Poliphil und Polia
Polia ließ ihre langen blonden Haare in heller Frühlingssonne zum Fenster hinaus hängen, sie zu kämmen und zu strählen, wie die Gewohnheit der Jungfrauen in Treviso, als Poliphil, der Baumeister, ihren Palast zu beschauen, die Straße ruhig herunterschritt, aber von diesem prachtvollen Anblicke wie versteinert ergriffen und festgehalten wurde. Diese Schöne war in dem ersten Leichtsinne des jungfräulichen Blutes, achtete seiner nicht, bis er ihr durch stündliches Vorbeigehen auffiel und lästig wurde, weswegen sie ihm gewöhnlich den Rücken zukehrte und ihm leider auch den schönen Nacken zeigte. Die Pest störte diesen einzigen Genuß seiner Sehnsucht, Polia flüchtete eilig auf das Landhaus einer Freundin, er konnte nicht erfahren, wohin sie enteilt, und suchte sie, allen Gefahren trotzend, im ganzen Lande auf. Sie war inzwischen der Krankheit nicht so leicht entflohen wie der Liebe, sie schwebte in der höchsten Gefahr, als sie der Diana immerwährende Keuschheit gelobte, wenn sie ihr Leben retten wollte. Sie besserte sich von der Stunde an und war kaum hergestellt, als sie schon in den nahliegenden Tempel der Diana sich als Dienerin hingeben wollte. Die Nachforschungen nach Polia hatten Poliphil weit umhergeführt. Die Baukunst brachte ihn in diesen Tempel, von Sehnsucht ermüdet, ruhte er gegen einen Pfeiler, als Polia in einfachem Goldschmucke zu der Feierlichkeit ihrer Einführung eintrat. Gleich erkannte er sie, die schönen Haare waren aufgeflochten, seine Blicke ruhten darauf. Sie sah ihn mit Schauder so blaß und entstellt, sie glaubte einen Haß gegen ihn zu fühlen. Seine Trostlosigkeit überstieg alles Maß, sie vergaß ihn während der Feierlichkeit, und blieb nach deren Ende vor dem Altare, der Zeremonie gemäß, allein liegen. Als sie aufstehen wollte, trat ihr Poliphil zitternd entgegen; sie wies ihn hart von sich, aber er ließ sich nicht zurückweisen; sie mußte seine jammervollen Worte hören, wie er ruhelos umhergewandert, sie zu suchen, und nun fände er sie im Dienste einer [364] feindlichen Göttin. Bei diesen Worten stürzte er plötzlich, als wäre er von den Pfeilen Dianens getroffen, aber eigentlich von Gram erschöpft, zu ihren Füßen nieder. Sie war von der heiligen Handlung noch ganz durchdrungen, sie verachtete diese Leiden, kein Strahl des Mitleids kam aus ihrem Herzen, nur des Tempeldienstes wegen zog sie den toten Körper in eine dunkle Ecke, doch da ergriff sie ein Schauder, als wenn sie etwas Entsetzliches vollbracht, sie eilte ohne Besinnung nach Hause. Auf dem Wege ergriff sie eine Staubwolke, die ein Wirbelwind herbeigeführt hatte, und trug sie in einen dichten Busch, nahe einer Landstraße. Da sah sie Wunderdinge. Erst zogen zwei nackte Frauen mit aufgelösten Haaren einen feurigen Wagen, ein kleiner Knabe mit Flügeln stand darin und trieb sie mit einer glühenden Rute. Von der andern Seite kamen mit aufgesperrten Rachen Löwen und Tiger, Geier und Raben herbei, die einer Beute zu lauern schienen. Als der Knabe sie erblickte, spannte er die jammernden Weiber aus, zerhieb sie mit seinem Degen; sie sah noch, wie die wilden Tiere die Glieder zerrissen und zerbrachen, und aufzehrten, daß nichts übrig blieb, als die Herzen, die zu hart den Löwen und Tigern als Feldsteine am Wege liegen blieben. Das Entsetzen vor diesem Anblicke benahm ihr die Sinne, sie fand sich erst in den Armen ihrer Amme wieder, die sie ohnmächtig vor dem Hause angetroffen und in ihr Bette gelegt hatte. Sie wollte keine der Erscheinungen ihr vertrauen, aber sie wagte nicht, aus Furcht vor neuen Schrecknissen, allein zu bleiben; als die Sonne sich weggewendet hatte, mußte die Amme in ihrem Bette schlafen. Im ersten Schlafe, der sich dumpf auf die Ermüdete hinwälzte, erschienen ihr alle jene Tiere des Waldes, die sie mit schrecklicher Bedrohung nötigten, jene harten Herzen aufzuessen, die