176. Der wilde Jäger in Dithmarschen

Auch in Dithmarschen kennt man den wilden Jäger, wie am Rheine, auf dem Harz, in Thüringen, im Vogtlande und sonst. Also wird vom Freischützen zu Marne erzählt, daß er ein ziemlich wilder Bauernbursch gewesen, der die Jagd über alles geliebt, aber, nachdem er sich verheiratet und ein kleines Gütchen bewirtschaftete, dieses über der Jägerei vernachlässigt, mit dem Weidwerk aber gar wenig aufgesteckt habe. Da ging er einstmals ganz mißmutig durch den Wald nach Hause, denn er hatte den ganzen Tag noch keine Krähe und keine Klaue geschossen, siehe, da ging ein fremder Jagdgesell vor ihm her, der trug ein schönes Gewehr und eine bauschende Jagdtasche, und der Bauer mochte ihn gern einholen. Jener aber führte einen tüchtigen Schritt. Endlich tat der Bauer einen hellen grellen Jagdpfiff, jener jedoch kehrte sich gar nicht daran und stand nicht, bis er an einen Kreuzweg kam, da stand er endlich und erwartete den Bauer, und war ein ganz feiner, gutgekleideter Gesell. – Ihr habt wohl besser Glück gehabt als ich, sprach der Bauer zu ihm. Ich seh’s Euerm Jagdranzen an, der ist gut gefüllt. – Ja, sprach der Fremde, kannst’s auch so haben, kannst Kugeln schießen, die immer treffen, mit deinen Kugeln triffst du freilich nichts. Guten Weg! – Und wollte damit weitergehen, aber der Bauer-Jäger hielt ihn zurück und bat, ihm sein Geheimnis des Stetstreffens [138] und Niefehlens zu lehren, und versprach ihm hohen Lohn. Jener aber sprach: Ich will es dir wohl lehren, du mußt mir aber schwören, keiner lebenden Seele mein Geheimnis zu verraten, denn tätest du das, so würde es dir übel ergehen. – Jener schwur und hob die Hand gen Himmel, da flogen zwei Raben auf und krächzten und schwirrten um die beiden Männer, und der fremde Jäger sagte jenem sein Geheimnis. Sotanes Geheimnis war aber gar entsetzlich, und der Bauer trug schwer daran, und lastete ihm auf dem Gemüte, und probierte es nicht, ging lieber gar nicht mehr hinaus in den Wald, sondern blieb zu Hause, aber auch da still und träumerisch. Die Frau sah ihres Mannes Veränderung, und hatte ihr sein Jagdgehen nicht gefallen, so gefiel ihr sein in sich gekehrtes Wesen noch viel weniger, und sie drang in ihn, ihr zu sagen, was ihm denn fehle. Er aber schwieg, sie aber ließ nicht nach mit Forschen und Fragen, Bitten und Betteln, bis er endlich ihr vertraute und sprach: Ich soll, wenn ich will, daß jede meiner Kugeln treffe, mein Gewehr mit einer geweihten Hostie laden statt mit einer Kugel, dann im Walde auf einen freien Platz gehen zur Mittagsstunde, da ein weißes Tuch ausbreiten, darauf treten und gerade in die Sonne schießen. Von da an soll jeder meiner Schüsse treffen und des Wildes nimmer fehlen.

Wohl war das der Frau graulich zu hören, doch allmählich stillte sich ihr Grauen, und da sie mehr und mehr in Not, ihr Hauswesen aber in Verfall kam, so meinte sie, probieren könne er das Kunststück ja doch einmal, so sehr viel könne es doch nicht auf sich haben, es sei ein Jägerstücklein wie viele andere, und wenn es probat sei, wie sie gar nicht glaube, so hülfe es ihnen aus aller Not, und was ihres Zuredens Worte mehr waren. Und da dachte er es endlich zu wagen. Er hatte aber ganz und gar vergessen, daß er seinen Schwur schon gebrochen und das Geheimnis verplaudert hatte und daher schon jenem Argen verfallen war. Nun ging der Jäger zum Abendmahl, empfing die heilige Hostie, behielt sie im Munde und lud sie dann heimlich in seine Büchse. Dann tat er alles übrige nach der Vorschrift, ging noch denselben Sonntag zur Mittagszeit in den nahen Wald. Die Sonne schien hell. Der Jäger zielte, er schoß nach der Sonne. Da verfinsterte sich die Sonne, schwarzes Gewölk fuhr auf, Blitze flammten, Donner krachten, die zwei Raben waren da und krächzten und schlugen mit den Flügeln. Der Entsetzte sprang von seinem Tuche, bückte sich, wollt’ es aufraffen, da waren die Fußtapfen, wo er gestanden hatte, voll Blut. Er stürzte aus dem Walde, die Angst brachte ihn fast um – dort stand sein Haus, das brannte lichterloh – das Wetter hatte hineingeschlagen, schreiend und heulend stürzten Weib und Kinder ihm entgegen. Und da war auch der fremde Jäger wieder da, der höhnte ihn, daß er ein schlechter Freischütz sei, der das Geheimnis nicht bewahrt habe. Und nun müsse er bis zum Jüngsten Tage jagen, Weib und Kinder müßten als Hunde ihn begleiten – am Tage müsse er bei den zwei Raben im Walde wohnen und nachts durch die Lüfte hetzen.

Dieses geschah und geschieht noch immer, und die Leute nennen das den wilden Jäger. Wer ihn hört und das Wauwau der Hunde nachmacht, dem wirft er Knochen herab oder Stücke von verfaultem Wild und Pferden. Einem Mann aus Bornhövede ist das geschehen, auch einem aus Meinsdorf, die wurden gezwungen, selbst von dem Braten zu essen. Der wilde Jäger hat insgemein viele Hunde, meistens kleine Dächsel und andere, manchesmal brennt den Hunden auf dem Schwanz ein Licht. Manchesmal zieht er mitten durch die Häuser, und da tut er niemand etwas, wenn nur die Leute sich ruhig verhalten und sich an nichts kehren.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 176. Der wilde Jäger in Dithmarschen. 176. Der wilde Jäger in Dithmarschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2C64-1