Siebenter Winterabend

Winter-Launen

Freilich heißt launig beinahe so viel wie lustig unterhaltend; doch Launen bezeichnen immer böse Launen, und ich verdenke es den Schweizern nicht, daß sie in ihrer Mundart jene furchtbaren Schneestürze von den Bergen, Schneelaunen nennen, sie haben die treffendste Ähnlichkeit mit den Gedankenlaunen, die sich mit dem scheidenden Winter oft so trübsinnig über die heitersten Gemüter hinstürzen; mag sie dann ein Schnupfen, oder die schlimme Zeit, oder Sehnsucht nach der Ankunft geliebter eingeborner Herrscher, oder irgend so ein rätselhaftes und ärgerliches Wort der Geschichte, worauf uns nicht gleich eine Antwort einfiel, erklären sollen, wie lautes Sprechen oder Vögelflug die Schneelaunen, sie bleiben immer wunderlich, außerordentlich und genial wie die Witterung. Die Geniale steckte uns heute alle an mit diesem Schnupfen, sie war wie behext, beim Reden gähnte sie durch die Naslöcher, Vorlesen konnte sie durchaus nicht leiden, bei den kleinen Spielen machte sie über jedes unbedeutende Wort so ärgerliche Bemerkungen; es wurden Endreime gemacht, sie meinte, daß nichts törichter, als wenn sich Leute den Kopf zerbrächen, um in Versen viel dümmer zu erscheinen, als sie von Natur wären. Da erwachte in dem Invaliden die alte Ehre, er nannte sie eine Kriemhilde, die ihre Freunde mitten in der unbedachten Freude umbrächte, eine Eva, die ihnen den Apfel des Erkenntnisses aufzwingen wollte, sie würde den Schöpfer selbst in Verlegenheit gesetzt haben während des Schaffens, wenn er sie nicht klüglich zuletzt gemacht, auch ihren Mann würde sie einmal in Verlegenheit setzen. – »Nun hört, was der sprechen [324] kann«, rief die Geniale, »sprecht doch immer so eifrig, so wird's mich nie langeweilen.« – »Weißt du nicht, wie dich der Franzose niedergeschwatzt hat, so dumm er war, bloß weil er alle Rücksichten der Geselligkeit aus den Augen setzte«, meinte die Gesunde ganz trocken. – »Zeig dich erst als eine Göttin unter Göttern«, sagte die Kranke, »dann wollen wir dir dienen, dann magst du unsern Scherz schlecht finden und unsern Ernst belächeln.« – »Willst du strafen, willst du lohnen, mußt du Menschen menschlich sehn«, sagte die gelehrte Schauspielerin, die sonst wenig sagte. – »Du magst außerordentlich sein, aber das Gesetz ist mehr als die Ausnahme«, versicherte die schlanke Schwester. – Die Geniale schien wirklich einen Augenblick verlegen, dann sprach sie ganz gleichgültig: »Ich weiß nicht, welche Verschwörung gegen mich ausbricht, habe ich zu viel über euch nachgedacht und habt ihr keine Rätsel in eurem Gemüte, so war es wenigstens falsch von euch, mir eure Gesinnung so lange zu verbergen; ich fühle, es ist mit euch allen doch nichts, habt ihr mich aus Falschheit so lange in meiner Art erduldet, so müßt ihr es zur Strafe nun immer tun.« – »Recht«, sagte der Gesandte, »niemanden kann Ihr geniales Wesen so aufregen, wie mich, ich schwelge ordentlich darin.« – »Schweigen Sie von Genialität«, rief die Geniale, »der Ausdruck ist ganz leer, denn er paßt nicht mehr in die Zeit.« Dabei setzte sie sich zum Flügel und sang mit heller Stimme:


Es geht die Welt in Sprüngen,
Und wer den Takt nicht hält,
Auf seine Nase fällt,
Mag er kurios sich stellen,
Was hilft's in solchen Fällen,
Zum Zusehn fehlt die Zeit,
Die Welt ist gar zu weit,
Es geht die Welt in Sprüngen!
Seit Gott nun genialisch,
Ist es die Welt nicht mehr,
Der Herr ist's gar zu sehr;
O aller Welt Spektakel,
Was macht er für Mirakel!
Was wir Geniales tun,
[325]
Lief längst von seinen Schuhn,
Seit Gott nun genialisch.
Die Welt wird gar zu müde,
Sie steht auf einmal still;
Was das bedeuten will?
Nachdem sie viel geschoren,
So kling's ihr in den Ohren:
Lebst du noch alter Gott,
So zeig dich ohne Spott,
Die Welt des Spotts wird müde.

Sie sprang lustig auf vom Klavier und sagte: »Da fällt mir eine lustige Geschichte ein, die ich einmal von einem böhmischen Inkolatsherren gehört habe, die soll allen Streit und alle böse Laune ableiten, nur tut es mir leid, daß ich aus Anständigkeit manchen Spaß und Ausdruck weglassen muß, der gerade die Blume dieser Erzählung; entschuldigt dies wie mich selbst, wo ich eure Ansprüche nicht ganz befriedige:«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Siebenter Winterabend. Winter-Launen. Winter-Launen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1197-E