den Löwen zu hart gewesen; aber beim ersten Einbeißen brachen ihr alle schönen weißen Zähne im Munde, sie schüttelte sie hinaus und wachte in Klagen darüber auf. Die besorgte Amme konnte es ihr kaum mit tausend Beteurungen ganz bewähren, daß ihre Zähne noch herrlich wie Elfenbein beim Lampenscheine glänzten. Jetzt gestand Polia, ganz erschöpft von Angst, die Stirne naß von kaltem Schweiß, ihr Herz klopfend, daß sie Venus durch Kaltsinn schwer beleidigt habe. Die Amme, welche durch ihr Alter wohlerfahren war, suchte ihre Reue durch manche Beispiele noch zu befestigen, und ihre Einfalt zu belehren. Sie erzählte ihr von einem [365] vornehmen Mädchen, deren Sprödigkeit die Stadt verödet hatte, denn alle Jünglinge flüchteten lieber in die Einsiedeleien des Waldes zu den reißenden Tieren, als in der Stadt bei so kalter und stolzer Schönheit zu verweilen. So überschritt sie ihr achtundzwanzigstes Jahr, aber da rächte sich der beleidigte Gott, und schoß ihr einen brennenden Pfeil durch den Magen, daß sie jeden, der um sie noch anhalten würde, zu nehmen beschloß. Aber der beleidigte Gott führte ihr einen Mann, fett wie ein Dachs, kalt wie eine Schnecke, in die Arme, der schlief wie ein Murmeltier, und schnarchte wie ein Jagdhund, daß sie in Trübsinn ihr Leben gewaltsam endete. Darauf riet sie ihr alle Sünden der Priorin im Venustempel zu beichten, ob sie wohl noch Gnade gewinnen möchte, worüber Polia ruhig einschlief. Inzwischen war die Seele des Poliphil, so abgehärmt wie sie war, aus dem erstarrten Körper vor den Richterstuhl der Venus getreten, ihr zu klagen, wie er sein Leben ohne Gewährung in ihrem Dienste verschwendet. Sie rief zornig ihren Sohn, der aber herzlich lachte und sich verwettete, daß sie ihn mit Ruten streichen sollte, wenn er jene widerspenstige Seele nicht ihrem Gebote unterwürfig machen könnte. Darauf enteilte er und brachte die Seele der schlafenden Polia vor den Thron. Venus selbst verwunderte sich über die Schönheit dieser Seele, die Poliphil der göttlichen der Göttin selbst gleich stellte, ja davon in keiner Art der Vollendung unterscheiden konnte, die Härte des Herzens ausgenommen, die aber der kleine Gott durch einen starken Schuß mit dem härtesten Pfeile zur Entzündung und Verteilung brachte. Nachdem er dies getan, führte er ihre Seele in den schlafenden Körper zurück. Polia erwachte und fühlte eine unwiderstehliche jammervolle Sehnsucht, nach dem Leichnam des armen Poliphil zu sehen, ob keine Spur des Lebens mehr darin. Als sie sich in die Kirche geschlichen, fand sie ihn noch an derselben Stelle, kalt wie Marmor, den selbst ihre warme Hand nicht zu erwärmen vermochte. Sie löste sein Kleid und fühlte nach seinem Herzen, ihre Liebe nahm immer zu, ihre Tränen flössen immer stärker; da fühlte sie noch ein leises Regen in der Herzgrube. Die schmerzliche Freude übernahm sie, mit mancher Ausrufung von Leid und Hoffnung strich sie ihm Leib und Rücken, da führte der kleine Gott seine trostlose Seele in den erwärmten Körper zurück, daß er in ihren Armen erwache. O der überschwenglichen Seligkeit! aber zu laut waren [366] die Ausrufungen ihrer Freude, die Priesterinnen der Diana kamen herbei, und die gestern noch ihre besten Freundinnen, schlugen jetzt auf sie um so heftiger, nachdem sie in den Armen eines Mannes gefunden; ohne Erbarmen wurden beide zum Tempel hinausgestoßen. Diana eilte vor ihnen über, den Wagen mit weißen Hirschen bespannt, sie sah hart und grausam auf die Liebenden hin, die Venus in ihrem goldnen Wagen von Tauben nach ihrem Tempel ziehen ließ, der köstlich mit Blumen ausgestreut war, auf deren Blätter schöne Liebesbriefe und Liebesgeschichten geschrieben standen.
– Bei diesen Worten setzte die Frau ein Hütlein, das sie während der Erzählung aus Rosen geflochten auf das Haupt des Winters, der wie Anakreon in mancherlei Mutwillen zu schwelgen begann.
