451. Wie die Wartburg erbauet ward

Über Eisenach, wo der alten Sage nach in grauen Zeiten ein König des Namens Günther soll gesessen haben, dessen Tochter Chrimhilde Etzel, der Hunnenkönig, freite und stattliche Hochzeit allda hielt, hob ragend über alle Nachbarberge ein felsreicher Gipfel sein [312] vom Fuße der Menschen selten betretenes Haupt. Wohl umgürtete auch bereits eine Burgenkette das Thüringerland, denn es standen schon die alten Dispargen der Frankenkönige auf götterheiligen Höhen, Kyffhausen, Disburg, Merwigsburg, Scheidungen und andere, und es schirmten die Trutzfesten Heldburg, Koburg, Sorbenburg, Rudolfsburg, Eckartsburg, Freiburg, Giebichenstein, Sachsenburg, gleich den Geschlechterwiegen Greiffenstein (Blankenburg), Schwarzburg, Käfernburg, Gleichen, Blankenburg am Harz, Anhalt, Mansfeld, Stolberg, Frankenstein, Frankenberg, Henneberg u.a. neben so manchem Dynasten- und Herrensitz. Einen solchen hatten jenseit des Waldes die Herren von Frankenstein über Eisenach, das war der Mittelstein, ihr Stammschloß aber lag überm Walde drüben im Werratale. Da nun Graf Ludwig, Ludwig des Bärtigen Sohn und später zubenamt der Springer, von seiner Schauenburg durch das Tal ritt, in dem er hernachmals das Kloster Reinhardsbrunn gründete (nach einem Töpfer also genannt, dem an einer gewissen Stelle wunderbare Flämmchen erschienen), so kam er das Hörseltal entlang, der Spur eines Wildes folgend, und ward durch den Anblick eines Felskegels überrascht, der, sonnig angestrahlt, sich hoch über die Nebel hob, welche die Täler umschleierten. Der junge Graf hielt sein Roß an, sann und dachte und sprach es laut: Wart Berg, du sollt mir eine Burg werden! und erwartete sein Gefolge. Da vernahm er nun von ältern Jagdbegleitern, daß jener Berg nicht sein und seines Vaters Eigen sei, sondern der Frankensteiner, deren Gebiet an das seine grenze. Aber das irrte den Grafen Ludwig nicht, er ersann eine sonderliche List, ließ von seines Vaters nahem Gebiete heimlich und zur Nachtzeit Erde in Körben auf den Gipfel schaffen, sie droben handhoch übern Boden breiten, dann begann er Wälle aufzuwerfen und Grund graben zu lassen. Spät genug wurden die Herren von Frankenstein inne, daß hoch über ihrem Mittelstein jemand baue, ohne sie zu fragen. Ob sie das nun schon nicht leiden wollten, so ging es ihnen wie dem Knaben im Liede, der das Röslein brach, sie mußten es eben leiden, denn wenn sie den Grafen angriffen, so konnte er von seiner Höhe herab mitten in ihren Mittelstein ganze Fuder von Steinen schleudern lassen. Nun war gerade eine Zeit grausamer Hungers- und Durstnot, als dieses sich im Jahre 1067 zutrug; es gab so wenig Wein, daß er an manchen Orten sogar zum Abendmahl fehlte, welches sehr schrecklich war. Da nun die Armen allerorten hörten, daß der Thüringer Graf eine Feste baue, so strömten sie in Scharen herzu und schleppten Steine und halfen arbeiten, nur um das tägliche Brot zu gewinnen und nicht Hungers zu sterben, denn es hatte sich schon zu dieser Zeit zugetragen, daß ein Mann aus dem Grabfeld, der auch mit seiner Frau und einem zarten Kinde nach Thüringen herein zum Burgbau zog, sein Kind hatte schlachten und essen wollen, welches auch geschehen wäre, wenn ihm nicht Gott zwei Wölfe gezeigt, die soeben eine Hinde zerrissen hatten. Da scheuchte er die Wölfe von ihrer Beute und führte die Hinde zur Sättigung mit sich fort.

Mittlerweile klagten nun die Herren von Frankenstein bei Kaiser und Reich, daß der Graf auf das Ihre baue, und da auch zu jener Zeit die Prozesse schon die längliche Natur hatten, die ihnen zum großen Nutzen und Frommen der Gerichte und Anwälte bis auf unsere Tage wohlweislich erhalten worden ist, so wurde der Bau unterdessen fertig, und der Graf nannte die neue Burg Wartburg, von dem Wort, so er damals gesprochen, als er den Berg zum ersten erblickt hatte. Wie nun endlich ein Spruch geschehen sollte, da erbot sich der Graf zum Beweise gegen die Frankensteiner, daß er nicht auf das Ihre, sondern auf das Seine baue, erkor sich nach der Sitte zwölf Eideshelfer, das an Ort und Stelle eidlich zu erhärten, trat mit diesen Ehrenmännern hin, zogen ihre Schwerter, steckten sie in den aufgeschütteten Boden und schwuren mit ihm einhelliglich, daß sie auf des Grafen eigner Erde und auf seinem Boden ständen. Gegen die Eidesleistung solcher Schwurhelfer und Geschwornen galt nun [313] keine Einrede, und die Herren von Frankenstein mußten vom Gericht von Rechts wegen das höchste Unrecht leiden. Also ist die Wartburg erbaut und benamt worden. In neuerer Zeit sind auf ihr tief unterm Schutt zwölf große eiserne Schwertklingen, stark gerostet, überkreuzt beisammenliegend, aufgefunden worden, und wird dafür gehalten, daß das die Schwerter der Eideshelfer Graf Ludwigs gewesen, die in den Boden eingesenkt worden, diesen noch mehr zu festen.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 451. Wie die Wartburg erbauet ward. 451. Wie die Wartburg erbauet ward. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-22C2-1