906. Der Falkensteiner

Im Kinzigtale saß ein Ritter, Kuno von Stein geheißen, der zog in das Heilige Land, doch mit dem Vorsatz, binnen Jahresfrist wieder daheim zu sein, und sagte das seiner Frauen, indem er hinzusetzte, so er nicht nach eines Jahres Ablauf wieder daheim sei, solle sie seiner auch ferner nicht harren. War es ihm ernst mit dieser Rede, so machte er von vornherein die Rechnung ohne den Wirt, denn so schnell ließ sich damals nicht nach Palästina fahren und wiederkehren. Zu allem Unglück wurde der biedre Ritter auch noch von den Sarazenen gefangen und mußte im Pfluge ziehen, wie der Mann der getreuen Frau Florentina. Da erging es ihm wie dem edlen Möringer, er hörte eine Stimme – nur daß es keine Engelstimme war –, die ihm zuflüsterte, seine Frau gehe damit um, einen andern Mann zu nehmen, und das war ihm sehr störend. Da trat ein kleines Männlein zu ihm in sein Schlafgemach und bot ihm an, ihn gen Schwaben zu führen, wie Herzog Heinrich der Löwe gen Braunschweig sei geführt worden, nämlich auf einem Löwen, und zwar ohn allen Entgelt, so er nur auf der Reise und auf des Löwen Rücken nicht einschlafe. Da nun kein andrer Weg vorhanden war, der rascher heimwärtsführte, als der dargebotene, so schloß der Ritter von Stein einen Pakt mit dem Männlein und gab es ihm schriftlich und mit seinem Blut geschrieben, daß er nur für den Fall des Männleins mit Leib und Seele sein solle und wolle, wenn er einschlafe. Nun ging der Löwenritt durch die Luft vonstatten und war nicht kurz, und der Schlaf kam dem Ritter mächtig an und drückte ihm auf den Augenlidern mit bleiernen Flügeln. Schon war er am Einnicken, da bekam er etwas in sein Gesicht wie eine Watsche – es war aber nur der Schlag des Flügels eines weißen Falken, der über ihm flog und ihn ermunterte, und dieses tat der Falke so oft, als der Ritter dem Andrang des Schlafes nicht mehr widerstehen konnte, bis der Morgen graute und der Ritter seinen Stein erblickte und bald darauf im Burghofe die Hähne krähten. Da krachte ein Donnerschlag, und der Löwe warf im Hof den Ritter ab und verschwand mit einem Brüll, und des Ritters Pakt flatterte zerrissen aus der Luft in seine Hand. Auf der höchsten Turmzinne aber saß der weiße Falke und kreischte und breitete sein Geflügel dem Sonnenaufgang entgegen. Da rief der Ritter zum Falken Dank hinauf und setzte dessen Bild hernachmals in sein Wappenschild und nannte sich nicht mehr einen Herrn von Stein, sondern einen Herrn von Falkenstein. Ob er zur Hochzeit seiner Frau mit einem andern noch gerade recht gekommen, sie zu verhindern, und ob bei ihr große Freude darob gewesen oder nicht, davon meldet die Sage nichts Gewisses.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 906. Der Falkensteiner. 906. Der Falkensteiner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-29B6-1