79. Meine Geständnisse
Um indessen doch einigermaaßen ein solches Geständniß abzulegen, und Euch, meine Nachkommen, einen Blick wenigstens auf die Oberfläche meines Herzens zu öffnen, so will ich Euch sagen: Daß ich ein Mensch bin, der alle seine Tage mit heftigen Leidenschaften zu kämpfen hatte. In meinen Jugendjahren erwachten nur allzufrühe gewisse Naturtriebe in mir; etliche Geißbuben, und ein Paar alte Narren von Nachbarn sagten mir Dinge vor, die einen unauslöschlichen [293] Eindruck auf mein Gemüth machten, und es mit tausend romantischen Bildern und Fantaseyen erfüllten, denen ich, trotz alles Kämpfens und Widerstrebens, oft bis zum unsinnig werden nachhängen mußte, und dabey wahre Höllenangst ausstuhnd. Denn um die nämliche Zeit hatte ich von meinem Vater, und aus ein Paar seiner Lieblingsbücher, allerley, nach meinen itzigen Begriffen übertriebene, Vorstellungen von dem, was eigentlich fromm und reinen Herzens sey, eingesogen. Da wurde mir nur das allerstrengste Gesetz eingepredigt; da schwebten mir immer unübersteigliche Berge, und die schwersten Stellen aus dem Neuen Testament von Händ' und Füß' abhauen, Augausreißen u.s.f. vor. Mein Herz war von jeher äusserst empfindlich, ich erstaunte daher sehr oft, wenn ich weit bessere Menschen als ich, bey diesem oder jenem Zufall, bey Erzählung irgend eines Unglücks, bey Anhörung einer rührenden Predigt, u.d. gl. wie ich wähnte ganz frostig bleiben sah. Man denke sich also meine damalige Lage in einem rohen einsamen Schneegebürg': Ohne Gesellschaft, ausser jenen schmutzigen Buben und unfläthigen Alten auf der einen – auf der andern Seite jenen schwärmerischen Unterricht, den mein junger feuerfangender Busen so begierig aufnahm; dann mein von Natur tobendes Temperament, und eine Einbildungskraft, welche mir nicht nur den ganzen Tag über keine Minute Ruhe ließ, sondern mich auch des Nachts verfolgte, und mir oft Träume bildete, daß mir noch beym Erwachen der Schweiß über alle Finger lief. Damals war (wie man schon zum [294] Theil aus meiner obigen Geschichte wird ersehen haben) meine größte Lust, an einem schönen Morgen oder stillen Abend, währendem Hüten meiner Geißen, mich auf irgend einem hohen Berge in einen Dornbusch zu setzen – dann jenes Büchelgen hervorzulangen das ich viele Zeit überall und immer bey mir trug, und daraus mich über meine Pflichten gegen Gott, gegen meine Eltern, gegen alle Menschen und gegen mich selbst, so lang zu erbauen, bis ich in eine Art wilder Empfindung gerieth, und (ich entsinne mich noch vollkommen) allemal mit einer Ermahnung an Kinder geendet, deren Anfang lautete: »Kommt Kinder! Wir wollen uns vor dem Thron des himmlischen Vater niederwerfen«. Dann richtete ich meine Augen starr in die Höhe, und häufige Thränen flossen die Wangen herab. Dann hätt' ich mich auf ewig und durch tausend Eyde verbunden, Allem Allem abzusagen, und nur Jesu nachzufolgen. Voll unnennbarer, halb süsser, halb bittrer Empfindungen stieg ich dann mit meiner Heerde weiter von einem Hügel zum andern auf und nieder, und hieng immer dem beängstigenden Gedanken nach: Was ich denn nun allererst thun müsse, um selig zu werden? »Darf ich also«, hob ich dann halb laut halb leise an, »meine Geißen nicht mehr lieben? Muß ich meinem Distelfink Abschied geben? – Muß ich wirklich gar Vater und Mutter verlassen«? u.s.f. Dann fiel ich vollends in eine düstre Schwermuth, in Zweifel, in Höllenangst; wußte nicht mehr was ich treiben, was ich lassen, woran ich mich halten sollte. Das dauerte dann so etliche Tage lang. Dann hieng ich wieder [295] für etwas Zeit Grillen von ganz andrer Natur – und auch diesen bis zur Wuth nach, baute mir ein, zwey, drey Dutzend spanischer Schlösser auf, riß alle Abend die alten nieder, und schuf ein Paar neue. – So dauerte es bis ungefehr in mein achtzehntes Jahr, da mein Vater seinen Wohnort veränderte, und ich so zu sagen in eine ganz neue Welt trat, wo ich mehr Gesellschaft, Zeitvertreib, und minder Anlaß zum Phantasiren hatte.
Hier fiengen sich dann auch, besonders Eine Art der Kinderei meiner Einbildungskraft – und zwar leider eben die schönste von allen – an, sich in Wirklichkeit umzuschaffen, und kamen mir eben nahe an Leib. Aber zu meinem Glücke hielt mich meine anerbohrene Schüchternheit, Schaamhaftigkeit – oder wie man das Ding nennen will – noch Jahre lang zurück, eh' ich nur ein einziges dieser Geschöpfe mit einem Finger berührte. Da fieng sich endlich jene Liebesgeschichte mit Aenchen an, die ich oben, wie ich denke, nur mit allzusüsser Rückerinnerung, beschrieben habe – und doch noch einmal beschreiben, jene Honigstunden mir noch einmal zurückrufen möchte – um mehr zu geniessen als ich wirklich genossen habe. Allein ich fürchte – nicht Sünde, aber Aergerniß; und