149.
Das Seufftzen der Gefangenen.

Nach der Melodey: Jesu meines Hertzens Freude/meine Sonne/ etc.


1.

O Durchbrecher aller Bande/ Der du immer bey uns bist/ Bey dem Schaden/ Spott und Schande Lauter Lust und Himmel ist: Übe ferner dein Gerichte Wider unsers Adams Sinn/ Biß uns dein so treu Gesichte führet aus dem Kercker hin.


2.

Ists doch deines Vatters Wille/ Daß du endest dieses Werck; Hierzu wohnt in dir die Fülle Aller Weißheit/Lieb und Stärck/ Daß du nichts von dem verliehrest/Was Er dir geschencket hat/ Und es von dem Treiben führest Zu der süssen Ruhe-Stadt.


3.

Ach! so must du uns vollenden/ Willst und kanst ja anderst nicht: Dann wir sind in deinen Händen/ Dein Hertz ist auff uns gericht: Ob wir wohl von allen Leuten/ Als gefangen sind geacht/ Weil des Creutzes Niedrigkeiten Uns veracht und schnöd gemacht.


4.

Schau doch aber unsre Ketten/ Da wir mit der Creatur Seufftzen/ ringen/ schreyen/ betten Umb Erlösung von Natur/ Von dem Dienst der Eitelkeiten/ Der uns noch so harte drückt/ Ungeacht der Geist in Zeiten Sich auff etwas bessers schickt.


5.

Ach! erheb die matte Kräfften/ Sich einmahl zu reissen loß/ Und durch alle Welt-Geschäfften durchgebrochen stehen bloß. Weg mit Menschen-Furcht und Zagen/ Weich Vernunffts-Bedencklichkeit! Fort mit Scheu vor Schmach und Plagen/ Weg des Fleisches Zärtlichkeit!


6.

Herr/ zermalme/ brich und reisse die verboßte Macht entzwey/ dencke/ daß ein armer Waise dir im Tod nichts nütze sey. Heb ihn aus dem Staub der Sünden/Wirff die Schlangen-Brut hinauß/ Laß uns wahre Freyheit finden In des Vatters Hochzeit-Hauß.


[289] 7.

Wir verlangen keine Ruhe Vor das Fleisch in Ewigkeit. Wie du's nöthig findst/ so thue noch vor unser Abschieds-Zeit: Aber unser Geist der bindet dich im Glauben/ Läst dich nicht/ Biß er die Erlösung findet/da ihm Zeit und Krafft gebricht.


8.

Herrscher herrsche/ Sieger siege/ König brauch dein Regiment/ Führe deines Reiches Kriege/ Mach der Sclaverey ein End! Laß doch auß der Grub die Seelen durch des neuen Bundes Blut: Laß uns länger nicht so quälen/ denn du meynsts mit uns ja gut.


9.

Haben wir uns selbst gefangen In Lust und Gefälligkeit/ Ach! so laß uns nicht stäts hangen In dem Tod der Eitelkeit! Dann die Last treibt uns zu ruffen/ Alle schreyen wir dich an/ Zeig doch nur die ersten Stuffen/ der gebrochnen Freyheits-Bahn.


10.

Ach! wie theur sind wir erworben/ Nicht der Menschen Knecht zu seyn: Drum/ so wahr du bist gestorben/ Must du uns auch machen rein/ Rein und frey und gantz vollkommen/ Nach dem besten Bild gebildt. Der hat Gnad umb Gnad genommen/ Wer auß deiner Hüll sich füllt.


11.

Liebe zeuch uns in dein Sterben/ Laß uns mit gecreutzigt seyn/ Was dein Reich nicht kan ererben/ Führ ins Paradiß uns ein! Doch wohlan! Du wirst nicht säumen/ Wo wir nur nicht lässig seyn/ Werden wir doch als wie träumen/ Wann die Freyheit bricht herein.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnold, Gottfried. Gedichte. Dichtungen und spekulativ-mystische Schrift. Aus: Göttliche Liebesfunken, Erster Teil. 149. Das Seufftzen der Gefangenen. 149. Das Seufftzen der Gefangenen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-FD30-B