Tristan und Isolde

Das Speisezimmer ist gut erleuchtet, warm. Es wartet gleichsam feierlich auf seine Hausleute, welche im Theater sind.

Sie kommen, legen die Operngucker an sichere Plätze, die sorties de.

»Wo bleibst Du denn, Mama?!« sagt der Vater, welcher ganz verjüngt aussieht in Folge seiner eleganten schwarzen Kleidung und des Brillantine- Glanzes über dem Schnurrbarte.

»Wo, no wo?! In der Küche. Fürchtest Du schon wieder, dass ich Hedwig – –?! Nein, deiner Hedwig geschieht nichts.«

»Geh' lasse doch diese Sachen und setze Dich. Was hast Du davon?! Ich bin an das Mädchen gewöhnt.«

»Ja, ja, es ist ja nichts. Aber ganz über den Kopf wachsen lassen kann ich sie mir ja doch nicht.«

»Geh' rege Dich nicht auf – – –.«

Fräulein Glarys sitzt da, in einem weissen Sürah-Kleide, bewegt von »Tristan und Isolde«.

Die Mutter; »Ich rege mich gar nicht auf. Aber man könnte um Mitternacht erst kommen! Was machen die Damen?! Ihre eigenen Arbeiten. Zahlt man deshalb?! Nun also.«

[140] »Aber wenn sie fertig sind?!«

»Fertig, fertig. Man ist nie fertig. Wenn man will, ist man immer fertig. Bin ich je fertig?! Die sind immer mit Allem fertig. Dieses Wort ›fertig‹ ist überhaupt ein Unglück. Wie ein zweites Gewissen.«

Der Sohn blickt seine Mutter an – – –.

Der Vater erröthet, senkt den Kopf, sieht gar nicht mehr elegant aus.

Die Mutter blickt den Sohn an: »Monsieur?!«

Der Sohn blickt die Mutter ruhig an – –.

Die Mutter leise: »Narr – – –.«

Glarys sitzt da, in einem weissen Sürah-Kleide.

Der Vater, verlegen: »Dieser Winkelmann – – dieser Winkelmann. Nein wirklich. Dieses Spiel im letzten Akte!?«

Die Mutter: »Hedwig, die Salzfässer stehen schon wieder dort. Gehören sie dorthin?! Da ist man freilich mit Allem bald fertig. Sie, hören Sie?! Mit Ihnen spreche ich.«

Der Vater versucht die Salzfässer umzustellen.

Die Mutter nimmt sie ihm aus der Hand, stellt dieselben an die richtige Stelle.

Schweigen – – –.

Man soupirt.

Die Mutter: »Du wolltest doch etwas über den Winkelmann sagen, Papa?!«

»Ich?! Nein.«

Die Mutter: »Dieser Tristan! Diese Isolde. Ganz herausgerissen wird man aus dem Alltäglichen – – –. Ich wenigstens.«

[141] Der Sohn blickt die Mutter ruhig an.

Glarys sitzt da in ihrem weissen Sührah-Kleide –.

Die Mutter: »Das ist Liebe! Was, Glarys?! Bis in den Tod. Papa, wie ein Vogerl nimmst Du Dir wieder heraus. Fürchtest Du Dich vor diesem Hasenrücken?! Nun also?! Courage!

Das ist der wirkliche Liebestod! So eine Liebe! Ob Die wirklich existirt haben?!«

Schweigen – – –.

Die Mutter: »Wo anders, wenn man aus dem Theater kommt, sind Alle angeregt, animirt, herausgerissen, führen Gespräche, bei welchen man profitiren kann. Bei Uns ist Alles todt. Wozu geht man dann?! Wie wenn man seine Kinder damit bestraft hätte! Bei Anderen bist Du geistreich, Albert. Da würdest Du schwärmen. Natürlich, bei den Eltern steht es nicht dafür. Sprich wenigstens mit Glarys darüber. Ganz angefüllt ist sie.«

Der Vater erröthet, denkt: »Wozu bavardiren?! Man war in der Oper. Genug.«

Der Sohn: »Liebe Hedwig, geben Sie mir Salat.«

(Als Hedwig sich entfernt hat)

Die Mutter: »Du, das verbitte ich mir, der Hedwig ›liebe‹ zu sagen. Ich habe es Dir schon einmal gesagt. Ich glaube, aus Rücksicht für Papa – – –.«

Der Vater blickt in seinen Teller.

[142] Die Mutter: »Deine demokratischen Ansichten solltest Du im Leben draussen bethätigen. Sprich! Halte Vorträge! Mache Dich bekannt! Hier bei uns ist es keine Kunst. Das trifft ein Jeder. Nicht, Papa?!«

Der Sohn blickt die Mutter ruhig an – –.

»Und überhaupt – – ich dulde es nicht! Das Haus demoralisiren. Davon kommt es. »Der Herr ist so gut« sagen sie dann, »und der junge Herr Albert und das Fräulein Glaris«. Natürlich, ich aber bin schuld an Allem. Warum?! Weil ich meine Sachen verlange?! Albert denkt sich jetzt wieder etwas Philosophisches über mich. Aber das Leben ist doch so! Man sagt nicht »liebe«.

