Louise Aston
Meine Emancipation,
Verweisung und Rechtfertigung

[5] Einleitung

Eine Frau, die ihre Privat-Angelegenheiten vor das Forum der Öffentlichkeit bringt, muß entweder grenzenlos eitel sein oder von der äußersten Nothwendigkeit zu diesem Schritte gezwungen werden, einer Nothwendigkeit, gegen welche sich aus falschem Schamgefühl zu sträuben, eben so feig als ehrlos wäre. In diesem letzten Falle befinde ich mich. Vielfache Verläumdungen in öffentlichen Blättern, die meinen Namen mit Bewegungen und Tendenzen in Verbindung brachten, die mir theils gänzlich fern liegen, theils nie in der brutalen Weise, die man mir Schuld giebt, von mir vertreten wurden; zuletzt die[5] Maßregel der Polizei, die mich in Folge jener öffentlichen Denunciationen aus Berlin verwies: alles das berechtigt, ja zwingt mich, mit einer Rechtfertigung vor dem Publikum aufzutreten, um meine Ehre zu retten, und von der öffentlichen Meinung den Schutz zu erbitten, den die Gewalten des Staates dem schutzlosen Weibe hartnäckig versagten.

Der Mann, der seine Ehre gekränkt glaubt, hat Mittel, sie zu rächen, Mittel, die zwar das Gesetz ächtet, die Meinung der Menschen aber anerkennt. Die Frau ist rathlos und hülflos, jeder Anfeindung ausgesetzt. Denn der ritterliche Schutz, den die rohe Zeit des Faustrechts den Frauen gewährte, mußte dem Lichte der Aufklärung, dem Geiste der fortschreitenden Welt, und dem sichern Schutze des Gesetzes weichen. Kein Ritter bricht mehr für die Ehre seiner Dame eine Lanze; und nur in den Don-Quixotiaden hoher und niederer Abentheurer feiert das Ritterthum seine Unsterblichkeit.

Wir Frauen aber, die wir das alte Recht verloren,[6] verherrlicht zu werden in den süßesten Liedern und den blutigsten Kämpfen, am Minnehof und im Turnier, zu herrschen über die ideale Welt, wie die Himmelskönige über ihr Reich: wir verlangen jetzt von der neuen Zeit ein neues Recht; nach dem versunkenen Glauben des Mittelalters Antheil an der Freiheit dieses Jahrhunderts; nach der zerrissenen Charte des Himmels einen Freiheitsbrief für die Erde!

Unser höchstes Recht, uns're höchste Weihe ist das Recht der freien Persönlichkeit, worin all uns're Macht und all unser Glauben ruht, das Recht, unser eigenstes Wesen ungestört zu entwickeln, von keinem äußern Einfluß gehemmt; den innern Mächten frei zu gehorchen, die Harmonie der Seele durchzubilden, mag sie auch ein Mißklang scheinen gegenüber dem herrschenden Glauben der Welt.

Wer dies Recht der Persönlichkeit antastet, begeht einen brutalen Akt der Gewalt; wer unser Fühlen und Glauben, das Resultat unserer Schicksale, unser [7] höchstes Eigenthum, aus dem Allerheiligsten unseres Herzens herausreißt auf den Markt, auf die Gerichtsstube, vor den Pöbel, mag er auch die Wage der Gerechtigkeit in den Händen halten: der versündigt sich gegen das wahre Heil unserer Seele; der begeht einen Tempelraub, einen Gottesfrevel, von dem ihn die richtende Geschichte nimmer freisprechen kann. Dies Recht der freien Persönlichkeit ist in mir beleidigt; so stehe mir die einzige Schutzwehr der freien Rede zu! Meine Sache spricht für sich selbst, sie ist ihr eigner Advocat. Doch ist sie nicht bloß meine Sache. Ihr Interesse ist ein Allgemeines. Denn, wenn äußere Gewalt schon das Denken und Glauben des Weibes strafbar findet: wie steht es da mit der geistigen Freiheit der Männer? – Darum übergebe ich diese Blätter dem Publikum, als einen Beitrag zur Charakteristik der neuesten preußischen Gewissensfreiheit, und zur Geschichte der Verweisungen. Die polizeilichen Maßreglungen der Männer haben durch ihre Alltäglichkeit den Reiz des Pikanten verloren; so [8] muß es als ein glücklicher Einfall, als ein Witz des Schicksals erscheinen, durch die außergewöhnliche Ausweisung einer Frau eine interessantere Variation zu dem abgeleierten Thema zu liefern. Denn da der Mensch aus Gemeinem gemacht, und die Gewohnheit seine Amme ist, so gewöhnt er sich auch an jede Art der Sclaverei, und sucht sich zuletzt in der Entwürdigung selbst heimisch zu fühlen. Da bedarf es des Ungewöhnlichen, um ihn aus seinem Schlummer emporzureißen, um ihm seine ganze Erniedrigung und Knechtschaft in ihrer ertödtenden Wahrheit zu zeigen. – O du schönes Griechenland mit deinen untergegangenen Göttern! Deine Altäre und Tempel sind zertrümmert, dein heiteres Leben ist versunken, und nur sein schwacher Nachglanz lebt in den Werken der Dichter; und in der Sehnsucht edler Gemüther: – geblieben ist, was deine Geschichte geschändet, die finstere Gewalt, die sich zur Richterin aufwirft über freie Geister; die einen Sokrates den Giftbecher trinken läßt und eine Aspasia wegen Gotteslästerung [9] vor die Schranken ruft! Die Geschlechter vergehen, und die Völker, und ihre Götter; aber der Wahn ist unsterblich! –


Köpenick, den 25sten Juny 1846.

Louise Aston.

[10]

Die Verweisung

Ein vielbewegtes Leben lag hinter mir, als ich im August vorigen Jahres meinen Aufenthalt in Berlin nahm. In früher Jugend mit einem Manne verheirathet, der meinem Herzen fremd, ehe die Ahnung der Liebe in mir lebendig geworden; im Besitze alles äußern Glücks, in der Mitte der glänzendsten Verhältnisse allein und unglücklich, lernte ich schon früh das moderne Leben in all seinen Conflikten und Widersprüchen kennen, und bald auch den gewaltigsten Gegensatz, der das Herz einer Frau vernichtet, und einmal die sociale Weltordnung aus ihren Angeln zu heben droht, den Gegensatz zwischen Liebe und Ehe, Neigung und Pflicht, Herz und Gewissen.

