759. Otto der Schütz

Als die mutige Thüringerin Sophia ihrem Kinde von Brabant trotz Heinrichs des Erlauchten Widerstreben ein schönes Erbland mit ihres Anhanges Hülfe erstritten hatte und das Haus Hessen fest begründet war, hatte Heinrich, zubenamt der Eiserne, Landgraf von Hessen, der ein Enkel war Heinrichs I., des Kindes von Brabant, zwei Söhne und drei Töchter: Heinrich, Otto, Adelheid, Elisabeth, Judith. Der Vater erwog weislich, daß nichts mehr ein Land schädigt als Zerspitterung unter viele Erben, bestimmte daher seinem Erstgebornen das Land, und Otto sollte Mönch werden. Derselbe hatte aber dazu keine Neigung, nahm sein Gewaffen und seinen Harnisch, einen Knappen und zwei gute Rosse, entritt seines Vaters Hofe heimlich, kam als Bogenschütze zum Herzog Adolf von Cleve und bot ihm seine Dienste an, die er auch gern erhielt, denn er war ein trefflicher Schütz. Da geschahe es, daß unterweilen Ottos Schwestern sich alle drei verheirateten, Adelheid an König Kasimir III. von Polen, Elisabeth an den Herzog Otto zu Sachsen-Lauenburg, Judith an Otto den reichen oder freigebigen Herzog zu Braunschweig, und daß sein Bruder Heinrich starb. Da hoffte nun niemand mehr darauf, das Hessenland zu schlucken und zu erben, als der Braunschweiger, dieweil der alte Landgraf, nachdem sein zweiter Sohn spurlos verschollen war, keinen Erben mehr hatte. Es war aber der Braunschweiger nicht geliebt von den Hessen, und der alte Landgraf hatte auch noch nicht Lust, diesem Eidam die Freude seines Sterbens zu machen, und lebte dem alten wahren Sprüchwort getreu: Hofftod stirbt nicht.

Indessen liebte Otto der Schütz die Tochter seines Herrn, Prinzessin Elisabeth, und wurde von ihr wiedergeliebt, hatten es gar heimlich miteinander und mußten es auch, denn sie selbst wußte nicht einmal etwas von seiner hohen Abkunft, bis ein fahrender Ritter aus Hessenland, Heinrich von Homberg, einmal unversehens am Hofe zu Cleve einsprach und seinen angeborenen jungen Herrn unter der Dienerschaft des Herzogs erblickte. Gleich erkannte er ihn und erwies ihm große Ehrerbietung, und so ward sein Geheimnis entdeckt, und durfte nun auch seine Liebe nicht länger verheimlichen. Da willigte der Herzog mit Freuden in die Verbindung, und der alte Landgraf pries Gott, daß er ihm den Sohn wiederschenkte, und der Herzog von Braunschweig erbte diesmal nichts und später auch nichts, denn obschon auch Otto der Schütz noch vor dem Vater heimging und Erben mangelten, so fiel doch das Land nun an des Vaters Bruderssohn, Hermann, den Gelehrten, von dem alle Landgrafen zu Hessen und auch der große hochberühmte Philipp der Hochherzige abstammen.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 759. Otto der Schütz. 759. Otto der Schütz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2B9B-F