Glarys sitzt da, in ihrem weissen Sürah-Kleide – – –.

Die Mutter: »Für junge Mädchen ist dieses Stück eigentlich nicht. Nun freilich, die Musik entschädigt. Übrigens stirbt sie zuletzt. Warum stirbt Isolde eigentlich, Albert?!«

»Was weiss ich?! Kümmere ich mich um diese Nebengestalten?!«

Glarys blickt den Bruder an – – –.

Der Vater denkt; »Was wird herauskommen, oh Gott?! Nebengestalten?! Gewiss Unannehmlichkeiten, Missverständnisse.«

Er sagt: »Das Brod ist heute ausgezeichnet. So sollte es täglich sein. Gestern zum Beispiel – – –.«

Die Mutter: »Wieso Nebengestalten?! Was [143] meinst Du?! Immer eine verkehrte Welt. Nun also?! Belehre uns.«

Albert: »Nebengestalten, natürlich Nebengestalten. Sind diese zwei, die in ihrem thierischen Fanatismus Eins werden wollen à tout prix, vielleicht interessant?!«

Der Vater, auf Glarys deutend: »La petite, bitte – – –.«

Die Mutter: »Nein, Papa, das geht nicht. Wir sind gebildete Menschen. Gebildete Menschen sind immer erwachsen. Da dürfte man kein Wort sprechen. Einmal devant les gens, dann wieder vor Glarys!? Zuerst lässt Du sie lernen und dann möchtest Du aus ihr ein Dalkerl machen. Sei froh, dass man über Etwas spricht ausserhalb des Lebens. Was denn?! Vom Wetter?! Von den Sorgen?!«

Der Sohn: »Wozu geht Ihr in's Theater? Saget mir. Das, was Ihr schon wusstet, bevor Ihr wegginget, bringt Ihr wieder complet nach Hause zurück. Die Kunst ist da, um zu vermehren, chemisch zu verändern. Wozu brauchte man dieselbe sonst?! Gehe in ein Ringelspiel, spiele Domino, Schach, wette auf Pferde, hänge dich auf!«

Der Vater: »No, no, no, no, bitte sehr! Du bist in keinem Cabaret. Lassen wir diese Sachen. Überhaupt, es ist zu spät. Ich wünsche Ruhe. Glarys ist auch müde. Wozu führt es?!«

»Ich bin nicht müde, Papa. Aber gehen wir dennoch schlafen.«

[144] Die Mutter zum Sohne: »Nun, Albert?! Hedwig, abräumen! Nun, Albert?!«

Der Vater zur Mutter; »Eine ungeheure Jugend hast Du in Dir, Mama. Zuerst zankst Du mit den Dienstleuten, dann philosophirst Du über Tristan.«

»Warum nicht?! Lasse ich mich drücken?!«

»Mich drückt Alles« dachte der Vater und blickte auf Hedwig, das Juwel des Hauses, eine Willenlose, Stumme, Dienende in Güte!

Glarys: »Albert, wie meinst Du es denn?!«

»Wie?! Nun wie?! Helden sind Menschen, die besiegen! Sich selbst natürlich!! Wen denn sonst?! Alles Andere ist nichts Heldenmässiges, Mit sich fertig werden! Sein eigenes Barbarenthum besiegen, die einbrechenden Horden seiner selbst, die Hunnen seiner Leidenschaftlichkeiten! Das sind Helden!«

Die Mutter: »Das verstehen wir nicht. Madame B. würdest Du es plausibler machen. Uns willst Du nur erregen, blamiren.«

Der Sohn: »Helden sind Kurwenal, der todestreue Knappe Tristan' s, Brangäne, die todestraurige Freundin von Isolde, und der arme Hirte, der Flöte bläst zu Tristan's Leiden. Mit sich haben sie nichts mehr zu thun. Wie Greise. Und dennoch jung und stark in Liebe! Wunschlos tragen sie nur mehr das Leid der Anderen, schützen sie und sterben für Dieselben. Christliche Seelen haben sie! Kurwenal, Brangänen und dem armen Hirten sind bereits Himmelsflügel [145] gewachsen auf der Welt! So breiten sie dieselben aus und schweben schützend über diesen zwei Leidenschaftlichen, den armen Säuglingen des Lebens, welche nach Glück greinen und Erfüllung. Am Boden ihrer Wünsche kriechen Diese wie Reptilien der Seele! Wozu Solche in Musik setzen?! Auf der Orgel könnte man sie nicht spielen!«

Glarys hat ihren Kopf gesenkt.