eine geheime Stimme ruft mir zu: »Grauer Geck! Bestelle dein Haus; denn du mußt sterben«. – Noch lebt diese Person, so gesund und munter wie ich; und mir steigt eine kleine Freude ins Herz so oft ich sie sehe, obgleich ich mit Wahrheit bezeugen kann, daß sie alle eigentliche Reitze für mich verloren hat. Also kurz und gut, wir gehen weiters. Nun von jenem Zeitpunkt an war ich unstät und [296] flüchtig, wie Cain. Bald bestuhnd meine Arbeit im Taglöhnen; bald zügelte ich für meinen Vater das Salpetergeschirr von einem Fleck zum andern. Da traf ich freylich allerhand Leuthe, immer neue Gesellschaft, und mir bisdahin unbekannte Gegenden an; und diese und jene waren mir bald widrig, bald angenehm. Im Umgang war ich eckel. Zwar bemühete ich mich, freundlich mit allen Menschen zu thun. Aber zu beständigen Gespannen stuhnden mir die wenigsten an; sie mußten von einer ganz eigenen Art seyn, die ich, wenn ich ein Mahler wäre, eher zeichnen, als mit Worten beschreiben könnte. Hie und da gerieth ich auch an ein Mädchen; aber da stuhnd mir keine an wie mein Aenchen. Nur eines gewissen Cäthchens und Marichens erinnr' ich mich noch mit Vergnügen, obschon unsre Bekanntschaft nur eine kleine Zeit währte. Wenn ein Weibsbild, sonst noch so hübsch, da stuhnd oder saß wie ein Stück Fleisch – mir auf halbem Weg entgegen kam, oder mich gar noch an Frechheit übertreffen wollte, so hatte sie's schon bey mir verdorben; und wenn ich dann auch etwa in der Vertraulichkeit mit ihr ein Bißchen zu weit gieng, war's gewiß das erste und letzte Mal. Nie hab' ich mir auf meine Bildung und Gesicht viel zu gut gethan, obschon ich bey den artigen Närrchen sehr wohl gelitten war, und einiche aus ihnen gar die Schwachheit hatten mir zu sagen, ich sey einer der hübschesten Buben. Wenn gleich meine Kleidung nur aus drey Stücken bestuhnd – einer Lederkappe, einem schmutzigen Hembd, und ein Paar Zwilchhosen – so schämte sich [297] doch auch das niedlichst geputzte Mädchen nicht, ganze Stunden mit mir zu schäckern. In Geheim war ich denn freylich stolz auf solche Eroberungen, ohne recht zu wissen warum? Andremal nagte mir, wie gesagt, wirklich die Liebe ein Weilchen am Herzen: Dann sucht' ich mich des lästigen Gastes durch Zerstreuungen zu entledigen; jauchzte, pfiff, und trillerte einen Gassenhauer, deren ich in kurzer Zeit viele von meinen Kameraden gelernt hatte; oder brütete an abgelegenen Orten wieder etliche Fantaseyen aus, und träumte von lauter Glück und guten Tagen, ohne daß ich mir einfallen ließ, mich auch zu fragen: Wenn und woher sie auch kommen sollten? das ich mir auch sicher nicht hätte beantworten können. Denn die Wahrheit zu gestehn, ich war ein Erzlappe und Stockfisch, und besaß zumal keine Unze Klugheit, oder gründliches Wissen, wenn ich schon über alles ganz artlich zu reden wußte. Daß ich bey jedermann, und bey jenen schönen Dingern insonderheit wohl gelitten war, kam einzig daher, weil ich so ziemlich gut an jedem Ort augenblicklich den für dasselbe schicklichsten Ton zu treffen wußte, und mir, wie meine Nymphen behaupteten, alles ziemlich nett anstuhnd. – Und nun abermals ein neuer Akt meines Lebens. Als mich nämlich bald hernach das Verhängniß in Kriegsdienste führte, und vorzüglich in den sechs Monathen, da ich noch auf der Werbung herumstreifte, ja da geht's über alle Beschreibung, wie ich mich nun fast gänzlich im Getümmel der Welt verlor. Zwar unterließ ich auch während meinen wildesten Schwärmereyen nie, Gott täglich [298] mein Morgen- und Abendopfer zu bringen, und meinen Geschwisterten gute Lehren nach Haus zu schreiben. Aber damit war's dann auch gethan; und ob der Himmel daran grosse Freude hatte, muß ich zweifeln? Doch, wer weißt's? Selbst die flüchtige Andacht unterhielt vielleicht manche gute Gesinnung in mir, die sonst auch noch zu Trümmern gegangen wäre, und behütete mich vor groben Ausschweifungen, deren ich mir, Gott Lob! keiner einzigen bewußt bin. So z.B. wenn ich schon mit hübschen Mädchens für mein Leben gern umgehen mochte, hätt' ich's doch auf allen meinen Reisen und Kriegszügen nie über's Herz gebracht, nur ein eineinziges zu übertölpeln, wenn ich auch dazu noch so viel Reitzung gehabt. Wahrlich, mein Gewissen war so zart über diesen Punkt, daß ich mir vielmehr oft nachwerts ruchlose Vorwürfe über meine eigne Feigheit gemacht; mir den und diesen guten Anlaß wieder zurückgewünscht, u.s.f. Aber wenn sich denn wirklich die Gelegenheit von neuem eräugnete, und alles bis zum Genusse fix und fertig war, so fuhr ein zitternder Schauer mir durch Mark und Beine, daß ich zurückbebte, meinen Gegenstand mit guten Worten abfertigte, oder leise davon schliech. Auf dem ganzen Transport bis nach Berlin bin ich, bis auf ein einziges Nestchen, vollends ganz