[11] Die Frauen, denen ein ruhiger Besitz und ein idyllisches Glück geworden, werden diesen Gegensatz nicht begreifen, weil sich ihnen zu schöner Harmonie verschmilzt, was bei mir feindlich auseinander liegt. Sie werden mich als eine Abentheuerin verdammen, die, untreu dem eignen Herzen, und einem gesetzlich anbefohlenen Glück, in aller Unruhe eines stürmischen Lebens den Frieden sucht, den ihr die heimathliche Stätte, des Weibes eigenster Wirkungskreis, nicht zu gewähren vermochte. Doch vom sichern Ufer aus läßt sich leicht der Sturm beschwören und verachten, mit dem auf offner See das schwankende Schiff vergebens kämpft. Ich habe durchfühlt, was die Prophetenstimme eines George Sand den zukünftigen Geschlechtern verkündet; den Schmerz der Zeit, den Wehruf der Opfer, welche die Unnatur der Verhältnisse zu Tode foltert. Ich weiß es, welcher Entwürdigung eine Frau unter dem heiligen Schutze des Gesetzes und der Sitte ausgesetzt ist; wie sich diese hülfreichen Penaten des Hauses in nutzlose Vogelscheuchen verwandeln, und das Recht zum Adjudanten brutaler Gewalt wird! –

Doch ich schreibe weder einen Roman, noch eine[12] Biographie. – Unsere Ehe wurde geschieden. Aus dem allgemeinen Schiffbruche meiner höchsten und theuersten Güter und Interessen rettete ich nichts, als den festen Entschluß, durch freien Blick und starken Sinn mich über das Schicksal zu stellen, durch Bildung des Geistes das Herz zu stählen, und seine Unruhe gefangen zu halten durch die Ruhe des in sich selbst befriedigten Gedankens. Das war meine Absicht, als ich nach Berlin zog, angeregt von der jungen lebendigen Wissenschaft, um in dem geistvollen Kreise ihrer Vertreter die Wunden zu vergessen, die mir das feindliche Leben schlug. Auch wollte ich mich bilden und sammeln zu litterarischer Thätigkeit, die ich ja nicht aus eitlem Dilettantismus ergriff, sondern zu der mich meine Schicksale machtvoll hin drängten, weil ich in dem eigenen Erlebniß das allgemeine Loos vieler Tausende erkannte, und schärfer, bis zur Vernichtung, ausgeprägt, so daß mir die tödtliche Macht unserer Verhältnisse am klarsten geworden. Berlin, mit dem reichen geistigen Leben, die Stadt des Gedankens und der Intelligenz, schien mir am geeignetsten zu meinen Zwecken, zur Erfüllung meines litterarischen Berufes. Ich erhielt, nach Angabe meiner [13] Verhältnisse, in denen alle gesetzliche Bedingungen erfüllt waren, ohne Schwierigkeiten eine Aufenthaltskarte von der Polizei.

Am 12ten Februar 1846, war diese Aufenthaltskarte abgelaufen, und ich schickte an jenem Tage zur Polizei, mit der Bitte sie zu erneuern, erhielt aber keine neue Karte, sondern die Weisung, selbst zu kommen. Da ich krank war, ließ ich mir durch meinen Arzt, Herrn Dr. Perle, ein Attest ausstellen, welches ich, mit der nochmaligen Bitte um Erneuerung der Karte dem Präsidium einsandte. Mein Gesuch wurde abermals ignorirt. Einige Tage darauf erschien ein Polizeibeamter Goldhorn, im Namen des Polizeirathes Hofrichter, »um einige Fragen an mich zu richten.« Gleichzeitig theilte er mir mit, daß man meine Karte nicht verlängern wolle, weil mehrere anonyme Briefe an das Präsidium, ja, an Se. Majestät den König selbst, über mich eingegangen seien, in denen ich beschuldigt wurde, die frivolsten Herrengesellschaften zu besuchen, einen Klubb emancipirter Frauen gestiftet zu haben, und außerdem nicht an Gott zu glauben. Dann spräche gegen mich die Widmung der Gottschall'schen [14] Gedichte »Madonna und Magdalena« in denen ähnliche Tendenzen gefeiert würden, deren Verwerflichkeit der Recensent in den »Blättern für litterarische Unterhaltung« auf's Bündigste nachgewiesen. Ich suchte diesem Beamten, so gut es ging, eine bessere Ansicht über mich und mein Leben beizubringen, und schrieb dann an den Polizei-Präsidenten von Puttkammer selbst. In diesem Schreiben setzte ich auseinander, wie mein Glauben und Denken mein Eigenthum sei, und Niemanden etwas angehe; wie jene anonymen Briefe nur von einem persönlichen Feinde herrühren könnten, und bat um Verlängerung der Aufenthaltserlaubniß, weil meine litterärische Thätigkeit, besonders das baldige Erscheinen meiner Gedichte, der »wilden Rosen,« mich in Berlin fesselten, und meinen Aufenthalt daselbst nöthig machten.

Ich wies nach, daß man mir nur insofern Unsittlichkeit zum Vorwurfe machen kann, als es unsittlich sei, Cigarren zu rauchen und mit wissenschaftlich gebildeten Männern unzugehen; und schloß mit der Bitte, mir zu gestatten, auch fernerhin eine Einwohnerin dessittlichen Berlins zu heißen, so wie [15] etwaige Formfehler in meinem Schreiben zu übersehen.

Auf Grund dieses Schreibens wurde ich Ende Februar auf das Präsidium vor dem Deputirten Stahlschmidt beschieden, welcher mich ersuchte, so lange im Vorzimmer zu warten, bis der Regierungsrath Lüdemann, der eigentlich mit mir zu sprechen hätte, seine anderweitigen Geschäfte beseitigt, und für meine Angelegenheiten Zeit gewonnen. Inzwischen unterhielt sich Herr Stahlschmidt höchst freundlich und gemüthlich scherzend mit mir, brachte die Rede auf Religion und auf Ehe, und veranlaßte mich durch die verschiedensten Kreuz- und Querfragen, wenn auch in scherzender Form doch meine innersten Ansichten auszusprechen. Ich nahm deßhalb keinen Anstand mich frei zu äußeren, weil ich nach der Art und Weise, wie diese Fragen gethan wurden, dies Gespräch für ein durchaus privates halten mußte. Nachdem unsre Conversation zu Ende war, führte mich Herr Stahlschmidt in das Zimmer des Regierungsrathes Lüdemann, und überreichte diesem zu meiner größten Überraschung ein Protokoll, mit den Worten: »Dies ist das Glaubensbekenntniß der [16] MadameAston!« Dies Protokoll, das man während meiner Unterhaltung mit Herrn Stahlschmidt ohne mein Wissen niedergeschrieben, wurde mir nun vorgelesen. Ich war erschrocken und befangen – eine Befangenheit, die bei einem Manne lächerlich, gewiß bei einer Frau zu entschuldigen ist, welche in die Staats- und Polizeiwissenschaft keine tiefer eingehende Studien machen konnte, und mit der Methode der preußischen Administration gänzlich unbekannt war. Aus dieser Befangenheit und Ängstlichkeit weigerte ich mich das Protokoll zu unterzeichnen; und gab erst dem freundlichen Zureden des würdigen Herrn Lüdemann nach, der im gutmüthigsten Tone mich versicherte, es thue meiner Sache keinen Schaden, wenn ich unterschriebe: er gäbe sein Wort darauf. Das Wort eines Regierungsrathes schien mir hinlängliche Bürgschaft für die Wahrheit; denn ich wußte nicht, daß »Worthalten« in das alte Testament der Staatswissenschaften gehöre, und seit Macchiavell aus der höhern und niedern Politik verbannt sei. In meiner Naivetät, in meinem guten Glauben unterschrieb ich das Protokoll, und widerlegte schon dadurch die Anklage des Unglaubens.

