767. Die Moorjungfrauen

Auf dem Rücken der hohen Rhön, da wo jetzt das rote und das schwarze Moor ihre weiten und grundlosen Sumpfstrecken breiten, standen vor alten Zeiten zwei Dörfer; das auf dem roten Moor [504] hieß Poppenrode und versank infolge lasterhaften Lebens seiner Bewohner oder eines über diese ausgesprochenen Fluches. Das auf dem schwarzen Moor hieß Moor, ging auf ähnliche Weise unter, und nichts ist mehr davon übrig als eine Art basaltischen Pflasters, das die Rhönbewohner unter dem Namen der steinernen Brücke kennen, und die altermorsche Moorlinde, die man als die Dorflinde des versunkenen Dorfes betrachtet. Früher häufiger als jetzt zeigten sich auf beiden Mooren die Moorjungfrauen des Nachts in Gestalt glänzender Lichterscheinungen; sie schweben und flattern über die Stätte ihres ehemaligen Wohnplatzes. Oft kamen auch ihrer zwei oder drei nach Wüstensachsen und mischten sich unter die Kirchweihtänze, sangen auch wohl gar lieblich, blieben aber nie über die zwölfte Stunde, sondern wenn die Zeit ihres Bleibens herum war, so kam jedesmal eine weiße Taube geflogen, der sie folgten; sie wandelten singend zum nächsten Berg hinein und entschwanden so den Augen der Nachblickenden oder neugierig Nachfolgenden. Auch ist das rote Moor der Gegend ein Wetterprophet. Wenn in der Frühe ein kleiner Dunst darüberschwebt, so gibt es keinen schönen Tag; ist der Dunst stärker, so wird schlechtes Wetter, raucht gar das Moor, so kommen Regen, Schloßen und Gewitter; tobt es aber und werfen die schlammigen Moorwässer Wellen, dann sind Stürme, Orkane und sogar Erdbeben zu fürchten.

Aus dem versunkenen Dorfe Poppenrode, so geht auch noch die Sage, waren nur zwei tugendhafte Mädchen übriggeblieben, die vom Strafgerichte Gottes verschont wurden. Einst aber gingen auch sie zum Tanze und sanken in den Arm sündiger Weltlust, da kamen sie plötzlich hinweg. Eifrig suchten nach den Schönen ihre erkornen Jünglinge, aber lange vergebens, bis ihnen ein lichtgrauer Mann erschien, der sprach: Euer Suchen ist all vergebens; nehmt aber eine Rute, schlagt mit ihr auf das rote Moor und besehet sie dann. Dieses taten die Jünglinge, und siehe, von der Rute floß Blut ab, zum Wahrzeichen, daß sie die schönen Tänzerinnen nie wiedersehen würden.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 767. Die Moorjungfrauen. 767. Die Moorjungfrauen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2C3F-A