648. Vom Zobtenberge

In der Nähe der Stadt Schweidnitz erhebt sich ein Bergstock voll schauriger und malerischer Naturschönheit wie voll Sagen, der Zotten- oder Zobtenberg, genannt der schlesische Wetterhahn. Dieser Berg soll innerlich voll ungeheurer Schätze sein. Eine Raubburg krönte seinen Gipfel, in ihr hauste ein Ritter, den hieß man nur den Hammerschlag; er führte kein Schwert, sondern schlug die Menschen mit einem Hammer tot, und keiner, den er traf, überlebte den dritten Schlag, wenn er nicht schon am ersten genug hatte. Endlich ermannte sich der Mut der Schweidnitzer Bürgerschaft zur Abwehr, die Burg ward erstürmt, und ihre Trümmer begruben ihren Herrn und seine Hauptrottgesellen. Die sitzen nun tief in des Berges Schoße als Büßer ihrer Untaten. Einstens, im Jahre 1570, geschahe es, daß eines Sonntags ein Bürger aus Schweidnitz, Johannes Beer genannt, einen Spaziergang auf den Zobten machte, wie er schon öfters getan, und da sah er von ohngefähr eine früher noch nicht erblickte Öffnung, aus der ein Luftzug strömte. Es verwunderte ihn das, doch ging er nicht hinein, sondern wieder nach Hause, aber die Höhle kam ihm Tag und Nacht nicht aus den Gedanken. Am nächsten Sonntag ging Johannes Beer wieder auf den Zobten hinauf, fand die Öffnung und wagte sich hinein. Er kam in einen Felsengang und in eine Grotte, in die er nach dreimaligem Klopfen durch eine Türe trat, aus welcher durch eine Glasscheibe ein heller Lichtschein strahlte. In der Höhle stand ein Positiv mit silberner und goldner Klaviatur. Darauf spielte Beer, und es gab einen gar wundersamen feierlich erhabenen Klang. Und da ward er eines runden Tisches gewahr mitten in der Höhle, daran saßen drei lange, bleiche, ganz abgemergelte alte Männer in ritterlicher Haustracht und mit Baretten auf ihren Häuptern, mit bekümmerten Mienen und zitternd. Vor ihnen auf dem Tische hat ein großes goldbeschlagenes Buch gelegen, gebunden in schwarzen Samt. Zu diesen Männern sprach Johann Beer: Pax vobis! – Darauf antworteten die Alten aus einem Munde schauerlich: Hic nulla pax. – Noch einmal, den Männern näher tretend, rief Beer: Pax vobis in nomine domini! – aber mit matter Stimme und erzitternd flüsterten eintönig die Greise:Hic non pax. – Da trat Beer ganz nahe heran zu dem runden Tisch und sprach noch einmal: Pax vobis in nomine domini nostri Jesu Christi! – Darauf antworteten die Alten gar nicht, sondern deuteten auf das schwarze Buch, schlugen es auf und zeigten dessen Titel, welcher lautete: Liber obedientiae, Buch der Buße. – Wer seid ihr Männer? fragte Beer. – Wir kennen uns selbst nicht! antworteten jene. – Was tut ihr hier? fragte er weiter. – Wir erwarten das Jüngste Gericht und den Lohn unserer Taten hier in Schrecken! scholl die Antwort. – Welche Taten sind das? war die Weiterfrage. – Da wiesen sie auf eine Seitengrotte, vor der ein Vorhang sich hinwegzog, und darin lagen und hingen tödliche Waffen, Hirnschädel, Knochen und ganze Menschengerippe. – Bekennet ihr euch zu diesen Werken des Mordes? – Ja! – Erkennet ihr sie für gute oder böse? – O böse, böse! – Und sind sie euch von Herzen leid? – Wir wissen es nicht, frage nicht weiter! sprachen noch einmal die Alten und erzitterten heftiger denn zuvor – und Johannes Beer empfand ein tiefes Grauen und eilte aus der Höhle des Zobtenberges zurück. Nie fand er sie hernachmals wieder.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 648. Vom Zobtenberge. 648. Vom Zobtenberge. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2A49-2