Medizin

Alles in diesem einsamen Park ist doch so lächerlich, blöd und verlogen.

Da kam die Schwester der Direktorin mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter Ella. Alles verschwand und starb dahin. Selbst meine schwere Krankheit zog sich zurück, überließ diskret ihre Seufzer dem Rauschen meiner Seele!

Gelb war ihr Teint wie das Fell einer gelben Katze, aschblond ihre dichten Haare. Sie hatte die breite Stirne Goethes und den weiten Beethovenschädel. Ihre Hände aber waren das Wunderwerk der Welt. Gelb, zart, schmal, abgegliedert, und die Nägel wunderbar.

»Ihre Tochter bedarf keiner Maniküre,« sagte ich zu der Mutter, »die Natur hat das genial selbst besorgt – – –.«

»Oh, meine Tochter bedarf keiner künstlichen Mittel, Gott sei es gedankt – – –!«

Meine Krankheit verflüchtigte sich. Die Ärzte schrieben es auf ihr Konto, besonders auf Injektionen und Lezithin. Aber das war alles schamloser Mumpitz. Die gelben, zarten, schmalen, feingegliederten Hände und Finger, die wundervollen Nägel der E.S. bewirkten es. Ich blickte auf diese Hände, wenn sie neben mir saß, ich blickte auf diese Hände, wenn sie Messer und Gabel hielten, ich blickte auf diese Hände, wenn sie den Henkel der Teeschale hielten, ich blickte auf diese Hände, wenn sie die zarten Rohrstäbe des »Diabolo« schwangen. Immer immer, immer blickte ich auf diese gelben, zarten, [232] schmalen, langen, adeligen Hände und Finger und diese von Mutter Natur ideal manikürten Fingernägel. Und die Herren Ärzte fanden, daß die Injektionen und das Lezithin merkwürdige Besserungen in meinem Allgemeinbefinden hervorriefen.

»Sehen Sie, Sie Skeptiker, auch Sie müssen uns doch schließlich recht geben – – –.«

»Ich glaube es jetzt fast schon selbst«, erwiderte ich demütig.

E.S. reiste ab. Ich sagte zu ihr:

»Ich bin krank und alt, darf ich mir eine Gnade erbitten?!?«

»Was wünschen Sie von mir?!?«

»Ihre Hand zum Abschiede küssen zu dürfen!«

»Ein Händedruck wird genügen – – –.«

Einige Tage später sagten die Ärzte: »Die Mittel stumpfen sich ab, wir werden neue versuchen müssen, P.A. verfällt uns seit einigen Tagen.«

Das Fräulein dachte: »Vielleicht hätte ich mir doch die Hände küssen lassen sollen von ihm. Ich glaube, es war sehr arrogant von mir. Wer weiß, ob sich sobald wieder eine solche Gelegenheit findet – – –.«

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Märchen des Lebens. Zyklus »Sanatorium I.«. Medizin. Medizin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D9FA-1