gründe der Religion und Moral, die ihm gegenwärtig waren, bestritten zu haben. Er mahnte ihn sehr ernst an den Gehorsam, den Kinder ihren Eltern schuldig sind – an alle Beispiele der Unglücksfälle, die die heilige Schrift sowohl als die Geschichte anführt, und wodurch gleichsam als eine selten ermangelnde Folge die Strafe Gottes nach der Uebertretung des ehrwürdigsten, schon in der Natur begründeten, Gebotes warnend sich ausspricht. Selbst wenn diese sichtliche Strafe ausbleiben sollte, machte er ihn aufmerksam auf jene unsichtbare, oft noch schwerere, auf die Stimme der eigenen Brust, die – wenn auch Anfangs von Leidenschaft übertäubt[90] – doch endlich qualvoll über begangenes Unrecht entscheidet und zu ewiger Reue verdammt. Edmund aber, durchdrungen von Sehnsucht nach dem Besitz der Geliebten, und der lautersten Absichten sich bewußt, widerlegte feurig jede Einwendung des Greises, und wußte ihn so lebendig von der Reinheit seiner Gesinnungen zu überzeugen und in sein Interesse zu ziehen, daß er nicht länger widerstrebte, sei nem Bund mit Amalien die priesterliche Weihe zu ertheilen.

Diese wurde indeß durch Edmunds Briefe von dem stufenweisen Fortgang seiner Bemühungen unterrichtet. Sie billigte alles, was er unternahm, und blickte mit inniger Liebe und Ergebung der Entwickelung ihres Schicksals entgegen, ohne gleichwohl den dunklen Ahnungen gebieten zu können, die von Zeit zu Zeit Unglück weißagend fortfuhren, ihr Herz zu beklemmen.

Ob sie gleich diesem innern Zagen keine Worte mehr lieh, um dem Geliebten ein reines, nicht durch ihre Schwermuth getrübtes, Glück gewähren zu können, so entging ihm doch die geheime Trauer nicht, die an die Stelle ihrer jugendlichen Heiterkeit getreten war. Die beruhigende Ueberzeugung indessen, daß nicht Reue über ihre Wahl diese Verwandlung bewirkte, ließ ihn hoffen, die Zukunft werde ihr jene unbefangene Stimmung wieder geben, in der er sie sonst gekannt hatte, und er eilte nur um so mehr, sie ganz sein zu nennen.

Seit der letzten bedeutenden Unterredung mit seinem Vater war fast ein Monat verstrichen. Der [91] Name der Frau von Derbald wurde nicht mehr zwischen ihnen genannt, doch schien es Edmund, als sey er darum keineswegs vergessen, und als beobachte sein Vater jede seiner Handlungen mit einer nie vorher an ihm wahrgenommenen Aufmerksamkeit.

Endlich waren seine Anstalten getroffen, und es bedurfte nur der letzten Verabredung mit Amalien, um den Tag zu bestimmen, der seine Wünsche krönen sollte. Eben war er im Begriff deshalb zu ihr zu gehen, als ihm zu seiner größten Verwunderung Frau von Derbald, geführt von ihrer jüngsten Tochter, und dem Anscheine nach in großer Gemüthsbewegung, im Vorzimmer seines Vaters begegnete.

Ich halte es für ein glückliches Zeichen, daß ich Sie hier treffe, Herr Graf, rief sie ihm zu, hier, wo ihre Theilnahme Sie schon einmal als meinen guten Genius mir erscheinen ließ. Sie sehen mich in der äußersten Verlegenheit vor sich. Mein Sachwalter hat mir so eben gesagt, daß ihr Herr Vater sehr aufgebracht auf mich sey. Sein Unmuth, wenn ich gleich nicht weiß, wodurch ich ihn verdient habe, ist mir viel zu wichtig, als daß ich nicht nach der Ursache desselben forschen sollte. Daher bitte ich Sie, helfen Sie mir zu einer Unterredung mit ihm. Mein Gewissen wirft mir nichts vor, was ihn könnte beleidigt haben – es wird mir daher leicht werden, mich zu rechtfertigen, wenn er mir nur Gehör schenkt.

Sehr verlegen hörte Edmund ihr zu. Er zweifelte nicht, daß seine fortgesetzten Besuche den Zorn seines Vaters und die Vermuthung veranlaßt hatten, daß Frau von Derbald von den eigentlichen Absichten[92] derselben unterrichtet sey und sie begünstige. Er sah wohl ein, daß die von ihr gewünschte Unterredung eine Crisis ihrer allerseitigen Verhältnisse herbeiführen werde, die, auf jede mögliche Weise zu verhindern, sein Vortheil heischte. Daher machte er sich kein Bedenken daraus, ihr zu sagen, daß der jetzige Augenblick nicht geeignet sey, ihre Wünsche zu erfüllen, indem sein Vater, in sehr wichtigen Geschäften, sich eingeschlossen und befohlen habe, ihn nicht zu stören. Er werde aber, sobald es ihm selbst vergönnt sey, ihn zu sprechen, ihn sogleich von ihrem Vorsatze unterrichten, und er sey überzeugt, es werde ihm nicht schwer fallen, das hier obwaltende Mißverständniß zu ergründen und aufzuklären, weshalb sie sich völlig auf seinen thätigen Eifer und auf seine ehrfurchtsvolle Ergebenheit verlassen dürfe.

Diese beruhigenden Worte verfehlten ihren Zweck bey Frau von Derbald nicht. Sie linderten die Spannung ihres gereitzten Gemüths, und vertrauensvoll ihm die Vermittelung überlassend, war sie eben entschlossen, wieder zu gehen, als ein unglücklicher Zufall es wollte, daß der Minister gerade in diesem Augenblick aus seinem Zimmer trat.

Glühend vor Beschämung, sich auf einer Unwahrheit ertappt zu sehen, blieb Edmund mit starr in den Boden wurzelnden Blicken stehen. Frau von Derbald richtete die ihrigen in der Erwartung auf ihn, daß er sie der Unannehmlichkeit überheben werde, für sich selber sprechen zu müssen. Doch seine Betroffenheit verrieth ihr schnell, daß er sie absichtlich hintergangen habe.

[93] Im höchsten Grad verlegen, und von der hochmüthigen und zornigen Art erschüttert, mit der der Minister ihre tiefe Verbeugung erwiederte, wußte sie sich nicht zu helfen. Stotternd nahm sie daher das Wort, indem sie ihn bat, ihr zu sagen, wodurch sie das Unglück verdient habe, sich seine Unzufriedenheit zuzuziehen? Sie habe dies zu ihrem größten Schrecken erfahren, und sein so ernstes und strenges Benehmen bestätige ihr jetzt leider die Wahrheit dieses Gerüchts nur allzu sehr.

Sie kommen meinem Wunsch zuvor, antwortete der Minister. Ich hatte die Absicht Sie rufen zu lassen, um mich gegen Sie zu erklären. Du wirst mich verbinden, mein Sohn, setzte er hinzu indem er eben so ernst, eben so gebietend, als er Frau von Derbald gegenüber stand, sich zu Edmund wandte, wenn du uns jetzt allein läßt.

Edmund wollte sprechen, doch ein finsterer, fast drohender Blick seines Vaters begleitete die Wiederholung der bereits an ihn gerichteten Bitte, und schuf sie dadurch in Befehl um. Wollte er nicht das Uebel ärger machen, so sah er sich gezwungen zu gehorchen.

Mit dem Ton und Anstand eines Mannes, der gewohnt ist, keine Einwendungen zu hören, hob jetzt der Minister an zu sprechen. Ich erlaube mir nicht den Verdacht, sagte er, als sey Sittlichkeit und gute Aufführung bei Ihnen nur eine Maske, die Sie annehmen, wenn Sie ausgehen, und die Sie an der Schwelle Ihres Hauses zurück lassen, wenn Sie heimkehren, weil Sie ihrer innerhalb desselben [94] nicht mehr bedürfen. Recht gern will ich daher glauben, daß Ihr Familienkreis unbescholten und untadelhaft ist – aber um mir so zu scheinen, muß er nicht den Ungehorsam meines Sohnes nähren, der sich ihm so ausschließend widmet, daß er nicht nur meine hierüber ausgesprochenen Wünsche unbeachtet läßt, sondern auch öffentliche und allgemeine Urtheile über diese Besuche veranlaßt, die seinen künftigen Verhältnissen schaden können.

Außer sich vor Erstaunen und aufs höchste beleidigt, wollte Frau von Derbald ihn unterbrechen, doch er bat sehr ernst, ihn ausreden zu laßen.

Wenn ich auch keine Schuld bei Ihnen voraussetze, fuhr er fort, so kann ich doch nicht umhin, Sie des Leichtsinnes und der Unbesonnenheit anzuklagen. Eine Frau, wie Sie, die ohne männlichen Schutz mit drei reizenden Töchtern allein steht, und deren Lage Vorsicht und Eingezogenheit in jeder Hinsicht ihr zur Pflicht macht, sollte nicht unbedachtsamer Weise einem jungen Menschen den täglichen Zutritt bei sich gestatten, der – was er Ihnen auch vielleicht versichert haben mag – auch selbst, wenn seine Hand nochfrei wäre, doch nie meine Einwilligung zu einer rechtmäßigen Verbindung mit Ihrem Hause erlangen würde.

Länger konnte die gekränkte Mutter sich nichr halten, hätte sie ihrer Neigung folgen dürfen, so würde sie in eben dem geringschätzigen und wegwerfenden Ton, in dem er zu ihr sprach, ihm geantwortet haben. Doch die leise Erwägung ihres Vortheils, den sie noch besonnen genug war, in Betracht zu [95] ziehen, half ihr, den bittern Unmuth, den des Ministers Härte in ihr erregt hatte, mit scheinbarer Gelasserheit tragen.

Ich habe Ihrem Herrn Sohn nur deswegen frei mein Haus geöffnet, entgegnete sie mit gerechtem Stolz, weil Sie sein Vater sind, und weil er, ohne mich zu kennen, sich gütig meiner angenommen und mir Demüthigungen erspart hatte, die ich in der langen Zeit, als ich vergebens Gehör bei Ihnen suchte, von Ihren Domestiken erdulden mußte. Ob ihn eine unedlere Absicht, als die, mich zu verbinden, damals, und nachher bei seinen öfteren Besuchen leitete, weiß ich nicht, da er sich stets so bescheiden betragen hat, wie ich es zu fordern berechtigt bin. Doch es ist nicht an mir, dies zu untersuchen. Die Wahrnehmung Ihres Mißtrauens und Ihres Unwillens ist mir genug, um mich zu den festesten Maaßregeln zu bestimmen.

