[15] Er denkt:

Sie wagt es dennoch! hat den Pakt geschlossen ...
Ich ließ sie keine grimmen Eide schwören,
Das alte Lied nur will ich manchmal hören
Und neue kümmerliche Weiberglossen.
Will hören, was ihr Welt und Menschen galten;
Will sehen, wie in guterfundnen Zügen
Als Wahrheit wiederspiegeln sich die Lügen,
Die ihr Gehirnlein rasch weiß zu gestalten.
Nicht Thorheit, Täuschung, feige Herzenssünden
Vermögen mich so bald von ihr zu trennen;
Vielleicht lehrt sie mich Weiberart erkennen,
Die Keiner noch vermochte zu ergründen.
[16]
Ich bin ein Thor ... denn einer Thörin Mund,
Die schier zu schwach zum Guten wie zum Bösen,
Soll mir das unheilvollste Räthsel lösen?
Was that sie mir seit langen Monden kund?
Nicht einen einzig' neuen Zug der Frau,
Nichts konnte ich aus ihrem Lachen lesen,
Aus ihren Thränen, ihrem Flimmerwesen,
Das sich oft abdämpft bis zum trübsten Grau ...
[17]
Wenn ich nur wüßte, warum ängstlich-fest
Oft ihre Hände meinen Arm umklammern,
Verstände ich der Augen scheues Jammern,
Das halbe Wort, das schwer sich deuten läßt!
Seltsames Weib ... das schüchtern, ungeliebt,
Halbwachend nur hin durch die Welt geschritten
Und wie im Traume jedes Leid erlitten,
Das die Verlassenheit dem Weibe giebt.
[18]
Ein Blättchen gab sie mir mit stummer Hast
Als Antwort auf die wohlbedachte Frage:
Ob Langeweile sie nicht längst schon plage,
Ob ich ihr nicht ein unwillkommner Gast.
Sie schüttelt mit der Feder fort die Last
Und wimmert redlich um vergangne Tage.
Ich weiß, es endet tragisch mit der Klage:
»Das Leben ist mir bitterlich verhaßt!«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Gedichte. Aus der Tiefe. Herzenssünden. Er denkt [1]. Er denkt [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-50D6-8