»Ach daß ich diesen Frühling sterben muß und Sie nicht mehr hören kann«, fuhr der Alte auf, »einmal müssen Sie Blumen auf mein Grab streuen.« – »Wäre es nicht besser«, antwortete sie nachdenklich, »wenn ich Ihnen längeres Leben gebe, von dem meinen etwas abgebe, was mir zu lang wird, wie Aurora ihrem Vater.« – Er sah sie verlegen an. – Sie führte ihn vor das große Bild, vor dem die Blumen sich schon geschlossen hatten. »Lieber Winter«, sagte sie, »seit ich durch jenen Frühling unglücklich bin, ist es mein einziger Wunsch gewesen, irgend wen durch meine Hand ganz zu beglücken; Sie allein glaube ich dazu fähig, alle Ihre Gedanken haben sich zu mir gewendet, ich meine, Sie haben keinen andern Wunsch als mich; ich übergebe Ihnen mit Überzeugung diesen Ring, der mich lange als eine unglückliche Erinnerung gedrückt hat; Sie sehen, ich bin magerer unter ihm geworden, er fällt so leicht vom Finger, sei er ein Zeichen unsrer Verlobung.« – Wie soll ich das Staunen aller, die Seligkeit des alten Mannes beschreiben, er sank auf seine Kniee, ohne es zu wollen, er sprach, ohne es zu wissen, und ich fühlte es ganz, daß dieser Entschluß unsrer Frau nicht aus Ärger, nicht aus Überdruß oder Sonderbarkeit, sondern aus reiner wohlwollender Überzeugung hervorgegangen sei. – Sie wurde zuerst von uns allen gewahr, wie starr und bleich mit weit geöffneten Augen der Invalide hinter mir stand; er atmete, aber er schien nicht zu leben. Sie wandte sich mit tiefer Rührung [367] hin zu ihm: »Ich konnte Ihnen nicht so viel geben, als Sie verdienen, so mocht ich Ihnen nicht die Freiheit des Lebens und der Hoffnung rauben; um meinetwillen leben Sie, doch nicht für mich.« – Er rief zerstreut: »Wem soll ich dienen, dien ich Ihnen nicht; wer läuft auf einem Beine der raschen Ehre nach?« – Sie drückte seine Hand und sagte: »So dienen Sie mir frei und ohne Lohn, wie Sie bisher getan.« – »Nicht so«, erwidert er, »die Hoffnung lohnte menschlich mir, der Schein ist mir versunken, ich finde nicht den Weg zu diesem Hause, so bau ich mir in jenen Sternenräumen den neuen größern Tempel auf; was unerreichlich, ist sich alles gleich! Wer in der Liebe lebt, der lebt in Gott, wer ungeliebt hier lebt, den holt der Teufel.« – »Und doch kann ich nicht anders«, sagte sie, »und was geschehn, ist nicht zu ändern, und wär's noch nicht geschehn, ich müßt es tun.« – »Es könnt nicht milder kommen, doch es schmerzt; ach vor dem Kriege, wenn wir hier einsam saßen, ach haben Sie mich damals nie verstanden?« – »Nein«, sagte sie, »Sie waren damals von tausend andern Plänen noch besessen; ich glaubte mich von Ihnen übersehen.« – Er wollte fort. – »Ich seh Sie wieder, einziger Freund?« – Er nickte und ging zur Türe hinaus; ich lief ihm nach. Wahrlich der Mann ist so gut, daß ich mich tief ärgerte über den Krieg, der zwei für einander Bestimmte, sie und ihn, so hart von einander gerissen. Wir liefen wild fort, er freute sich zuweilen entsetzlich über alles Blutvergießen, Erdbeben, was er voraus sagte; dann wurde er wieder so weichherzig, daß er mich fragte, ob er sie auch nicht im Gespräche erschreckt habe, es wäre ihm aber jede Verstellung verunglückt, er hätte sich erst so bezwungen, daß er fast erstickt wäre. »Es ist das Gelindeste von allem, was mir geschehen konnte«, sagte er, »seit ich weiß, daß sie den Feind liebte; ich bin gewiß, daß sie den Winter nicht lieben kann, aber daß alles, was ich zu ihr hingedacht, zu nichts wird, mein ganzes Leben so vieler Jahre, das ich auf sie verwendet, alles zu nichts; und daß ihre Schönheit auch so vernichtet wird um nichts, es ist mir, als wenn zwei einzige Kinder an einem Tage sterben. Es ist etwas Entsetzliches um die Wirklichkeit der Dinge, daß man gar nicht denken kann, es sei anders.« – Bald trat wieder sein schrecklicher Humor hervor, er sagte: »Was jammern doch die Menschen jetzt soviel über die Münzscheine für echtes Gold und Silber, wer gibt mir auch nur einen Schein für meine Hoffnungen, die andern erfüllt [368] sind, für meine Wünsche, die andern gewährt, für meine Dienste, die alle verloren, für meine Erfahrungen, die mir alle unnütz, für meine Zuneigungen, die außer Kurs gesetzt sind, die ganze Welt könnte mir das Kapital nicht verzinsen, viel weniger kann sie es mir wiederbezahlen!« – Wir liefen so die halbe Nacht mit einander, endlich brachte ich ihn doch auf mein Zimmer, er bat mich, ihm allerlei Unglücksgeschichten vorzulesen, er hoffte dabei einzuschlafen. Ich las ihm Nachtstücke.
Winternacht
»Das ist keine Not«, sagte der Invalide, »lieber Freund, da ist noch Gegenliebe, es muß ärger kommen, soll ich mich darin fühlen.«