Daher schwöre ich Ew. Excellenz bei meiner Ehre, die mir stets heilig gewesen ist, und bei dem unbefleckten Ruf meiner Kinder, der ihre einzige Mitgift ist, daß ich noch heute Ihren Herrn Sohn ersuchen werde, mich nie wieder mit seiner Gegenwart zu beehren. Die Art wie ich dies thun will, und der Erfolg, soll Ihnen gewiß die beruhigende Ueberzeugung sichern, daß es mir nie eingefallen ist, seine Besuche durch irgend einen Bewegungsgrund zu veranlassen, der Sie zu den Besorgnissen berechtigen könnte, die Sie so bitter gegen mich ausgesprochen haben.

Sie fallen aus einem Extrem ins andere, unterbrach sie der Graf, mit einem sauersüßen Lächeln. [96] Eben so wenig als ich wünsche, daß mein Sohn Ihr täglicher Gast sey, eben so wenig finde ich es schicklich, daß Sie darauf ausgehen, ihm Ihr Haus zu verbieten. Sie werden mir daher von Ihrer Achtung für mich, von der Sie mich gern überzeugen zu wollen scheinen, den sichersten Beweis geben, wenn Sie die Mittelstraße treffen wollen, die auch in diesem Falle die goldene genannt zu werden verdient.

Unfähig ihre Thränen länger zurückzudrängen, versetzte Frau von Derbald weinend: von einer Mittelstraße kann hier jetzt nicht mehr die Rede seyn, oder ich wäre der Verachtung werth, die Sie mir bewiesen haben. Ist – was ich nicht ahndete – die Ehre Ihres Herrn Sohnes dadurch gefährdet, daß er mein Haus besuchte, so ist es der gute Name meiner Töchter noch weit mehr, denn die Zartheit des weiblichen Rufs wird schon vom leisesten Hauch des Argwohns verletzt. Wenn meine Unbedachtsamkeit also, wie Sie zu sagen beliebten, irgend eine ungünstige öffentliche Meinung über mich und die Meinen erweckt hat, so ziemt es mir, in der Unbescholtenheit meiner Kinder ihren einzigen Reichthum zu retten, und der Welt zu zeigen, daß wir ihr liebloses Urtheil nicht verdienen. Erlauben Ew. Excellenz daher, daß ich thue, was meine Pflicht mir jetzt vorschreibt, und gewähren Sie mir nur die einzige Vergünstigung, um die ich flehe, die nämlich, daß mein Prozeß bald entschieden werde, damit ich, je eher je lieber, diese Stadt zu verlassen im Stande bin, in der ich so schmerzliche Gefühle habe kennen lernen, als jetzt meine Seele zerreißen.

[97] Der Minister blieb nicht ungerührt von dem herben Weh des mütterlichen Herzens, das die Aufwallungen gekränkten Stolzes noch erhöhten. Dieser Eifer, sagte er, giebt Ihnen meine Achtung wieder, die Ihr unbehutsames Benehmen, und die Vermuthung geheimer Absichten auf meinen Sohn Ihnen beinahe geraubt hatte. Schon seit seiner frühsten Jugend ist er der jungen Gräfin Berg zum Gemahl bestimmt, die nicht nur unter den ehrenvollsten, sondern auch vortheilhaftesten Parthieen des Landes oben an steht, und die, selbst abgesehen von den Vorzügen des Ranges und Reichthums, durch ihre glänzende Persönlichkeit jedem Unbefangenen nichts zu wünschen übrig läßt. Die Lauheit, mit der er sich gegen ein so ausgezeichnetes Glück benimmt, die völlige Vernachlässigung dieses so vorzüglichen Mädchens, und die auffallende, ausschließende Hingebung an Ihren Familienkreis mußte endlich mein Mißtrauen erregen, und ich bitte Sie, es mit meiner Vatersorge zu entschuldigen, wenn ich dies auf eine heftige und rauhe Weise Ihnen empfinden ließ. Einseitig dauert es fort, denn ich bin überzeugt, daß es Neigung ist, die meinen Sohn mit so fester Anhänglichkeit an Ihr Haus kettet; aber ich bin auch jetzt vollkommen überzeugt, daß Sie nichts beigetragen haben, ihn absichtlich dazu zu ermuntern. Ihre Rechte als Mutter sind eben so heilig, als die meinen – ja heiliger noch, da die größere Verletzbarkeit des weiblichen Rufes, wie Sie sehr richtig bemerkten, eine noch sorgfältigere Schonung desselben nöthig macht. Daher thun Sie, was Sie für gut finden, diesen [98] Umgang abzubrechen; nur bedenken Sie, daß Kälte, und abweisende Gleichgültigkeit vielleicht wirksamere Mittel seyn möchten, einen jungen feurigen Mann zu entfernen, als offenbare Widersetzlichkeit und Heftigkeit, die ihn leicht noch mehr reitzen könnten. Uebrigens seyn Sie versichert, daß ich alles für Sie thun werde, was in meinen Kräften steht, Ihnen nützlich zu werden.

Mit diesen Worten verabschiedete er sie, und gestützt auf den Arm ihres gleich ihr zitternden Kindes, ging sie hinweg.

Als sie nach Hause kam, theilte sie den kränkenden Verdruß, den sie erfahren, sogleich ihren Töchtern mit; und die jüngste, die ihre Führerin und Zeugin dieses Auftritts gewesen war, ermangelte nicht, den Zorn des Ministers und das Zermalmende seines schroffen Ansehens auf das Lebendigste zu schildern.

Obgleich Frau von Derbald den geheimen Wunsch genährt und die Erfüllung desselben nicht unausführbar geglaubt hatte, Amalien durch Edmunds Wahl dereinst glücklich zu sehen, so war doch beider Benehmen gegen einander viel zu vorsichtig gewesen, um ihr nur den geringsten Verdacht einzuflößen, daß ein Verständniß zwischen ihnen obwalte. Denn seit die Liebenden zusammen Abrede für ihr ganzes künftiges Leben genommen hatten, waren sie, wo möglich, noch zurückhaltender in ihrem Betragen geworden, als zuvor, und wenn auch die Mutter nicht bezweifeln durfte, daß Edmund Amalien wirklich liebte, so gab doch der verschloßene Ernst, mit welchem diese letztere seine ehrfurchtsvolle Huldigung annahm, nicht den [99] geringsten Anlaß, sie als die Ursache der erlittenen Kränkung zu tadeln, oder anzuklagen.

Tief bewegt, hörte Amalie den Erzählungen ihrer Mutter und Schwester zu, die ihr das Herz zerrissen, wenn sie bedachte, wie wohlgegründet der Argwohn des Ministers sey, und daß nicht sie, die Schuldige, seine Beleidigungen empfunden hatte, sondern die, die sie nicht verdiente.

Ihre Erschütterung, die die Mutter unter den zärtlichen Liebkosungen bemerkte, mit denen sie sie kindlich über die gehabte Unannehmlichkeit zu trösten suchte, schien nur die Folge inniger Theilnahme, kein Beweis der Vorwürfe eines nicht mehr fleckenlosen Bewußtseyns; und die treue Anhänglichkeit eines so lieben, mit ihr leidenden Kindes erkennend, und in ihr Ersatz für jede zerstörte Hoffnung, für jede verwundende Schmach findend, drückte sie Frau von Derbald dankbar, und mit ihrem Geschick sich wieder versöhnend, an ihre Brust.

Sie theilte nun ihren Kindern vertrauensvoll den Plan mit, Edmund, der sich ohnehin jetzt bei dem Zusammentreffen mit seinem Vater sehr zweideutig gegen sie benommen, so wie er sich wieder würde blicken lassen, mit höflicher Kälte das Haus zu verbieten. Wenn sie auch in der That irgend einen arglistigen Plan, ihre häusliche Ruhe zu stören, ihm zutrauen müsse, fügte sie hinzu, so glaube sie doch, daß er zu edel sey, um die Verbindlichkeiten, die sie ihm habe, geltend zu machen. Die aufs neue von dem Minister bestätigte Hoffnung, ihren Prozeß bald zu gewinnen, setzte sie in den Stand, ihn muthig auf [100] den Zeitpunct zu vertrösten, wo sie vermögend seyn werde, sein Darlehn zurück zu zahlen.

Die beiden jüngern Schwestern sprachen laut und unverholen den warmen Antheil aus, den sie an Edmund nahmen. Sie entschuldigten ihn aufs eifrigste, da ihre schwesterliche Neigung für ihn, und die Dankbarkeit für alle Blüthen, die er in ihren dornenvollen Frühling webte, bei den wirklichen Annehmlichkeiten seines Umgangs, ihn stets in dem vortheilhaftesten Lichte erblickte, und sie ihn höchst ungern aus ihrem einsamen Leben hinwegdachten. Aber wenn Frau von Derbald gleich mit ihnen fühlte, daß sie den munteren, freundlichen Gesellschafter, der ihnen bisher ein so lieber Hausfreund gewesen war, sehr schmerzlich vermissen werde, so hatte sie doch nicht länger Lust, seine erheiternde Gegenwart mit der Ehre ihres Hauses zu bezahlen; und daher blieb sie fest bei ihrem Vorsatz, ohne auf die Klagen und Bitten ihrer Töchter zu hören.

Amalie sagte nichts, den erst gefaßten mütterlichen Entschluß zu bestreiten – sie warf nur eine leise Aeußerung des Schmerzes hin, daß ihre Mutter sich des einzigen Freundes berauben müßte, der bisher als treue Stütze in der Zeit der Noth ihr zur Seite gewesen sey – dann bat sie um die Erlaubniß, in die Messe zu gehen, und ihr, durch diese Vorfälle getrübtes Gemüth, in stiller Andacht sammeln zu dürfen.

Frau von Derbald bewilligte es – sie warf ihren Schleier über, und schied mit freundlichem Gruße.

Vergebens aber erwartete man ihre Zurückkunft.[101] Mit Sehnsucht blickten Mutter und Schwestern ihr entgegen – es war ihnen so unheimlich in der Einsamkeit, die ihnen heute doppelt öde dünkte, da Edmund – vielleicht ahnend, was ihm bevorstand – sich nicht sehen ließ, und nun auch Amalie, sonst die Seele ihres häuslichen Kreises, fehlte.

