[280] [6] Die sechste Satyre
Vorzug des Land-Lebens

In einem Einladungs-Schreiben an den Herrn von Brand.


1692.


Die Zeilen, welche mir ietzt aus der Feder fliessen,
Sind von mir abgeschickt, Herr Bruder, dich zu grüssen:
Ob ich gleich einsam bin, so will ich doch dabey,
Daß ich nicht unbekannt bey meinen Freunden sey.
Zu Blumberg ist mein Sitz, da, nach der alten Weise,
Mit dem, was Gott beschehrt, ich mich recht glücklich preise;
Da ich aus meinem Sinn die Sorgen weggeräumt,
So, daß mir nicht von Geitz, noch eitler Ehre, träumt.
Ich kan das Spiel der Welt, und ihr verwirrtes Wesen
Aus dem gedruckten Blat des Zeitung-Schreibers lesen:
Und wenn gleich alles nun in Krieg und Blut gestürzt,
Wird im geringsten nicht dadurch mein Schlaff gekürtzt.
Bleibt Friedrich nur gesund, und hat sein Scepter Seegen, 1
Was ist mir an Namur und Pignerol gelegen? 2
Und wenn ich, ohne Streit, die Garben binden kan,
Ficht Franckreich mich so viel, als wie der Mogol, an.
Hier merck ich, daß die Ruh in schlechten Hütten wohnet,
Wenn Unglück und Verdruß nicht der Palläste schonet;
Daß es viel besser ist, bey Kohl und Rüben stehn,
Als in dem Labyrinth des Hofes irre gehn.
Hier ist mein eigner Grund, der mir selbst angestorben; 3
Hier ist kein Fußbreit Land durch schlimmes Recht erworben;
Kein Stein, der Witwen drückt, und Wäysen Thränen preßt,
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Kein Ort, der einen Fluch zum Echo schallen läßt.
Hier kan ich Schaaf und Rind in den begrünten Auen,
Die Scheunen voller Frucht, das Feld voll Hoffnung, schauen;
Und wenn kein grosser Hecht hier in die Darge beißt, 4
So gilt mein Giebel-Fang, der offt das Netze reißt. 5
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Ja, will ein stoltzer Hirsch nicht als ein Räuber sterben,
So muß er meine Saat sich scheuen zu verderben.
Von allem bin ich Herr, was in dem Paradieß
Der Vater Adam erst mit eignen Nahmen hieß.
Mein Reden darff ich hier auf keiner Schale wägen,
Auch nicht gewärtig seyn, wenn es mir ungelegen,
Daß, aus Gewohnheit, mich ein falscher Freund besucht,
Der, doch aus Höfflichkeit nur heimlich, mich verflucht.
Hier leb ich, wie ich soll. Mein Wille giebt Gesetze,
Und keinem Rechenschafft. Ich fürchte kein Geschwätze,
Wenn, ob der Hunds-Stern gleich am heitern Himmel glüht,
Man mich bey dem Camin im Fuchs-Peltz sitzen sieht.
So mach ichs, wenn die Lufft mit Regen überzogen:
Wenn Iris aber nun mit dem gefärbten Bogen
Den Horizont bekrönt, führt mich auf neue Spur
Das Wunder-grosse Buch der gütigen Natur.
Mein Gott! was zeiget uns doch die an allen Seiten!
Da halt ich ein Gespräch mit frommen Arbeits-Leuten,
Die stellen manchen Schluß, in ihrer Einfalt, dar,
Der selbst dem Seneca noch schwer zu lösen war.
Da seh ich, was für Wahn uns Menschen offt bedecket,
Daß viel gesunder Witz auch in den Sclaven stecket,
Und, was ein grosser Mund, als ein Orakel, spricht,
Zuweilen mehr betreugt, als offt ein Irrwisch-Licht.
O mehr als güldne Zeit! belobtes Acker-Leben!
Dem Himmel sey gedanckt, der mir die Krafft gegeben,
Daß ich, eh ich noch gar an viertzig Jahre geh, 6
Schon am gewünschten Ziel so vieler Greisen steh.
Hier kanst du, biß im Herbst, mich, liebster Bruder, finden;
Und wenn du deinen Freund aufs neue wilst verbinden,
So stelle dich, und die bey dir im Hause seyn,
So bald es möglich ist, in meiner Armuth ein.
Was dich bekümmern kan, das laß zurücke bleiben.
Ein fröliches Gespräch soll uns die Zeit vertreiben.
Wird gleich auch manchen Tag der Sonnenschein vermißt,
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Genug, daß unser Geist nicht wetterläunisch ist.
Seit vielen Jahren hat bey mir kein Lied geklungen,
Die Leyer ist verstimmt, die Saiten abgesprungen.
Wer weiß, was Phöbus thut, wenn nur dein Antlitz lacht;
Ob nicht ein neuer Trieb die Adern schwellen macht.
Mich dünckt, ich seh euch schon, ihr angenehmen Gäste,
Wie ihr gefahren kommt zu einer Bauren-Köste;
Wie in der freyen Lufft, da alles spielt und schertzt,
Sich auch Eusebius mit seiner Gustgen hertzt. 7
Charlotte Christian' und deinen theuren Fritzen, 8
Seh ich dort eingepackt auf schmalen Bänckgen sitzen.
Doch, wo die Pape bleibt, mit ihrer breiten Brust 9
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Und aufgethürmten Kopff, das ist mir unbewust.
Ich dencke, daß sie sich vor dismahl wird bequemen,
Wo die Bedienten stehn, ein Plätzgen einzunehmen;
Weil noch kein Handwercks-Mann zu der verdammten Tracht,
Die Sprügel und den Raum hat hoch genug gemacht. 10
Eins bitt ich, nehmt vorlieb, wenn ich, nach Art der Hirten,
Euch nicht mit Ortolans und Nectar kan bewirthen; 11
Weil man auf meinen Tisch sonst selten etwas trägt,
Das nicht mein Feld, mein Stall, mein Teich und Garten hegt.
Auf! bilde dir nur ein, du solst nach Hermsdorf reisen; 12
Und, kan ich dir hernach schon nicht desgleichen weisen,
So tröste dich damit, daß du, mein werther Gast,
Nicht weniger, als dort, hier zu befehlen hast.

