Vorlesung an die Herren Subskribenten

Man hat schon in ganz uralten Zeiten Vorlesungen gehalten und zwar in arabischer und chaldäischer Sprache; ich darf aber glauben, daß vielleicht einige von meinen H.H. Subskribenten kein Arabisch und Chaldäisch verstehen, und gesetzt sie verstünden's auch alle, so habe ich doch meine Ursachen, warum ich keine arabische und chaldäische Vorlesung halten will.

Unter den Griechen hat der berühmte Aristoteles Vorlesungen an den König Alexander gehalten, der auf seine Werke subskribiert hatte. Dieser Alexander soll ganz Griechenland und halb Asien erobert haben, und wird der Große genannt. Er mag wohl groß gewesen sein, das will ich nicht streiten, doch kann ich's eben nicht groß finden, wenn einer alles vor der Faust wegnimmt, und in meinen Augen ist ein Fürst, der das Land was er hat gut regiert, viel größer.

Unter den Lateinern wüßte ich nicht gleich ein Subjekt das Vorlesungen gehalten hätte, es sind deren aber ohne Zweifel auch unter ihnen gewesen.

Was nun alle diese Leute vorgelesen haben das weiß ich nicht, wollte auch nur, daß ich wüßte, was meinen H.H. Subskribenten ein Vergnügen machen könnte, sollte mir nichts zu schlecht noch zu gut sein. Ich will so allerlei versuchen; ist's nicht das eine, so ist's vielleicht das andre. Zuerst

a) Das von dem Schneider und dem Elefanten in Surate

a) Das von dem Schneider und dem Elefanten
in Surate

Vorläufig muß ich sagen, daß hier die Rede von einem asiatischen Schneider sei der von den europäischen ganz verschieden ist. Ich habe einen nahen Anverwandten der 'n Schneider ist; der möchte sonst meinen, daß ich ihn und sein löbliches Handwerk beleidigen wollte, und das will ich nicht.

Der Elefant saß also an der Tür und der Schneider ward zur Tränke getrieben – umgekehrt! Der Elefant ward zur Tränke getrieben, [154] und der Schneider saß an der Tür und hatte Äpfel neben sich stehen; und als der Elefant an die Äpfel kam, stand er stille, streckte seinen Rüssel hin und holte einen nach dem andern weg. Der Schneider wollte die Äpfel lieber selbst essen, und als der Rüssel wieder kam, stach er mit seiner Nadel hinein und der Elefant sagte 'P''r''r''r''r''rm, und ging weiter zur Tränke, trank sich satt, und nahm einen Rüssel voll Wasser mit zurück. Und als er wieder an den Schneider kam, stellte er sich grade vor ihm hin und blies ihm das Wasser ins Gesicht und über den ganzen Leib, und ging weg.

Die Herren Menschen könnten von dem Elefanten etwas lernen, und sollten, wenn sie sich doch 'nmal rächen wollten, ihren Rüssel, wie er, nur voll Wasser nehmen; das wäre nicht ganz geschenkt, und Arm' und Beine blieben ganz. Sie dünken sich so doch mehr als Elefanten, und sind's auch. Ja wohl, die Menschen sind mehr als alle Tiere, das ist leicht zu beweisen wie folget:

»Die Biber und Elefanten werden für die klügsten unter allen Tieren gehalten; nun hat man aber, zu geschweigen daß bei beiden Tierarten nicht die geringste Spur von Subskription zu finden ist, niemals gehört, daß 'n Elefant einen Hexameter gemacht, oder die Biber einen Musenalmanach herausgegeben hätten. Beides vermögen aber die Menschen; sie haben schon viele Tausend Hexameter gemacht, und geben alljährlich an die sieben Musenalmanachs heraus, und der von Johann Heinrich Voß bei Carl Bohn soll bis dato der prinzipalste von allen sein; und also ist der Mensch prinzipaler als alle Tiere.«


Vor einiger Zeit beehrte mich ein Herr Subskribent mit einem Briefe, klagte darin über den Verfall des vaterländischen Briefstils und wünschte in dem Subskriptionsbüchel eine Abhandlung über den Briefstil und seine verschiedene Gattungen zu lesen. Er war so gut zu meiner großen Beschämung noch hinzuzusetzen, wie er glaube, daß ich der rechte Mann dazu sei, wenn ich nur wollte. Warum sollte ich nicht wollen? Wenn ich meinem Vaterlande dienen kann, von Herzen gerne!

b) Eine kurze Theorie über den Briefstil und die eilf Gattungen desselben

b) Eine kurze Theorie über den Briefstil
und die eilf Gattungen desselben

Der Briefstil, Stilus epistolaris, ist sehr verschieden, und kommt es dabei hauptsächlich auf den Briefsteller an. Es sind aber eilf [155] Gattungen desselben zu merken, wie die Tabelle umständlich auseinandersetzt und erweist.


