Ein Gerichtstag auf Huahine

Im Herbst 1822


Ellis, »Polynesian researches« II. p. 457. Pomare II., König von Tahiti, erhielt, der erste unter den Insulanern dieser Gruppe, die Taufe zu Papaoa auf Tahiti am 14. Juli 1819. Am 13. Mai desselben Jahres waren daselbst die ersten geschriebenen Gesetze in feierlicher Volksversammlung angenommen und ausgerufen worden. Erst im Mai 1822 erhielt die Insel Huahine auf gleiche Weise ihr erstes Gesetzbuch. Oro war auf diesen Inseln der Gott des Kriegs, dem menschliche Opfer geschlachtet wurden.


Pomares hohe Wittib ist erschienen
Auf Huahin', ein königlicher Gast,
Und Volk und Fürsten eifern ihr zu dienen;
Sie strömen her aus allen Tälern fast,
Tahitis Herrin huldigend, und bringen
Zu ihren Füßen der Geschenke Last.
Es bilden ihren Hofstaat und umringen
Sie ihrer Mannen viele, was ersann
Die Königin, willfährig zu vollbringen.
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Von diesen einer kam, der Zimmermann:
»Zum Bau des Schiffes fehlt ein starker Baum;
Erhabne Herrin, weise den uns an.«
Drauf sie: »Dort seht, in jenes Hages Raum,
Den Brotfruchtbaum die volle Krone wiegen,
Den fällt, den bessern findet ihr doch kaum.«
Die Axt ward angelegt und mußte siegen,
Der Stamm ward fortgeschafft, der Eigner fand
Am Abend, als er kam, die Äste liegen.
Er war ein armer Mann von niederm Stand,
Ein rechtlicher, er nannte sich Tahute;
Die Missionare haben ihn gekannt.
Er forscht umher und fragt mit trübem Mute:
»Ihr lieben Nachbarn, sagt mir, was ihr wißt;
Wer hat gefrevelt hier am fremden Gute?«
Wie er es hört, die Ungebühr ermißt,
Die ihm von der Gewaltigen geschehen,
Dem Manne, der aus niederm Stand nur ist;
Beschließt er vor den Richter gleich zu gehen:
»Es kamen auf, seit Christi Wort erscholl,
Gesetze, soll die Willkür fortbestehen?«
Ori, der Richter, hört ihn kummervoll,
Und sendet alsobald den Boten hin,
Der vor Gericht die Fürstin laden soll. –
»Ori, der Richter, spricht durch mich: ›Ich bin,
Der morgen wird am Quell das Buch entfalten;
Dich lad ich dort in Ehrfurcht, Königin.‹«
Und wie des Morgens erste Stimmen hallten,
Die Dämmrung mit der Finsternis noch rang,
Und das Gebürg begann sich zu gestalten;
Im kühlen Seewind noch die Palme schwang
Ihr luft'ges Haupt, und nun aus dunkler Flut
Der Siegesschild der Sonne flammend sprang;
Da saß Ori, zu des Gesetzes Hut,
Am Quell des Hügels mit dem Buche schon,
Worauf des Unterdrückten Hoffnung ruht;
Schon drängte sich zu einer weiten Kron
Um ihn das Volk, es saß zu seiner Rechten
Bereits die Fürstin auf erhabnem Thron;
Und eine Schar von Höflingen und Knechten
Umlagerte die Herrin; noch verlor
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Sich in dem Haufen, dem es galt zu rechten.
Der Richter rief, und hielt das Buch empor:
»Hier gilt das Recht; wer klagen darf, der klage!«
Da trat Tahute aus dem Volk hervor:
»Es stand ein Brotfruchtbaum in meinem Hage,
Der sieben Mond im Jahr mich nebst den Meinen
Ernährt' und Schirm uns gab am heißen Tage.
Ich hatte selbst mein Haus mir unter seinen
Weitausgespannten Ästen auferbaut,
Und durfte wohlgemut mich glücklich meinen.
Blick hin! von diesem Abhang überschaut
Dein Blick dort unten das bewohnte Tal;
Siehst du die Stütze noch, der ich vertraut?
Dort ragt mein nacktes Dach im Sonnenstrahl,
Dabei ein leerer Raum, – die weite Wunde,
Die Lücke, – sieh! das ist des Frevels Mal.
Denn gestern kam ich heim zur Abendstunde, –
Verwaiset und verwüstet war der Ort,