Fußnoten

1 Churfürst Friedrich führte damahls noch nicht einen Königlichen Scepter. Dieses zielet also hier auf den Brandenburg. Scepter im Wapen.

2 Namur ward gleich in demselben Jahre, in welchem dieser Brief geschrieben ist, von den Frantzosen erobert.

3 Er hatte gedachtes Blumberg von seiner Frau Großmutter, mütterlicher Seiten, der Frau Ober-Cammerherrin und geheimen Räthin von Burgsstorff geerbet, die ihm solches in ihrem letzten Willen, noch bey seiner leiblichen Frau Mutter Leben, zugeeignet.

4 Darge, Derge oder Terge, wie es verschiedentlich genannt wird, heißt so viel als die Reitzung, da man den Fisch terget, zerget oder reitzet, daß er anbeißt. Es ist eigentlich eine Angel von Meßing, deren man sich in der Marck Brandenburg auf den Flüssen, meistens aber auf den Land-Seen, um grosse Hechte zu fangen, wiewohl nur zur Lust, bedienet. Denn sonst ist das Dargen, weil damit grosser Schaden geschicht, und der Hecht häuffig aus dem Wasser geschleppt wird, in der Chur-Brandenb. Fischer-Ordnung vom Jahre 1690. unter dem verbothenen Fischer-Zeuge, ausdrücklich benennt. Man fähret in einem Kahne, ziemlich schnelle herum, läst die Darge an einer offt mehr als Klaffter-langen Schnur, woran weder ein Bley noch sonst was, ins Wasser hängen; da denn das nahe am Angel befestigte rothe Stück Tuch, und die im Fortschwimmen beständig-blinckernde Angel den Hecht anreitzen, daß er, indem er es für Rothaugen ansiehet, darnach schnappet, und dadurch gefangen wird, manchmal auch mit der Schnur weit wegfährt; welches alles des Fischende gleich fühlen kan, weil man die von dem Roll-Holtze abgewundene Darg-Schnur, so ein paar mahl dicker als ein Bind-Faden, im Munde, manchmahl auch nur in der Hand, zu halten, solche dem Fische nachzulassen, und ihn hernach daran wieder zu sich zu ziehen pfleget. Wovon Coler in seinem Haußhaltungs-Buche Bl. 672. und. 697. ausführlich handelt.

