Der Revolutionär dichtet

Der Revolutionär schrieb einmal sieben ganz kleine Sachen auf, welche den Titel hatten »Wachsthum«, »Le coeur«, »Genie und homme médiocre«, »Fidélité«, »Nacht-Café«, »Wahrheit«, »De amore«.

Hier sind sie:

Wachsthum

Es giebt drei Dinge, welche Uns in die Lage bringen, über uns selbst hinaus wachsen zu können: die Einsamkeit, die grossen Bücher, das heisst der gedruckte Geist, die gedruckten Herzen grosser Menschen; und die Natur.

Die Menschen, welche sich von diesen Dingen beeinflussen lassen und gleichsam unter diesen drei Sonnen wachsen, nennt man »Sonderlinge«, »Schwärmer«, »Unbrauchbare«.

Die Anderen, die, welche nicht wachsen, nicht einmal unter der einen Sonne, welche Allen zur Verfügung steht, nennt man »die thätigen Weltbürger«.

[139] Sie stehen ganz einfach nicht unter dem verderblichen Einflusse der drei Sonnen: Einsamkeit, Buch und Natur!

Le coeur

Valle di Raccolana, via Tarvis-Chiusaforte.

Gerölle, Gerölle, Gerölle – – –.

Der Kohl wächst nur mit Aussenblättern. Die Natur wahrt vor Allem mühselig die Form! Dazu hat selbst das Gerölle Kraft!

Das Herz kann sich nicht bilden – – – im Kohle des Valle di Raccolana, via Tarvis-Chiusaforte!

Genie und »homme médiocre«

Professor M. zu dem jungen Pasteur: »Ich muss leider constatiren, mein lieber Pasteur, dass, nach den streng logischen Forschungen, welche ich diesem Gegenstande wenn auch resultatlos gewidmet habe, Sie nur auf dem Wege einer durch Nichts begründeten vorgefassten Meinung zu diesem allerdings richtigen und überraschenden Resultate gelangt sein können!

Ich bedaure Sie, Herr Pasteur, trotz Ihrer sonst glänzenden Vorzüge – – –.
Sie mögen ein Philosoph sein, ein Dichter – – ein Mann der Wissenschaft sind Sie nicht!!«
[140]

Fidelité

Treue! Mann, sei treu! Dem eigenen Wachsen, dem eigenen Werden und der Weltenschönheit!
Sei treulos dem Stillstand deines Geistes, deiner Seele und Allem, was müd und hässlich wird!
Weib, sei treu! Deiner Sonnen-Mission, zu wärmen, zu leuchten!

Armselige Göttinnen, an deren verwaisten Altären monsieur le mari seine zweifelhafte Andacht verrichtet! Nur Dichter können beten, das Haupt neigen und weinen – –.


Gehört die Almwiese dem Hias'l, der sie bewirthschaftet?!

Sie gehört dem Wanderer, der sie empfindet!


Ihr Comfortable-Rosse der Liebe, mit den Scheuledern vor der Seele, damit sie auf der breiten Landstrasse des Lebens forttrotte – – – le!

Comfortable-Rosse der Liebe, wie leicht findet Ihr euren Weg, während der edle Trakehner »Künstler-Seele« in die pfadlose Ebene hinaussprengt!

Nacht-Café

Warum lächelt Cäcilia, wenn sie mich grüsst –?!

Warum lächelt Bertha, wenn sie mich grüsst –?!

[141] Aber warum liegt dein süsses Antlitz in dunkler Ruhe, wenn Du mich grüsst, Camilla – – –?!

Gesunken – – gesunken!

Rasch ist ein Gott in Mensch-Werdung gestorben –

Langsam ersteht in Gott-Werdung der Mensch!

Langsam – – langsam.

Wohin blickst Du, Camilla, Du Aschblonde, Du Zarte – –?!

Senkst Du deinen Blick, den müden, dunklen, in die weissen Tage deiner Kindheit, damals, als Du im Garten unter den Obstbäumen Blumensamen eingrubst und deine Blumen dein Glück, deine Liebe waren –?!

Da standest Du, Du mit deiner zarten Gestalt, mit deinen feinen weissen Händchen und Füsschen, mit deinem Antlitz, das Gott geweiht zu haben schien zur Reinheit, da standest Du zwischen deinen Blumen, in deinem stummen kindlichen Glück – – –.

Und wie Du so dastand'st, zwischen deinen Rosen, deinen Nelken, in deinem stummen kindlichen Glück, da begann ein Engel droben im Himmel bitterlich zu weinen.

Und Gott, der ewig milde Vater sagte: »Engel, warum weinst du?!«

Und der Engel zeigte hinab.