Ich forschte händeringend nach der Kunde;
Zerhauen lagen rings die Äste dort,
Der Wurzelstock verweinte seinen Saft,
Allein der Stamm, der mächt'ge Stamm war fort.
Sie sagen aus: dies Unheil hat geschafft
Tahitis Königin, ihr Wille war es,
Durch ihrer Mannen übermüt'ge Kraft.
Ich weiß nicht, ob sie Falsches oder Wahres
Berichten; laß sie reden, wann ich schweige;
Von ihnen und der Königin erfahr es.
Ich aber frage nun, indem ich zeige,
Bekräftigend, ich sei befugt zu fragen,
Hier meines abgehaunen Baumes Zweige:
Was gilt nun das Gesetz, von dem sie sagen,
Es sei erdacht zu unserm Schutz und Frommen,
Die üpp'ge Macht der Willkür zu zerschlagen?
Uns ist das Licht der heitern Lust verglommen, –
Ihr saget ja, daß ihr an Christum glaubt! –
Und soll die Zeit des Blutes wiederkommen?
Nehm auch mein Leben, wer mein Gut mir raubt;
Und mög ich liegen auf Oros Altar,
Wie blutig einst schon meines Vaters Haupt!
Als seine Tempel standen, ja, da war
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Die volle freud'ge Kraft noch unbezwungen,
Die wogend Krieg und süße Lust gebar.
Ward in der Männerschlacht der Speer geschwungen,
Galt doch das Leben nur dem Dienst der Lust,
Und nur das Lied der Freude ward gesungen.
Nun schlägt der Sünder an die hohle Brust,
Gesang und Waffenschall sind gleich verhallt;
Der stille Sabbat jammert dem Verlust.
Ich selber bin nun worden schwach und alt,
Und wieder zweifelnd frag ich das Gericht:
Gilt euer Recht? gilt wieder die Gewalt?«
Er schwieg. Darauf Ori: »Der Kläger spricht,
Du habest, Herrin, seinen Baum gefällt;
Ist solches wahr?« und sie: »Ich leugn es nicht.« –
»Dir sei die eine Frage noch gestellt:
Hast du gewußt, daß wir Gesetze haben,
Und nicht der Eigenmacht gehört die Welt?
Geschriebene Gesetze, die uns gaben,
Nachdem wir selbst darüber uns vereint,
Die, so nächst Gott sind über uns erhaben –«
»Ich wußt es – ja! doch hab ich auch gemeint,
Den gottbestellten Herrschern sei verblieben
Die Macht, die selbst ihr zu verkennen scheint.« –
»Hier ist das Buch; wo steht darin geschrieben,
Den Herrschern vorbehalten sei die Macht,
Zu halten und zu brechen nach Belieben?«
Sie schwieg, den stolzen Blick verhüllt in Nacht.
Den ihre Diener hatten holen müssen,
Ein Beutel Piaster ward vor sie gebracht;
Sie winkte herrisch, zu des Klägers Füßen
Die königliche Spende zu verstreuen,
Und dachte so für ihren Fehl zu büßen.
»Nicht also!« hub der Richter an von neuen;
»Erst sprich: War recht die Tat, die du begangen,
Und scheinest jetzt, o Herrin, zu bereuen?«
Sie sagte: »Nein! – ich habe mich vergangen.«
Ihr Antlitz überflog ein roter Schein,
Und Tränen stürzten über ihre Wangen.
Der Richter sprach: »Der Kläger darf allein
Den Preis bestimmen dem Gesetze nach.
Tritt vor und fodre du, so soll es sein.«
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Tahute trat zum andern vor und sprach:
»Ich habe, was ich nur gewollt, erreicht;
Gebüßet hat ihr Mund, was sie verbrach.
Behalte, Herrin, deine Piaster; leicht
Und mütterlich ernähret mich die Erde,
Den nicht der Zorn ob Unbill mehr beschleicht.«
Darauf Ori: »Ihr hört, daß der Beschwerde
Entsagt hat, der die Klage hier erhoben,
Und fürder Rechtens nichts begehret werde.
Ihr mögt in Frieden gehn und Christum loben.«

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TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Ein Gerichtstag auf Huahine. Ein Gerichtstag auf Huahine. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4CBF-E