5 Giebel, oder Gybel, wie Coler, Bl. 698. diß Wort schreibt, nennet man in der Marck gewisse kleine, aber sehr wohl schmeckende Fische, die man daselbst in ietztgedachten Land-Seen mit Netzen, und, weil sie alle vier Wochen laichen, in gröster Menge zu fangen pfleget. Es ist eine Art Carauschen, aber noch viel süsser vom Fleische, obgleich um die Helffte kleiner, kaum einer Spannen lang, dickfleischigt auf dem Rücken, und von Farbe ungefehr wie die Schleyen. Man bekömmt sie nicht überall gut, weil sie sich nur in stehenden Teichen und Graben aufhalten, und das Wasser darinn nicht allemahl reine. In Blumberg werden die allerbesten gefischt. In Sachsen ist eine gewisse Gattung Weißfische, welche Diebel genannt, und von einigen für eben diese Märckische Giebel, wiewohl ohne Grund, gehalten werden; weil diese sehr gut, jene hergegen sehr schlecht von Geschmack sind.

Das Sprüchwort ist bekannt, man siede gleich den Diebel,

Man brate diesen Fisch, so schmecket er doch übel.

Günthers Gedichte Th. II. Bl. 98.

6 Der Herr von Canitz schrieb dieses in seinem 39sten Jahre.

7 Der Herr von Brand hieß Eusebius, und dessen Gemahlin, Augusta Elisabeth.

8 Die junge Fräulein Tochter des Herrn von Brands, so nachmahls frühzeitig verstarb, hieß Charlotte Christiane; sein eintziger Sohn aber Friedrich. Er ward, schon zu seines Herrn Vaters Lebzeiten, Kön. Preussischer Kammer-Juncker, und, nach dessen Absterben, mit dem Orden der Großmuth begnadiget, als er denselben Sr. Königl. Majest. wieder einhändigen wolte; bekam auch die Amts-Hauptmannschafft zu Driesen, in der Neu-Marck, niemahls aber den Ca ier-Herrn-Schlüssel, wie, so wohl in dem grossen Historischen, als auch in dem Adels-Lexico, irrig vorgegeben worden. Er ist erst in dem abgewichenen Jahre 1725. zu Berlin verstorben.

9 War die Fräulein von Canitz, eine Schwester der Frau von Brand, und eine Tochter des ehmahligen Chur-Brandenburgis. ältesten geheimen Staats-Raths und Ober-Marschalls, Herrn Melchior Friedrichs, Freyherrn von Canitz, auf Dalwitz, der schon im Jahre 1669. die Freyherrliche Würde auf sein Hauß gebracht; aber mit unserm Freyherrn von Canitz nicht befreundet war, weil dieser von den Preußischen, wie jener von den Schlesischen Canitzen, herstammte, woselbst er zuvor, bey Hertzog George dem Dritten zu Liegnitz, Rath und Hof-Marschall gewesen. Sie hieß Sophia Catharina, ward anfangs, auf Gutbefinden ihres Herrn Vaters, in Schlesien erzogen, biß er dieselbe nachmahls zu sich an den Hof, und, nach seinem Tode, die Frau Geheime Räthin von Brand solche ins Hauß genommen. Sie war breit von Brust, trug, nach damahligem Gebrauche, einen sehr hohen Kopf-Putz, war sehr lebhafft vom Geiste, und nicht faul mit dem Munde. Weil sie auch dabey eine Art von einer Habichts- oder Papageyen-Nase hatte, so pflegte der Herr von Canitz, in dessen Behausung sie fast beständig, und dabey sehr wohl gelidten war, Sie, im Schertze, nur immer Pape oder Pabgen zu nennen.

10 Sprügel, sind die Bogen-Höltzer an einer Gutsche, worauf oben der Himmel oder die Decke ruhet.

11 Ortolans werden von den meisten irrig, wegen ihres fremden Nahmens, für ausländische Vögel gehalten; sind eigentlich eine Art Gold-Ammern, doch etwas kleiner, und fast überall, auch in Teutschland, wiewohl an einem Orte häuffiger als am andern, anzutreffen. Die Jäger und Vogelsteller, denen diese Vögel noch nicht bekannt sind, rechnen sie gemeiniglich mit unter die Gold-Ammern. Wegen ihres trefflichen Geschmacks sind sie hochgeschätzt: man muß sie aber vorher einfangen und füttern, da sie in kurtzer Zeit sehr fett werden.

12 Hermsdorff, war des Herrn von Brand Land-Gut.

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TextGrid Repository (2012). Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von. Gedichte. Satyren und Ubersetzungen. [6] Die sechste Satyre. [6] Die sechste Satyre. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4AA0-B