Marionetten-Theater
Der alte Herr kam mit der vierjährigen Enkelin Rosita aus dem Puppentheater.
Er war krebsrot. Dazu die weissen Haare, wirklich Frühling im Winter.
»Wer das nicht gesehen hat – – –!« sagte er und blickte ganz schief auf Rosita.
»Ich wäre gerne mitgegangen, natürlich,« sagte die junge blasse Mama, welche den Erdapfel-Salat für Rosita mit Essig anmachte und die beiden gelben Fläschchen gegen das Licht der Lampe hielt, um sich nicht zu irren. Niemand in der Welt kennt Öl und Essig auseinander. Immer sagt Einer: »Nun, was glaubst Du, dies ist natürlich Essig. Dieses?! Keine Spur« erwidert man.
»Sehr gerne wäre ich mitgegangen. Selbstverständlich. Aber Du mit Rosie, ein Liebespaar! Und diese Exaltationen! Erzähle übrigens, Rosita. «
»Ich war in einem Theater – – –.«
»Nun und – – –?!«
»Und ich war in einem Theater!«
»Wenn Du dumm bist – – –?!«
Peter A. erwiderte der Dame: »Ich war in einem Theater!« Alles liegt darin. Braucht man [123] mehr zu sagen?! Wie ein Genie drückt sie sich aus. Süsse! Feine! Zarte! Mehr braucht man nicht zu sagen: »Ich war in einem Theater!«
»Gehe zu deinem Peter, der versteht Dich« sagte die Dame glücklich und stolz und liess das Kind von ihrem Schoosse herab. Dann schnitt sie das Fleisch für Rosita in kleine Stücke. »Willst Du Erdäpfel-Salat oder grüne Erbsen?!«
»Zuerst Salat – – –.«
»Hat sie nicht hinaus wollen?!« fragte die Dame.
»Nein« erwiderte der alte Herr, »wir haben Alles früher besorgt.«
Die Dame sass da, die Arme hingen gleichsam welk herab. Sie dachte: »Ich habe Ihn heute Nachmittag wiedergesehen, den Feind meines Lebens, Edgar! Oh welcher Feind ist es. So muss Absinth wirken. Er zerstört mein Nervensystem. Wie eine fixe Idee der Seele ist es. Ein Symptom von Zerrüttungen. Statt frei zu sein, gebunden! Das ist es. An mein Leben schleicht er heran und knebelt es. Ich hätte mitgehen sollen mit meinem Kinde – – –.«
Der Grossvater sass da, krebsrot: »Wer Rosie heute nicht gesehen hat – – –!? Schön dumm bist Du, Hanny. Immer Besorgungen, Wege – – –.«
Der alte Herr war ganz voll von Liebe, angetrunken mit Liebe, welche ihm Jugend gab und namenloses Glück, Vergessen. Wie einer war er, der Laute schlägt vor der schönen wundervollen Welt, in welcher viele krause Schicksale sind, die [124] sich entwirren können bei einem Frühlings-Hauche. Er fühlte: »Meine Tochter ist mässig verheiratet, immer präoccupirt, bedenklich in Allem. Was macht es?! Rosita kam auf die Welt!!«
Rosie sass auf Herrn Peter's Schoosse, Er küsste sanft ihre goldenen Haare.
»Eljén!« rief sie und trank ihm zu.
»Wer macht es denn immer so?!« sagte die Dame.
»Der da!« sagte Rosita und zeigte auf den alten Herrn.
»Liebe, Süsse, Zarteste – – –« sagte Herr Peter und drückte sie sanft an sich.
»Hast Du schon dem Grosspapa gedankt?!« fragte die Dame gereizt, »gewiss nicht!?«
»Ja, ich habe – – –. Nein, ich habe noch nicht.«
Herr Peter küsste ihre seidenen Haare. Er fühlte: »Wem braucht sie zu danken?! Wir müssen ihre Händchen mit Küssen bedecken, weil sie uns giebt und giebt und giebt. Ganz krebsrot ist der alte Herr vor Geschenken und ich selbst bin warm in meinem Herzen.«
Der alte Herr fühlte: »Sich bedanken?! Oh Gott.«
»Gehe hin, bedanke Dich« sagte die Dame, welche vom Feinde ihres Lebens besessen war wie vom Teufel und zu keiner Raison kommen konnte. »Eine Jugendliebe« nennen es die Unbeteiligten, »Etwas von damals«. Aber den Beteiligten frisst [125] es sich hinein wie ein Borkenkäfer, gräbt Gänge in das Mark, unterminirt, bringt innerlich zu Falle. Frei ist man keinesfalls. Bedrängt von sich selbst.