[17] Inzwischen hatte ein müßiger Correspondent der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« aus Stoffmangel meine Person und Gesinnung zu einem socialistischen Debüt benutzt, meinem unschuldigen Cigarrenrauchen eine welthistorische Bedeutung beigelegt, aus beiläufig ausgesprochenen Ansichten kühne Weltverbesserungspläne gemacht, und ohne das Einschreiten der Polizei, eine organisirte Berliner Frauen-Emancipation in Aussicht gestellt. Dieser Correspondent schien sich mehr an der Genialität seiner produktiven Phantasie, an der Kühnheit seiner Combinationen, und an den allgemeinen Schrecken den sie verbreiteten, zu ergötzen, als an eine förmliche Denunciation zu denken, obgleich dies der einzig passende Namen für seinen Correspondenz-Artikel ist.

Am 21sten März erhielt ich wieder eine Verfügung, auf der Polizei zu erscheinen, wo mir Herr AssessorKöppin mündlich den Befehl ertheilte, »Berlin binnen 8 Tagen zu verlassen, weil ich Ideen geäußert, und ins Leben rufen wolle, welche für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien

So wurde mir von der Polizei eine Wichtigkeit [18] beigelegt, die ich selbst mir beizulegen nie gewagt hätte, denn wie kühn müßten die Träume einer Frau sein, welche sich für eine staatsgefährliche Person hielte.

Schon um jener traumhaften Selbstüberschätzung zu entgehen, wandte ich mich am 23sten März an den Minister von Bodelschwingh, und ersuchte ihn in nachfolgendem Schreiben um Aufhebung jenes Befehls:


Hochwohlgeborener Herr!

Hochgebietender Herr Staatsminister!


Seit dem August vorigen Jahres halte ich mich an hiesigem Orte auf, und bin am 5ten März d. J., bei dem Polizei-Präsidium um das Niederlassungsrecht für die Residenzstadt Berlin eingekommen, worauf mir am 21sten dieses Monats auf dem hiesigen Präsidium eröffnet worden ist, daß das Niederlassungsrecht mir nicht bewilligt werden könne, daß ich vielmehr binnen 8 Tagen den Berliner Polizei-Distrikt zu meiden habe, weil ich Ansichten geäußert, und ins Leben rufen wolle, welche [19] für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien.

Gegen die Ausführung dieser Verfügung, welche für mich höchst traurig sein würde, da ich eben im Begriff stehe, durch Herausgabe einer von mir gedichteten Liedersammlung eine litterarische Laufbahn zu beginnen, welche meine und meiner Tochter Lage bedeutend zu verbessern verspricht, erlaube ich mir Ew. Excellenz hohen Schutz unterthänigst anzuflehen. Als Grund meiner Ausweisung werden die Ansichten angeführt, welche ich zu Anfang dieses Monats in einem Gespräche mit dem Deputirten Stahlschmidt über Religion und Ehe geäußert, wobei freilich von meiner Seite in keiner Art Vorsicht und Rückhalt beobachtet wurde, da ich das Gespräch für ein durchaus privates und consequenzloses zu halten berechtigt war; nicht aber für ein Examen, dem man meinen Glauben, und meine Überzeugung unterwerfen wollte. Dieser Glauben, und diese Ansichten sind mein eigenster Besitz; sie sind eine natürliche Folge der unglückseligen Verhältnisse, die ich durchlebt, der schmachvollen Behandlung, die ich erduldet habe; und ich kann nicht glauben, daß man bei der Gewissensfreiheit, die [20] inPreußen jedem Unterthanen gestattet wird, und welche der Stolz der Nation ist, mir aus meinen Ansichten einen Vorwurf machen kann, ehe es nicht gewiß, oder wenigstens wahrscheinlich geworden, daß diese Ansichten mich dahin führen, etwas gegen die Gesetze des Landes Verstoßendes oder für die Ruhe Gefährliches zu unternehmen. Zu dieser Annahme aber liegen gegen mich keine Gründe vor; es sind keine Thatsachen, keine von mir begangenen Handlungen bekannt, welche, dies zu beweisen, geltend gemacht werden könnten.

Nach den Verhandlungen, welchen ich auf dem hiesigen Präsidium beiwohnen mußte, scheint es mir, daß besonders zwei Umstände zu dem für mich so harten Beschluß geführt haben könnten; nämlich erstens: die an mich gerichtete Widmung zweier von Herrn R. Gottschall verfaßter Gedichte »Madonna und Magdalena« und zweitens: ein in der Deutschen Allgemeinen Zeitung abgedruckter Correspondenzartikel, welcher auf mich gedeutet wird: sowie einige verläumderische anonyme Briefe, welche über mich an das Polizeipräsidium geschickt sind.

Was jene Widmung betrifft, so kann man unmöglich [21] daraus die Folgerung ziehen, daß ich die in jenen Gedichten enthaltenen Ansichten zu vertreten habe. Hinsichts der anonymen Briefe aber habe ich bereits einem Hochlöblichen Polizei-Präsidium die sehr trübe Quelle angegeben, aus welcher dieselben wahrscheinlich stammen.

Meine genügende Existenzmittel habe ich nachgewiesen, so daß von dieser Seite kein Grund zu meiner Verweisung genommen werden kann.

Als geborne Preußin, als Tochter eines hohen Geistlichen, im Bewußtsein meiner Schuldlosigkeit, und im Vertrauen zu Ew. Excellenz Weisheit und Humanität wende ich mich an Ew. Excellenz mit der ehrfurchtsvollen Bitte:


meinen fernern Aufenthalt in Berlin hochgeneigtest gestatten zu wollen.


In tiefster Verehrung verharre ich Ew. Excellenz

gehorsamste
Louise Aston,
geb. Hoche.

[22] In Folge dieses Schreibens kam mir am 24sten April folgende Verfügung des Ministeriums des Innern zu:


Auf die Vorstellung vom 23sten v. M., wird Ihnen eröffnet, daß das Ministerium die Verfügung des hiesigen Königlichen Polizei-Präsidii, wonach Ihnen die Erlaubniß zur Niederlassung in Berlin, und zur Fortsetzung Ihres Aufenthaltes hierselbst versagt worden ist, für gerechtfertigt erachten muß, und daß es daher bei dieser Verfügung sein Bewenden behält.


Berlin, den 24sten April 1846.

Ministerium des Innern.
Zweite Abtheilung:
von Manteuffel.

An die separirte Aston, Louise,
geb. Hoche.
hier.