Anfangs war es jedoch nur das Verlangen herzlicher Liebe, das offene Anerkennen ihrer Unentbehrlichkeit, was sie die Augenblicke ihrer Entfernung zählen ließ. Als diese aber zu Stunden sich verlängerten, als man, fürchtend, sie sey nicht wohl geworden, zu den Franziscanern geschickt, und deren Kirche leer und einsam gefunden hatte, da stieg die mütterliche Angst bis zu einer unendlichen Höhe, und die schrecklichsten Vorstellungen bemächtigten sich ihrer zagenden Seele.

Zwar war sie weit entfernt, irgend einem Vergehen, das sich Amalie erlaubt haben könnte, die Schuld ihres langen Ausbleibens beizumessen; aber in ihrer Unerfahrenheit lag Grund genug, aufs sorgenvollste um sie beängstigt zu seyn. Sie wußte ja, welch ein argloses, so ganz mit allen Künsten der Welt unbekanntes, Herz ihr im Busen klopfte. Wie leicht konnte freche Verführung ihre kindliche Unwissenheit benutzt und gemißbraucht, und unter irgend einem, der Leichtgläubigen einleuchtenden, Vorwand sich ihrer bemächtigt haben.

Wie verlangte sie jetzt nach Edmunds hülfreicher Nähe – nicht um ihm, wie noch kurz vorher ihr Vorsatz gewesen war, das Haus zu verbieten – sondern seinen Beistand anzurufen, und seine so oft erprobte[102] Thätigkeit, zur Wiederauffindung des geliebten Kindes, in Anspruch zu nehmen.

Peinlich auf dieser Folter der Angst sich windend, rückte so der Abend heran, ohne daß sie noch wußte, was sie in ihrer beschränkten Lage beginnen sollte, sich eine beruhigende Auskunft zu verschaffen. Schon war sie geneigt, jede ihr früher wichtige Rücksicht bei Seite zu setzen, und Edmund zu sich zu berufen, um ihn um seinen Rath und seine Hülfe anzuflehen, möge auch sein Vater es erfahren und mit dem ganzen Gewicht seines Zorns das Gebäude ihrer Hoffnungen zermalmen. Denn ach – was war ihr in diesen schrecklichen Stunden jeder irdische Gewinn, gegen das furchtbare Bild eines verlornen Kindes gehalten. – Aber dieser Schritt sollte ihr ersparrt werden. Als sie eben im Begriff war, ihn zu thun, brachte ihr ein Unbekannter, der sogleich wieder wegging, folgenden Brief von Amalien.


»Meine innig geliebte, verehrte Mutter!

Zürnen Sie der strafbaren Ursache Ihres Kummers nicht. Ich habe Sie verlassen – aber ich erhalte Ihnen, indem ich in die tiefste Verborgenheit mich zurückziehe, einen Freund, ohne dessen Beystand ich mir Ihre Lage nicht mehr als sorgenlos und geschützt vor jedem Sturm des Lebens zu denken vermag, und der – das bin ich von seinen Gesinnungen überzeugt – Ihnen das Entbehren Ihrer Amalie aus der Fülle seines reichen Gemüths ersetzen wird.

[103] Jetzt, da ich nicht mehr in Ihrem Hause weile, kann die Schmähsucht der Welt und der Argwohn seines Vaters seinen Besuchen bei Ihnen keine strafbare Absicht mehr unterschieben, da das zarte, noch der Kindheit angehörende Alter meiner Schwestern, sie über jeden unwürdigen Verdacht erhebt. Ich aber, die ich leider! die glückliche Gränzlinie überschritten habe, welche die Jugend von dem goldenen Frieden unbefangener Kindheit trennt, ich war die Veranlassung der herben Kränkung, die Sie erdulden mußten, und der Grund der Verläumdung und des Mißtrauens, die Ihnen den tröstlichen Umgang des besten aller Menschen zu entziehen drohten. Verzeihen Sie daher, daß ich eigenmächtig entschied, was für Ihre Wohlfahrt mir das Bessere dünkt, und daß ich auf einige Zeit Ihnen unsichtbar bleibe, bis günstigere Umstände mir erlauben, mich Ihnen wieder zu nahen. Ich folge da durch einem innern und heiligen Berufe, der mich, auch fern von Ihnen, stets Ihrer mütterlichen Liebe und Ihres Segens werth erhalten wird. Denn zu Ihrer Beruhigung schwöre ich Ihnen bei allem, was mir theuer ist, daß Sie nicht Ursache haben sollen, jemals über Ihre Tochter zu erröthen, und daß ich, wenn gleich allein und mir selbst überlassen, doch nichts thun werde, was nicht mit den strengsten Geboten der Ehre und Tugend, und mit der treuen Ausübung der mir von Ihnen eingeprägten Lehren bestehen kann.

Vertrauen sie dem Gelübde Ihres Kindes, und denken Sie ohne Sorge, ohne Unruhe an mich. [104] Die Verhältnisse, die ich mir erwählt habe, sind friedlich und beglückend. Ihr Beifall wird dereinst, wenn ich sie Ihnen entdecken darf, das Einzige noch hinzufügen, was ihnen fehlt, um das Glück zu vollenden, daß sie mir gewähren.

Mit inniger Liebe umfasse ich Sie und meine Schwestern, und beschwöre Sie, mir zu vergeben. Machen Sie keine Versuche meinen Aufenthalt zu entdecken. Jedes Bemühen deshalb wäre umsonst. Lassen Sie die Welt glauben, ich sey mit Ihrer Einwilligung abwesend. Grüßen Sie Edmund, und bitten Sie ihn, das freundliche Wohlwollen, das er mir widmete, auf die überzutragen, die mir so theuer sind, und bei denen ich – wenn gleich entfernt – doch stets im Geist verweile.

Ihre Amalie.«


Dieser Brief, mit der brennendsten Ungeduld empfangen und gelesen, verwirrte durch seinen mystischen Inhalt Frau von Derbald nur noch mehr, statt ihre Unruhe zu lindern. Das Dunkel, das räthselhafter als je über dem Schicksal des geliebten Kindes schwebte, Vorwürfe, die sie sich machte, durch eine allzu lebhafte, allzu treue Schilderung des unangenehmen Auftritts mit dem Minister ihr zartfühlendes Gemüth aufgeregt und zu dem Entschluß gebracht zu haben, sich als die schuldlose Ursache dieses Verdrusses, freiwillig zu entfernen, und die Unmöglichkeit, durch das Zureden der Vernunft und der mütterlichen Autorität auf die ihrer Gewalt, so wie ihren Bitten [105] Entrückte wirken, und sie zurück rufen zu können, versetzte sie in einen Zustand, der nur um weniges beruhigter war, als die Verzweiflung einer gänzlichen Ungewißheit.

Das einzige, was sie tröstete, war Amaliens Versprechen, nichts zu thun, was sie ihrer unwerth glaube. Sie kannte den reinen Sinn und die festen Grundsätze ihrer Tochter, und durfte daher nicht zweifeln, daß es ihr heiliger Ernst sey, zu halten was sie gelobte. Aber wenn sie dann wieder die Leichtgläubigkeit der ersten Jugend erwog – den Mangel an Welt- und Menschenkenntniß, unzertrennlich von Amaliens Jahren, so wie von der zurückgezogenen Lebensweise, in der sie aufgewachsen war, dann überließ sie sich der tiefsten Muthlosigkeit, und hielt, in dem Gefühl der trostlosesten innern Verarmung, ihr unglückliches, verirrtes Kind für verloren.

So schlich dieser Tag, der entsetzlichste ihres Lebens vorüber. Edmund, der vorher jeden Abend zu kommen pflegte, war ausgeblieben – doch fiel kein anderer Verdacht auf ihn, als der, daß die Beschämung ihn zurückhalte, ihr, bey dem Zusammentreffen mit seinem Vater, so wenig genützt zu haben.

Während der schlaflosen Nacht, die sie unter Jammer und Thränen verbrachte, faßte sie den Entschluß, das Vorgefallene offen dem Minister zu entdecken und seinen Beystand zu erflehen, unter dessen mächtiger Aegide sie es möglich glaubte, ihre Tochter wieder zu finden. Die Hülfsmittel, die ihm bey seinem Einfluß zu Gebote standen, berechtigten sie [106] allerdings zu der Hoffnung, daß es auf diesem Wege ihr gelingen werde, den Schlupfwinkel zu entdecken, wohin sie sich geflüchtet habe, und die Wahrscheinlichkeit, ja die Gewißheit, ihn durch den tiefen Schmerz ihrer von Angst gefolterten Seele zu rühren, ließ sie mit Sehnsucht die Stunde erwarten, wo die Pforten seines Pallastes geöffnet werden würden, um – sey es auch gegen alle Regeln des Wohlstandes – gleich nach seinem Erwachen ihm ihre Noth zu klagen, und seine Hülfe in Anspruch zu nehmen.

Wirklich erschütterte ihn auch der Anblick der bleichen Jammergestalt, die mit gerungenen Händen, ihr Gesicht mit Thränen überschwemmt, in herzzerreißenden Klagetönen, ihm ihr Unglück aussprach, und ihn um seinen Beystand beschwur. Die Heftigkeit, mit der, wie sie sich vorwarf, sie ihrer Tochter den Eindruck der gehabten Unterredung mit ihm geschildert hatte, und die die Veranlassung von Amaliens Flucht gewesen war, erregte die Ueberzeugung in ihm, daß er ihr Unrecht gethan habe, und die Furcht, zu weit gegangen zu seyn, machte ihn milde.

Er suchte daher mit freundlicher Theilnahme zuerst den Aufruhr ihres zerrütteten Gemüths zu stillen, und es gelang ihm. Denn indem er die Vermuthung äußerte, daß Amalie wohl in einem Kloster eine Freystatt gesucht und gefunden haben könne, verscheuchte er eine Menge Schreckbilder aus der Seele der Frau von Derbald, welche ihm beypflichtete, und das jetzt ebenfalls wahrscheinlich fand. Freudig gab sie sich dem Troste hin, ihre Tochter [107] von der Sicherheit heiliger Mauern, nicht vom verführerischen Gewühl der Welt umgeben, sich zu denken; und die innere Ruhe, die sie durch diese Vorstellung gewann, machte sie empfänglich für die Stimme der Vernunft und für guten Rath.

Das wahre an der Sache aber war, daß Amalie der Aufforderung ihres Geliebten gefolgt war, ihn bei den Franziskanern zu sprechen, wo er bereits voll glühender Ungeduld ihrer wartete.