Die Mutter: »Das verstehen wir nicht. Nicht, Glarys?! Aber oratorisches Talent hat Albert. So gut könntest Du deinen Weg machen, wenn Du nur wolltest! Jede Zeitung nimmt es Dir auf. Es ist ein Zug darin.«

Der Vater: »Gute Nacht. Ich bin müde. Dieser Wagner erschöpft, drückt zusammen. Du Albert, Glarys wird wieder unruhig schlafen; solche Gespräche – – –?!«

Die Mutter; »Hedwig, gehen Sie mit dem Herren, zünden Sie die Kerzen an, schauen Sie, das Alles in Ordnung ist. Die Köchin soll rechnen kommen. Also wie meinst Du es eigentlich, Albert?! Glarys, Dich natürlich interessirt es schon nicht mehr?!«

Albert: »Ich meine, dass Alles verdreht ist bis heute. Der arme Hirte, der ein Lied auf der Flöte bläst und Frieden bringt mit seinen armen Tönen, ist allein der Held!! Nichts besitzt er und giebt dennoch den Anderen. Wie mit einer ungeheuren himmlischen Freundschaft umgeben seine Töne den in Sehnsucht verkommenden armen Narren [146] Tristan. Wie Gott lieben können und Gottes Sohn! Das ist das Heldenhafte! Wunschlose Liebe! Wie die Sonne die Erde liebt, indem sie giebt und giebt und giebt, bis sie alle ihre goldenen Strahlen und ihre süsse Wärme abgegeben hat in Liebe und selber stirbt vor Kälte und Dunkelheiten! Und bis dahin lacht sie ewig milde herab auf Die, die ihr ihr Leben stiehlt, die Erde! Aber eine Sonne ist es, eine Welt voll Reichthümern! Eine Sonne!!«

Die Mutter: »Warum Du nicht in Zeitungen schreibst?!«

Glarys, erröthend: »Mama – –!?«

Die Mutter: »No ja. Was denn?! Bei uns ist kein Feld. Köchin, rechnen! Morgen bringen Sie wieder dieses Brod. Dem Herrn hat es geschmeckt.«

Glarys: »Gute Nacht, Mama.«

Der Bruder: »Glarys – – – wie schön Du heute warst im Theater! Aber jetzt bist Du blass, schlecht aufgelegt. Sind es meine Bemerkungen?!«

»Oh nein. Warum?! Aber bei uns ist so Vieles. Hin und her. Deine Gedanken sind ja gewiss wunderschön. Man fühlt nur, dass man nicht so ist, wie Du es forderst. Und eigentlich möchte man es nie sein. Wer wünschte sich das Ende vor dem Anfange?!

Wie ein Angriff gegen die dumme Jugend in uns ist es – – – –.«

»Nein, Glarys. Warum gegen die Jugend?!«

[147] »Ich weiss es nicht. So etwas Abgeklärtes, Überirdisches, in einem anderen Stadium vielleicht – – –.«

Schweigen.

Der Bruder; »Winkelmann ist auch bereits ein Gott-Ähnlicher!«

Glarys, erröthend, glücklich lächelnd: »Gute Nacht, Albert. Wie gut Du bist. Meine Sprache sprichst Du!«

Der Bruder: Träume von Ihm, Glarys – –!«

Glarys geht. Sie sagt: »Hedwig muss mich aber begleiten und mir meine Strümpfe ausziehen, damit ich ruhig schlafe.«

Die Mutter zu dem Sohne: »Mir scheint, Du bist in die Hedwig ganz verliebt. Und da predigt er uns die Hirten – Flöte!«

»Welchen Zusammenhang hat es?!«

»Schon gut Mir erzählst Du nichts. Halte Du mich nur für dumm – – –!«

Albert: »So seid Ihr! Immer das Brod des Tages!«

»Jawohl. Oratorisch bist Du. Grosse Worte, Ideale. Was kommt heraus dabei?!«

Albert: »Eine Sache denken, heisst, den Keim legen zu ihrer Entwicklung. Später könnte sie freilich ausreifen. Aber wenn man keinen Keim legt?! Was sollte ausreifen?! Denken heisst, ein Säemann sein seiner selbst! Wann kommt die Ernte?! Wer weiss es?!«

[148] Niemand ist mehr im Speisezimmer als Hedwig und Albert.

Hedwig: »Das von den Helden war wunderbar – – –.«

»Sie sind die Heldin unseres Hauses, Hedwig. Deshalb verstehen Sie es. Für Alle bedeuten Sie ein Ausruhen, einen Frieden. Weil Sie selbst nichts wünschen. Wenigstens in unserem Hause nicht.«

Sie räumt den Tisch langsam ab – –.

»Hedwig – – –.«

»Herr Albert – – –.«

»Glauben Sie an das, was ich entwickelt habe?!«

»Ja. Man muss daran glauben! Warum?!«

»So – – –.«

Sie räumt den Tisch ab. Ganz langsam räumt sie ihn ab – – –.

Er geht zu ihr, nimmt ihre Hand, streichelt sanft ihre Haare.

»Hedwig – –.«

»Herr Albert – – – oh, Herr Albert – – Albert!?«

»Isolde – – –!«

[149]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Tristan und Isolde. Tristan und Isolde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DBE2-7