T. 2764, a.


[23] Da der kurze Geschäftsstyl eine Auseinandersetzung der Gründe nicht zu erlauben schien; und doch grade in solcher Auseinandersetzung für zweifelhafte Fälle der einzige Trost und die einzige Beruhigung liegt, so beschloß ich an demselben Tage den Minister um eine Audienz zu ersuchen, in der Hoffnung, wenigstens gesprächsweise die Gründe zu erfahren, welche meine Verweisung nothwendig machten, um mich dann ruhiger in das Unvermeidliche zu finden. Auch täuschte mich meine Hoffnung nicht. Nur waren die Motive anderer Art, als ich erwartete. Während die Polizei als Motiv meine Ideen anführte, die der bürgerlichen Ordnung gefährlich seien; und mich verwies, damit ich nicht Andere verführe, und in Berlin Proselyten für meine Unsittlichkeit mache; schien der Minister aus einem ganz entgegengesetzten Beweggrunde zu handeln: aus unbedingtem Wohlwollen gegen mich, aus Fürsorge für mein persönliches Wohl, für das Heil meiner Seele; kurz, aus jener väterlichen Gesinnung, durch welche die preußische Regierung ihre echte Christlichkeit bezeugt, und sich die kindliche Liebe und Ergebung ihrer Unterthanen zu erwerben weiß. So sehr mich diese [24] Freundlichkeit, diese Sorge für mein zeitliches und ewiges Heil rührte: so war ich doch zu bestürzt und verwirrt, um gleich in passenden Worten meinen Dank äußern zu können. So läßt sich mein Benehmen in dem folgenden Dialoge rechtfertigen, den ich getreu aus dem Gedächtnisse nachschreibe:


Minister: Sie haben sich so frivol und außergewöhnlich benommen, Madame Aston, daß ich mich wundern muß, wie Sie es wagen, gegen Ihre Verweisung zu protestiren.

Ich: Ich weiß nicht, was Ew. Excellenz frivol nennen?

Minister: Warum stellen Sie Ihrem Glaubensbekenntnisse voran, daß Sie nicht an Gott glauben? –

Ich: Weil ich nicht heuchle, Excellenz!

Minister: Man muß Sie an einen kleinern Ort verweisen, wo Sie der Verführung nicht so ausgesetzt sind, um wahrhaft für Ihr Seelenheil zu sorgen.

[25]

Ich: Aber meiner schriftstellerischen Carriere wegen ist mir der Aufenthalt in Berlin wünschenswerth, wo ich stets neue geistige Anregung finde.

Minister: In uns'rem Interesse ist es keineswegs, daß Sie Ihre künftigen Schriften, die gewiß so frei, wie Ihre Ansichten sind, hier verbreiten.

Ich: Nun, Excellenz, wenn sich erst der preußische Staat vor einer Frau fürchtet, dann ist es weit genug mit ihm gekommen!

Minister: Ich bin beschäftigt – (ab).


So hatte diese Unterredung für mich auch kein weiteres Resultat; außer der Erkenntniß, wie wohlmeinend man durch meine Verweisung, meiner Seele den Weg zum Himmel bahnen wolle, die sie leichtsinnig verscherzt, und durch eig'ne Kraft nicht mehr zu finden im Stande sei. Meine Angelegenheit schien aus dem Gebiete der Jurisprudenz auf das der Theologie hinübergespielt, ein Tausch der Fakultäten, bei dem meine Sache allerdings im Himmel gewann, auf Erden aber augenscheinlich verlor. Ich konnte mich [26] daher auch hiebei nicht beruhigen, und wandte mich am 28sten April, als an die letzte Instanz, an Sr. Majestät den König, in folgender Immediat-Eingabe:


Allerdurchlauchtigster großmächtigster König!

Allergnädigster König und Herr!


Ew. Majestät wollen diese meine unterthänige Zuschrift mir allergnädigst zu Gute halten, und einer gerechten Prüfung unterwerfen.

Ich bin preußische Unterthanin, Tochter des verstorbenen Consistorial-Raths und SuperintendentenHoche, zu Gröningen, eines Mannes der 34 Jahre seinem Könige und Lande treu gedient hat.

Nach einer neunjährigen, für mich sehr unglücklichen Ehe mit dem Fabrikbesitzer Aston, aus England, gegenwärtig in Burg, sah ich mich genöthigt, endlich eine Scheidung von demselben durchzusetzen.

Ohne Eltern, ohne irgend einen besondern Schutz, stehe ich jetzt seit zwei Jahren mit einer vierjährigen Tochter allein da; nach einem Leben in sehr glänzenden Verhältnissen auf die allerdings zureichende, jedoch [27] viele Einschränkungen und Entbehrungen bedingende Alimentation von Seiten meines geschiedenen Mannes angewiesen. Zur Verbesserung meiner ganzen Lage, hauptsächlich aber mir die Mittel zu einer sorgfältigen und anständigen Erziehung meines Kindes zu schaffen, habe ich meine Zeit, besonders das letzte Jahr in Berlin, damit zugebracht, mich theils durch eigene Studien, theils durch den Umgang wissenschaftlich gebildeter Leute zur Schriftstellerin heran zu bilden. Beides: meine schriftstellerische Laufbahn, und die Erziehung meines Kindes, ließ mich den Aufenthalt im Mittelpunkte des geistigen Verkehrs der Monarchie wünschen – das Leben auf einem Dorfe würde mir jede geistige Anregung fern halten; meinem Kinde die Gelegenheit einer sorgfältigeren Ausbildung benehmen.

Auf mein deßhalb bei einem hochlöblichen Polizei-Präsidium den 5ten Februar d. J., eingereichtes Niederlassungsgesuch hieselbst, ward mir nicht allein eine abschlägige Antwort, sondern auch die Weisung den Berliner Polizei-Distrikt binnen 8 Tagen zu verlassen und fernerhin zu meiden.

Als Gründe dieser Maßregel wurden mir Bestrebungen [28] zur Last gelegt, welche die bürgerliche Ruhe gefährden sollten.

Als Beweise dieser Bestrebungen »Ansichten über Religion und Ehe,« welche ich gesprächsweise, ohne Ahnung eines polizeilichen Examens geäußert.

Ferner eine Anzahl anonymer Briefe an ein hochlöbliches Polizei-Präsidii, ja, an Ew. Majestät, meinen allergnädigsten König, selbst.

Wahrscheinlich auch hat man die Widmung desGottschall'schen Gedichtes »Madonna und Magdalena« und einen verläumderischen Correspondenzartikel der Deutschen Allgemeinen Zeitung, herrührend von einem persönlichen Feinde, zu einer Anklage gegen mich benutzt; denn beides war meinen Polizeiacten beigeheftet.

Ebenfalls kann meine Verwechselung mit einer hier in männlicher Kleidung in Restaurationen umherziehenden Engländerin mir bei einer hochlöblichen Polizei-Behörde geschadet haben.