Bis ins Innerste bewegt, sank sie sprachlos in seine Arme. Der schmerzliche Unmuth, in dem sie ihre Mutter verlassen hatte, die Angst ihres Gewissens, die in tausend geheimen Vorwürfen sich aussprach, und die trübe Ueberzeugung, daß sie nicht glücklich seyn werde, die ihr reiner, jetzt von Leidenschaft so befangener, Sinn aus dem Bewußtseyn schöpfte, daß ihr Verhältniß, auf dem unsichern Grunde strafbarer Heimlichkeit und Unwahrheit gebaut sey, erschütterte sie bei Edmunds Anblick aufs tiefste – aber neben ihrem Unrecht, das sie nicht abzuläugnen vermochte, fühlte sie zugleich mit unwiderstehlicher Allmacht, daß sie dennoch nimmer von dem Manne ihrer Wahl lassen könne.

Nur allzuleicht fand daher seine Betheurung Eingang in ihr Herz, daß jetzt der entscheidende Augenblick gekommen sey, der ihnen zu handeln gebiete. Zwischen einer ewigen Trennung oder Vereinigung schwankend, neigte die Liebe einwilligend ihr Gemüth der letztern zu, und seinen schmeichelnden Bitten, so wie dem Flüstern ihrer eigenen Wünsche nachgebend, folgte sie ihm in die längst bereitete Wohnung, wo [108] nach wenig Stunden der Priester ihre Hände in einander fügte.

Doch das Glück des Beisammenseyns, der Zauber der ersten, sich nun für immer angehörenden, Liebe, die unendliche Fülle von Seligkeit, die aus einer, die Zukunft befestigenden, jetzt von göttlichen Gesetzen geheiligten, Verbindung hervorgeht, floh Amaliens dürstende Seele, da das leidende Bild ihrer Mutter sich stets, wie ein drohender Schatten, zwischen sie und den Geliebten drängte.

Umsonst strebte Edmund durch die ganze Innigkeit seiner Liebe sie aufzurichten, und mit dem Entschluß auszusöhnen, der sie zu der Seinigen machte, und den sie – ohne ihn zu bereuen – doch wie einen giftigen Wurm an der Ruhe ihres Herzens nagen fühlte. Er sah wohl ein, daß, um ihre eigenen Thränen zu stillen, erst die ihrer Mutter getrocknet seyn müßten, und um dies möglich zu machen, fiel er selbst auf die Idee, ihr zu dem Briefe zu rathen, durch den sie ihr von ihrem Schicksal eine zwar mystische, aber dennoch nicht ganz unbefriedigende Kunde gab. Erst nachdem sie wuste, daß er diese Wirkung gethan, und als Edmund, – meisterhaft den Unbefangenen spielend – sie besucht und durch das Geloben seines fernern Beistandes und seines eifrigen Strebens, das allzu zart empfindende Kind aufzusuchen, und wo möglich, in ihre mütterlichen Arme zurück zu führen, milden Balsam in die noch blutenden Wunden gegossen hatte, erst dann kehrte ein Schimmer von Zufriedenheit in ihre Brust zurück, und sie fing an, sich in seinen Armen glücklich zu fühlen.

[109] Auch fehlte ihr nichts als Elternsegen, um es in jeder Hinsicht zu seyn. Denn ihr Besitz verminderte Edmunds Leidenschaft nicht, sondern je mehr das innige Vertrauen, das sie nach und nach gewann, ihre liebenswürdige, vom Schleier zarter jungfräulicher Schüchternheit bisher allzu streng verhüllten Eigenschaften ihm entdeckte, desto höher stieg seine Liebe und die Achtung, die allein dem engsten Verhältniß Dauer verleiht. Er brachte alle Zeit, die er dem lästigen Zwang der Konvenienz entziehen durfte, bei ihr zu, die allein seine Seele erfüllte. Doch da nur die strengste Vorsicht sein Glück zu sichern im Stande war, so befleißigte er sich ihrer, und vermied alles, was auch nur von fern Verdacht erregen konnte. Nach wie vor setzte er seine Besuche bey Frau von Derbald fort, suchte ihre Hoffnung zu beleben, ihren Muth zu erfrischen, und mit zuvorkommender Aufmerksamkeit und kindlicher Treue jedem ihrer Wünsche zuvor zu kommen, um ihr eine von Nahrungssorgen freie, behagliche Existenz zu gewähren. Wenn er dann von ihr zu Amalien zurück kehrte, wenn er ihr jeden kleinen Umstand, Mutter und Schwestern betreffend, erzählte, und durch das Feuer seiner Darstellung sie mitten in den Kreis der Ihrigen zu zaubern wußte – o wie umschlang sie ihn dann mit Freudenthränen – wie drückte sie ihn mit verdoppelter Zärtlichkeit an ihre Brust, denn ihr dankbares Herz liebte in ihm nicht nur den Schöpfer ihres eignen Himmels, sondern auch den Wohlthäter ihrer Familie, die ohne ihn ein Raub des Mangels geworden wäre.

[110] Um sich die Freiheit zu bewahren, so handeln zu können, hatte Edmund die Klugheit gehabt, seinem Vater zu befragen, ob es auch jetzt nach Amaliens Verschwinden, noch ihm unangenehm sey, wenn er der verlassenen Mutter einige Aufmerksamkeit erwiese, die nun die Schmähsucht nicht mehr auf eine ihm mißfällige Weise zu deuten vermöge. Der Minister erwiederte, daß er seine häufigen Besuche im Hause der Frau von Derbald nur der etwanigen Folgen wegen gemißbilliget habe, und daß es ihm daher frei stehe, sie jetzt nach seinem Gefallen fortzusetzen.

Was in einer andern Lage ihrem häuslichen Glück die Krone aufgesetzt haben würde, mischte, ob es gleich das Band ihrer Herzen noch fester schlang, Bangigkeit und Unruhe in ihr bisher so seliges Verhältniß. Amalie nämlich sollte Mutter werden. Als ihre Unerfahrenheit nach langem Zagen und Zweifeln endlich den sichern Glauben erlangte, daß es so sey, und sie durchschauert von den süßen Ahnungen ihrer neuen Würde, den Geliebten Gatten inniger noch, als je zuvor, in ihre Arme schloß, da fühlte sie in der Erhebung ihres von so großen, mächtigen Empfindungen geschwellten Herzens, den Bund ihrer Ehe geheiligt, und ihr Inneres rein gewaschen von Schuld und mit Gott versöhnt.

Aber nicht lange dauerte diese, so beglückende Ansicht ihres Zustandes. Bald erwachten die düsteren Bilder wieder, die die Glorie des Mutterglücks strahlend von ihr gescheucht hatte, und alle die bangen Ahnungen, die über die bräutliche Schwelle ihr [111] gefolgt waren, und die Edmunds Zärtlichkeit nach und nach in den Hintergrund ihrer Seele zurückdrängte, wurden wieder rege, und wuchsen riesenhaft empor, ihr beklommenes Gemüth zu ängstigen und zu quälen. Fest an dem Glauben haltend, daß eine Nemesis den Menschen durchs Leben begleite, stellte sie sich vor, daß das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, dies Pfand der heißen, unaussprechlichen, und ach! doch strafbaren Liebe, statt der Segen ihres Bundes zu seyn, von der rächenden Vergeltung ihr zum Fluche bestimmt, sie für den Kummer züchtigen werde, den ihre Mutter um ihretwillen gelitten. Die Einsamkeit, der sie den größten Theil ihrer Zeit überlassen blieb, und die ihren Hang zur Schwermuth nährte, Kränklichkeit des Körpers, so natürlich in ihrer Lage, ihr aber ungewohnt, und daher mit dazu beytragend, auf ihre Stimmung zu wirken, und eine rege Phantasie, die jeden leisen Schatten in ihrem Bewußtseyn zum dunklen, unauslöschlichen Flecken erhöhte, alles dies vereinigte sich, über die ehemals so heitere Jugendlichkeit ihres Wesens, jetzt den nächtlichen Trauerflor einer tiefen Melancholie herab zu senken.

So sehr sie sich nun auch zusammen nahm, um dem Geliebten ihrer Seele zu verbergen, was in ihr vorging, so gelang es ihr doch nur eine Zeitlang. Denn so wonnevoll sich auch Edmund in den Vaterhoffnungen berauschte, die seine Zukunft noch so unendlich zu verschönern versprachen, so selig auch, wachend und im Traume, eine blühende Nachkommenschaft, von dem Weibe seines Herzens geboren, ihn [112] umspielte, so war doch sie, die Theure, für sein ganzes Leben erkohren, der Punkt, um den jede seiner Freuden, jede seiner Erwartungen, sich drehte; und es konnte ihm, der sie nicht bei diesem neuen Zuwachs seines Glücks übersah, sondern sie nur um so liebevoller ins Auge faßte, nicht entgehen, daß ihre Seele kränker war, als jemals.

Denn der Frohsinn, mit dem sie ihn freundlich zu täuschen suchte, war nur noch der erkünstelte Widerschein des ehemals so warmen Glanzes ihrer innern Heiterkeit. Bange sah sie der Stunde ihrer Entbindung entgegen, deren Gefahren ihre Einbildungskraft bei ihrer hülflosen Einsamkeit sich verdoppelt träumte. Getrennt vielleicht gerade dann von ihm, der nur verstohlen, als sey ihre Verbindung ein Verbrechen, sich zu ihr schleichen durfte, sollte sie auch den Trost des mütterlichen Beistandes, der schwesterlichen Pflege entbehren, und unter Fremden, zu denen ihre Blödigkeit kein Zutrauen fassen konnte, und die nur um des Gewinns willen Antheil an ihr nahmen, den wichtigen Schritt thun, von dem es noch sehr ungewiß war, ob er sie – Leben gebend – beim Leben erhalten, oder ins Grab stürzen werde.

Höchst mißmuthig kam einst Edmund zu einer Zeit zu ihr, wo es ihm selten noch geglückt war, sich den Blicken der Lauscher zu entziehen, die ihn beobachteten. Er war durch eine unangenehme Unterredung mit seinem Vater aufs äußerste verstimmt. Entschiedener, als je hatte dieser nämlich von seiner projectirten Heirath gesprochen, und mit jener laconischen Kürze, die sich auf Gegengründe gar nicht [113] einläßt, ihm eröffnet, daß er den baldigen Abschluß dieser Angelegenheit jetzt ernstlich verlange.

