406. Falkenstein und Tidian

Weit berufen ist das stattliche Schloß Falkenstein im Harz über dem Selketale, vorzugsweise weit und breit das Schloß genannt, darauf haben schon in uralten Zeiten mannliche Harzgrafen gesessen und hat ein Graf Hoyer von Falkenstein das berühmte alte Rechtsbuch, der Sachsenspiegel genannt, durch einen Edelmann, Ecko von Rebkau, sammeln und aus der lateinischen in die deutsche Sprache übertragen lassen.

Auf Schloß Falkenstein hauste ein Burggeist, der manchen Spuk übte. Da einstmals viele Grafen und Herren der Umgegend, darunter auch ein Graf von Anhalt war, auf Falkenstein beim Spiele saßen und dieser Graf alles verloren hatte, was er bei sich trug, setzte er noch ein oder einige Haare seines Bartes zum Spielpfande ein und verlor auch die. Niemand unterfing sich, dieselben ihm ausraufen zu wollen, und er selbst tat es auch nicht. Aber in der Nacht stattete ihm der Burggeist einen Besuch ab und forderte das Spielpfand und nahm's. Einen andern edlen Herrn, der in verschlossener Kammer schlief, soll derselbige Geist aus dem Bette geworfen haben, doch könnte dies auch der Weingeist gewesen sein. Schloß Falkenstein ist noch im Stande trefflicher Erhaltung, und werden da selbst viele merkwürdige Gegenstände gezeigt.

Nahe beim Falkenstein liegt der Wald Tidian und in demselben eine tiefe Höhle, die Tidianshöhle geheißen, von der geht manche Sage. Es ruht in ihr neben andern reichen Schätzen ein ganz goldner Mann; wem es glückte, von diesem Mann etwas abzubringen, der hatte, wie die Goldschmiede erprobten, ein Gold, das an Reinheit und Feinheit jedes andere übertraf. Ein Schäfer, der so glücklich war, die Wunderblume zu finden, fand auch die Tidianshöhle; die eiserne Türe öffnete sich ihm, und er gewann Goldes die Fülle, das ein Goldschmied in Quedlinburg ihm abkaufte, gegen den der Schäfer kein Hehl machte, wo er es gewonnen. Der Goldschmied sprach zu ihm: Bringe mehr, und der glückliche Schäfer, immer noch im Besitz der Wunderblume, ging und fand und brachte mehr. Da kam ein Graf von Falkenstein zum Goldschmied, ein Geschmeide zu kaufen, verlangte es vom feinsten Golde, und da sprach der Goldschmied: Das feinste Gold kommt vom Tidian. Vom Tidian, aus meinem Walde? fragte erstaunt der Graf und erfuhr nun des Schäfers Glück. Solches wollte der Graf nicht nur teilen, denn vom Teilen mit dem gemeinen Mann sind die Grafen und Herren allüberall niemals und im geringsten nicht Freunde gewesen, sondern er wollt' es alleinig besitzen, ließ den Schäfer entbieten und befragte ihn scharf, warum er ihm, dem Grafen, das Gold aus dem Berge trage, gleich solle er den Ort zeigen, wo er es gefunden. [282] Dem armen Schäfer, der an ein Unrecht nicht gedacht und genommen hatte, was gütige Berggeister ihm gönnten, erzitterte das Herz, er ließ seinen Hut aus der Hand fallen, da sprang des Grafen Affe herbei und nahm den Hut, spielte damit und zerbiß und zerpflückte die Wunderblume in eitel kleine Stücken. Wohl führte gehorsam der Schäfer seinen strengen Herrn in den Tidian, wohl fand er die Höhle, aber wo die eiserne Türe zum Innern sich geöffnet, da hemmte jetzt starrer Fels jeden Weiterschritt.

Die Sage geht, daß die Tidianshöhle ihre Schätze so lange festhalten müsse und werde, bis auf Schloß Falkenstein drei Herren geboren werden und gewohnt haben, von denen einer blind, einer lahm und einer stumm ist, und dieses ist noch nicht dagewesen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 406. Falkenstein und Tidian. 406. Falkenstein und Tidian. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-21EE-9