In einer an Sr. Excellenz den Herrn Minister von Bodelschwingh gerichteten Eingabe vom 23sten März dieses Jahres, bat ich, eine Aufhebung des gegen mich erlassenen Dekretes gnädigst veranlassen [29] zu wollen, indem ich als Vertheidigung gegen die nur muthmaßlichen und die mir angegebenen Klagepunkte vorstellte:

Daß ich keinesweges die Tendenz mir gewidmeter Werke zu vertreten habe;

Daß die anonymen Briefe, welche schon als solche kein Grund einer Anklage sein könnten, wahrscheinlich mit dem Correspondenzartikel aus ein und derselben Quelle persönlicher Anfeindung geflossen seien;

Daß ich endlich den von mir ausgefragten Ansichten bisher in keinerlei Weise Gestalt und Verbreitung zu schaffen gesucht; es sei denn durch eine Gedichtsammlung, welche mit Genehmigung einer hochlöblichen Censur binnen Kurzem von mir publicirt werden würde: daß aber diese Ansichten der Ausdruck einer Gedankenrichtung seien, wie sie durch unglückliche Schicksale, durch ein halbes verfehltes Leben, wohl erzeugt werden könne, ohne darum vielleicht mehr zu sein, als eine Uebergangsperiode zu einer andern, vielleicht glücklichern Überzeugung.

Als Antwort auf diese Eingabe, erhielt ich am 24sten April einen Bescheid des hochlöblichen Ministeriums [30] des Innern, daß die polizeiliche Verfügung in Kraft bleibe, und ich binnen 8 Tagen Berlin zu räumen habe.

Ein Gesetz vom Jahre 1843, giebt jedem preußischen Unterthanen das Recht, sich da nieder zu lassen und zu wohnen, wo er die Mittel seines Unterhaltes nachzuweisen im Stande ist. Nur Vergehen, welche Zuchthausstrafe nach sich ziehen, sollen dieses Recht aufheben.

Ich habe einem hochlöblichen Polizei-Präsidii die hinreichende Existenzmittel nachgewiesen; von einem wirklichen Vergehen kann nicht einmal der Verdacht gegen mich vorhanden sein!

Durch die gegen mich gerichtete Maßregel der Ausweisung jedoch, wird mir, da Niemand an die, mirnicht einmal schriftlich mitgegebenen Motive der Behörde glauben kann, ein Makel angeheftet, der nicht allein eine Schmach für meine überall geachtete, von der Gnade Ihrer Majestäten mehrfach geehrte Familie sein würde, sondern auch mir, einer hülflosen, vom Schicksale oft und tiefgebeugten Frau, die unverdiente Verachtung meiner einzigen Angehörigen, [31] und welchen Wohnort ich auch wählen mag – meiner nächsten Umgebung zuziehen würde.

Zu der hülflosen Lage, in welche mich die Kosten des Umzugs und der neuen Einrichtung versetzen, müssen, kommt noch die Aussicht, in keinem größern Orte, und zwar aus denselben Gründen, welche mich hier verstoßen, von der Polizei gelitten zu werden.

Ein Mann findet sich schnell in eine neue, von seiner frühern ganz verschiedene Lage, oder hat die Kraft seine neuen Verhältnisse selbst seinen Bedürfnissen gemäß zu gestalten; einem Weibe wird das unendlich schwer. –

Verwaist, ausgeschlossen von Allem, was mich interessirt und geistig belebt hat; keines Vergehens bewust, und doch der Verachtung preisgegeben; nach der trübsten Vergangenheit ohne Hoffnung auf meine, ja, nicht einmal auf meines Kindes Zukunft: wage ich es die Gnade Ew. Majestät für mich anzuflehen, unterfange mich meinen allergnädigsten König und Herrn mit der Bitte zu behelligen, Seiner Weisheit und Gerechtheit die Gerechtigkeit meiner Sache prüfend unterwerfen zu wollen.

[32] Könnte mein ernster Wille, weder durch That noch Wort den Verordnungen eines hohen Magistrats und einer hochlöblichen Polizei zuwider handelnd zu scheinen, bei Ew. Majestät für mich sprechen: ich lege ihn zu Ew. Majestät Füßen.

In der höchsten Bedrängniß, als Weib, ohne Schutz und Zuflucht wende ich mich vertrauensvoll an Ew. Majestät, und unterwerfe in Demuth die Gestaltung meiner ganzen Zukunft der hohen Weisheit und allgenannten Milde meines königlichen Herrn.

Ich ersterbe Ew. königlichen Majestät

allerunterthänigste Dienerin,

Louise Aston.

Berlin, den 28sten April 1846.


Ich habe diesen Brief, der eigentlich nur eine Wiederholung der vorhergehenden Eingaben ist, nur der Vollständigkeit wegen mitgetheilt. Der Leser sieht daraus wenigstens, daß ich keineswegs, wie der scharfsinnige Correspondent der Deutschen Allgemeinen Zeitung bemerkt, ein so großes Verlangen darnach trug, [33] als Märtyrerin der Emancipation aus Berlin gewiesen zu werden.

Ob die Antworten auf Immediatgesuche an Sr. Majestät den König, immer durch den Mund eines Polizeibeamten kund gethan werden, weiß ich nicht; ich erhielt nach einiger Zeit von Seiten der Polizei denmündlichen Bescheid, »daß mein Gesuch nicht berücksichtigt werden könne«, und ich Berlin binnen acht Tagen zu verlassen habe.

Nachdem ich so alle preußische Instanzen durchgemacht, wende ich mich an eine höhere: ich wende mich in allerletzter Instanz an das deutsche Volk!

[34]

Meine Rechtfertigung

Gegen eine polizeiliche Maßregel ist eine juristische Vertheidigung unmöglich, abgesehen davon, daß sie für eine Frau gänzlich unpassend wäre. Ich sehe wohl ein, daß die Schritte der Administration nicht durch Rechtsgründe motivirt zu werden brauchen, weil die Wohlfahrt des Staates oft ein rasches Einschreiten erfordert, und jede Verzögerung, welche in dem mühsamen Aufsuchen und Anführen der gesetzlichen Gründe nothwendig bedingt wäre, vom verderblichsten Einfluß auf die Sicherheit des Ganzen sein könnte. Beamte haben mir dies deutlich zu machen gesucht, wie die Regierung zu solchem Verfahren, zu Maßregeln, zu Ausnahmegesetzen berechtigt sei. Diese Sorge [35] für die Wohlfahrt des Staates erinnerte mich, obgleich ich ihre Nothwendigkeit einsah, etwas zu sehr an den Wohlfahrts-Ausschuß der französischen Revolution, und seine Maßregen, und ich sah mich erschrocken um, ob der preußische Staat sich etwa in einem solchen terroristischen Kriegszustande befände. Am wenigsten aber wollte mir einleuchten, wie diese Theorie auf meinen speziellen Fall Anwendung finden könne, da ich mir bewußt war, durchaus nichts unternommen zu haben, was der Wohlfahrt des preußischen Staates gefährlich sein könnte.

Der Polizei gegenüber kann ich mich nicht rechtfertigen, weil ich ihr Maß für das, was dem preußischen Staate heilsam oder gefährlich ist, durchaus nicht kenne; weil ich als preußische Unterthanin zu dem Vertrauen verpflichtet bin, daß die Maßregeln der Regierung, wenn sie auch unbegreiflich sind, wie die Wege der Vorsehung, doch zu meinem Besten führen.