rein davon gekommen. In dieser großen Stadt hätt' ich an gemeinen Weibsleuthen keinen Schuh' gewischt. Hingegen will ich's nicht verbergen, daß meine zügellose Einbildungskraft ein Paarmal über glänzende Damen und Mamselles brütete. Aber es stellten sich immer [299] noch zu rechter Zeit genugsame Hindernisse in den Weg; die Anfechtungen verschwanden, und besserer Sinn und Denken erwachten wieder. Während meiner Campagne und auf der Heimreise hab' ich abermals keinen weiblichen Finger berührt. Was meine Desertion betrift, so machte mir mein Gewissen darüber nie die mindesten Vorwürfe. Gezwungner Eyd, ist Gott leid! dacht' ich; und die Ceremonie, die ich da mitmachte, wähnt' ich wenigstens, könne kaum ein Schwören heissen. – Nach meiner Rückkehr ins Vaterland ergriff ich wieder meine vorige Lebensart. Auch Buhlschaften spannen sich bald von neuem an. Meine herzliebe Anne war freylich verplempert; aber es fanden sich in kurzem andere Mädels mehr als eines, denen ich zu behagen schien. Mein Aeusseres hatte sich ziemlich verschönert. Ich gieng nicht mehr so läppisch daher, sondern hübsch gerade. Die Uniform die mein ganzes Vermögen war, und eine schöne Frisur, die ich recht gut zu machen wußte, gaben meiner Bildung ein Ansehn, daß dürftige Dirnen wenigstens die Augen aufsperrten. Bemittelte Jungfern dann – Ja, o bewahre! – die warfen freylich auf einen armen ausgerißnen Soldat keinen Blick. Die Mütter würden ihnen fein ausgemistet haben. Und doch wenn ich's nur ein wenig pfiffiger und politischer angefangen, hätt' es mir mit einer ziemlich reichen Rosina geglückt, wie ich nachwerts zu späth erfuhr. Inzwischen erhob selbst dieser mißlungene Versuch meinen Muth und meine Einbildung nicht um ein geringes – und der geschossene Bock wäre mir nicht um tausend Gulden feil gewesen. Ich sah darum von [300] erwähnter Zeit an alle meine bisherigen Liebschaften so ziemlich über die Achsel an, und warf den Bengel höher auf. Aber meine sorglose lüderliche Lebensart verderbte immer alles wieder. Mit Kindern meines Standes war mein Umgang freylich, Gott verzeih' mir's! oft nur allzufrey; in Absicht auf solche hingegen, die über mir stuhnden, verließ mich meine Feigheit nie; und das war mir am meisten hinderlich. Denn wer weiß nicht, wie oft der dümmste Labetsch, bloß mit einem beherzten angriffigen Wesen zuerst sein Glück macht. Aber mir so viele Mühe geben – kriechen, bitten, seufzen und verzweifeln – konnt' ich eben nicht. Eines Tags gieng ich nach Herisau an eine Landsgemeinde. Mutter steckte mir all' ihr kleines Spaargeldlin von etwa 6. fl. bey. Einer meiner Bekannten im Appenzeller-Land trachtete mir zu Trogen, in einer grossen Gesellschaft, eine gewisse Ursel aufzusalzen, die mir aber durchaus nicht behagen wollte. Ich suchte also ihr je eher je lieber wieder los zu werden. Es glückte mir auf dem Rückweg nach Herisau, wo sie sich – oder vielmehr ich mich unter dem grossen Haufen verlor. Es war eine grosse Menge jungen Volkes. Bey einbrechender Abenddämmerung näherte man sich einander, und formirte Paar und Paar – als ich mit eins ein wunderschönes Mädel, sauber wie Milch und Blut, erblickte, das mit zwey andern solchen Dingen davon schlenterte. Ich streckt' ihm die Hand entgegen, es ergriff sie mit den beyden seinigen, und wir marschirten bald Arm an Arm in dulci Jubilo unter Singen und Schäckern unsre Strasse. Als wir zu Herisau ankamen, [301] wollt' ich sie nach Haus begleiten. »Das bey Leib nicht«! sagte sie; »Ich dörft's um alles in der Welt nicht. Nach dem Nachtessen vielleicht, kann ich denn eher noch ein Weilchen zum Schwanen kommen«. Mit einem solchen Ersatz war ich natürlich sehr zufrieden. Damals wußt' ich noch nicht, wer mein Schätzgen war, und erfuhr erst itzt im Wirtshaus: Daß sie ein Töchtergen aus einem guten Kaufmannshaus, und ungefehr sechszehn Jahr alt sey. Ungefehr nach einer Stunde kam das liebe Geschöpf – Cäthchen hieß es – mit einem artigen jungen Kind auf dem Arm, das sein Schwesterchen war – denn anders hätt' es nicht entrinnen können – als eben auch die verwünschte Ursel in die Stube trat, mich gleichfalls aufsuchen wollte – bald aber Unrath merkte, mir bittere Vorwürfe machte – und davon gieng. Alsdann gab uns der Wirth ein eigen Zimmer – Cäthchen hinein, und ich nachgeschwind wie der Wind. Ich hatte ein artiges Essen bestellt. Nun waren ich und das herrliche Mädchen allein, allein. O was dieses einzige Wort in sich faßt! Tage hätt' es währen sollen, und nicht zwey oder drey wie Augenblicke verflossene Stunden. Und doch – die Wände unsers Stübchens – das Kind auf Cäthchens Schooß – die Sternen am Himmel sollen Zeugen seyn unsrer süssen, zärtlichen, aber schuldlosen Vertraulichkeit. Ich blieb noch die halbe Woche dort. Mein Engel kam