Vergebens wollte Edmund diese Gelegenheit ergreifen, ihm bestimmt zu erklären, daß er entschlossen sey, seine Freiheit zu behaupten. Aber der Minister schien mit physionomischem Scharfblick den Geist des Widerspruchs in seinen Zügen wahrzunehmen. Er fand es jedoch der Klugheit gemäß, der Weigerung, die sich in Edmunds Innern so sichtbar gegen seinen Vorschlag empörte, keine Worte zu gestatten, und er verhinderte ihren Ausbruch, indem er that, als sey gar keine Einwendung möglich. Er benutzte mit wohlberechneter Schlauheit eine zufällige Störung, die sich zwischen diese vertraute Unterredung drängte, um sich die förmlich abschlägige Antwort seines Sohnes zu ersparen, und verließ ihn plötzlich und auf eine Art, als wären sie über den streitigen Punkt völlig mit einander einverstanden.

In der übelsten Laune von der Welt über dies Benehmen, und mit jener innern Unruhe behaftet, die den Menschen drückt, wenn er unvermeidlichen Verdruß vor sich sieht, dem ritterlich die Stirn zu bieten, er zwar Muth genug in sich fühlt, dessen Dauer er aber unwillkührlich durch Dulden verlängern muß, statt durch Handeln ihn zu besiegen, kam Edmund zu Amalien, bei der er, wie sonst, sich Erheiterung und Erhebung des Gemüths versprach. Aber er überraschte sie unvorbereitet. Sich ihrem Gram in der Einsamkeit rücksichtslos überlassend, fand er sie verweint, trostlos vor sich hinstarrend – ein bleiches Bild der Verzweiflung.

[114] Außer sich vor Schrecken, warf er sich vor ihr nieder. Er fürchtete, es sey ihr in seiner Abwesenheit etwas begegnet, was sie so tief, so unaussprechlich ergriffen habe. Denn ob er gleich sehr wohl den seit einiger Zeit erhöhten, sich zur Wehmuth hinneigenden Ernst ihres Wesens bemerkt hatte, so war sie ihm doch nie in dieser herzzerreißenden Gestalt des Jammers und der Hoffnungslosigkeit erschienen. Er überhäufte sie mit den zärtlichsten Liebkosungen, und beschwor sie, ihm zu sagen, was ihr sey, und was er thun könne, ihr den Frieden und die Freudigkeit ihres Gemüths wieder zu verschaffen.

Amalie sah gerührt seine Innigkeit, seine Sorge, seine, nur in ihrem Schmerz sich noch bewußte, Hingebung. Fester drückte sie den über alles geliebten Gatten an ihre Brust; und da die Maske nun einmal gefallen war, mit der sie durch gezwungene Heiterkeit ihn schonend über ihren eigentlichen Seelenzustand zu täuschen strebte, so ließ sie ihn jetzt auch ganz in das Innerste ihres Herzens blicken, und vertraute ihm liebend an, wie sie nach der Vergebung ihrer Mutter und nach ihrem Beistand in dem entscheidenden Augenblick, der ihr bevorstehe, sich sehne. Sie bekannte ihm ferner, daß sie zwar mit kindischer Furchtsamkeit zage, und vor diesem Augenblick zittere, aber nur, weil sie bisher den Trost habe entbehren müssen, mit sich selbst in Frieden, und versöhnt mit der zu seyn, die sie so unkindlich hintergangen, und daß sie jetzt nichts heißer wünsche, als zu den Füßen der beleidigten Mutter knieen, und ihre Verzeihung erflehen zu dürfen.

[115] Ungern sah Edmund, wie lebhaft sich dies Verlangen ihrer Seele bemächtigt hatte. Sein Gefühl konnte es nicht tadeln; doch sein Verstand sträubte sich, es ihr einzuräumen, so freudig er auch sonst immer jeden ihrer Wünsche gewährte. Denn da die Sicherheit ihrer Verbindung bisher nur auf die tiefste Verborgenheit gegründet war, und da sich voraussetzen ließ, daß Frau von Derbald bei der großen Heftigkeit ihres Characters in unbeschreiblichen Zorn gerathen werde, wenn man ihr mit einemmale das ganze Gewebe der Intrigue durchzuschauen vergönne, durch die man sie bisher getäuscht hatte, so ließ sich alles von dem ersten Ausbruch ihres Unwillens befürchten.

Dies und noch weit mehr stellte Edmund Amalien mit aller Beredsamkeit der zärtlichsten Besorgniß vor, um sie von dem, was sie wünschte, abzubringen. Aber er fand jetzt nicht das sanfte Nachgeben, das sonst sich so gelassen und freudig jedem seiner Aussprüche unterwarf, als wäre seine Meinung die Entscheidung eines höhern Orakels. Ihr aufgeregtes Gewissen, das sie mit steten Vorwürfen marterte, die Todesfurcht, die um so stärker in ihr war, jemehr sie den Reichthum des Lebens erkannte, kindliche Liebe, die, trotz der oft erfahrenen mütterlichen Strenge, doch durch eine fast Jahre lange Trennung nur um so inniger geworden war, alles dies bewaffnete sie mit einer unerschütterlichen Festigkeit, die sie seinen Einwendungen entgegen setzte.

Die Sorge, daß ihre ohnehin geschwächte Gesundheit, und ihr, von Unzufriedenheit mit sich selbst [116] und von zehrender Sehnsucht erfülltes Gemüth noch mehr leiden werde, wenn er fortfahren wolle, sich ihr zu widersetzen, bewog ihn endlich, wiewohl mit schwerem, Unheil ahnendem Herzen, zum Nachgeben, und sie verabredeten den Plan, mit Frau von Derbald zusammen zu kommen, ohne vor der Welt das Geheimniß ihrer Verhältniße und ihres Zustandes zu verrathen. Nach reiflichem Ueberlegen schrieb Amalie folgende Zeilen an ihre Mutter:


»Von der liebevollsten Sehnsucht nach Ihrem Wiedersehn ergriffen, meine geliebte Mutter! kann ich meinem Herzen nicht länger gebieten. Es ist mir nicht möglich, meinen Aufenthalt zu verlassen, aber Sie bei mir zu sehen, ist mein innigster Wunsch und meine herzliche Bitte. Eine Stunde nach Empfang dieses Briefes werde ich Ihnen einen Wagen senden. O daß er nicht leer zurück komme – daß er mir meine Mutter mitbringen möchte, zu deren Füßen ich mich sehne, in kindlicher Demuth zu weinen, und um Vergebung für alle den Kummer zu flehen, den ich Ihnen gemacht habe.«

Amalie.


Einsam saß Frau von Derbald in ihrem stillen Zimmer, und dachte an ihr verlornes Kind. Auch in ihrem Busen regte sich ein schmerzliches Verlangen, den nun fast seit einem Jahr entbehrten Liebling wieder zu sehen. Von allen Seiten in der Meinung bestärkt, daß sie in einem Kloster eine Zuflucht gefunden habe, war sie zwar einigermaaßen [117] über sie beruhigt, aber die Sehnsucht nach ihrem Anblick ließ sich nicht so leicht beschwichtigen, wie die Sorge um ihr Schicksal.

Der Minister, der sich, seitdem er einsah, daß er ihr Unrecht gethan hatte, mit lebhafter Theilnahme für sie interessirte, hatte ihr versprochen, in allen Klöstern der Stadt, so wie der umliegenden Gegend nachforschen zu lassen, um ihr zu der Freude ihres Lebens wieder zu verhelfen. Bei seinem vielumfassenden Einfluß zweifelte sie nicht daran, daß es ihm gelingen werde – noch war es ihm aber sehr natürlicher Weise nicht geglückt, sie aufzufinden.

Gleich einem elektrischen Schlag durchzuckte daher jetzt Amaliens Brief ihr in Trauer versunkenes Wesen. Sie sollte sie wieder sehen, die Geliebte, die sie unter ihrem Herzen getragen – wiedersehen, um sich nicht mehr von ihr zu trennen. Denn einmal wieder vereinigt, traute sie ihren Bitten und ihrer Autorität als Mutter zu, daß Amalie von ihrem schwärmerischen Beginnen ablassen und sich überzeugen werde, daß ihr jetziges, so mild geebnetes Verhältniß, keineswegs das Opfer einer solchen Trennung verlange.

Durch diese Zuversicht gestärkt, sah sie freudig den Wagen ankommen. Gern hätte sie ihre Töchter mitgenommen, um das Glück mit ihnen zu theilen, das sie sich von dieser, so heiß gewünschten, Zusammenkunft versprach. Aber durch eine zufällige Veranlassung waren sie gerade nicht zu Hause, und so fuhr sie allein, mit hochklopfendem Herzen, dem seligen Wiedersehn entgegen.

[118] Nachdem der Wagen durch mancherlei Umwege endlich das ersehnte Ziel erreicht hatte, fuhr er in einen, rings von Gebäuden umschlossenen Hof, wo zu ihrem großen Erstaunen, an der hell erleuchteten Thür, die in das Haus führte, Edmund statt Amalien sie empfing.

Wie? darf ich meinen Augen trauen? Ich finde Sie hier, Herr Graf? rief sie mit ahnendem Befremden ihm zu – wie soll ich mir dies erklären?

Edmund half ihr ehrfurchtsvoll heraus, und bot ihr den Arm, sie herein zu führen. Auf die Fragen, mit denen sie ihn bestürmte, erwiederte er nichts, als die Bitte, sich zu beruhigen: er werde ihr, wenn sie sich erst ein wenig erholt habe, allen möglichen Aufschluß geben.

In der heftigsten Aufregung ihres Gemüths folgte sie ihm in ein sehr elegantes freundliches Zimmer, wo sie sich mit ihm allein befand. Rings um sich her blickend, und Amalien vermissend, konnte sie dem Ungestüm ihrer innern Bewegung nicht mehr gebieten. Wo ist mein Kind? schrie sie außer sich, Reden Sie – endigen Sie die Qual, unter der ich erliege.

Edmund, innig von ihrer Angst ergriffen, und erschüttert durch das Bewußtseyn, sie in ihren heiligsten Rechten gekränkt zu haben, faßte ihre Hand, und drückte sie an seinen Lippen. Sie finden Ihre Tochter in diesem Augenblick noch nicht hier, sprach er mit bebendem Ton, wohl aber einen Sohn, der um Ihre Vergebung, und um Ihren mütterlichen Segen bittet.

[119] Frau von Derbald erstarrte. Aus dem Dunkel der peinlichen Ungewißheit, das sie umgab, entwickelte sich allmählig die Wahrheit vor ihren Blicken – doch je klarer sie die Ueberzeugung faßte, daß sie hintergangen worden war, desto lebhafter entbrannten Zorn und Unmuth in ihrem Innern.