Meine Rechtfertigung gilt hauptsächlich dem Publikum, das aus Unkenntniß jener providentiellen Fürsorge mich leicht für schuldig halten könnte, mich gegen den bestehenden Zustand der Gesellschaft verschworen, und Verbrechen begangen zu haben, welche [36] die strenge Ahndung des Gesetzes rechtfertigen, und meinen guten Namen an den Pranger stellen. Sie gilt übrigens nicht allein jener Maßregel der Regierung, sondern auch den lügnerischen Correspondenz-Artikeln, welche sie zum Theil hervorgerufen und meinen Namen bei der deutschen Lese-Welt in Verruf gebracht haben.

Der officiell angeführte Grund meiner Verweisung sind meine »Ideen,« die ich theils »geäußert,« theils »ins Leben rufen wolle

Es wird Anfangs Jedem befremdlich vorkommen, auf welche Weise eine Frau ihre »Ideen« ins Leben rufen könne, doch eine genügende Erklärung dieser Absonderlichkeit liegt in jenen Correspondenz-Artikeln, und in der Aeußerung des Polizeibeamten Goldhorn. Denn da das Cigarrenrauchen wohl nicht zuden Thatsachen gehört, durch welche eine Idee ins Leben gerufen wird, und außerdem auch bloß in den Straßen der preußischen Residenz polizeilich strafbar ist: so bleibt nichts übrig, als diese Worte auf die »Stiftung eines emancipirten Frauenklubbs« zu beziehen. Als ich zum ersten Male diesen Klagepunkt in der »Deutschen Allgem. Zeitung« las, erstaunte [37] ich über die Abentheuerlichkeit des Gedankens und die kühne Phantasie des Correspondenten, ohne im Entferntesten daran zu denken, daß die Berliner Polizei dieses monstrose Gedankenkind adoptiren werde. Ich traute ihr eine viel zu große Kenntniß der Verhältnisse zu, um eine solche Bedlamsstiftung in Berlin für möglich zu halten.

Nicht lange Zeit darauf erschien in den Hamburger Jahreszeiten ein anderer Berliner-Correspondenzartikel, der durch kühne Genremalerei die Conturen des ersten ausführte. Wenn jener mehr von einer großartigen Conception des Ganzen Zeugniß ablegte, so mußte in diesem die feine Detaillirung des Einzelnen Bewunderung erwecken. Die »Deutsche Allgemeine Zeitung« machte mich zu einer falschen Miss, welche Cigarren rauchte, einige Phrasen von der »freien Liebe, welche die Welt erlösen solle,« im Munde führe, und mit großen Emancipationsplanen umgehe. Die »Hamburger Jahreszeiten« schilderten schon die Verwirklichung dieser Plane, die organisirte Emancipation, die verschiedenen Getränke, mit denen sich die emancipirten Damen in die nöthige Begeisterung versetzten, die Kühnheit mit welcher sie [38] die Herren zum Tanz aufforderten; und schrieben mir dann eine besondere Virtuosität in dieser Art des Frauenthums zu. Öttingers »Charivari« druckte diesen Correspondenz-Artikel nach. Hier haben wir bestimmte Thatsachen, die einen festen sicheren Halt gewähren, obgleich ihre Wahrheit nicht einmal der Polizei unumstößlich genug schien, um sich mit Consequenz auf sie zu berufen. Eine organisirte Frauen-Emancipation, Orgien, Bachanalien in der Residenz! – Doch wie es eine alte Wahrheit ist, daß die Phantasie der Menschen und ihr irdisches Leben sich am besten aus der Art und Weise erkennen lasse, wie sie sich des Jenseits vorstellen; und die Indianer z.B., auch dort ihre Friedenspfeife nicht vergessen: so verläugnet auch die abentheuernde Phantasie des Correspondenten in ihren kühnen Traumbildern keineswegs seine philiströse deutsche Natur, indem er seine erträumte Frauen-Emancipation etwa darstellt, wie ein Sonntagsvergnügen in einer Dorfschenke. Etwas mehr Poesie hätte seine Correspondenz durchaus nicht verunstaltet, und statt Bier und Grogg hätte er uns immer Nektar und Ambrosia vorsetzen können.

Da die Polizei diesen durchaus lächerlichen Artikel [39] nicht berücksichtigte, so brauche auch ich wohl keine Vertheidigungsschrift dagegen aufzusetzen, und habe mich blos gegen die Absicht zu vertheidigen, die man mir Schuld giebt, eine solche Frauen-Emancipation zu organisiren, gefährliche Ideen ins Leben rufen zu wollen.

Eine Absicht ist bekanntlich von einem fait accompli himmelweit verschieden, und gehört, so lange sie sich nicht in konkludenten Handlungen äußert, nur vor das Forum des Gewissens. Bei den vaguen Begriffen von Frauen-Emancipation würde es dem scharfsinnigsten Juristen schwer fallen, zu der Absicht, eine solche zu organisiren, die konkludenten Handlungen zu erdenken; er müßte denn grade in humoristischer Stimmung Cigarrenrauchen und Biertrinken zu denselben rechnen. Daß die Damen die Herren zum Tanz auffordern, dürfte wohl kein sicheres Mittel einer beabsichtigten Emancipation sein, weil sonst auch ein christlich-germanischer Cotillon in den Minister-Salons von dieser Schuld kaum freizusprechen wäre. Und doch sind dies die einzigen, noch dazu gänzlich unbewiesenen und unwahren Thatsachen, aus denen man auf meine kühnen Reformationsplane[40] einen kühnen Schluß hätte machen können. Die Polizei hat sich übrigens gar nicht die Mühe gegeben, dergleichen konkludente Handlungen anzuführen oder zu beweisen; sondern in freier Genialität die Anklage einer beabsichtigten Emancipation improvisirt. Wären aber jene Thatsachen hinlänglich bewiesen; wäre der Schluß aus ihnen auf eine solche Absicht hinlänglich gerechtfertigt: so bliebe noch immer die wichtige Frage übrig, ob in den Thatsachen oder in der Absicht irgend eine Rechtsverletzung liege. Dies wird die Polizei selbst läugnen, und ihr Recht, einzuschreiten, aus der Unsittlichkeit jener Handlungen herleiten. Doch eine Thorheit ist ebensowenig Unsittlichkeit, wie Rechtsverletzung. Nimmt die Polizei erst das Recht für sich in Anspruch, gegen jede Thorheit einzuschreiten: so dürfte ihr Wirkungskreis sich wohl allzuhoch ausdehnen.