alle Tage mit ihrem Schwesterchen vier bis fünfmal zu mir. Endlich aber gieng mir die Baarschaft aus – ich mußte mich losreissen. Cäthchen gab mir, immer mit dem Kind auf dem Arm, trotz aller [302] Furcht vor seinen Eltern, das Geleit noch weit vor den Flecken hinaus. Wie der Abschied war, läßt sich denken. Thränen von Liebchen trug ich auf meinen Wangen genug nach Haus. Wir winkten einander mit Schürze und Schnupftüchern unser Lebewohl mehr als hundertmal, und so weit wir uns sehen konnten. O man verzeihe mir meine Thorheit! Gehören doch diese Tage zu den allerglücklichsten, und ihre Freuden zu den allerunschuldigsten meines Lebens. Denn mein guter Engel hatte mir gegen dieß holde Mädchen ordentlich eben so viel Ehrfurcht als Liebe eingeflößt, so daß ich sie, wie ein Vater sein Kind, umarmte, und sie mich hinwieder, wie eine Tochter ihren Erzeuger, sanft an ihren reinen Busen drückte, und mein Gesicht mit ihren Küssen deckte. – Itzt war ich dem Leibe nach wieder bey Haus, aber im Geiste immer mit diesem herzigen Schätzgen beschäftigt, dem weiland Aennchen sogar weit nachstuhnd. Indessen kam mir nur kein Gedanke daran, daß ich jemals zu ihrem Besitz gelangen könnte; vielmehr sucht' ich mir alles Vorgegangene vollkommen aus dem Sinn zu schlagen, und es gelang mir. Denn dieß war von jeher meine Art: Was einen schnellen Eindruck auf mich machte, war auch bald wieder vergessen, und von neuen Gegenständen verdrängt. Allein, wer hätte daran gedacht? An einem schönen Abend brachte mir der Herisauer-Bot ein Briefchen von meinem Cäthchen, worinn sie in zärtlich verliebten und dabey recht kindisch naiven Ausdrücken mir sagte: Wie's ihr sey seit unserm Abschied; wie sie mich gern wieder sehen – noch einmal[303] mit mir reden möchte – und, wenn das nicht möglich wäre, mich wenigstens zu einem schriftlichen Verkehr auffodere. Ich küßte das Papier, las es wohl hundertmal, und trug's immer in der Tasche, bis es ganz verschmutzt und zerfetzt war. Also – ich flog eilends nach Herisau – Nein! Ich antwortete auf der Stelle. – Nein! auch das nicht, kein Wort. Kurz ich gieng nicht, und schrieb nicht. Warum? Daß ich gerade damals kein Geld hatte, dessen erinnere ich mich; daß sonst noch etwas dazwischen kam, weiß ich auch; die eigentliche Ursach' aber ist mir aus dem Gedächtniß entfallen. Genug, ich vergaß meinen Herisauer-Schatz, worüber ich mir nachwerts manchen bittern Vorwurf gemacht. Endlich, erst nach zwanzig Jahren, dacht' ich wieder einmal dieser Begebenheit so lange und so ernsthaft nach, und die Begierde zu erfahren, ob das liebe Kind noch lebe, und was aus ihr geworden sey, ward so stark in mir, daß ich eigens deswegen auf Herisau gieng, (ungeachtet ich in der Zwischenzeit manchmal mich Tage lang dort aufhielt, ohne daß mir nur ein Sinn an sie kam,) nach ihrer Wohnung fragte, und bald erfuhr, daß sie schon Mutter von zehn Kindern, und auf einem Wirthshaus sey. Ich flog dahin. Der Mann war eben nicht zu Hause. Ich sprach sie um Nachtherberg an, setzte mich zu Tisch, und beguckte mein – nun nicht mehr mein Cäthchen. Himmel! wie das arme Ding ganz verlottert war. Und doch erkannt' ich ihre ehevorigen jugendlichen Gesichtszüge mitunter noch deutlich. Ich konnte mich der Thränen kaum erwehren. Sie war unglücklicher Weise an einen brutalen und [304] dabey lüderlichen Mann gerathen, der nachwerts wirklich banquerout machte. Schon damals war sie in sehr ärmlichen Umständen. Sie kannte mich nicht mehr. Ich fragte sie alles aus, nach ihrer Herkunft, wer ihr Mann sey, u.s.f. Und endlich auch: Ob sie sich nicht mehr eines gewissen U.B. erinnre, den sie vor zwanzig Jahren etliche Tag' nach einander beym Schwanen angetroffen. Hier sah sie mir starr ins Gesicht – fiel mir an die Hand: »Ja! Er ist's, er ist's«! und grosse Tropfen rollten über ihre blassen Wangen herab. Nun ließ sie alles stehn, setzte sich zu mir hin, erzählte mir der Länge und Breite nach ihre Schicksale, und ich ihr die meinigen, bis späth in die Nacht hinein. Beym Schlafengehn konnten wir uns nicht erwehren, jene seligen Stunden durch ein Paar Küße zu erneuern, aber weiter stieg mir auch nur kein arger Gedanke auf. Im Verfolg kehrte ich noch manchmal bey ihr ein. Sie starb etwa vier Jahre nach unserm ersten Wiedersehn – und es thut mir so wohl, noch eine Thräne auf ihr Grab zu weinen, wo sie itzt mit so viel andern guten Seelen im Frieden wohnt. Und nun weiters.