Da sah Gott einen grossen, grossen Garten voll von Obstbäumen. Unter jedem Baume wuchs eine Blume.

Und ein kleines Mädchen, mit einer zarten Gestalt, mit feinen weissen Händchen und Füsschen, mit einem Antlitz, das geweiht schien zur Reinheit, ging von [142] einer Blume zur anderen und berührte leise die Blüthen, die Blätter – – in ihrem stummen kindlichen Glück.

Sie stand da, in dem grossen Garten, schön und einsam, und ihr kleines Herz war voll von Rosen und Nelken.

In der Ferne aber lag das Leben, das schwere dunkle Leben – – –.

Da wusste Gott, warum der Engel so bitterlich weinte – – –.

Wahrheit

Einer nach dem Andern von den jungen Männern fiel ab von der Stolzen, welche ihr Selbstbewusstsein knickte und sie demüthigte.

Nur Einer blieb, in Betrachtung ganz versunken.

»Kann man Sie mit Nichts verletzen, Sie Hündischer?!«

Er schwieg, in Betrachtung ganz versunken –.

»Kann man Sie mit Nichts beleidigen, Sie Hündischer?!«

»Es gäbe ein Mittel, ein einziges!«« – – –?!«

»Kaufen Sie in einer Droguerie eine Flasche Schwefelsäure und überschütten Sie damit Ihr Antlitz und Ihre Hände.«

Sie erröthete.

»Ist das die Liebe?!« dachte sie.

Nein, die Liebe war es nicht.

Denn die Liebe ist eine kleine verlogene Sache,[143] adaptirt für die Frauen, welche über die Schönheit hinaus in Seelen-Versorgung kommen wollen.

Das aber war eine grosse wahrhaftige Sache. Die Schönheits-Liebe!

Es war die Wahrheit selbst, kalt, gross, leuchtend, tyrannisch!!

De amore. (Ich liebe Dich. – Ich hasse Dich. – Ich liebe Dich.)

Ich liebe Dich

Ich liebe Dich. Ich liebe deine hellblauen seidenen Socken. Ich liebe deine zarten weissen Battistkleidchen. Ich liebe deine seidenen Gürtel mit den langen wunderbaren Schleifen. Ich liebe Dich.

Ich liebe deine drei von Dir geliebten Puppen, Mildred, Baby und Dorothy, welche Du an dein Herz drückst und zu welchen Du sagst: »Ihr macht mir viel Kummer, meine Lieben, wisst Ihr das?! Immer gleich verdrückt und schiefe Hüte – – –!«

Ich liebe Dich. Ich liebe den Duft deines Zimmers, deines Kleiderschrankes, deines Bettes. So duften die Rinden der Bäume im Vorfrühling, wenn noch kein Laub ist und alle Kraft im Baume drinnen liegt. Ich liebe Dich.

Ich liebe Dich, wenn Du gestraft wirst und Du eine Thräne wirst, wie Daphne ein Baum.

Die Grossen weinen. Aber die Kleinen werden Thränen.

Ich liebe Dich. Noch lehnst Du lächelnd an dem Thor des Lebens. Ich liebe Dich.

[144] Weltenweisheit hast Du – – – da Du noch nichts weisst.

Pallas Athene Du! Unbeirrten Auges thronst Du auf dem weissen Throne deiner Kindlichkeiten! Ich liebe Dich.

Ah, melde mir die Nacht, in der die grausame verzerrungsfreudige Natur zum Weib Dich macht!

Dann will ich Abschied nehmen – – – von meiner Liebe.

Ich hasse Dich

Ich hasse Dich, Geliebte! Ich hasse deine schönen seidenen Blousen, die deines Athmens Wellenschlag mir weisen und meiner Sinne »griechisches Lächeln« zum Ernste des Barbaren zwingen. Ich hasse Dich.

Ich hasse deiner Worte Willkürherrschaft, die mich erbleichen und erröthen machen, krank und gesund, blöde und weise. Ich hasse Dich.

Ich hasse deine Schönheit. Deine Schönheit hass' ich, die mir Ersatz für Weltenschönheit wird und so mit Blindheit schlägt mein Weltenauge.

Ich hasse deiner Stimme holden Klang, der mir Beethoven's Symphonieen leer macht und so mein Ohr betrügt um Welten-Klänge! Ich hasse Dich!

Ich hasse Dich, die meine Weltenkräfte, die zersplittern und verkommen wollen, allzu sorglich ins Dienstesbette drängt.

Vorsorgliche! Gescheite! Ich hasse Dich.

Ich hasse Dich, »fixe Idee meiner Seele«!

