Hans Sachsens Tod

Eine Traumweise nach Adam Puschmann, in Hans Sachsens Lebensbeschreibung von Ranisch. S. 326.


Als man schrieb um Weihnachten
Gleich Sechs und Siebenzig,
Mich da aufwachen machten
Die Nachtraben frostig,
Daß ich nicht mehr konnt schlafen,
Mich trafen
Gedanken allzuviel.
Da kam mir vor mein Wandern,
Und was ich trieb darin,
Mir fiel ein unter andern,
Wie viel Hans Sachs vorhin
Macht Lieder, geistlich Geschichte,
Gedichte,
Fabeln, Gespräch und Spiel,
Und wie es fromm',
Und Nutz draus komm',
[229]
Wohl jedem, der sich des annomm'.
Indem entschlief ich wiederum,
Und Morgens drauf mir in den Sinn
Ein fröhlich Traum da fiel.
Mich däucht, ich reist' aus rüstig,
Und kam zur Mayenzeit,
In eine Stadt groß, lustig,
Von Häusern schön bereit,
Die Wohnung der gedürsten (kühnen)
Reichsfürsten
War mitten in der Stadt.
Und auch ein Berg hoch, grüne,
Darauf ein schöner Gart,
In Freuden war ich kühne,
Weil drin gepflanzet ward
Wohl mancher Baum voll Früchte,
Gezüchte,
Pomranzen und Muskat,
Mehr fand ich drein
Rosinlein fein,
Mandlen, Feigen, allerlei rein
Wohlschmeckend Früchte, groß und klein,
Genoß viel Volk da insgemein,
Das drin spatzieret hat.
Mitten im Garten stande
Ein schönes Lusthäußlein,
Darin ein Saal sich fande,
Mit Marmor pflastert fein,
Mit schön lieblichen Schilden
Und Bilden,
Figuren frech und kühn.
Ringsum der Saal auch hatte
[230]
Fenster geschnitzet aus,
Durch die man all' Frucht thate
Im Garten sehen draus.
Im Saal stand auch ohnecket
Bedecket
Ein Tisch mit Seiden grün
An selbem saß
Ein Altmann blaß,
In einem großen Buch er las,
Hätt einen langen Bart fürbas
Grauweis, wie eine Taub er saß
Auf einem Blatte grün.
Das Buch lag auf dem Pulte
Auf seinem Tisch allein,
Und auf den Bänken, gulden,
Mehr andre Bücher fein,
Die alle wohl beschlagen
Da lagen,
Die der alt Herr nit ansah.
Wer zu dem alten Herren
Kam in den schönen Saal,
Und grüsset ihn von ferren,
Den sah er an diesmal,
Sagt nichts und thäte neigen,
Mit Schweigen
Gen ihn sein alt Haupt schwach.
Dann Rede und
Gehör begunnt,
Ihm abzugehn aus Altersgrund.
Als ich nun da im Saale stund,
Und sein alt lieblich Antlitz rund
Beschaute, dacht ich nach.
[231]
Die große Stadt und Garten
Ein finstre Wolk bezug,
Daraus blitzt in mein Warten
Ein Feuerstrahl und schlug
Ein Donnerstrahl erbittert
Es zittert
Alles an dieser Städt.
Ob diesem harten Knallen
Erschrack der alte Herr,
That in ein Ohnmacht fallen,
Bald ein Platzregen schwer
Ein Wasserfluth thät geben,
Die eben
Sehr großen Schaden thät,
Zween Tag hernach
Der alt Mann schwach
Starb, ihm gab ichs Grabgleit hernach,
Mein Herz mit Weinen laut durchbrach,
Drob mich mein Weib aufweckt ich sah
Daß ich geträumet hätt.
Weihnachten, ach Weihnachten,
Du warst der Kinder Trost,
Die noch im Schlafe lachten,
Du Schlaf mir bald entflohst,
Die Stunden hell mir schlagen,
Wem sagen
Sie an den Tag so schnell,
Mein Wächter ist da drüben,
[232]
Er sagt mir an den Tag,
In Schmerzen vorzuüben,
Was hohe Lust vermag.
Zur Kirch bin ich gegangen,
Vergangen
War mir Verzweiflung schnell,
Es bleibt zurück
Ein sinnend Glück,
Und in den Traum ein tiefer Blick,
Wie in der Kinder Aug entzückt,
Wie ich sie halb noch schlafend drück,
Süß springt der Augen Quell.
Des Traumes deutend Summen
Ich nun ermessen kann:
Soll alle Lust verstummen,
Erstirbt ein hoher Mann?
Die Thränenfluthen brausen
Mit Grausen,
Der Menschen Haus versinkt!
Der Alte steigt als Taube
Verjünget aus der Fluth,
Mit einem grünen Laube
Im Schnäblein sorgsam gut.
Auf einem Buch sie sitzet,
Das blitzet,
Und schwimmt und nicht ertrinkt,
Mit Perlen ist
Beschlagen, wißt,
Das wars, was da der Alte liest,
Als er die arme Neugier grüßt;
Dies Buch such auf du frommer Christ,
Das dir den Frieden bringt.
[233]
Die Schmerzensfluthen weichen,
Der Berg bleibt unverletzt,
Die neuen Menschen gleichen
Den Stämmen, die versetzt,
Es treibt sie edler Leben,
Sie geben
Nun edle Früchte nur.
Es wird aus Erdenschlünden
Das Buch der Vorzeit mein,
Und ihre schweren Sünden
Sind abgewaschen rein.
O wollt das Trauren stillen,
Will füllen
Mosaisch jede Spur.
Am Boden hell
Der Himmelsquell
Ist eingelegt, so Well auf Well,
Die Taube bleibet mein Gesell
Und trinkt des Buches ewgen Quell,
Gottes Wort in der Natur.
[234]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 3. Hans Sachsens Tod. Hans Sachsens Tod. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0D03-4