Daß ich in meiner obigen Geschichte über die allerernsthaftesten Scenen meines Lebens – Wie ich an meine Dulcinea kam – ein eigen Haus baute – einen Gewerb anfieng, u.s.f. so kurz hinweggeschlüpft, kömmt wahrscheinlich daher, daß diese Epoche meines Daseyns mir unendlich weniger Vergnügen als meine jüngern Jahre gewährten, und darum auch weit früher aus meinem Gedächtniß entwichen sind. So viel weiß ich noch gar wohl: Daß, als ich auch im Ehestand mich betrogen [305] sah, und statt des Glücks, das ich darinn zu finden mir eingebildet hatte, nur auf einen Haufen ganz neuer unerwarteter Widerwärtigkeiten stieß, ich mich wieder aufs Grillenfängen legte, und meine Berufsgeschäfte nur so maschienenmäßig, lästig und oft ganz verkehrt verrichtete, und mein Geist, wie in einer andern Welt, immer in Lüften schwebte, sich bald die Herrschaft über goldene Berge, bald eine Robinsonsche Insel, oder irgend ein andres Schlauraffenland erträumte, u.s.f. Da ich hiernächst um die nämliche Zeit anfieng, mich aufs Lesen zu legen, und ich zuerst auf lauter mystisches Zeug – dann auf die Geschichte – dann auf die Philosophie – und endlich gar auf die verwünschten Romanen fiel, schickte sich zwar alle dieß vortreflich in meine idealische Welt, machte mir aber den Kopf nur noch verwirrter. Jeden Helden und Ebentheurer alter und neuer Zeit macht' ich mir eigen, lebte vollkommen in ihrer Lage, und bildete mir Umstände dazu und davon wie es mir beliebte. Die Romanen hinwieder machten mich ganz unzufrieden mit meinem eigenen Schicksal und den Geschäften meines Berufes, und weckten mich aus meinen Träumen, aber eben nur zu grösserm Verdruß auf. Bisweilen, wenn ich denn so mürrisch war, sucht' ich mich durch irgend eine lustige Lektur wieder zu ermuntern. Alsdann je lustiger, je lieber; so daß ich darüber bald zum Freygeist geworden, und dergestalt immer von einem Extrem ins andre fiel. In dieser Absicht bedaur' ich die Gefehrtin meines Lebens von Herzen. Denn so wenig Geschmack ich an ihr fand, so hatte sie doch noch viel mehr [306] Ursache, keinen an mir zu finden. Dennoch war ihre Neigung zu mir stark, obgleich nichts weniger als zärtlich. Ein Betragen ganz nach ihrem Geschmack, meine Unterwürfigkeit und Liebe zu ihr, das alles wollte sie von dem ersten Tag' an erproben und erpoltern – und macht's heute mit mir und meinen Jungen noch eben so – und wird es so wenig lassen, als ein Mohr seine Haut ändern kann. Und doch ist dieß, wie ich's nun aus Erfahrung weiß, gewiß das ganz unrechte Mittel, einen an das Joch zu gewöhnen. Inzwischen flossen meine Tage so halb vergnügt, halb mißvergnügt dahin. Ich suchte mein Glück in der Ferne und in der Welt – mittlerweile es lange ganz nahe bey mir vergebens auf mich wartete. Und noch itzt, da ich doch überzeugt bin, daß es nirgends als in meinem eigenen Busen wohnt, vergeß ich nur allzuoft, dahin – in mich selbst zurückzukehren – flattre in einer idealischen Welt herum, oder wähle in dieser gegenwärtigen falsche, Eckel und Unlust erweckende, Scheingüter ausser mir. Was Wunder also, daß ich, nach meinem vorbeschriebenen Verhalten, mich immer selber ins Gedränge brachte, und mich zumal in eine Schuldenlast vertiefte, in der ich beynahe verzweifeln mußte. Freylich seh' ich itzt wohl ein, daß auch mein dießfälliges Elend mehr in meiner Einbildung als in der Wirklichkeit bestuhnd, und mein Falliment, da ich am tiefsten stack, doch nie beträchtlich gewesen, und nicht über 700. höchstens 800. fl. an mir wären eingebüßt worden. Und doch hab' ich vor- und nachher Banqueroute von so viel Tausenden mit kaltem Blut spielen [307] gesehn. Zudem waren meine Gläubiger gewiß nicht von den strengsten, sondern noch vielmehr von den allerbeßten und nachsichtigsten, wenn mich gleich der eint- und andre ein Paarmal ziemlich roh anfuhr. Eben so sicher ist's freylich, daß, wenn ich meiner Frauen Grundsätze befolgt, ich nie in dieß Labyrinth gerathen wäre. Ob aber unter andern Umständen, und wenn ich eine anders organisirte Haushälfte gehabt, oder dieselbe mich anders geleitet – mir entweder freye Hände gelassen, oder doch meinen Willen und Zuneigung auf eine zärtlichere Art zu fesseln gewußt, es je so weit mit mir gekommen wäre, ist dann wieder eine andre – Frage? Einmal ganz und gar in ihre Maximen einzutreten, war mir unmöglich. Bey mehrerer Freyheit hingegen (denn mit Gewalt mocht' auch Ich meine Authorität lange nicht zeigen) hätt' ich wenigstens meiner Geschäfte mich mehr angenommen, mehr Eifer und Fleiß, und kurz alle meine Leibs-und Seelenkräfte besser auf meinen Gewerb gewandt. Da mir aber Zanken und Streit in Tod zuwider, und etwas mit dem Meisterstecken durchzusetzen, auch nicht meine Sache war – wenn's zumal den zeitlichen Plunder betraf, der mir so vieler Mühe nie werth schien – so ließ ich's eben bleiben. Schon damals hatten geistige Beschäftigungen weit mehr Reitze für mich. Und da meine Dulcinea ohnehin alles in allem seyn wollte, sie mich in allem tadelte, und ich ihr mein Tage nichts recht machen konnte, so wurd' ich um so viel verdrüßlicher, und dachte: Ey! zum **, so mach's Du! Ich