Ich hasse Dich, wenn Du mir sagst: »Komm' [145] wie der«, ich hasse Dich, wenn Du mir sagst: »O bleib'«. Denn ich, ich komme wieder und ich bleibe. Beschränktheit meiner Schrankenlosigkeiten! Ich hasse Dich!

Ich hasse deine Tugenden, die mich rühren, ich hasse deine Fehler, die mich nie verletzen.

Ich hasse dein Erröthen, das mich selig und dein Erbleichen, welches mich besorgt macht. Ich hasse Dich, dass ich auf diesem geliebten Antlitz die Runen schwerer Stunden ängstlich lese.

Die grenzenlosen Kräfte meiner Seele vermählen sich dem All nicht, sie treiben Ehebruch mit deinem Herzen, o Geliebte!

So hass' ich Alles, was ich an Dir liebe. Ich hasse Dich! Weltendummheit hast Du! Denn Du fühlst in mir des Weltenganzen einfachen Vertreter, das Weltgebilde, das Du nicht begreifst, in einem Weltextracte, den Du fassen kannst.

Ich aber bin es nicht. Ich kann es werden. Doch nicht bei Dir und nicht durch Dich, Geliebte! Nur durch die Weltenschönheit kann ich's werden, die mit dem Kreidewald und Farrenwald begann und weiterzieht bis zu den letzten Stunden.

Durch Weltenschönheit kann ich's werden, die ihrer Kräfte endelose Ströme durch meine heiligen Augen in mich ergösse, und ich, ich tränke sie und machte sie zu Blut, zu Geist!

Doch deine Ströme, o geliebteste Geliebte, machen mich nur zum Herren des Alltages, der zeugt und stirbt.

[146] Ich hasse Dich! Indem Du mich von meinem Weltenwege ablenkst, zeigst Du den kargen Weg mir, der vielleicht mir ziemt. Und weist mit deines Leibes griechischer Schönheit den kleinen Kreislauf, der dem Schwächeren frommt! Wer Ruhe sucht im Weibe, ist kein Wanderer!!

Und doch! Geliebte Reichmacherin, die Du mir die Welt verarmst!

Siehe! Des fremden Kindes Lächeln muss mir theurer bleiben als meines eigenen Lachen!

Weib, verstehst Du das?!!

Denn meine väterliche Liebe reicht gerade aus für alle Kinder, die da sind und die da kommen werden, wenn sie nur schön sind und der Frühling sind.

Tausendfach armselig, tausendfacher Un-Mann, wer da fühlt, dass er, um seines Herzens Vaterliebe anzubringen, sich erst ein Wesen schaffen muss dazu!!

Du aber bleibst, Geliebte und Gequälte, die heilige Jungfrau-Mutter! Und sonst nichts.

Geliebte Lügnerin, die Du mich leitest zu Höhen, um mich zu deinen Höhen nur herab-zuleiten! Ver-Führerin! Ich hasse Dich.

Ah, melde mir den Tag, da ich Dich nicht mehr liebe – – – – dann will ich Abschied nehmen – – von meinem Hasse!!

Ich liebe Dich

Sie: »Wie werden Blätter gelb?!«

Er: »Das grüne Chlorophyll des Blattes verwandelt [147] sich in Gelbstoff, Xantophyll, unter dem Einflusse der Kälte.«

Sie: »Wie werden Blätter roth?!«

Er: »Das grüne Chlorophyll des Blattes verwandelt sich in Rothstoff, Erythrophyll, unter dem Einflusse der Kälte.«

Sie: »Und schwarz?!«

Er: »Das ist das Sterben des Blattes. Wenn es nicht mehr Kraft hat, Farben umzuwandeln, wird es schwarz.«

Sie: »Und Blätter werden Erde?!«

Er: »Ja. Der Schnee zermürbt sie, präparirt sie vor.«

Sie: »Lehre mich Botanik. Aber nicht wie in der Jugend, wie viele Staubgefässe jede Blume hat, wie sie lateinisch heisst, wo man sie findet. Lehre mich das Tiefe, wie sie wird und stirbt und niemals aufbegehrt und wieder wird und stirbt und wieder stirbt und dann doch auflebt – – –.«

Er: »Anatomie, Physiologie der Pflanzen?!«

Sie: »Ja, das.«

Er: »So komm'. Es ist zu kalt zum Sitzen im Freien. Und wir sind in Jahren – – –. Wir brennen Holz im Ofen und ich lehre Dich, wie junge Stämme ihren Ring ansetzen. Vor Allem, weisst Du, wenn im ersten Frühjahr – – –.«

Und sie ging schweigend, lauschend neben ihm.

[148]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Wie ich es sehe. Revolutionär. Der Revolutionär dichtet. Der Revolutionär dichtet. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DA21-1