103. Vom Siebengebürg

Von sieben Burgen, die auf nachbarlichen Berghöhen einander nahe lagen, hat das Siebengebürge am Rhein seinen Namen, und nicht von einem Gebirge, nichtMons Sibenus, wie die Alten im barbarischen Latein es nannten, sollte [88] es geheißen haben, sondern Heptapyrgos, obschon diese Berggruppe auch den Namen eines kleinen Gebirges verdient. Die Namen dieser Burgtürme waren: Drachenfels, Wolkenburg, Löwenburg, Dadenberg, Blankenberg, Mahlberg und Stromberg. Die Niederländer hatten den Glauben, daß in dem innern Bergesschoß des Siebengebürgs der Fegefeuersitz sei, wie die Thüringer vom Hörseelberg glaubten, wohinein auch die armen Seelen gebannt würden, die das Jüngste Gericht den Böcken zugesellen müsse. Die hatten also schon etwas voraus, nämlich ihr Urteil. Bisweilen sieht man zwischen den Burgen und Bergen, deren viel mehr als nur sieben sind, eine und die andere Seele leibhaftig spuken gehn; da tappt sich mühselig ein Gespenst mit beschwerten Füßen durchs Klippengestein, das ist der Geist eines Wucherers aus Köln, hierher verwünscht, mit bleiernen Schuhen umzuwandeln bis zum Jüngsten Tag. Dort flackert ein rasches großes Licht heran, ein Feuermann, rast- und ruhelos; es ist der Geist eines weiland sehr feurigen Staatsministers aus Bonn, der feurig und eifrig bemüht war, das Volk zu schinden und mit ekelhaftem Geiz Schätze für sich zu häufen, und war ihm ganz einerlei, ob die ganze Welt zugrunde ging, wenn er nur hatte. Ein gemütlicher Bauer traf den Minister-Feuermann einstens bei Königswinter an, erkannte in ihm das Glied aus der berühmten Ministerfamilie Kümmelspalter und rief ihn an: Warte he mant en bisken! Ick will mir mant an ihm mine Piepe anzonden! – Su – hebbe jou Dank! – Da pustete und prustete der Feuermann und schnob einen ganzen Regen von Funken um sich her, mußte aber doch stillhalten und dem Bauer die Pfeife an sich anzünden lassen, und als der Bauer obigen Dank gesagt hatte, fügte er noch hinzu: He is mant doch ein schlechter Kerel geweten! Dat bisken Brennen schadt ihm nich de Lus! – Dort fährt viermal im Jahre auf einem Wagen mit Feuerrädern ein verdammter Bürgermeister Kölns, der seine Stadt an den Feind verriet, lichterloh brennend umher. Wenn die Talschluchten Nebel dampfen aus dem Siebengebürg und Wolken schwer um die Gipfel schweben, so sind das die ganzen Scharen armer Seelen, die von Zeit zu Zeit aus dem Bergesschoß, wie die Züchtlinge aus einem Philanthropin, herausdürfen, um der frischen Luft zu genießen. Sie müssen sich aber immer wieder hineinverziehen. Die höchste Spitze des kleinen Gebirgs ist der Drachenfels, er ist mit Drachen- und Lindwurmsagen völlig umschuppt und umpanzert, es wäre mit ihnen allein leicht ein Buch zu füllen. Hier hat der hörnene, nicht der fälschlich so genannte gehörnte Siegfried des alten deutschen Volksbuchs den Drachen erlegt, gebraten und mit seinem Fett, das zu Horn erhärtete, sich überall die Haut bestrichen, daß sie unverwundbar ward. Nur zwischen die Achseln vermochte er nicht zu langen, eine kleine Stelle blieb unbestrichen, und das ward hernach die Ursache, daß der Kampfheld erlag, denn gerade, als Siegfried sich an einem Brunnen niederbückte und diese Stelle preisgab, schleuderte ein boshafter Feind eine Lanze auf ihn, die ihm tödlich ward.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 103. Vom Siebengebürg. 103. Vom Siebengebürg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2288-7