Straßburger Münster

Laß, o Herr, das Werk der Zeiten,
Das Dein Hauch hat angereget,
Heut durch meinen Mund ausdeuten,
Großes Wort sich schwer beweget,
[166]
Schwer und langsam wie die Steine,
Die aus rauhem Fels gespalten,
Sich erhoben zum Vereine
Und den hohen Thurm gestalten.
Gott erschuf am zweiten Tage,
Der vom Wasser schied die Erde,
Zeugen dieser heil'gen Sage,
Felsen sich zum Opferheerde;
Erwin sah die heil'gen Zeugen
Drüben harrend an dem Rheine,
Und im Geiste ward ihm eigen,
Was ein jeder sag' und meine.
Wie sie alle ihm gebieten,
Daß er sie hinüber führe,
Daß sie heil'gen Dienst behüten,
Daß die heil'ge Kunst sie ziere;
Daß aus felsenfestem Kerne
Sich erbaue Gottes Kirche,
Darum treiben Gottes Sterne
Goldne Adern durch's Gebirge.
Seht mit diesem Goldgewinne,
Den sie zu dem Rheine senden,
Regen sie der Menschen Sinne,
Wirken sie in fleiß'gen Händen,
Daß sie große Gaben schenken,
Zu der großen Münsterkirche,
Die der Erwin will erdenken
Aus den Felsen im Gebirge.
Erwin reißt mit schnellem Bleie
Viele Pläne zu dem Baue,
Doch es fehlt die rechte Weihe,
Daß er auch das Rechte schaue,
Zu der Wildniß jener Berge
Dringt er in Verzweiflung weiter,
Klagt, daß Wahrheit sich verberge
Auf des Schönen Himmelsleiter.
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Betend kommt er so zur Kirche,
Die der erste Christ erbaute,
In dem wildesten Gebirge,
Daß er seinen Herren schaute;
Sieht ein zierlich Bild des Stalles,
Wo der Herr einst ward geboren,
Und das geht ihm über alles,
Und er hat es gleich erkoren.
Die Kapell' aus Stabgeflechten
Ist mit Blumen reich verzieret,
Und was andre bilden möchten,
Diesem Plan der Preis gebühret;
Nein kein Tempel alter Zeiten,
Kann entzücken wie die Hütte,
Soll sich Dauerndes bereiten,
Steigt es nur aus frommer Sitte.
Wo die Krippe einst gestanden,
Ist der Altar aufgerichtet,
Wo das Kind, die Hirten standen,
Hat der Morgen ihn umlichtet,
Und zwei Thürme, wo der Tauben
Keusch getrennte Liebe wohnet,
Sich erheben, wie der Glauben
Der im Geist hoch oben thronet.
Unser guter Meister sinnet,
Daß der Bau in Stein sich gründet,
Bischof Conrad's Herz gewinnet,
Und der Bau wird weit verkündet,
Und Vergebung aller Sünden
Wird zu diesem Bau verliehen,
Jedem, der sich da wird finden,
Treu und muthig im Bemühen.
Bischof Conrad wohl berathen,
Kommt mit heilgem Öl und Weine,
Mit dem Stabe, mit dem Spaten,
Legt geschickt die Gründungssteine,
[168]
Ringsum stehn die Arbeitsleute,
Alle Geistliche des Landes,
Alle Zünfte graben heute,
Selbst die Herren edlen Standes.
Als die Weihung ist vollendet,
Tritt der Bischof still zurücke,
Doch ein Streit hat bald geschändet
Dieser Sonne Gnadenblicke,
Wohl mit Recht ist lang verkündet,
Daß der Teufel sich bestelle,
Wo die Kirche wird begründet,
Seinem Dienste die Kapelle.
Eh der Bischof sie kann trennen,
Ist ein Kampf da ausgebrochen,
Brüder wild im Kampf entbrennen
Und der Eine ist erstochen.
»Wer hat diesen Streit entzündet?«
Ruft der Bischof mit Entsetzen,
»Neu sei dieser Bau begründet,
Nicht mit Blut dürft ihr ihn netzen.«
Und es sprach der Mordgeselle:
»Wo Dein heil'ger Arm gegraben,
Von der lieben Gnadenstelle,
Stieß er mich wie einen Knaben;
Weiß, ich hab den Tod verdienet,
Daß ich Bruderblut vergossen,
Doch es sei die Welt versühnet,
Ihr zum Heil sei es geflossen.
Wißt, es fließen hier im Grunde
Zwei versteckte böse Quellen,
Stopft Ihr nicht die Doppelwunde,
Werdet Ihr den Thurm nicht stellen,
Ganz umsonst sind hier die Pfähle,
Steine, Mörtel ganz vergebens,
Wenn ich's nicht zum Grab erwähle
In der Fülle meines Lebens.
[169]
Eine Quelle will ich laben
Mit des armen Bruders Leiche,
Und ein Grab mir selber graben,
Daß das Wasser schaudernd weiche.
Dann erst ist der Thurm begründet,
Und das Wasser ist bezwungen,
Und die Säulen hoch verbündet
Sind vom Sumpfe nicht verschlungen.
Eilet euch ihr starken Hände,
Daß ihr euer Grab vollendet,
Weh ihr glüht wie Feuerbrände,
Erde reinigt, was sie schändet,
Seid begrüßt ihr Rein'gungs-Quellen,
Schaudert nicht vor mir zurücke,
Ich umspanne eure Wellen,
Bin des Heiles feste Brücke.«
Und der Bischof sieht zum Heile
Hier das Unheil ausgedeutet,
Viele Schuh tief grub in Eile
Dieser Mörder und erstreitet
Sich ein Grab in tiefen Quellen,
Die dem Meister sich verbargen,
Sicher kann er Mauern stellen
Auf dem Leichnam dieses Argen.
Wo die Brüder eingegraben
Weiht der Bischof neu die Stelle,
Friedlich werden böse Knaben
Nun des heilgen Baues Schwelle,
Und der Thurm ersteigt in Eile
Ohne Streit die höchste Höhe,
Wo ich jetzt zu meinem Heile
Zu der Gnadenmutter flehe.
Flehe, daß sie mich von hinnen
Zu dem Bau des Himmels nehme,
Neue Lehre zu gewinnen,
Denn als Meister ich mich schäme,
[170]
Daß ich diesen Thurm verdorben,
Weil der Plan schon hier erfüllet;
Was vollendet ist gestorben
Und die Sehnsucht nicht mehr stillet.
Ja ich fleh um Ungewitter,
Flehe um der Blitze Strahlen,
Daß sie durch das graue Gitter
Dieser Steine Flammen malen,
Daß sie brechen und zerschmettern
Diesen Thurm, den ich geschlossen,
Und schon blick' ich zu den Wettern,
Fest entschlossen, unverdrossen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Nachlese. Straßburger Münster. Straßburger Münster. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0FE9-0