15. Ei so beiß!

Ein Holzhacker hatte die Gewohnheit, daß er bei jedem Hieb, den er that, keuchend sagte: Ei so beiß! Das hörte einmal der Graf, in dessen Wald jener arbeitete; und der [62] Herr setzte ihn darüber zur Rede, warum er denn immer so sagte: Ei so beiß! Der Holzhacker antwortete: Mit Verlaub, gnädiger Herr! Hätte Adam nicht in den Apfel gebissen, so stünd' es wol mit uns armen Leuten besser, und ich brauchte nicht im Schweiß meines Angesichts das wenige schwarze Brod zu verdienen, wie ich leider! thun muß. Und darum zürne ich billiger Weise auf den alten Sünder, und sage unwillig: Ei so beiß! – Als der Graf, der ein leutseliger Mann war, diese Worte gehört hatte, sagte er zum Holzhacker: Wäret Ihr an Adams Stelle gewesen, Ihr hättet wol eben so gethan. – Straf mich der Himmel, wenn ich nur daran denken könnte, so etwas zu thun! – sagte der Holzhacker. Vollauf zu haben im ganzen großen herrlichen Garten, und nur sagen dürfen: Maul, was willst? Nein, Herr? Da könnte mir gar nicht einfallen, von dem verbotenen Baum zu kosten. Nun, sagte der Graf, weil Ihr denn gar so ein kluger, rechtschaffener Mann seid, so will ich Euch ein besseres Loos bereiten, ein so gutes, als Ihr nur wünschen möget. Kommt mit mir, holt Euer Weib; ich will Euch von nun an in meinem Schlosse also tractiren, daß Ihr es im Paradies nicht besser haben möchtet. Und also ist es geschehen. Der Holzhacker und sein Weib wurden auf das Kostbarlichste ganz neu gekleidet: es wurden ihnen schön gezierte große Zimmer eingeräumt, wo sie bequem schlafen, essen und wohnen konnten; und Mittags setzten ihnen eigens bestellte Diener ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Schüsseln vor, voll der feinsten, schmackhaftesten Speisen. Zuletzt, nachdem sie schon lange gesättigt waren, brachte ihnen noch ein Diener eine siebente, von gediegenem Silber, mit schönen, goldenen Zierrathen, die mit einem Deckel verschlossen war. Diese setzte der Diener gleichfalls auf den Tisch, sagte aber: Es sei des Herrn strengster Befehl, daß sie dieselbe nicht öffnen, viel weniger davon verkosten dürften. Der Mann sagte: Sie hätten ohnehin schon genug, er solle sie nur gleich wieder [63] forttragen. Das Weib aber wollte sie etwas näher betrachten, und konnte nicht genug die Zierrathen bewundern; trug aber sonst kein Gelüste, und die Schüssel wurde wieder unberührt weggetragen. Des andern Mittags wurde zuletzt auch wieder die silberne, bedeckte Schüssel vom Diener gebracht und auf dem Tisch zurück gelassen. Die Frau betrachtete sie mit noch größerem Wohlgefallen, als gestern, und auch der Mann schien Vergnügen zu haben an der wunderschönen Gestalt des Gefäßes. Curios! sagte die Frau, was doch der Graf für eine Absicht damit haben mag? Um das Ding blos so zu unserer Lust zu betrachten, das kann's wol nicht sein. Denn da dürften wir doch auch wol hinein schauen, wo es sonder Zweifel noch viel schöner ist, als von außen. Laß das Geschwätz, sagte der Mann; sei's was es sei, du rühr's mal nicht an. Und mit diesen Worten ging er vom Tisch, und legte sich auf das Polster. Die Schüssel wurde wieder unberührt abgetragen. Bei all dieser Herrlichkeit war es kein Wunder, daß der Holzhacker seine Arbeit vergaß, und den Adam, und das: Ei so beiß! und er war vollkommen zufrieden mit Gott und seinem gnädigen Herrn. Die Frau aber konnte fast die ganze folgende Nacht nicht schlafen. Die Schüssel ging ihr immer im Kopfe herum, und sie träumte, es sei darin weiß Gott was Wunderschönes enthalten; es däuchte ihr, als sei sie mit lauterm Gold und kostbarem Edelgestein ausgelegt, und ein großer, reiner Krystall funkelte dazwischen, aus dessen Spiegel ihr die ganze Zukunft in die Seele leuchtete. Als daher Mittags die verbotene Schüssel wieder auf den Tisch kam, so konnte sie ihr Gelüste nicht mehr verschweigen. Sie erzählte ihrem Manne zuerst den Traum, und schilderte ihm die Kostbarkeiten, die sie gesehen. Dann meinte sie: sehen koste ja nichts, und es sei keine Gefahr dabei, da sie Niemand bemerkte. Dann sagte sie, es solle nichts berührt oder gar genommen werden; nur in den Krystall wolle sie schauen, [64] und die Zukunft darin lesen. Der Mann schüttelte anfangs den Kopf, und sagte: Nein. Als sie aber wiederum von Neuem anfing und nicht aufhörte zu bitten und zu betteln: nur ein wenig den Deckel zu heben, um wenigstens zu sehen, ob was drinnen sei; da, nachdem er sich vorher überall umgesehen, ob Niemand sie belauschte, gab er ihr nach, und sagte: Ins Teufels Namen! so lug, damit ich Ruhe habe. Sie lupfte den Deckel, und sieh da, – ein Mäuslein sprang heraus und davon, und ins nächste Loch hinein. Die beiden Leute sahen sich einander ganz erschrocken an; und wie sie noch stumm und still, wie leblos, da saßen, kam der Graf herbei, und fragte sie, was sie hätten? Nichts! sagte die Frau zitternd. Der Herr, wol merkend, was geschehen, hob den Deckel auf, und sagte dann: Also habt ihr mein Verbot nicht geachtet? Mein Weib da! sagte zornig der Mann. Dein Weib, versetzte der Herr, ist eine Eva, und du ein Adam. Lüsternheit hat euch, wie die Schlange unsere Stammeltern, in Versuchung geführt, der ihr nicht habt widerstehen können. Darum sollt ihr büßen gleich ihnen, und wiederum das Brod im Schweiße eures Angesichtes essen. Und so mußten denn er und sie sogleich die kostbaren Kleider wieder ablegen, und die schöne Wohnung verlassen, und zu ihrer Hütte und zur Arbeit zurückkehren. Seit der Zeit hat der Holzhacker nicht mehr auf den Adam, den alten Sünder, gezürnt, und sein Lebenlang nicht mehr gesagt: Ei so beiß!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Ein Volksbüchlein. Erster Theil. 2. Allerlei erbauliche und ergötzliche Historien. 15. Ei so beiß!. 15. Ei so beiß!. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-160D-D