Ich hoffe, man hat mich nicht zu einer theatralischen Vorstellung hierher gelockt, sagte sie streng und empört. Wenigstens bin ich nicht gesonnen, die Rolle einer Comödienmutter zu übernehmen, und dumme oder schlechte Streiche durch einen Seegen zu rechtfertigen. Wo ist meine Tochter? Ich ersuche Sie, Herr Graf, den Zustand zu ehren, in dem Sie mich sehen, und mir ohne alle Umschweife zu antworten.

So sehr Edmund auch gewünscht hätte, zur Milderung der zwischen ihnen unvermeidlichen Erklärungen, sie nach und nach auf das vorzubereiten, was ihr nun nicht länger verborgen bleiben durfte, so konnte er doch nur durch die gedrungenste Kürze der Darstellung alles Vorgefallenen die brennende Ungeduld befriedigen, mit der sie Wahrheit forderte. Doch, so viel er sich auch Mühe gab, der unwiderstehlichen Gewalt der Liebe die Schuld ihrer gemeinschaftlichen Verirrung beizumessen, so sehr er sie beschwur, Amalien den Fehltritt zu verzeihen, zu dem nur seine Leidenschaft sie überredet habe, so waren doch seine sanftesten Bitten, seine kindlichste Unterwerfung nur Oel in die Flamme ihres Zorns, und sie antwortete blos durch Ausrufungen des Jammers oder Verwünschungen.

[120] Als er daher alles erschöpft hatte, was das Bewußtseyn des gegen sie begangenen Unrechts und die Achtung, die er der Mutter seiner Geliebten schuldig war, zu ihrer Besänftigung ihm eingab, nahm er einen festeren, entschlossneren Ton gegen sie an. Er wiederholte ihr, daß die innigste, unauslöschliche Liebe ihn mit Amalien verbunden habe, und daß, da sein Vater bei einem rechtmäßigen und offenen Verfahren, anderer nicht mit seiner Neigung übereinstimmenden, Plane wegen, ihm seine Einwilligung gewiß versagt haben würde, sie auch um ihretwillen, deren Wohlfahrt in seinen Händen beruhe, den Weg einer geheimen, aber darum nicht weniger durch Religion und Gesetz geheiligten, Verheirathung eingeschlagen hätten. Nur die dringende Sehnsucht nach ihr, fuhr er fort, die an Amaliens Leben zehre, habe ihn vermocht, diese Zusammenkunft zu bewilligen. Da er jetzt aber einsehe, wie wenig Werth das Wiedersehen ihres lang entbehrten Kindes in ihren Augen habe, so stelle er es völlig ihrer Willkühr anheim, das ihr enthüllte Geheimniß zu theilen, oder zu verrathen. Daß in dem letzteren Fall, fügte er hinzu, Sie selbst, und alle Hoffnungen, die sich auf das Wohlwollen meines Vaters gründen, das Opfer einer so mütterlichen Treulosigkeit werden, ist um so unbezweifelter, da Sie ja bereits von seinem bloßen Verdacht haben so viel leiden müssen, und er es Ihnen nie glauben wird, daß auch Sie über unsere wahren Verhältniße getäuscht waren.

Die an Trotz gränzende Festigkeit, mit der er sprach, verfehlten ihren Entzweck nicht, Frau von[121] Derbald zu imponiren. Sie fragte noch einmal, wo ihre Tochter sey, aber auf eine weit gemäßigtere Weise, als vorher. Edmund öffnete schweigend die Tapetenthür die in das Nebenzimmer führte, wo die bebende Amalie alles mit angehört, und angstvoll den Ausgang dieses Gesprächs erwartet hatte. Bei dem Anblick ihres bleichen, von Thränen überschwemmten Gesichts, ihrer zitternden, die nahe Aussicht Mutter zu werden, aussprechenden Gestalt, behauptete die Natur ihre Rechte.

Ohne Reue zu fühlen, war Amalie doch von kindlicher Demuth gebeugt. Weinend, wie sie vor ihr nieder knieete, neigte Frau von Derbald sich zu ihr herab; und wenn auch leise Wehmuth von allen Seiten sich in diese Versöhnung mischte, so war sie doch aufrichtig, und näherte die so lang getrennten Herzen mit einer verdoppelten Innigkeit einander wieder. Denn auch Edmund, ohne den Amalie selbst das so heiß ersehnte Glück der mütterlichen Vergebung nur mangelhaft empfunden hätte, wurde in ihre Umarmung mit hineingezogen, und von Frau von Derbald als Sohn begrüßt und gesegnet.

Als der Sturm so mannichfacher Gemüthsbewegungen sich endlich legte, berathschlagten sie gemeinschaftlich ihr künftiges Benehmen gegen den Minister und gegen die Welt. Mehrere Gründe bewogen sie, so lange, als nur immer möglich, das Geheimniß, das ihnen Schutz gab, beizubehalten. Amaliens Zustand foderte die größte Schonung, und machte ihr eine fernere Eingezogenheit leicht. Daher sollte sie nach wie vor verborgen in ihrer freundlichen [122] Wohnung bleiben, und von ihrer Mutter oft besucht, und in der entscheidenden Stunde von ihr unterstützt und gepflegt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt, welcher nahe war, hoffte Edmund sich der Vorschläge seines Vaters erwehren zu können, ohne durch die bestimmte Erklärung, daß er bereits verbunden sey, einen förmlichen Bruch mit ihm, wie sich voraussehen ließ, herbei zu führen. Denn er wünschte sich bis dahin wenigstens die freie Unbefangenheit des Gemüths zu erhalten, die ihm so nothwendig schien, um diese wichtige Entscheidung mit Geduld und Fassung zu erwarten. Dann aber, wenn diese bange Sorge sein Herz nicht mehr drücken werde, und Amaliens Gesundheit so weit wieder hergestellt sey, um mit mehr Kraft als jetzt unangenehme Auftritte bestehen und nöthigenfalls eine plötzliche Abreise ertragen zu können, wollte er frei die Wahl, auf die er stolz sey, bekennen, und – wenn sein Vater sich durchaus nicht wolle bewegen lassen, sie zu billigen, mit dem von seiner Mutter ererbten Vermögen, sich irgend wo auf dem Lande zu einem zwar nicht glänzenden, aber anständigen und zufriedenen häuslichen Leben einzusiedeln.

Nachdem, ihrer Meinung nach, das Schlimmste, was sich ereignen konnte, die Unversöhnlichkeit des Ministers nämlich, berücksichtigt und Maaßregeln getroffen waren, auch gegen sie sich mit Muth und Thätigkeit zu waffnen, wurden sie sämmtlich ruhiger, bei dem ungewissen Blick in die Zukunft. Frau von Derbald hielt es der Klugheit angemessen, die Ungewißheit, in der sie bisher wirklich gelebt hatte, auch [123] ferner noch vorzugeben, und so ihre Ansprüche auf des Ministers Beistand durch keine Verantwortlichkeit zu mindern. Deswegen verabredeten sie die sorgsamste Behutsamkeit bei ihren gegenseitigen Besuchen. Denn auch Amalie wünschte – wenigstens einmal – die heimische Wohnung und ihre Schwestern wieder zu sehen, und weil man glaubte, diese letztern, trotz ihrer zarten Jugend, in das Geheimniß einweihen zu dürfen, da auf ihre Verschwiegenheit zu rechnen war, so wurde beschlossen, daß Amalie in einigen Tagen in der Abenddämmerung, ohne alles Geräusch, in einer Sänfte kommen, und einige frohe Stunden unter den Ihrigen zubringen solle.

Mit kindlicher Freude ergötzte sie sich schon im Voraus im Genuß dieses fröhlichen Familienfestes, ohne zu ahnen, welch einen traurigen Ausgang der Tag hatte, den sie sich so sehnlich herbei wünschte. Man trennte sich heiter, und Edmund drückte zum Abschied seine Gattin, ohne das leiseste Vorgefühl, an seine Brust, daß diese Umarmung – die letzte sey.

Zum erstenmal seit langer Zeit schlief Amalie wieder sanft und ruhig ein, da das Bild der versöhnten, nicht mehr der zürnenden Mutter, sie umschwebte. Der Engel des Friedens, der ihr so lange seine himmlischen Palmen entzogen, stand jetzt wieder ihr zur Seite, und wehte ihr Muth und rosige Träume der Hoffnung zu. Wachend und schlummernd erfreute sie sich daher jener überirdischen Ruhe, die den Sterblichen nur selten grüßt, – und auch dann oft nur, wenn eine höhere Hand ihn in jene Regionen winkt, wo ihre Heimath ist.

[124] Als Edmund nach Hause kam, dünkten ihm in den Blicken seines Vaters Spuren des Mißtrauens und der Beobachtung zu begegnen; dies machte ihn leise besorgt; doch schob er bald auf die kurz vorhergegangene unbefriedigende Unterredung die Schuld der Verstimmung, die er bemerkte, und suchte durch gleichgültige Gespräche über unbedeutende Ereignisse des Tags jeder näheren Berührung auszuweichen.

Am folgenden Morgen wurde er schon früh zu seinem Vater gerufen, der, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ihn bat, die Beantwortung einiger Briefe zu übernehmen, welche dringende Eile erforderten. Um diese Aufträge gehörig ausführen zu können, schien es nothwendig, in seiner Nähe sie zu vollziehen. Er räumte ihm daher einen Platz an seinem Schreibtische ein, und wußte ihn unter so mancherlei Vorwänden, den ganzen Tag an seine Person zu fesseln, daß ihm kein freier Augenblick blieb, wo er, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, zu Amalien eilen, oder auch nur ihr schreiben konnte. Eben so ging es ihm den andern Tag. Gegen Abend erhielt er folgende Zeilen von ihr:


»Ein ganzer Tag, doch nein, eine Ewigkeit – so dünkt es wenigstens meinem schmachtenden Herzen – ist vergangen, ohne daß ich dich gesehen habe. Vergebens hoffe ich von einer jeden Stunde, sie werde dich mir bringen. O mein Edmund! ich werfe mir die Ungeduld vor, mit der ich deine liebe Gegenwart herbeisehnte. Aber zürne nicht – steht doch, wie ich einst hörte, das Weib, das sich seiner Entbindung naht, auf einem ausgehöhlten [125] Grabe, ungewiß, ob sie ihr Geschick sanft vorüber leitet, oder – hinabstößt. Und dies Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung bei einer unendlichen Liebe zu Dir, bei diesem glühenden Verlangen, immer und ewig, wie ich die Deine bin, auch bei Dir zu seyn – sollte es mich nicht entschuldigen in deinen Augen, daß ich so ungenügsam bin, und Dich nicht zu entbehren weiß?

