[102] Die Jungfrau und die Blumen

Wo leis des Gartens dichte Schatten rauschen,
Und in den dunklen Zweigen
Die reifen goldnen Früchte heimlich schwellen,
Gleich holden Engeln, die in Wolken lauschen,
Und freundlich sich bezeigen,
Seht ihr die weiße Jungfrau sich erhellen.
Des Lichtes letzte Wellen
Umfließen sie. Sie sitzt, und ihr zu Füßen
Unschuld'ge Blumen sprießen;
Sie spricht zu ihnen, weckt mit ihren Blicken,
Die schon die Augen schließen, schlafend nicken.
Es scheint ihr Wort sie mehr noch einzuwiegen,
Was ihre Lippen sprechen,
Wallt längst im Traum um ihre zarten Seelen
Und wohnt in ihrem Leben still verschwiegen –
Die Stummheit zu zerbrechen,
Sind sie zu schwach, und können's nicht erzählen,
Doch sie kann nichts verhehlen,
Der stille Abend löst die keuschen Banden,
Die ihren Schmerz umwanden,
Sie klaget leis, und mit den blauen Augen
Will Antwort sie aus ihrer Stummheit saugen.
»Ihr blinden Kinder, wenn der ew'ge Schlummer
Von euren Augen weichet,
Wenn eure Lippen seufzend sich erschließen,
Ein warmes Herz euch bebt, und eurem Kummer
Die Götter Worte reichen,
Erblüh' ich eine Blume euch zu Füßen.
Ihr werdet still mich grüßen,
Und für der Liebe jungfrauliches Bangen
Der Blume Trost verlangen,
Denn wir sind Schwestern, sind im harten Leben
Der tiefen Liebe frühem Tod gegeben.
[103]
Was Lilie keusch in deinem Kelche webet,
Was Rose rot dich malet
Und eure Augen stille Veilchen sagen,
Auch keusch und bang in meinem Busen strebet,
Von meinen Lippen strahlet
Und still und wild die blauen Augen klagen,
Uns faßt ein gleich Verzagen,
Ach! nimmer kann des Herzens still Verbrennen
Der keusche Mund bekennen,
Ach! nimmer will die wilde Welt verstehen,
Was unsrer Düfte stumme Lippen flehen.
Wenn linde Sonnenstrahlen niedersehen,
Sich laue Weste regen,
Erkennen wir aus uns mit dunklem Sehnen,
Doch nimmer wissen wir, wie uns geschehen.
Was wir im Innern hegen,
Ist süßes Träumen und ein kindisch Wähnen.
Es fließen alle Tränen
Noch leicht herab, und weilen keine Schmerzen
Im unerschloßnen Herzen,
Bis von der ew'gen Liebe tiefen Quellen
Das Herz sich dehnt, und leis die Knospen schwellen.
Im Busen keimet heimliches Begehren,
Und mildes Widerstreben,
Und wie sie liebend miteinander walten,
Erzeuget sich ein hoffendes Entbehren;
Der Blüte junges Leben
Will nun die zarten Blätter schon entfalten.
Die freundlichen Gestalten,
Die in verborgner Werkstatt noch gefangen,
Nach Freiheit sehr verlangen,
Bis uns des Morgens goldner Pfeil erschließet.
Und der geheimen Wunde Träne fließet.
Nun lösen sich die rätselhaften Triebe
Und zu dem reinen Throne,
[104]
Der aus dem Herzen froh heraufgedrungen,
Steigt schüchtern und verschleiert unsre Liebe.
Es hat die bunte Krone
Der sanften Königin das Licht geschlungen.
Sie hat das Reich errungen,
Und blickt in ihres Sieges junger Wonne
So freudig nach der Sonne,
Die freundlich sich in ihrem Schoß ergießet
Und sie mit goldnen Strahlen froh begrüßet.
Dir arme Königin, wie wird dir bange,
So einsam und verlassen,
So arm siehst du hinaus, ins weite Leben,
Die eignen Düfte küssen deine Wange,
Du mußt dich selbst umfassen,
Kein Volk, kein schöner Freund die Liebe geben.
Die zarten Säulen beben,
Auf denen sich dein leichter Thron beweget,
Vom Weste selbst erreget.
Die Nacht flieht lieblos dir in dunklen Träumen,
Am Morgen Tränen deine Blicke säumen.
Sind nicht dein Thron des Busens junges Wogen,
Dein Purpur, rote Wangen,
Dein Diadem, der Locken goldne Schlingen?
Ach bald sind all die Wellen weggezogen,
Der Purpur bald vergangen,
Gelöst die Flechten, die dein Haupt umfingen.
