15. Über das Hohe-Lied Cap. 1. v. 8.
Wann du es nicht weist, du schönste unter den weibern, so gehe aus auff die fußstapffen dieser heerde.

Nach der Arie: Spiegel aller tugend.

1.
Auge deiner glieder,
Stärcke deiner brüder,
Licht der dunckeln kertzen,
Spiegel reiner tugend,
Muster unsrer jugend,
Leben unsrer hertzen:
2.
Du ruffst unsre sinnen,
Augen zu gewinnen,
Besser uns zu kennen,
Was in uns geleget
Tieff ist eingepräget
Und doch nicht zu nennen.
[318] 3.
Ist nicht selbst dein wesen,
Jesus, uns erlesen,
Durch des Vaters güte,
Gantz in uns zu bleiben,
Und, zu Gott zu treiben,
Unser träg gemüthe?
4.
Wilstu in den deinen,
Die dich eintzig meinen
Nicht seyn außgebohren,
Fleisch von dir zu werden?
Weil doch sonst auff erden
Alles wär verlohren.
5.
Soll dein hoher name,
Als des senffkorns same,
Nicht in uns sich sencken,
Wurtzeln und außbreiten,
Hertz und sinn bereiten,
Sonst an nichts zu dencken?
6.
Sind die kostbarkeiten
Nicht so grosse beuten,
Daß man gut und habe
Und sein eigen leben
Vor die perle geben
Möcht umb diese gabe?
7.
Macht der schatz wol sorgen,
Der so tieff verborgen,
Daß ihn niemand kennet,
Als die, so bekamen,
Diesen neuen namen,
Welchen Gott nur nennet?
[319] 8.
Drum gib mir zu sehen,
Herr, was mir geschehen:
Was in mich geleget,
Was dein liebes-siegel
In des hertzens-spiegel
Wesendlich gepräget.
9.
Dieses bild bleib stehen
Vor mir, stets zu sehen,
Was ich in dir habe,
Und wie mir nichts fehle,
Wenn ich dich erwehle,
O brunn aller gabe!
10.
Wachse fort, und stärcke
In mir deine wercke
Durch der liebe kräffte,
Nichts ohn dich zu lieben,
Nur in dir zu üben
Geistliche geschäffte.
11.
Laß mich nicht umbgaffen
Nach entfernten waffen:
Witz und stärck zum siege
Außer dir zu finden.
Alles laß verschwinden,
Daß ich dich nur kriege.
12.
So lerne ich mich kennen,
Dich mein Alles nennen,
Weil du in mir bleibest
Und dein lust-spiel weiter,
Wenn der himmel heiter,
Immer in mir treibest.
[320] 13.
Nun kommt aus dem bronnen
Alles guts geronnen:
Der wird in mir geben
Weißheit, krafft, vermögen,
Herrlichkeit und segen,
Ja das ew'ge leben!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Arnold, Gottfried. Gedichte. Dichtungen und spekulativ-mystische Schrift. Aus: Poetische Lob- und Liebessprüche. 15. Über das Hohe-Lied Cap. 1. v. 8.. 15. Über das Hohe-Lied Cap. 1. v. 8.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-FD25-5