Celander
(Johann Georg Gressel)
Celanders Verliebte- Galante / Sinn-Vermischte und Grab-Gedichte
[Auswahl]

[21] Liebes-Brief an seine Maitresse.

Ich schreibe / schönstes Kind / von Fleisch und Blut getrieben /
Vergib / wo dieser Brief zu frey gerahten ist!
Es heisset die Natur uns alle beyde lieben /
Ich weis / daß du mit mir von gleicher Regung bist.
Du darffst darüber dir gar kein Gewissen nehmen /
Was bildest du dir mehr als ander Menschen ein?
Weswegen wilt du dich vor deinem Schatten schämen?
Wie lange wilt du selbst auf dich tyrannisch seyn?
Du weist es Grausahmste / daß ich als Sclave lebe /
und gleichwol legst du mir erst schwere Ketten an /
Was soll die Jungfrauschafft / das leichte Spinn-Gewebe /
Das Ding / das jeder sucht / und niemand finden kan?
Laß deine Rosen bald im ersten Frühling pflücken /
Gedencke / daß sie nicht auf kaltem Eise blühn /
Die Liebe wil sich nicht zum spähten Alter schicken /
Es pflegt ihr nackend Kind im Winter weg zu ziehn.
Das Closter glaub es mir hat allzustrenge Lehren /
Dis ist kein Leben nicht / das mich und dich vergnügt /
[21]

Die Schönheit wird veracht / die keiner darf verehren / Sie ist ein Götzen Bild / das in den Winckeln liegt.

Weswegen zeigst du mir die rundgewölbten Brüste?
Sie laden meinen Mund / und meine Finger ein /
Warum erhitzt du mich / und reitzest meine Lüste?
Wer kan ein Tantalus bey solchen Aepffeln seyn?
Wie offt betracht ich nicht die wunder schönen Gaben /
Und dencke bey mir selbst / dis siehet alle Welt /
Was muß nicht dieses Kind vor andre Sachen haben /
Die sie nicht zeigen will / und mir verborgen hält?
Du wirst dis Heiligthum doch ewig nicht verstecken /
Sonst geht die Süßigkeit mit deiner Jugend hin /
Und bist du es gesinnt vor einem auffzudecken /
So glaub ich / daß ich hier der allernächste bin.
Du darffst die Jungferschafft nicht mit zu Grabe tragen /
Ihr seyd von unserm Fleisch / und unserm Bein gemacht /
Doch solt es deine Schaam bey Tage mir versagen / So gönne mir die Lust bey Schatten reicher Nacht.
Ich will mein Paradieß auch nicht im finstern fehlen /
Der angenehme Weg ist mir nicht unbekannt /
Indessen solt ich nicht die rechte Strasse wählen /
So sey du Führerin / ich folge deiner Hand.
[22]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Celander (auch Johann Georg Gressel). Gedichte. Celanders Verliebte- Galante- Sinn- Vermischte und Grab-Gedichte. Liebes-Brief an seine Maitresse. Liebes-Brief an seine Maitresse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4B54-2