kenne noch andre Arbeit, die mir unendlich wichtiger erscheint. [308] Da hatt' ich nun freylich Unrecht über Unrecht; denn ich erwog nicht, daß doch zuletzt alle Last auf den Mann fällt – ihn bey den Haaren ergreift, und nicht das Weib. Hätt' ich nur, dacht' ich denn oft, eine Frau, wie Freund N. Der ist sonst, ohne Ruhm zu melden, ein Lapp wie ich, und hätte schon hundert und aber hundert Narrenstreiche gemacht, wenn nicht sein gescheidtes Dorchen ihn auf eine liebevolle Art zurückgehalten – und das alles so verschmitzt, nur hinten herum, ohne ihn merken zu lassen, daß er nicht überall Herr und Meister sey. O wie meisterlich weißt sich die nach seinen Launen zu richten, die guten und die bösen zu mässigen (Denn in den beßern ist er übertrieben lustig, in den übeln hingegen ächzt er wie eine alte Vettel, oder will alles um sich her zerschmettern) daß ich oft erstaunt bin, wie so ein Ding vor Weibchen eine so unsichtbare Gewalt über einen Mann haben, und, unterm Schein ganz nach seinem Gefallen zu leben, ihn ganz zu Diensten haben kann. Aber ein derley Geschöpf ist eben ein rarer Vogel auf Erde; und selig ist der Mann, dem ein solch Kleinod bescheert ist, wenn er's zumal gehörig zu schätzen weiß. Und Freund N. schätzt das seinige himmelhoch, ohn' es doch recht zu kennen. Sie lobt ihm alles; und wenn ihr etwas auch noch so sehr mißfällt, heißt es nur mit einem holden Lächeln: »Es mag gut seyn; aber ich hätt's doch lieber so und so gesehn. Schatze! Mir zu gefallen mach's auf diese Art«. Nie hab' ich ein bitter Wort oder eine böse Miene gegen ihn bemerkt, auch nie von andern vernommen, der diese gesehen oder [309] jenes gehört hätte. Obgleich nun übrigens freylich ein solcher Zeisig bisweilen mich etwas lüstern, und der Contrast zwischen ihr und meiner Bethesgenoßin, nicht selten ein wenig düster gemacht, war ich doch im Grund des Herzens mit meinem Loos nie eigentlich unzufrieden, fest überzeugt, mein guter Vater im Himmel habe auch in dieser Rücksicht – denn warum in dieser allein nicht? – die beßte Wahl getroffen. Ist's ja doch offenbar, daß gerade eine solche Hälfte und keine andre es seyn mußte, die meiner Neigung zu allen Arten von Ausschweifungen Schranken setzte. Solch ein weiblicher Poldrianus sollte mir das Lächerliche und Verhaßte jeder allzuheftigen Gemüthsbewegung – wie die lacedämonischen Sklaven den Buben ihrer Herren das Laster der Trunkenheit – in Natura zeigen, und dergestalt Ein Teufel den andern austreiben. Solch eine karge Sparbüxe müßt' es seyn, die meiner Freygebigkeit und Geldverachtung das Gleichgewicht hielt – mir zu Nutz' und ihr zur Strafe, nach dem herrlichen Sprichwort: Ein Sparer muß einen Geuder haben. Solch ein Sittenrichter und Kritikus mußt' es seyn, der alle meine Schritt' und Tritte beobachtete, und mir täglich Vorwürfe machte. Das hieß mich, auch täglich, auf meine Handlungen Achtung geben, mein Herz erforschen, meine Absichten und Gesinnungen prüfen, was wahr oder falsch, gut oder böse gemeint sey. Solch ein Zuchtmeister mußt' es seyn, der alle meine Schwachheiten mit den schwärzesten Farben schilderte, so wie ich hingegen geneigt war, dieselben, wo nicht für kreidenweiß, doch für [310] grau anzusehn. Solch einen Arzt braucht' ich, der alle meine Schaden nicht nur aufdeckte, – sondern auch vergrösserte, und bisweilen selbst die minder wichtigen für höchst gefährlich ausgab; die mir, freylich stinkende, beissende Pillen, frisch vom Stecken weg, und noch mit einem Grenadierton unter die Nase rieb, daß die Wände zitterten. Dadurch lernt' ich, zu dem einzigen Arzt meine Zuflucht nehmen, der mir dauerhaft helfen konnte, mich im Stillen vor ihm auf die Kniee werfen, und bitten: Herr! Du allein kennest alle meine Gebrechen; vergieb, und heile auch meine verborgenen Fehler! Solch eine Betmutter endlich, die beten, und mitten im Beten auffahren und eins losziehen konnte, mußt' es seyn, die mich – beten lehrte, und mir allen Hang zu frömmelnder Schwärmerey benahm. – Und nun genug, lieber Nachkömmling! Du siehst, daß ich meiner Frau alle Gerechtigkeit wiederfahren lasse, und sie ehre wie man einen geschickten Arzt zu ehren pflegt, über den man wohl bisweilen ein Bischen böse thun, aber ihm doch nie im Herzen recht ungut seyn kann. – Auch ist sie wirklich das ehrlichste, brävste Weib von der Welt, und übertrift mich in vielen Stücken weit; ein sehr nützliches, treues Weib, mit der ein Mann – der nach ihrer Pfeife tanzte, treflich wohl fahren würde. Wie gesagt, recht viele gute Eigenschaften hat sie, die ich nicht habe. So weißt sie z.E. nichts von Sinnlichkeit, da hingegen mich die meinige so viel tausend Thorheiten begehen ließ. Sie ist so fest in ihren Grundsätzen – oder Vorurtheilen wenn man will – daß kein Doktor Juris – kein Lavater – [311] kein Zimmermann sie davon eines Nagelsbreit abbringen könnte. Ich hingegen bin so wankend wie Espenlaub. Ihre Begriffe – wenn sie diesen Namen verdienen – von Gott und der Welt, und allen Dingen in der Welt, dünken ihr immer die beßten, und unumstößlich zu seyn. Weder durch Güte noch Strenge durch keine Folter könnt'st du ihr andre beybringen. Ich hingegen bin immer zweifelhaft, ob die meinigen die richtigen seyn. In ihrer Treu und Liebe zu mir macht sie mich ebenfalls sehr beschämt. Mein zeitliches und ewiges Wohl liegt ihr, vollkommen wie ihr eigenes, am Herzen; sie würde mich in den Himmel – bey den Haaren ziehn, oder gar mit Prügeln d'rein jagen; theils und zuerst um meines eigenen Beßten willen – dann auch um das Vergnügen zu haben, daß ich's ihr zu danken hätte – und um mich ewig hofmeistern zu können. Doch im Ernst: Ihre aufrichtige Bitte zu Gott geht gewiß dahin: »Laß doch dereinst mich und meinen Mann einander im Himmel antreffen, um uns nie mehr trennen zu müssen«. Ich hingegen – ich will es nur gestehen – mag wohl eher in einer bösen Laune gebetet haben: »Beßter Vater! In deinem Hause sind viele Wohnungen; also hast du gewiß auch mir ein stilles Winkelgen bestimmt. Auch meinem Weibe ordne ein artiges – nur nicht zu nahe bey dem meinigen«. Sind das nun nicht alles aufrichtige Geständnisse? Sag' an, lieber Nachkömmling! Ja! ich gesteh' es ja noch einmal, daß meine Frau weit weit besser ist als ich, und sie's vortreflich gut meint, wenn's schon nicht immer jedermann für gut annehmen kann. [312] So ließ sie sich's z.E. nicht ausreden, daß es nicht ihre Pflicht wäre, mir des Nachts laut in die Ohren zu schrey'n – daß sie bete, und daß ich ihr nachbeten könne. Und wenn ich ihr hundertmal sage, das Lautschreyen nütze nichts, da gilt alles gleich viel; sie schreyt. – Da muß ich, denk' ich, freylich abermals nur mein allzueckles Ohr anklagen, und wieder und überall sagen und bekennen: Ja, ja! sie ist weit bräver als ich.
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Barmherzigkeit – welch ein beruhigendes Wort! – Barmherzigkeit meines Gottes, dessen Güte über allen Verstand geht, dessen Gnade keine Grenzen kennt! Wenn ich so in angsthaften Stunden alle Trostsprüche deiner Offenbarung zusammenraffe, macht dieß einige Wort einen solchen Eindruck auf mein Herz, daß es der Hauptgrund meiner Beruhigung wird. Indessen bin ich, wie andre Menschen, freylich nicht weniger geneigt, auch etwas Tröstendes in mir selbst aufzusuchen. Und das sagt mir nämlich die Stimme in meinem Busen: Freylich bist du ein grosser, schwerer Sünder, und kannst mit dem allergrößten um den Vorzug streiten; aber deine Vergehen kamen meist auf deinen Kopf heraus, und die Strafen deiner Sinnlichkeit folgten ihr auf dem Fusse nach. – Wenigstens darf ich mir dieß Zeugniß geben: Daß ich von Jugend an nie boshaft war, und mit Wissen und Willen niemand Unrecht gethan. Wohl hab' ich manchmal meine Pflichten zumal gegen meine Eltern versäumt; und meine dießfällige Schulden seh' ich, aber leider zu [313] späthe! erst itzt recht ein, da ich selber Vater bin, und, wahrscheinlich zur Strafe meiner Sünden, auch rohe und unbiegsame Kinder habe. Bey mir war es Unwissenheit; und ich will gerne hoffen, es ist's itzt auch bey ihnen. – Einem Mann gab ich vor dreyßig Jahren ein Paar tüchtige Ohrfeigen; und sonst noch einer oder zwoo Balgereyen bin ich mir auch bewußt. Aber ich habe mir deßwegen nie starke Vorwürfe gemacht. Zum Theil ward ich angegriffen, oder ich hatte sonst ziemlich gerechte Ursachen böse zu werden. Erwähnter Mann hatte meinen Vater wegen einem vom Wind umgewofenen Tännchen im Gemeinwald vor dem Richter verklagt; der gute Aeti wurde unschuldiger Weise gebüßt. Nun brannte freylich die Rachbegier in meinem Busen hoch auf. Eines Tages nun ertappt' ich den boshaften Ankläger, daß er selbst – Stauden stahl; da ja versetzt' ich ihm eins, zwey, oder drey, daß ihm Maul und Nase überloffen. Noch blutend rannte er zum Obervogt. Der citirte mich; aber ich gestuhnd nichts, und der andre hatte keine Zeugen. Er mußte also das Empfangene vor sich behalten. – Im Handel und Wandel betrog ich sicher niemand, sondern zog vielmehr meist den Kürzern. – Nie mocht' ich in Gesellschaften seyn, wo gezankt wurde, oder wo sonst jemand unzufrieden war; nie wo schmutzige Zotten aufs Tapet kamen, oder es sonst konterbunt – wohl aber wo es lustig in Ehren hergieng, und alles content war. Mehr als einmal hab' ich mein eigenes Geld angespannt, um andern Vergnügen zu machen. – Viel hundert Gulden hab' ich entlehnt, um andern zu helfen, [314] die mich hernach ausgelacht, oder es mir abgeläugnet, oder die ich mir wenigstens damit, statt zu Freunden zu Feinden gemacht. – Das schöne