Aus dem gänzlichen Mangel jeder bewiesenen Thatsache erhellt, daß der zweite Klagepunkt, mein Willen, meine Absicht: Ideen ins Leben zu rufen, mit dem ersten zusammenfällt, mit der Anklage:gefährliche Ideen geäußert zu haben. Im Gespräch aber Ideen zu äußern, die freiesten, die [41] willkürlichsten, wie sie die Laune des Augenblicks erzeugt, ist das unbestrittene Recht jedes Menschen. Aller Geist, aller Reichthum der Beziehungen, die ganze Bewegung der Gesellschaft, hängt von diesem Rechte ab. Eine Gesetzgebung, die es aufheben wollte, würde sich der ärgsten Tyrannei schuldig machen, welche die Geschichte kennt. Im Gespräch, im Umgang, undallein hier, ist die zufälligste Meinung, die willkürlichste Ansicht berechtigt, sich eine ephemere Geltung zu verschaffen. Allerdings kann man auch im Gespräch ein Verbrechen begehen, sei es eine gewöhnliche Injurie, oder eine Majestäts-Beleidigung oder eine Gotteslästerung. Eine solche Anklage, welche von der schwankenden Willkührherrschaft der Polizei mich befreien, mich auf den sichern Boden des Rechtes führen würde, liegt gegen mich gar nicht vor. Da die gesprächsweise Aeußerung der Ideen auch nicht gegen die Wohlfahrt des Staates, und gegen die bürgerliche Ordnung verstoßen kann: so hat auch die Polizei, ihrem wahren Berufe nach, kein Recht hier einzuschreiten.

Hier tritt uns ein neues Princip entgegen, ein Princip, das aus der ganzen Tiefe des wahrhaft christlichen [42] Staates hervorgeht; das sich in frühern, unkultivirten Zeiten in der roheren Form der Inquisition offenbarte, in unserm aufgeklärten Jahrhundert aber die feinere Form der Gewissenspolizei annimmt. So hoch der christliche Staat über dem bloßen Rechtsstaat steht: so hoch steht dies Princip über dem Princip desRechts. Das Gesetz der Liebe ist ein anderes, als das Gesetz der Gerechtigkeit. Der christliche Liebesstaat macht die Gewissenspolizei nothwendig, welche für das Heil der Seelen sorgt, welche die Richtungen und Tendenzen der Einzelnen controllirt. Hier kann auch die bloße Aeußerung von Ideen, insofern sie eine Abirrung vom Wege des Heils verräth, der Polizei anheimfallen, und ihrer christlichen Zucht und Besserung.

Meine Verweisung ist ein Zeugniß von ihrem Wirken, ist ein Werk der christlichen Gewissenspolizei.

Es bleibt also meine einzige Schuld die Äußerung gefährlicher Ideen übrig; und es kommt nun darauf an, mich noch wegen dieser Ideen vor dem Publikum zu rechtfertigen.

[43] Als Dokument meiner Ideen hat die Polizei mein Glaubensbekenntniß in Händen, das sie sich auf eine Weise verschafft hat, welche für ihren Eifer für mein Seelenheil zu sorgen, das beste Zeugniß ablegt.

Für ein anderes, gewiß sehr trügliches Dokument hält die Polizei die Widmung der Gottschall'schen Gedichte: »Madonna und Magdalena.« Aus dieser Widmung zu schließen, daß ich alle in diesem Buch ausgesprochenen Ideen theile, ist kühn, sehr kühn. Die Gedichte sind überdies mit preußischer Censur erschienen, die bei der Treue und Sicherheit, mit welcher sie gehandhabt wird, gewiß nichts Ansteckendes und Verderbliches die Quarantaine passiren läßt. Auch hat die preußische Censur gewiß mehr Intelligenz, ästhetische Bildung und poetisches Verständniß, als ein prosaisch-bornirter sächsischer Recensent in den »Blättern für litterarische Unterhaltung,« oder gar die ultramontane Münchener Jesuitenkolonie in den alleinseligmachenden »historisch-politischen Blättern

Was nun mein Glaubensbekenntniß anbetrifft: [44] so ist dies das Resultat meines Lebens, meiner Schicksale und Studien. Mag es abweichen von dem gewöhnlichen Glauben der Menschen; mag es den Meisten irrig und haltlos erscheinen: es ist meine feste Ueberzeugung, die mir einen festen Halt im Leben giebt. Keiner äußern Gewalt, am wenigsten der Staatsgewalt steht das Recht zu, dies mein innerstes Heiligthum anzutasten, so lange ich für diese Ideen keine äußere Propaganda stifte.

Ich glaube allerdings nicht an die Nothwendigkeit und Heiligkeit der Ehe, weil ich weiß, daß ihr Glückmeistens ein erlogenes und erheucheltes ist; daß sie in ihrem Schoße alle Verwerflichkeit und Entartung verbirgt. Ich kann ein Institut nicht billigen, das mit der Anmaßung auftritt, das freie Recht der Persönlichkeit zu heiligen, ihm eine unendliche Weihe zu ertheilen, während nirgends grade das Recht mehr mit Füßen getreten und im Innersten verletzt wird; – ein Institut das mit der höchsten Sittlichkeit prahlt, während es jeder Unsittlichkeit Thor und Thür öffnet; das einenSeelenbund sanktioniren will, während es meistens nur den Seelenhandel sanktionirt. Ich verwerfe dieEhe, weil sie [45] zum Eigenthume macht, was nimmer Eigenthum sein kann: die freie Persönlichkeit; weil sie ein Recht giebt auf Liebe, auf die es kein Recht geben kann; bei der jedes Recht zum brutalen Unrecht wird.

In den Instituten liegt die Unsittlichkeit, nicht in den Menschen; in den Menschen nur in sofern, als ihnen Einsicht und Kraft fehlt, um bessere Verhältnisse zu schaffen. Doch in uns'rem Jahrhundert liegt diese Sehnsucht, dieser hoffnungsreiche Drang und Trieb nach freieren Gestaltungen, welche endlich das rein Menschliche zu seinem Rechte kommen lassen.George Sand tritt uns als die Prophetin dieser freien schönen Zukunft entgegen, indem sie die Zerrissenheit und Nichtigkeit der jetzigen Verhältnisse mit unendlicher Wahrheit schildert. Durch die ganze neuere französische Litteratur geht dieser Zug des Schmerzes und der Sehnsucht, der heiligen oft entweihten Liebe einen Tempel zu bauen. Dies ist die einzige Frauen-Emancipation, an der auch meine Sehnsucht hängt, das Recht und die Würde der Frauen in freieren Verhältnissen, in einem edleren Cultus der Liebe wieder herzustellen. Sich selbst [46] wegwerfen ist die höchste Schande, und grade diese Schande wird durch die Ehe vor aller Welt zur Ehre gestempelt. Doch zu diesem neuen Cultus der Frauenwürde und Frauenliebe gehört vor allen Dingen eine tiefere Bildung und ein höheres Bewußtsein der Frauen selbst. Das ist die andere Seite einer vernünftigen Frauen-Emancipation, wie sie meiner Seele als Ideal vorschwebt.

Bildung erst giebt dem Leben und der Liebe die höhere Weihe und die innere Freiheit, ohne welche jede äußere Freiheit zur Chimäre wird. Nicht die Bildung des Confirmanden-Unterrichts, nicht die Bildung der Pensions-Institute; nein, das höhere Leben des Gedankens, wozu die Frau von der Natur eben so befähigt und berechtigt ist, als der Mann. Mag sie mehr Phantasie, mehr Gefühl haben; mag die Idee bei ihr gleich die Gestalt irgend einer Persönlichkeit annehmen, und eine ewige Menschwerdung feiern, um der Anbetung des Herzens zugänglicher zu werden: es ist doch etwas Allgemeineres, etwas Höheres, was dann den feurigen Pulsschlag belebt; und in der Poesie des weiblichen Herzens feiert der Gedanke des männlichen Kopfes ein fröhliches Auferstehen [47] zu neuem doppeltem Leben. Das Fühlen verlangt dieselbe schrankenlose Freiheit, wie das Denken, um nicht durch unwürdigen Zwang entehrt zu werden.

