564. Der Mühlgötz

In der obern Mühle zu Plauen ward oder wird noch heute ein seltsames altes Holzbild gezeigt, eine plumpe Menschenfigur, etwa wie der Sondershäuser Püstrich, das nannten sie den Mühlgötz, und die Sage ging, es stamme noch aus heidnischer Zeit, sei wirklich ein Götzenbild gewesen. Das Bild hatte die wunderliche Eigenschaft, daß es nicht aus der Mühle fortzubringen war, sondern wenn man versuchte, es wegzuschaffen, so kehrte es immer wieder an seinen alten Ort zurück, aber dann niemals ohne Rumor und Spukspektakel. Nun trat einstmals ein vorwitziger Gesell als Klapperbursch (Mühlknappe) ein, grüßte nach üblicher Weise das ehrsame Müllerhandwerk und bat um Nachtquartier, was ihm gern gewährt wurde. Da er sich die Mühle beschaute, so fiel ihm auch der Mühlgötz in die Augen, und auf Befragen erhielt er Bericht über die Bewandtnis, die es mit sotanem Bilde habe. Des lachte der fremde Knappe und gedachte heimlich zu erproben, ob denn das wirklich an dem sei, daß solch ein altes braunes Holzbild von selbst wieder dahin zurückkehre, von wo man es weggetragen. Schlüpfte daher zur Nacht, da zudem heller Mondschein war, aus seinem Kämmerlein, schlich zum Bilde, nahm es von seiner Stelle und warf es in den Mühlgraben. Aber da erhob sich plötzlich ein lautes Sturmgetöse, die [385] Räder wurden von unsichtbarer Hand angelassen, die Mühle ging, die Klingel schellte, das Wasser brauste fürchterlich, und Geräte, Kübel und Kästen wirbelten im Werk umher, daß dem Burschen Hören und Sehen verging. Eine unsichtbare Hand faßte den Knappen beim Schopf und zog ihn zum Graben zurück, dem der Holzblock entragte. Gar geschwind zog der Erschrockene den Mühlgötzen wieder aus dem Wasser und trug ihn an seinen Ort zurück, darauf war alles wieder still, nicht aber der Müller; dieser, als er mit seinem Knappen sah, was die Ursache des greulichen Rumors gewesen, und daß der Fremde den Mühlgötzen beunruhigt hatte, nahm er einen Stecken, hieß seinem Knappen ein gleiches tun, und beide prügelten nun den Vorwitzling derb und tüchtig ab und warfen ihn zur Mühle hinaus. Der Mühlgötz blieb fortan unbeunruhigt auf seiner Stelle.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 564. Der Mühlgötz. 564. Der Mühlgötz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2D99-3