120. Der bekehrte Ritter.

Ein Ritter in der Ortenau war so böse, daß er jeden seiner Hörigen, der ihm beim Fahren nicht auswich, niederstach. Um ihn zu bekehren, betete seine fromme Frau Tag und Nacht und lud einst viel Bischöfe und Priester zum Mittagsmahl. Bei dessen Beginn sagte der Ritter zu seinen Gästen, sie sollten nun fröhlich sein, aber nichts von der Ewigkeit sprechen. Darauf erwiederten die Geistlichen blos: »Jeder Mensch bedenke die Gebote: Was du nicht willst, das dir geschehe, das thue auch keinem andern! und: alles, was du willst, daß dir die andern thun, das thue ihnen auch!« Diese Lehre ging dem Ritter so zu Herzen, daß er beschloß, sich zu bessern. Nach der Tafel gab er seinen heimkehrenden Gästen drei Stunden weit das Geleit, und als er dann zurückfuhr, kam ihm einer seiner Bauern mit einem Wagen voll Holz entgegen, an den sechs Ochsen gespannt [114] waren. Bei Erblickung seines Herrn wich der Bauer mit seinem Fuhrwerk so weit aus, daß dasselbe in den Straßengraben stürzte. Schnell sprang der Ritter hinzu, half Ochsen und Wagen heraufschaffen und sagte dem erstaunten Bauer, er solle ihm künftig nicht mehr als andern ausweichen. Darauf fuhr er weiter und begegnete einem Männlein, das ihn um ein Almosen bat. Indem er ihm einen Kronenthaler gab, fragte er, wo es übernachten werde. »Unter einem Baum!« erwiederte es, und darauf der Ritter: »Setze dich lieber zu mir in den Wagen und bleibe auf meiner Burg über Nacht.« Daselbst angekommen, wollte das Männlein mit einem Platz im Stalle vorliebnehmen, allein der Ritter räumte ihm das Bett seiner Frau ein, das neben dem seinigen stand. In der Nacht wurde er durch das Jammern des Männleins geweckt, das über brennenden Durst klagte; er stand auf, ging selbst in den Hof um Wasser zu holen, aber beim Aufziehen des Eimers bückte er sich zu tief in den Brunnen und stürzte hinein. Am Morgen sah die Magd ihn todt darin liegen, und als man ihn herausgezogen, fand man auf seinem Herzen mit goldnen Buchstaben geschrieben, daß er, wegen seiner gründlichen Bekehrung, gleich in den Himmel gekommen sei. Das Männlein war verschwunden, und in seinem Bett keine Spur, daß jemand darin gelegen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Baader, Bernhard. Sagen. Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. 120. Der bekehrte Ritter. 120. Der bekehrte Ritter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1B0D-0