Geschlecht war freylich von jeher meine Lieblingssache. Doch, ich hab' ja über dieß Kapitel schon gebeichtet. Gott verzeih' mir's wo ich gefehlt! – Dießmal ist's um Entschuldigungen und Trostgründe zu thun. Und da bin ich in meinem Innersten zufrieden mit mir selber, daß gewiß kein Weibsbild unter der Sonne auftreten und sagen kann, ich habe sie verführt, keine Seele auf Gottes Erdboden herumgeht, die mir ihr Daseyn vorzuwerfen hat; daß ich kein Weib ihrem Mann abspenstig gemacht, und eine einzige Jungfer gekostet – und die ist meine Frau. Diese meine Blödigkeit freute mich immer, und würde mir noch itzt anhangen. Auch das ist mir ein wahrer Trost, daß ich sogar nur nie keine Gelegenheit gesucht – höchstens bisweilen in meiner Fantasie die Narrheit hatte, einen guten Anlaß zu wünschen; aber, wenn sich denn derselbe – glücklicher oder unglücklicher Weise eräugnete – ich schon zum Voraus an allen Gliedern zitterte. – Meinem Weib hab' ich nie Unrecht gethan – es müßte denn das Unrecht heissen, daß ich mich nie ihr unterthan machen wollte. Nie hab' ich mich an ihr vergriffen; und wenn sie mich auch auf's Aeusserste brachte, so nahm ich lieber den Weiten. Herzlich gern hätt' ich ihr alles ersinnliche Vergnügen gemacht, und ihr, was sie nur immer gelüstete, zukommen lassen. Aber von meiner Hand war ihr niemals nichts recht; es fehlte immer an einem Zipfel. Ich ließ darum zuletzt das Kramen und Laufen [315] bleiben. Da war's wieder nicht recht. – Auch meinen Kindern that ich nicht Unrecht, es müßte denn das Unrecht seyn, daß ich ihnen nicht Schätze sammelte, oder wenigstens meinem Geld nicht besser geschont habe. In den ersten Jahren meines Ehestands nahm ich mit ihnen eine scharfe Zucht vor die Hand. Als aber itzt meine zwey Erstgebohrnen starben, macht' ich mir Vorwürfe, ich sey nur zu streng mit ihnen umgegangen, obschon sie mir in der Seele lieb waren. Nun verfuhr ich mit den übriggebliebenen nur zu gelinde, schonte ihnen mit Arbeit und Schlägen, verschaffete ihnen allerhand Freuden, und ließ ihnen zukommen was nur immer in meinem Vermögen stand – bis ich anfieng einzusehn, daß meines Weibs dießfällige Vorwürfe wirklich nicht unbegründet waren. Denn schon waren mir meine Jungen ziemlich über die Hand gewachsen, und ich mußte eine ganz andre Miene annehmen, wenn ich nur noch in etwas meine Authorität behaupten wollte. Aber die Leyer meiner Frau konnt' ich darum auch itzt noch unmöglich leyern; unmöglich stundenlang donnern und lamentiren; unmöglich viele hundert Waidsprüche und Lebensregeln, haltbare und unhaltbare, in die Kreutz' und Queer' ihnen vorschreiben; und wenn ich's je gekonnt hätte, sah' ich die Folgen einer solchen Art Kinderzucht nur allzudeutlich ein: Daß nämlich am End' gar nichts gethan und geachtet, aus Uebel immer Aerger wird und das junge Füllen zuletzt anfängt wild und taub hintenauszuschlagen. Ich begnügte mich also ihnen meine Meinung immer mit wenig Worten, aber im [316] ernsten Tone zu sagen, und besonders nie früher als es vonnöthen war, und niemals blosse Kleinigkeiten zu ahnden. Mehrmals hatt' ich schon eine lange Predigt studirt; aber immer war ich glücklich genug, sie noch zu rechter Zeit zu verschlücken, wenn ich die Sachen bey näherer Untersuchung so schlimm nicht fand, als ich es im ersten Ingrimm vermuthet hatte. Ueberhaupt aber fand ich, daß Gelindigkeit und sanfte Güte, zwar nicht immer, aber doch die meisten Male mehr wirkt, als Strenge und Lautthun. – Doch, ich merke wohl, ich fange an meine Tugenden zu mahlen – und sollte meine Fehler erzählen. Aber noch einmal, in diesen letzten Zeilen möcht' ich mich, so gut es seyn kann, ein wenig beruhigen. Meine aufrichtigen Geständnisse findet der Liebhaber ja oben, und wird daraus meinen Charackter ziemlich genau zu bestimmen wissen. Schon seit Langem hab' ich mir viele Mühe gegeben, mich selbst zu studiren, und glaube wirklich zum Theil mich zu kennen – meine Frau war ein trefliches Hülfsmittel dazu – zum Theil aber bin ich mir freylich noch immer ein seltsames Räthsel:
So viele richtige Empfindungen; ein so wohl wollendes, zur Gerechtigkeit und Güte geneigtes Herz; so viel Freude und Theilnahm' an allem physisch und moralisch Schönen in der Welt; solch betrübende Gefühle beym Anblick oder Anhören jedes Unrechts, Jammers und Elends; so viele redliche Wünsche endlich, hauptsächlich für andrer Wohlergehn. Dessen alles bin ich mir, wie ich meyne, untrüglich bewußt. Aber dann daneben: Noch so viele Herzenstücke; solch einen [317] Wust von Spanischen Schlössern, Türkischen Paradiesen, kurz Hirngespinsten – die ich sogar noch in meinem alten Narrnkopf mit geheimem Wohlgefallen nähre – wie sie vielleicht sonst noch in keines Menschengehirn aufgestiegen sind. – Doch itzt noch etwas