Der Reiter und sein Ross.

Wer im Kleinen nicht Sorge trägt, muß im Großen Schaden leiden ... Das erfuhr einst ein Kaufherr, der, um eines schlechten Nagels halber, ein schönes Roß verlor. Dieser ritt von dem Markte nach seiner Heimath zurück, wohl bepackt mit Geld und Geldsorgen. In einem Städtchen hielt er Mittag; und der Knecht, als er ihm sein Pferd vorführte, sagte: »Herr, es fehlt dem Roß ein Nagel am Hufeisen, am linken Hinterfuß.« Ei was! sagte der Kaufherr; »Nagel hin, Nagel her! Die sechs Stunden, die ich noch zu machen habe, wird das Eisen wohl noch halten. Ich hab' Eile.« Und damit ritt er fort. Nach etlichen Stunden, als er wieder einkehrte und dem Rosse Brod geben ließ, kam der Knecht in die Stube, und sagte: »Herr, es fehlte euerm Pferde ein Hufeisen am linken Hinterfuß. [71] Soll ich's wohl zum Schmied führen?« »Hm! sagte der Kaufherr, Hufeisen hin, Hufeisen her! Die Paar Stunden, die ich noch zu machen habe, wird das Pferd wohl aushalten. Ich hab' Eile.« Und er ritt wieder fort. Er ritt aber nicht lange, so fing das Pferd zu hinken an; und das Pferd hinkte nicht lange, so fing es zu stolpern an, und es stolperte nicht lange, so fiel es endlich, und brach sich ein Bein, und stand nicht mehr auf. Da sagte der Kaufherr freilich nicht mehr: Pferd hin, Pferd her; sondern er kratzte sich hinter den Ohren, schnallte ganz stät die Geldkatze und den Mantel ab, und setzte seinen Weg fort, zu Fuß, wohlbeladen mit Geld und Geldsorgen; und er hatte nun keine Eile mehr. Unterwegs aber dachte er wohl: »An dem ganzen Unglück ist doch nur der vermaledeiteNagel Schuld.« Aber


Vorgethan und nachbedacht

Hat manchen schon in Schaden gebracht.


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Die Großmutter fuhr hierauf fort in ihrem Mährchen:

Als die Küchle gebachen waren, sagte die Mutter: »Da, nehmt's mit Dank, und esset ordele; und lasset kein Brösele fallen, oder ihr hebt's vom [72] Boden wieder auf; – es ist Gottes Gabe! – Und daß keins dem andern neidisch sey! Sonst gibt's Riß! – Kinderle, gönnt fein alles einander von Herzen, wie ich's euch gönne, und Gott gesegn' es euch!« Drauf sagte sie: Ich könnt' euch eine traurige Geschichte erzählen, wie's Menschen ergeht, welche Gottes Gabe verachten oder sie andern mißgönnen.

Es lebten zu einer Zeit zwei Grafen, von großem Reichthum und Ansehen; und ihre prächtigen Schlösser lagen nahe an einander auf hohen Bergen, und ein enges Thal war dazwischen. Der eine hatte in Söhnle, der andere ein Töchterle; und die Eltern wachten schon früh daran, wie sie beide einstens mit einander vermählen, und so ihre Güter zusammen bringen wollten. Und das wäre gut gewesen. Aber die beiden Grafen waren gar stolze und hochmüthige Herren, und sahen auf die andern Leute mit Verachtung herab, als wären sie nicht auch Menschen, wie alle. Und diesen bösen Sinn übertrugen sie auch auf ihre Kinder; und der Junker that über die Maßen wirrisch und vornehm gegen alle, die nicht seines gleichen waren, und das Fräule war zänkisch und neidisch, und gönnte Niemanden nichts. – Nun wohnte im Thale, das zwischen den beiden Schlössen lag, in einer ärmlichen Hütte ein altes Mütterle, [73] die sich kümmerlich nährte. An der Kirchweih aber mochte sie wohl denken: »Heute will ich mir auch einmal einen guten Tag anthun; und ich will, wie andere Leute, Küchle bachen; und wenn sie gut gerathen, so will ich auch den beiden jungen Herrschaften einige schicken.« Und es geschah; und sie schickte ein Paar der schönsten Küchle auf das eine Schloß, für den gnädigen Junker, und ein Paar andere, die eben so schön waren, auf das andere Schloß für das gnädige Fräule. Als der Junker durch den Boten die Ausrichtung gehört, da wurde er aus eitlem Stolz ganz unwililg, und er nahm das Teller, und warf die Küchle zu Boden, und trat sie mit Füßen, wobei er sagte: »Das sey eine Kost für gemeine Leute, aber nicht für vornehmer Herren Kinder.« Zu gleicher Zeit kam auch der andere Bot zum Fräule und machte seine Ausrichtung. Wie diese die schönen Küchle sah, und merkte, daß sie so gut schmecken, da erwachte in ihr der Neid, und sie sagte: »Was? dieses Lumpenvolk ißt so gut? So etwas gehört nur auf vornehmer Leute Tafel.« Und die Eltern beider Kinder, als sie das hörten, lachten dazu. – Ihr mögt denken, Kinder, daß solche Ruchlosigkeit nicht ungestraft geblieben. Die beiden Schlösser sind alsogleich, mit Mann und Maus, in die Erde versunken. Junker und Fräule sind aber [74] bei Leben geblieben. Wißt ihr, wie? und wo? Arme Bauersleute sind's geworden; die Eltern sind's gewesen von den sechs Buben, die in Raben verwandelt worden, und von dem kleinen Lisele, die sie mildthätig gespeiset. Jetzt wißt ihr alles, und ihr mögt nun fein eure Lehre daraus nehmen.

»Was ist denn aber aus dem Lisele geworden, und ihren sechs Brüdern?« fragten die Kinder. »Hab' ich's euch nicht schon erzählt? sagte die Mutter. Nun, sagte sie, so will ich's euch ein ander Mal erzählen.«


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Büchlein für die Jugend. 4. Das Mährchen von den Kücheln. - Der Reiter und sein Ross. usw.. Der Reiter und sein Ross. Der Reiter und sein Ross. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1493-D