854. Sankt Emmeran

Was der heilige Sebald für Nürnberg ward, hochverehrter Wundertäter, segenwirkender Schutzpatron und gefeierter Heiliger, das alles wurde Sankt Emmeran für die freie Reichs- und Reichstagstadt Regensburg, von der die Rede geht, daß sie so viele Kirchen und Kapellen gehabt als das Jahr Tage. Der heilige Emmeran oder Heimeran stammte aus Guienne und war Bischof von Poitiers. Aus Neigung, die Heiden zu bekehren, kam er nach Deutschland und nach Bayern. In diesem Lande hatte zwar der heilige Rupert bereits den Samen des Christentums ausgestreut, jedoch noch nicht an allen Orten, und Theodo V., der Bayerherzog, bat Sankt Emmeran, das gottselige Werk fortzusetzen. Herzog Theodo hatte eine schöne Tochter namens Utha, und Utha hatte einen Liebsten namens Siegebald, und der hatte den Namen mit der Tat, er hatte bald gesiegt, und zwar allzubald, und war darüber bei Utha großes Herzeleid, und wußte sich keines Rates, fürchtete vielmehr, daß der Zorn ihres Vaters und Bruders sie und ihren Geliebten töten würde. Da entdeckte sie sich dem heiligen Emmeran, und der fromme reine Mann war von so himmlischer Güte, daß er ihr den Rat gab, sie möge ihn als Täter nennen. Ob er nun glaubte, die Sache damit minder schlimm für Utha zu machen und der Rache zu entgehen, da er gerade im Begriff war, gen Rom zu reisen, oder ob er sich nach dem martervollsten Tode sehnte, weiß man nicht. Er reiste ab, und die geängstigte Utha befolgte seinen Rat. Zornentbrannt warf sich alsbald Landopert, ihr Bruder, mit einer Schar Mannen [557] aufs Roß und setzte dem frommen Pilger nach, holte ihn auch bald genug zwischen dem Inn und der Isar beim Dorfe Helfenburg ein und schrie ihn spöttlich an: Ei guten Tag, Bischof! Ei guten Tag, Herr Schwager! – ließ alsbald Emmeran greifen, auf eine Leiter binden, ihm die Hände und Füße abhauen, die Nase und Ohren abschneiden, die Augen ausstechen und den verstümmelten noch lebenden Körper in die Sonne stellen. Als die grause Tat geschehen war, wurden zwei Männer sichtbar, welche eilig die abgelösten Gliedmaßen des heiligen Mannes sammelten und vor den Augen der Mordknechte verschwanden, und zu dem wahnbetörten Landopert trat Wolflet, ein Geistlicher, dem Emmeran alles vertraut und seinen Tod vorausgesagt hatte, und welcher, als die Mordtat geschah, nicht beihanden war, hätte sie auch schwerlich hemmen können. Nun freilich ward Landopert die übereilte grausame Tat von Herzen leid, war aber einmal geschehen, und wurde der Körper erhoben und gen Regensburg geführt, und da fuhr die Seele aus dem Munde des Gemordeten wie ein rosenroter Blitzstrahl und fuhr gen Himmel. An dem Orte des Mordes wölbte sich von selbst ein grüner Hügel, wie ein Grab, und geschahen daselbst unzählige Wunder. Der heilige Leichnam wurde zu Regensburg in St. Georgen beigesetzt, und Landopert erbaute zur Sühne und zur Buße seiner Untat das berühmte Stift St. Emmeran. Solches alles hat sich begeben im Jahre des Herrn 652, da noch die Agilolfinger in Bayern herrschten. Ob des heiligen Mannes schuldloser und blutiger Opfertod der Prinzessin Utha zugute gekommen, meldet die Sage nicht, aber der Stadt Regensburg ist dieser Tod zu hohem Glück gediehen bis zur Zeit, da in Kostnitz das Konzil war und der Huß verbrannt wurde. Da sind in Regensburg zwei Geistliche gewesen, die haben es laut gesagt, daß dem Huß zu viel geschehen sei. Da wurden diese beiden ergriffen und ihnen auch gleichwie dem Huß getan, und ward damals der Ketzerturm erbaut. Von dieser Zeit an, erging die Sage, habe man bemerken wollen, daß sich das Glück dieser Stadt gar merklich verkehrt und ins Abnehmen gekommen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 854. Sankt Emmeran. 854. Sankt Emmeran. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-264A-2