Mir ist wohl, Geliebter meiner Seele, wohl und doch auch wehe. Ich fühle mich so glücklich, danke Gott oft mit so heißen Freudenthränen, daß er mir in Dir so viel gab – blicke an Deiner Seite, geschützt und beglückt durch Deine Liebe, so ruhig und zufrieden ins Leben, und doch – o es ist eine ernste Entscheidung, die sich mir naht – doch ist mir oft, als würde er schnell und unerbittlich – reißen, der zarte Faden, der mich ans Daseyn knüpft. Und wenn er risse, Edmund – ach würdest du es dann nicht bereuen, die letzten Stunden, die mir zu verschönern in deiner Macht stand, dieser nagenden Sehnsucht, diesen vergeblichen Wünschen nach Dir Preis gegeben zu haben?

Daher entziehe mir nicht länger Dein liebes Antlitz, das meine Sonne ist, und Lebenswärme in meinen Busen, Heiterkeit auf den dunklen Pfad strahlt, den ich wandle. Komm, o komme! noch haben meine Arme die Kraft, Dich zu umschließen – laß mich Dich fest drücken an meine sehnende Brust – neben Dir bin ich furchtlos und stark – – was könnte mir wohl angstvolles begegnen, wenn ich Dich halte?

[126] Ist es Dir aber nicht möglich, jetzt gleich zu mir zu eilen – ach des leidigen Zwanges, der uns so oft trennt – so erfreue mich wenigstens durch einige Worte deiner Hand, und sichere mir die Hoffnung zu, daß ich Dich heute Abend bei meiner Mutter finden werde. Denn ich schiebe den Vorsatz, mit Dir und den meinen dort noch einmal froh zu seyn, nicht länger auf, da ich fühle, daß nur die nächsten Augenblicke noch mein sind. O laß sie nicht voll bangen Sehnens vergehen – gönne mir die Freude, Dich dort zu treffen – darum bittet Dich deine bis in den Tod getreue.

Amalie.«


Dieser Brief weckte in Edmunds Brust um so glühender das Verlangen, zu ihr hinzufliegen, da nur rücksichten, die er um ihrer beiderseitigen Sicherheit willen ehren mußte, ihn gegen seine Wünsche einen ganzen Tag aus ihrer Nähe gebannt hatten. Unverzüglich wollte er jetzt zu ihr eilen, und schon war er im Begriff, mehrere, ihm von neuen zu schneller Besorgung empfohlene, Aufträge seines Vaters unausgeführt im Stiche zu lassen, als dieser selbst erschien, ihn zu sich in sein Zimmer zu rufen.

Er folgte ihm mit den widerstrebendsten Gefühlen, die sich in ihm stritten. Jeder Schlag des stürmisch bewegten Herzens trieb ihn vorwärts – das kühle Zuflüstern der Vernunft hielt ihn jedoch zurück, und seine Zerstreuung war so sichtbar, daß nur die Absicht, sie übersehen zu wollen, den Minister zurück halten konnte, sie zu bemerken.

[127] Nachdem er erst von gleichgültigen Dingen, sich auf Geschäfte beziehend, gesprochen hatte, kürzte er die Fieberwallungen, mit denen Edmund ihm zuhörte, ab, indem er durch die ruhige Kälte einer bestimmten Erklärung sein Innerstes erstarrte.

Schon seit längerer Zeit mein Sohn, sprach er, nehme ich an Dir eine Unruhe, eine Scheu vor meinen Blicken, eine Heimlichkeit wahr, die mich zu den sonderbarsten Vermuthungen berechtigen könnte. Du weißt, ich habe für Dich gewählt – doch nicht, wie Väter in der Regel zu wählen pflegen, nur des eigenen Vortheils gedenkend. Die Gräfin Berg ist schön, geistreich, gut, reich, und aus einem angesehenen Hause Der seltene Verein dieser Eigenschaften würde jeden andern jungen Mann anspornen, ein Glück zu erlangen, das Du mit befremdender Gleichgültigkeit unbeachtet läßt. Ich muß daher, so ungern ich es auch thue, auf irgend ein geheimes Verständniß schließen, das – wenn ich es auch nachsichtsvoll blos als eine Verirrung der Sinne betrachte, – doch unangenehm störend meinen Wünschen für Dein wahres Wohl in den Weg tritt.

Zu jeder andern Zeit würde Edmund diese Gelegenheit benutzt, und nun endlich mit männlichem Freimuth das Geständniß ausgesprochen haben, daß er bereits aufs süßeste gebunden, und daher auf immer für die Ansprüche der Gräfin Berg verloren sey. Aber jetzt, wo Amaliens Zustand ihm die schonendste Behutsamkeit zur heiligsten Pflicht machte – wo mit jedem zögernden Augenblick die Gluth ihrer so gerechten Sehnsucht nach ihm, so wie die seines eigenen Verlangens [128] nach ihr wuchs – jetzt, das fühlte er wohl, war nicht der Moment einer so ernsten, und ohne Zweifel bittern und schmerzlichen Erörterung. Er suchte sich daher zu helfen, so gut er konnte. Ausweichend, ablehnend, und doch halb und halb einwilligend, mit seiner Verlegenheit kämpfend, und, bei dem heftigen Aufruhr seines Gemüths, nicht im Stande, sie zu verbergen, suchte er dies peinliche Gespräch abzubrechen, Der Minister, der ihn scharf beobachtete, las in der wunderbaren Betroffenheit seines ganzen Wesens die Gewißheit dessen, was er befürchtete. Er schwieg aber für jetzt; und da Edmund in der Lebhaftigkeit innerer und äußerer Bewegung einen zusammengerollten Brief mit seinem Taschentuch aus der Tasche gezogen, und ohne es zu bemerken, auf den Teppich des Fußbodens hatte fallen lassen, gab er ihm selbst Gelegenheit, eine halbe Stunde auf sein Zimmer zu gehen, da eine feindliche Ahnung ihm sagte, der Aufschluß, den er auf diese Weise erlangen könne, werde entscheidend seyn.

Er hob daher das unglückliche Blatt auf, und der Flammenblick, mit dem er es durchlief, bestimmte, gleich dem Blitzstrahl, welcher tödtend trifft, das Schicksal der Liebenden auf ewig. Es war Amaliens Brief. Er sah sich betrogen, und diese Ueberzeugung erregte in ihm den fürchterlichsten Zorn – doch lauschte die Hoffnung, noch zu triumphiren, im Hintergrunde seiner Seele, und trieb ihn an, Maaßregeln zu ergreifen, um – koste es was es wolle, den Zweck zu erreichen, den er sich vorgesetzt hatte.

Schnell war sein Plan gemacht, eben so schnell[129] wurde er ausgeführt. Ehe eine halbe Stunde verging, hielt ein Miethwagen an einer Seitenpforte seines Palastes. Er ließ Edmund rufen, und bat ihn mit gleichgültiger Miene, ihm bei der Beseitigung eines Geschäfts zu helfen, das er unbekannt zu beendigen wünsche, und dieser, außer sich in seinem Herzen über diese neue Störung, doch arglos, folgte ihm ohne Bedenken in den Wagen, der schnell mit ihnen zu der außerhalb der Stadt auf einer Anhöhe gelegenen Citadelle rollte.

Man schien sie erwartet zu haben, denn ein reitender Bote hatte ihre Ankunft verkündet, und in einem Billet des Ministers dem Commandanten die Vorschrift seines künftigen Verhaltens gegen Edmund gebracht. Sie wurden ehrerbietig empfangen; doch fiel es Edmund auf, daß man sie in ein kerkerähnliches Gemach führte, dessen eisenvergitterte Fenster in einen engen dunklen Hof gingen. Hier wandte sich mit einemmale der Minister zu ihm, und den ganzen Ausdruck des bisher mühsam bezwungenen Zorns und der tiefsten Erbitterung in seinen Zügen, warf er ihm Amaliens Brief vor die Füße, und verließ mit den Worten: nicht eher wirst Du deine Freiheit wieder erhalten, ehe Du nicht deiner Buhlerin entsagst, das Zimmer, das sich sogleich hinter ihm verschloß.

Entsetzt erkannte Edmund die Hand seiner Gattin, sah sein Geheimniß entdeckt, und befürchtete alles für Amalien und für sich. Er wollte seinen Vater nacheilen – die Stimme der Natur, die für Weib und Kind so laut, so allgewaltig in seinem Busen [130] sprach, würde, das bezweifelte er nicht, selbst ein versteinertes Herz zu erweichen vermögen – aber die Thüre war von außen verriegelt – eine Todtenstille antwortete seinem jammervollen Rufen; und als er zum Fenster stürzte, um vielleicht dort ein hülfreiches Wesen zu erspähen, das ihn befriedigen könne, sah er zu seinem schaudervollsten Entsetzen seinen Vater eben in den Wagen steigen, um wieder nach der Stadt zu fahren; und gleichgültig starrten die Menschen, die ihn zu demselben begleitet hatten, hinauf zu seinem Fenster, ohne sich an sein ohnmächtiges Bitten, Drohen und Winken zu kehren. Da faßte die Verzweiflung den Unglücklichen mit ihren, bis ins Innerste dringenden, Krallen – eine tödtliche Ermattung folgte auf seine gewaltsamen Anstrengungen – dunkel, wie sein Schicksal ward es rings umher vor seinen Augen – kalter Angstschweiß trat auf seine Stirn, und bewußtlos sank er auf die harten Steine des Fußbodens nieder.

Indeß kehrte der Minister, zufrieden, daß es ihm gelungen war, Edmund ohne Aufsehn zu entfernen und in strengen Gewahrsam zu bringen, nach der Stadt zurück, und ließ an der Wohnung der Frau von Derbald halten. Sie schien seinen Zorn in einem noch weit höheren Grade als sein Sohn selbst, zu verdienen, da er sich während der ganzen Zeit, als sie um ihre verlorne Tochtet trauerte, von ihr hintergangen wähnte.