Und wie die bewußten Söhne dieses Jahrhunderts die Freiheit des Gedankens fordern, auf daß nicht länger das höchste Gut des Menschen der Laune und Willkühr preisgegeben sei: so müssen seine Töchter die Freiheit des Gefühls verlangen, auf daß es nicht länger verkauft werde in schnöder Sclaverei und den Launen verächtlicher Gebieter diene. Mögen die wenigen Glücklichen mich verlachen, die aus freier Wahl, mit klarem Bewußtsein, in seligem Tausch ihr Herz dahingaben; es werden Tausende sich finden, die aus tiefster Seele mir beistimmen, welche, der Macht und dem Zwange der Verhältnisse folgend, sich selbst zu ewiger entehrender Knechtschaft verdammten oder in früher bewußtloser Jugend verkauft, erst spät das verlorene, dahin geopferte Leben erkannten. Ja, diese sind am unglücklichsten, wenn sie kein Recht mehr haben auf ihr eigenes Selbst; und nun allzuspät die heilige Ahnung der Liebe mit allen ihren Seligkeiten aufsteigt, und die Anbetung eines würdigen Mannes[48] zum Fluche wird, der die erzwungene Harmonie eines durch Gewohnheit geheiligten Kreises stört. Denn an der Würde des Mannes entzündet sich die Würde des Weibes: und Weh' ihr, wenn dem erwachten Bewußtsein der eigenen Hoheit und Majestät nichts übrig bleibt, als ungesetzliche Empörung gegen die gesetzliche Knechtschaft!

Es ist hier nicht der Ort, meine Ideen auszuführen. Nur im Allgemeinen wollte ich sie andeuten, damit das Publikum sehe, wie weit sie von jeder Frivolität entfernt sind. Und wie könnte ich sie anders auffassen, als mit heiligem Ernst, da ich ihnen ja mein ganzes Leben zum Opfer brachte!

Mein Glaubensbekenntniß ist ferner in religiöser Beziehung abweichend von dem officiellen Glauben des Staates. Dies würde nur dann ein Verbrechen sein, wenn ich Missionaire für meine Ideen in die Welt schickte oder die Thesen eines neuen Glaubens an den Kirchthüren anschlüge. Sonst ist dies Glaubensbekenntniß meines Herzens Heiligthum, und ich beging ein Verbrechen gegen mich selbst, als ich leichtsinnig der Gewissenspolizei den Zutritt dazu eröffnete.

[49] Dem Publikum aber möge genügen, daß dies Glaubensbekenntniß allerdings ein religiöses ist, wenn wir mit dem großen Theologen Schleiermacher, Religion als die Form auffassen, in der sich jeder Einzelne mit dem Universum vermittelt. Ob ich dabei an einen persönlichen, lebendigen außerweltlichen Gott glaube oder nicht: ist ganz gleichgültig. Ich habe zwar für meinen Glauben die Autorität keines Religionsstifters anzuführen; aber wohl die Autorität aller Philosophen von Spinoza bis Hegel, mit denen ich gern zusammen verdammt und selig werden will. Ich habe das ganze Bewußtsein der Gegenwart für mich, das mit größerer oder geringerer Klarheit über jenen Glauben hinausdrängt; und gewiß die Überzeugung vieler meiner Richter, welche die Religion nur zu Staatszwecken dressiren. Ich nehme das Recht in Anspruch, auf »meine Façon« selig zu werden, mich auf meine Art mit dem Weltall zu vermitteln; ein Recht, das den Frauen so gut zusteht, wie den Männern. Eine Frau, die ihrer religiösen Privat-Überzeugung wegen, von den Behörden verdammt wird, hat das seltsamste Schicksal, das im neunzehnten Jahrhundert denkbar[50] ist, ein tragikomisches Schicksal, das nur von einer humoristischen Laune, von einem ironischen Einfall des Weltgeistes herrühren kann. – Das aber ist meine feste Überzeugung, daß gerade über die maßlose religiöse Heuchelei dieser Zeit über kurz oder lang der Tag des Gerichtes hereinbrechen, und den allgemeinen Unglauben strafen wird, der so lange mit der Maske des Glaubens kokettirt! Doch alle, welche offen und frei ihre Überzeugung aussprechen, gleichgültig gegen das Achselzucken einer in der Lüge großgezogenen Menge, und gegen das Stirnrunzeln der auf der Heuchelei ruhenden Staatsgewalten, retten ihre Seele vor dem künftigen Gericht der Geschichte.


Dies ist die einfache Erzählung meiner Verweisung und meine Rechtfertigung. Ich trete nicht auf als Klägerin gegen einzelne Persönlichkeiten, die ja meist willenlose Träger sind eines höhern Willens. Ich richte meine Klage gegen den allgemeinen Geist der Reaktion, der uns mit einer civilisirten Inquisition bedroht. Und grade ein schlagendes Beispiel dieser Inquisition, in Frack und Manschetten, glaubte ich dem Publikum vorführen zu können; ein Drama, [51] welches den einzigen Fehler hat, daß ich selbst darin die passive Hauptrolle spiele.

Ich rufe alle freien Männer auf zu meinen Advokaten! Sie werden nicht dulden, daß eine Frau so gewaltsamer Bevormundung unterworfen, daß ihre Seele polizeilich in den Himmel escortirt wird. Auch wir sind mündig, und wollen kämpfen für unsre Freiheit, für unser Recht! Die höchste Freiheit aber ist, daß wir wählen dürfen zwischen Himmel und Hölle! –

Ich rufe das deutsche Volk auf zu meinem Richter. Mag es eine Ueberzeugung verdammen, die es nicht theilen kann: es wird wenigstens meine Entrüstung theilen über eine polizeiliche Willkühr, die kein Recht der Persönlichkeit anerkennt! Dies ist das Damoklesschwert, das über dem Haupte eines Jeden schwebt; und die gleiche Furcht muß vereinigen, was ein ungleicher Glauben trennt. Auf die Verweisung der würdigen Veteranen der Freiheit, Itzstein und Hecker, folgt die Verweisung einer Frau, wie eine Posse auf ein Trauerspiel. Doch in der Posse zeigt sich oft der Zeitgeist offen in seinem ganzen Wesen, während er im Trauerspiel in verhüllter Größe einherschreitet.[52] Daß mein Beispiel einzig in seiner Art ist, rechtfertigt meine öffentliche Rechtfertigung. Es ist eine Anekdote für den Geschichtschreiber; doch eine jener unvergeßlichen Anekdoten, deren Pointe eine historische ist, weil in sie das innerste Leben und der ganze Charakter der Zeit ausläuft.

[53]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Aston, Louise. Autobiographisches. Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung. Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-13D4-1