Der Liebe Pfeile dringen
Vom Himmel und der Schmerzen glühes Wühlen
Im Herzen zu erkühlen,
Löst du in stillen Tränen dein Geschmeide
Der Tränen Weide wirst du, Augenweide!
Du arme Königin! so ohne Wehre
Sollst schweren Kampf du führen,
Will keiner für die holde Braut denn streiten,
Will keinen, daß die Glut sie nicht verzehre,
[105]
Solch zarte Schönheit rühren,
Des Schattens liebend Dach um dich zu breiten?
O stummes bittres Leiden!
Welch Leben, wo die Liebe ungedinget
Dir keine Hülfe bringet,
Und wolltest du den dichten Schleier heben,
So würde dir des Schatzes Geist entschweben.
Und heißer, immer heißer dein Begehren,
Und leiser deine Klagen!
Die Farben schon, die deinen Schmerz verkünden,
Der Düfte leise Worte sich verzehren,
Um lauter stets zu sagen,
Wie dich die wilden Flammen ganz entzünden.
Die Hülfe zu ergründen,
Willst du vom freien Throne niedersteigen,
Dem Frevel dich zu neigen?
Noch elender ein Handwerk voller Wehe,
Umzunfte dich der schnöde Tod, die Ehe. –
Nein! solcher Ärmlichkeit dich hinzubieten,
Wird Armut dich nicht zwingen,
Die freie Liebe läßt sich nicht umarmen,
Wo sie den Kuß in Zweck und Absicht schmieden,
Wo Trieb und Freiheit ringen,
Und alle Lüste an der Not verarmen,
Dem Handwerk zum Erbarmen,
Wo zwei geübte Langeweilen weilen
Und Pflicht und Notdurft teilen
Darfst du dich nicht ergeben – heilig Leben!
Dein Bild nicht in des Haushalts Linnen weben.
O könntest ruhig du dein Sterben leben,
Die andern nicht erkennen,
Die alles Lebens eine Hälfte fassen,
Sich stille wandelnd hohes Ansehn geben,
Und hin und wider rennen,
Als wäre ohne sie die Welt gelassen.
[106]
Ach wohl! ist sie verlassen,
Das Leben ist zur Selbstbetrachtung worden,
Die Liebe zu ermorden,
Und forscht die Schönheit tötend nach Gesetzen,
Die Liebe und die Schönheit zu ersetzen.
Sie wähnen gar, die Liebe sei verloren,
Weil sie sich selbst vermissen,
Das Leben in Verzeichnisse schon bringen,
Als würde fernerhin nicht mehr geboren,
Als bräch' aus Finsternissen
Der Tod herauf, die Mutter zu verschlingen.
Mit solchen Wunderdingen
Vermeinen sie die längst verlornen Grenzen
Der Liebe zu ergänzen,
Und ordnen uns und stellen nach den Flammen
Dem Tode in Systeme uns zusammen.
Wie schöner Sieg! Wir können hier nicht sterben,
Denn hier war uns kein Leben,
Ein Frühling nur, wir sind es selbst gewesen,
Erblühen und Verglühen – kein Verderben
Kann unser Bild entweben,
Nur Opfer kann der Liebe Fessel lösen,
O freudiges Genesen!
Erhebe sanfte Königin den Schleier
Dem reinen Himmelsfeuer,
Will liebend nicht das Leben dich erringen,
So laß vom stillen Gotte dich umschlingen.
Wie glüht der Mittag heiß, in tiefem Schweigen
Eröffnet sie den Schleier,
Der Liebe Heiligtum muß sie enthüllen,
Und zu dem Throne glühe Strahlen steigen,
Des stillen Gottes Freier,
Die wachen Schmerzen tötend ihr zu stillen.
Sie reicht dem mächt'gen Willen
Die Liebe hin, und löset ihre Krone
[107]
Und breitet auf dem Throne
Die duftenden Gewänder, an den Gluten
Des Bräutigams sich opfernd zu verbluten.
Mir ist das schöne Opfer bald verglommen,
Es wallt das letzte Düften
Dem lichten Gott, der mit der Krone fliehet,
Er wand sie mir, er hat sie hingenommen,
Und in den reinen Lüften
Das bunte Leben mit ihm heimwärts ziehet,
Mein stiller Abend glühet,
Und wo des hohen Glanzes reine Wellen
In heißem Purpur schwellen,
Da brechen sich der Sehnsucht letzte Wogen,
Und ist der Streit der Liebe hingezogen.
O Nacht! so voller Liebe,
Ergieße deine dunkle Flut der Bangen,
Umfange ihr Verlangen,
Laß kühlend um die kämpfenden Gestalten
Das stille Meer der ew'gen Liebe walten!

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TextGrid Repository (2012). Brentano, Clemens. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Die Jungfrau und die Blumen. Die Jungfrau und die Blumen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3F15-F