»Bedanke Dich, nun, wird es?!«
Diese Worte « bedanke Dich, bedanke Dich, bedanke Dich – – –« waren wie Schüsse in den Frieden. Hole der Teufel das »bedanke Dich«. Wie ein Gespenst stellt es sich auf. Gar keinen Inhalt hat es. Knöchern. Immer diese Lüge »bedanke Dich«. Alle bringt es in Verlegenheit.
»Kusch!« sagte Herr Peter innerlich, »so halte doch dein Maul!«
Zu Rosita sagte er: »Sage es Ihm ins Ohr, ganz leise.«
»Grosspapa, ich muss Dir Etwas ins Ohr sagen.«
Der alte Herr hörte nur: »bs bs bs bs bs – – –.«
Er war ganz verlegen. Ausserdem kitzelte es ihn. Von Dankesworten keine Spur.
Die Mama sagte: »Das ist eine Raffinirte. Ich weiss nicht, wie es werden wird. Immer nehmen und nehmen und nehmen. Wer wird es sich gefallen lassen?!«
»Die alten Herren und die Dichter!« erwiderte Herr Peter und drückte das geliebte Geschöpfchen sanft an sich. Dann sagte er hart und aggressiv: »Die Reichen überhaupt! Die, die nicht mehr betteln am Wege des Lebens, die Vollen, Die, die Wärme aufgespeichert haben und ausstrahlen können wie die Sonne, die Unabhängigen der Seele, die, die nicht [126] mehr greinen um Liebe wie kleine Kinder um Milch und Ruhe, die Grossen und Reichen, welche in der Lage sind, auf das armselige Nehmen verzichten zu können, die Könige, jawol, die Könige, welche vom Geben leben! Siehe, krebsrot sind wir vor Liebe!!«
Die junge Frau dachte: »Alt oder verrückt muss man sein. Wir aber sind zu jung geblieben. Was können wir dafür?! Säfte saugen wir noch ein wie ein Sommerbäumchen. Die Natur berauben wir, um zu sein. Und übrigens, die Erde hat auch noch einen heissen Kern und die Rauchfänge des selben verschütten manchmal blühende Ortschaften. Nicht?! Feind meines Lebens, Brand meiner Seele, Edgar, Geliebter, in Jugend hältst Du mich, lässt mich nicht altern!«
Alle sassen schweigend.
»Rosie, sei nicht ungezogen. Du wirst Herrn Peter zu schwer werden. Überhaupt gehe schlafen. Ich glaube, es war ein schöner Tag für Dich.«
»Wo warst Du heute?!« fragte Herr Peter.
»Ich war in einem Theater!«
»Wo warst Du?!« sagte er, denn er wollte es hunderttausendmal hören.
»In einem Theater war ich!«
»Gute Nacht, mein süsses Leben,« sagte der Krebsrote mit den weissen Haaren und war ganz weg.
Rosie zog sich bei offenen Thüren aus, stand splitternackt, zog das Nachthemd an, legte sich in ihr Bettchen, schlief gleich ein. Alle sassen [127] schweigend. Die Arme der jungen Frau hingen herab wie welk.
Peter A. fühlte: »Leben, ich verneige mich vor Dir! Zwei Augen, zwei Ohren besitze ich, ich Kaiser!«
Der alte Herr sass krebsrot da. Er sagte: »Nein, wer heute dieses Kind nicht gesehen hat – – –!?«
Die Dame fühlte: »Feindseliger meines Lebens, Edgar! Mit Dir hätte ich Rosita zeugen sollen! Mit Dir, verstehst Du mich?! Gerade mit Dir!«
Sie sagte: »Was würde aus Rosita bei Euch Beiden werden?! Gut, dass wir bald abreisen. Diese Veränderungen. Von einer Hand in die andere. Für Kinder ist es nichts. Sie débauchiren.«
Die beiden Herren waren verlegen wie Schulknaben.
Herr Peter blickte die junge Frau an: »Friedelose! Woran gehst Du vorüber?! Immer strenge und gemessen. Nie eine Kapriole.« Dann nahm er den kleinen silbernen Löffel, welcher die Ehre gehabt hatte, sich in Rosie's Munde befunden zu haben und drückte ihn an seine Lippen.
Der Grossvater wurde ganz verlegen. Jeder versteht nur seine eigene Poesie. Die junge Frau lächelte glücklich: »Wirklich, ein Narr sind Sie. Wie Sie möchte ich sein, Herr Peter, ein freie Seele im Raume!«
Rosie träumte im Nebenzimmer: »Ohohoho! In einem Theater war ich!«
[128] Die alte Kinderfrau dachte: »Unruhig schläft sie. Lauter unnötige Dinge. Die schleppen sie ins Theater, um eine Hetz zu haben. Kinder brauchen Ordnung. Unsere Frau ist gescheit, nicht so verrückt. Wer hat die Plage davon?! Ich.«
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