Er stieg aus und schickte den Wagen fort. Nichts gleicht dem Erschrecken, womit er empfangen wurde. Frau von Derbald erwartete wie wir wissen,[131] ihre Tochter, die unter dem Schutz der Dämmerung in einer Sänfte zu kommen versprchoen hatte. Das Rasseln eines Wagens vor ihrer einsamen Wohnung verwunderte sie als etwas Ungewöhnliches, und erregte zu gleicher Zeit ihren Unwillen, da sie vermuthete, Amalie sey, trotz der Verabredung, alles Geräusch und Aufsehen sorgsam zu vermeiden, in demselben gekommen. Sie wollte ihr entgegen gehen, aber starr wie eine Bildsäule blieb sie stehen, als sie den Minister in einer Wuth vor sich erblickte, deren Heftigkeit sich nur mit der Härte vergleichen ließ, mit welcher er sie äußerte. Er nannte sie eine Kupplerin, sagte ihr, daß ihr Complott verrathen, sein Sohn bereits auf der Festung, und sein unerschütterlicher Vorsatz sey, ihr und ihrer Tochter eine Versorgung in einer Correctionsanstalt zum Lohn der Verführung und der Lügen zu verschaffen.

Vergebens betheuerte Frau von Derbald, die durch das, was sie hörte allen Muth verlor, und von seinem furchtbaren Zorn sich zermalmt fühlte, daß sie nicht um das Verständniß Edmunds mit Amalien gewußt habe. Der Schein sprach gegen sie, und der Minister begegnete ihr nur um so verächtlicher, und verdoppelte die Drohungen, sie auf die empfindlichste und entehrendste Weise für ihren vermeinten Betrug zu bestrafen.

In diesem unseligen Augenblick langte Amalie an. Sie hörte, als sie aus ihrer Sänfte stieg, das dumpfe Geräusch verworrener, sich streitender Stimmen. Ungewiß, was sie davon denken sollte, und furchtsam, befahl sie den Sänftträgern unten zu [132] warten, und stieg herauf, gerade als der Minister im Begriff war, im höchsten Grade aufgebracht und unter der Verheißung, seine Drohungen wahr zu machen, sich zu entfernen. Ihre Erscheinung vermehrte, wo möglich, noch seinen rasenden Zorn, und er richtete jetzt an sie, wie vorhin an ihre Mutter, die Ausbrüche desselben, deren wüthende Grausamkeit ihr Herz zerriß.

Frau von Derbald, statt durch den Anblick ihrer leidenden Tochter gerührt zu werden, sah sich durch ihn aufs neue compromittirt, da sie in der Hoffnung, den Minister noch zu besänftigen, bei ihrer Behauptung geblieben war, daß sie, gleich ihm, getäuscht worden sey, ohne ihr später erfolgtes Einverständniß mit Amalien zu erwähnen. Aufs äußerste gebracht, wollte sie jetzt durch eine angenommene Strenge den letzten Versuch machen, ihn von der Wahrheit ihrer Versicherung zu überführen. Sie bestürmte also ihr bebendes Kind mit Vorwürfen, die nicht viel sanfter als die seinen waren; und, indem sie ihr in den heftigsten Ton befahl, sogleich ihr Haus zu verlassen, und nicht wieder vor ihre Augen zu kommen, erfüllte sich das Maaß des Jammers, welche das Schicksal über die Unglückliche ausgoß. Erschreckt, betäubt, bis ins Innerste erschüttert, wollte sie entfliehen – doch auf der Treppe verlor sie die Besinnung, und stürzte hinab.

Ein unbeschreiblicher Schmerz rief sie ins Leben zurück. Sie hatte sich im Fallen den Kopf verletzt – mit Blut bedeckt, fand sie sich in den Armen der Sänftenträger, die sie mitleidig aufgehoben hatten.[133] Fort, fort! rief sie ihnen im Ton namenloser Angst zu. Aber diese, die nicht wußten, wohin sie sie bringen sollten, den sie war aus Vorsicht zu Fuß zu einem nahe bei ihrer Wohnung gelegenen Versammlungsort derselben gegangen, und jetzt nicht im Stande, ihnen nähere Auskunft zu geben, trugen sie in das nicht weit entfernte Hospital, wo sie sie der Obhut der Wärterinnen übergaben.

Das Hospital war nur für Kranke geringen Standes eingerichtet. Man legte die Leidende, welche von neuem ohnmächtig geworden war, auf ein schlechtes Bett, und als sie ihre Augen wieder aufschlug, trat mit dem Anblick mannichfachen Elends um sie her, ihr eigenes in seiner ganzen Größe ihr entgegen. Doch keine Klage kam über ihre Lippen. Mit dem Aufwand ihrer letzten Kräfte bat sie blos um ein eigenes Zimmer, und nannte den Namen ihrer Mutter, die nach ihrem Tode die dadurch verursachten Kosten vergüten werde. Kaum hatte sie es erreicht, als die Schmerzen der Geburt sie überfielen, und sie von einem todten Kinde entbunden wurde. Man fand ihren Zustand gefahrvoll, und benachrichtigte ihre Mutter davon. Diese hatte, von Todesangst und Kummer gefoltert, vergebens gesucht, die ihr zu schnell entschwundene Spur ihres unglücklichen Kindes zu erforschen, um den schmerzlichen Eindruck wieder zu verlöschen, den ihre, von der Noth ihr abgedrungene, erkünstelte Härte auf Amalien gemacht hatte, und mit mütterlicher, jetzt über jede falsche Berechnung sich erhebender Liebe sich ihrer anzunehmen. Erfreut zu erfahren wo sie sey, eilte [134] sie dahin: aber ach, zu spät, um durch die Pflege und Sorgsamkeit, die sie ihr gelobte, sie dem Leben zu erhalten. Sterbend, mit schon halb geschlossenen Augen fand sie Amalien – doch der Ton ihrer Stimme, der Ausdruck der Milde die ihn beseelte, hielt ihren fliehenden Geist noch zurück. Ein mattes Lächeln ihrer bleichen Lippen grüßte die in Schmerz aufgelös'te Mutter. Sie dankte Gott mit ihr versöhnt zu sterben, und daß kein tief gewurzelter Groll kein neuer Unwille, wie sie im ersten Schrecken befürchtet, die Ursache ihres rauhen Empfangs gewesen sey. Sie trug ihr ihre letzten Grüße an den geliebten Gatten auf, den ihre Sehnsucht vergebens herbei wünschte, und die Hoffnung, daß ihr Tod ihn wieder mit seinem Vater vereinigen werde, versüßte ihr den herben Kampf, mit dem ihre Jugend sich vom Daseyn losriß. Ihre Schwestern, die weinend um ihr Lager standen, ermahnte sie, nie von der Bahn des Rechten zu weichen, und ihr Andenken als ein warnendes Beispiel stets vor Augen zu haben. Denn obgleich der Liebe freudig und ohne Reue ihr Leben opfernd, hatte doch selbst die seligste Fülle ihres Glückes sie nicht eigentlich beglücken können, da innere Vorwürfe stets ihr Gemüth mit düsteren Ahnungen umwölkten, und mitten in den Freuden des Lebens nur der Tod ihr ein würdiges Sühnopfer für die heiligen Pflichten schien, die sie verletzt hatte, um eigenmächtig der Wahl ihres Herzens zu folgen.

Als die tiefe Stille in Edmunds Gemach nach so stürmischem Toben seine Wächter täuschte, und sie[135] hoffen ließ, er habe sich endlich beruhigt, öffneten sie, ihrer Anweisung gemäß, die Thür, und erschraken, ihn leblos auf der Erde zu finden. Man brachte ihn zwar zu sich, aber ein hitziges Fieber rasete in seinem Blut, und erst nach Monatelangem Streit zwischen Tod und Leben rettete ihn seine gute Natur, und zog ihn vom Rande des Grabes zurück.

Doch nicht, um ihn seinen jugendlichen Freuden und Hoffnungen wieder zu geben – – denn als es wieder klar in und neben ihm wurde, keimte bereits Gras auf dem Hügel, der über seinem Weibe und seinem Kinde sich wölbte, und die bittere Reue seines Vaters, der, nach und nach genauer unterrichtet, und von seinen frühern Ansichten und Planen zurückgekommen, nun gern die in der Erde Ruhende als Tochter anerkannt hätte, um sich den Sohn zu erhalten, konnte sein zertrümmertes Glück nicht wieder aufbauen. Nicht Amaliens Tod, nur ihre Trennung von Edmund hatte der Minister gewollt, und auch diese nur, da er sie nicht für wirklich gesetzmäßig mit seinem Sohn verbunden, sondern für eine unbesonnene ihm hingegebene Beute seines Leichtsinnes hielt.

So schonend und vorsichtig man Edmund nach seiner Genesung die Trauernachricht ihres Schicksals hinterbrachte, so wirkte sie doch wie der giftige Pfeil, der im ersten Moment das Herz nur darum nicht tödlich trifft, damit es in langsamen Qualen sich verblute. Umsonst strebte der Minister durch freundliche Ermunterung und durch Reisen ihn zu zerstreuen. In dumpfer Gleichgültigkeit, ohne ein Zeichen des [136] Beifalls oder des Tadels bei allem was ihm begegnete, schleppte er des Daseyns Bürde weiter, da es ihm noch nicht vergönnt war, sie wegzuwerfen. Doch die Blüthe seiner Kraft war gebrochen – erst in Schwermuth versinkend, dann in Wahnsinn übergehend, welkte sein Leben ihr nach, und mitleidig gewährte der Vater ihm eine Ruhestätte an Amaliens Seite.

Er hatte es der Frau von Derbald nie ganz vergeben können, daß sie durch ihren scheinbaren Unwillen das ohnehin gebeugte Gemüth seiner Gattin noch mehr belastet, und dadurch beigetragen hatte, sie in Verzweiflung, und ins Grab zu stürzen. Deshalb vermied er ihren Anblick als eine zwiefach ihn verletzende Erinnerung der Vergangenheit, und versagte sich den Trost, seine Klagen und Thränen mit den ihrigen zu vermischen. Doch ehrte er den unheilbaren Gram zu tief, mit dem sie Amalien betrauerte, um sie diese unwillkührliche Bitterkeit gegen sie jemals ahnen zu lassen; und es war die letzte Handlung, in der er den freien Gebrauch seiner Vernunft noch bewies, sie als ein Vermächtniß seiner Geliebten zu betrachten, und ihr von seinem mütterlichen Vermögen so viel auszusetzen, als sie, auch ohne Rücksicht auf ihren Prozeß, zu einem anständigen Unterhalt für sich und die Ihrigen bedurfte.

[137]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Ahlefeld, Charlotte von. Erzählungen. Gesammelte Erzählungen. Erster Band. Edmunds Schicksale. Edmunds Schicksale. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D7B5-D