556. Des Bilsenschnitters Lohn

Ein habsüchtiger Mann, der ein Bilbze war, rüstete sich an einem Johannistage bald nach Mitternacht, um noch vor Sonnenaufgang seinen unheimlichen Gang anzutreten. Aus einem der verborgensten Winkel seines Bodens brachte er ein sorgfältig verstecktes dreieckiges Hütchen und zwei kleine sichelförmige eiserne Instrumente und verwahrte dieselben unter seinem Kittel. Indem er nun den Marsch zu seines Nachbars Kornfelde richtete, vermied er jemand zu begegnen, denn wenn jemand den Bilsenschnitter auf solchem Wege anredet und grüßt, kostet es diesem das Leben. Gierig überblickte er das in Üppigkeit dastehende Getreide und freute sich im voraus, dasselbe durch seine Höllenkunst zur Hälfte in seine Gewalt zu bekommen. Eilig wurde nun das Hütchen aufgesetzt, die Sicheln an die großen Zehen gebunden und, quer durch das Feld schreitend, die Halmen abgesichelt. Schon war er auf seinem Rückwege an die ersten Häuser des Dorfes gekommen und hatte nicht bemerkt, daß er unter die Kuhherde des Gutsbesitzers geraten war. Eiligst schlüpfte er in ein Seitengäßchen, um nicht durch den Morgengruß des Hirten unglücklich zu werden. Aus Verdruß aber tat er im Vorbeigehen es den Kühen an, daß sie blutige Milch gaben. Die Mägde riefen nach dem Abendmelken den Hirten und beklagten das Unglück. Der schlaue Hirte aber ahnte den Zusammenhang, eilte zum klugen Manne, der in einem nahen Waldhause lebte, und erzählte das Ereignis. Dieser hieß nun den Hirten ruhig nach Hause gehen, indem der Täter sich schon selbst anzeigen werde. Und nun tat der kluge Mann durch Künste der Sympathie und Antipathie dem, der die Kühe geschädigt, die Angst an, das heißt nach dem Volksglauben, er machte, daß jener nicht Ruhe noch Rast hatte, bis ihm der Eigentümer des Viehes etwas borgte. Fürchterliche Angst ergriff den Bilsenschnitter, es zog ihn mit aller Gewalt zu dem Gutsbesitzer, er stürzte ohne zu grüßen in dessen Zimmer und bat um Gottes willen, ihm ein Brot zu borgen. Der Gutsherr erstaunte über das ungewöhnliche Verlangen und überlegte, was hier zu tun sei; nun fiel der Bilsenschnitter in der größten Angst auf eine Kniee und flehte, ihm nur ein Stückchen Brot zu leihen. Der Gutsherr erfüllte endlich den Wunsch, und der Bilsenschnitter entfernte sich eiligst. Bald aber traf ihn eine größere Not; sein Nachbar bemerkte nur zu bald, wer ihm den Gang in seinem Kornfelde gemacht. Dieser raffte in großem Ärger eine Handvoll Ähren, welche von dem Bilsenschnitter abgeschnitten waren, auf, band sie zusammen und hing sie in seinen Schornstein, denn das war das kräftigste Gegenmittel gegen den bösen Zauber. Von dem Tage an begann der ruchlose Bilsenschnitter in ein abzehrendes Siechtum zu verfallen, und da der Grundstückbesitzer die Ähren nicht wieder aus der Feueresse tat, so vertrocknete jener gleich den Ähren, wurde eine lebendige Mumie und allen Leuten ein Scheusal, bis er elendiglich dahinstarb. Das war der Lohn seiner verruchten Frevel.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 556. Des Bilsenschnitters Lohn. 556. Des Bilsenschnitters Lohn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2B3E-3