[43] Charfreitag

Charfreitag ist's – da trauert
Die ganze Christenheit,
Ich traure mehr als die Andern,
Mein Herz trägt doppelt Leid.
An diesem Tag der Schmerzen
Ein theures Herz mir starb,
Das beste und das treuste,
Das ich im Leben erwarb.
O, Christenheit, du trauerst
Nach heilig-frommem Brauch,
Weil dich noch sanft umwehet
Des Einz'gen Geisteshauch.
Wie aber muß ich klagen,
Die ich den Stern geseh'n,
Die Blumie, die so frühe
Zur Ruhe mußte geh'n;
Die ich den Geist vernommen,
Der von den Lippen quoll,
Die ich dies Herz besessen
Der reinsten Liebe voll.
[44]
Ein Stück von meiner Seele
Mit ihr zu Grabe zog,
Ein Stück von meinem Geiste
Mit ihr von dannen flog,
Ein Stück von meinem Herzen
Deckt wieder dunkles Land,
Weil sie allein von Allen
Es ganz und gar verstand.
Charfreitag – düstrer Freitag,
Bei deinem Glockenklang
Mag manches Herz erbeben
Und schlagen schwer und bang,
Mag manche Thräne fließen,
Und mancher Seufzer weh'n,
Doch Niemand kann dir trüber
Als ich in's Antlitz seh'n!

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TextGrid Repository (2012). Büchner, Luise. Gedichte. Frauenherz. Spätere Tage. Charfreitag. Charfreitag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-460D-8