1. mit der Post; 1) Stilus epistolaris ordinarius. In diesem Fall sind die Briefe geschrieben oder nicht. 6) Stilus extraordinarius. Wenn die Briefe nicht mit der Post kommen, so sind sie gestellt 1. schlecht und recht; 2) St. Simplex. oder mit Geschmack. 3) St. catarrhalis, a vocabulo graeco. Die simplices sind 1. von leblosen Substanzen; 7) St. per Prosopopoiiam. oder von Tieren. 8) St. Aesopicus 1. zugesiegelt; 4) St. sigillatus. oder betreffen das Land Wursten. 5) St. Geographicus. 9) St. Aëreus 10) St. Aquaticus 11) St. Terrestris.

c) Schreiben eines parforcegejagten Hirschen
an den Fürsten der ihn parforcegejagt hatte,
d.d. jenseit des Flusses

Ein Preisversuch der das Accessit erhalten. Ich führe ihn hier nur bloß an als eine Probe des Stilus Epistolaris Extraordinarius Aesopicus Terrestris, und weiß bis diese Stunde nicht, wo das Accessit geblieben ist; ich habe nichts gekriegt, sie schrieben mir aber in dem Briefe ich hätt's erhalten. Was den Inhalt anlangt, da kommt's mir freilich vor als wenn der Hirsch recht hätte; ich weiß aber nicht was dagegen gesagt werden kann, und denn bedaurt auch mancher einen Hirschen und würde ihn am ärgsten jagen wenn er nur könnte.


Durchlauchtiger Fürst,

Gnädigster Fürst und Herr!

Ich habe heute die Gnade gehabt, von Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht parforcegejagt zu werden; bitte aber untertänigst, daß Sie gnädigst geruhen, mich künftig damit zu verschonen. Ew. Hochfürstl. Durchl. sollten nur einmal parforcegejagt sein, so würden Sie meine Bitte nicht unbillig finden. Ich liege hier und mag meinen Kopf nicht aufheben, und das Blut läuft mir aus [156] Maul und Nüstern. Wie können Ihr Durchlaucht es doch übers Herz bringen, ein armes unschuldiges Tier, das sich von Gras und Kräutern nährt, zu Tode zu jagen? Lassen Sie mich lieber tot schießen, so bin ich kurz und gut davon. Noch einmal, es kann sein, daß Ew. Durchlaucht ein Vergnügen an dem Parforcejagen haben; wenn Sie aber wüßten, wie mir noch das Herz schlägt, Sie täten's gewiß nicht wieder, der ich die Ehre habe zu sein mit Gut und Blut bis in den Tod etc. etc.


S. 136 Z. 6 v.u. ist 'Habu statt 'Habubu, und an einem andern Ort dieses Büchels Dutzend für Halbdutzend gesetzt worden. Es gibt in der Folge wahrscheinlich noch mehr Druckfehler; die kann ich hier aber noch nicht anmerken, ob hier gleich dazu die beste Gelegenheit von der Welt wäre.

d) Die Geschichte des Konstantin Phaulkon

Konstantin Phaulkon war, daß ich's kurz mache, in Griechenland geboren, ging mit englischen Schiffen nach Siam, kam am dortigen Hofe erst zu kleiner und hernach zu großer Ehre und Herrlichkeit, so daß er sozusagen nach dem Kaiser der erste im Lande war, und unter andern allemal auf einem silbernen Sessel getragen ward. Unter diesen Umständen machte er mit dem de Forgues, Kommandanten der Festung Bankok, eine Verschwörung, den Monpi oder vielleicht sich selbst auf den Thron zu setzen, und den Petratja und die andern Reichsprätendenten auf die Seite zu schaffen. Die Verschwörung ward entdeckt, und das Blatt fing an sich mit dem Konstantin Phaulkon gewaltig zu wenden. Der Petratja warf ihm den 19. Mai 1659 den abgerissenen Kopf des Monpi vor die Füße, und lachte ihm dabei in die Zähne. Nach diesem Anfang ließ er ihn vierzehn Tage auf allerlei Art martern und quälen, und den funfzehnten auf einem Mistsessel nach dem Gerichtsplatz tragen, unterwegens aber bei seinem Hause anhalten, damit er vor seinem Tode noch alle seine Herrlichkeit zerstört sehen möchte. Seine Gemahlin lag hier gebunden in einem Stall, mit seinem jüngsten Sohn auf ihrem Schoß, und der älteste war seit einigen Tagen gestorben und lag tot neben ihr. Konstantin Phaulkon wollte Abschied von seiner Frau nehmen und sein Kind auf ihrem Schoß küssen; sie aber wollte nicht Abschied nehmen noch das Kind küssen lassen, spie ihn an und stieß ihn von sich, und so ward er weiter nach dem Gerichtsplatz getragen und jämmerlich hingerichtet.

[157] Beim Konstantin Phaulkon fällt es sehr in die Augen, daß man zu seinem Unglück groß werden kann; bei einigen fällt es nicht so sehr in die Augen, und sie sind doch im Grunde nicht weniger unglücklich als er.

e) Von den Jammabos oder Bergpriestern in Japan

Die Jammabos tragen einen Gürtel, darin linker Hand ein Wakisafi oder Dolch hängt, Wurzeln damit auszugraben, und rechter Hand ein Foranokai, oder Schülphorn, Wasser damit zu schöpfen. An den Füßen hat er Jatzuwono Warandje, Strohschuhe sehr bequem die Pönitenzberge zu ersteigen, in der Hand ein Sakkudsio oder Stäblein des Gottes Dsiso mit vier kupfernen Ringen damit er beim Gebet klingelt, und an der Schulter einen Oji, oder Beutel darin sein Gebetbuch liegt – und so geht er Tag und Nacht in den Einöden des wilden Gebirges Fusi und des hohen Fikoosan, und sucht die Glückseligkeit. Ob er sie findet das weiß Gott: aber ich suchte sie doch wahrlich auch lieber hier, als wo sie Konstantin Phaulkon suchte.

Will meinen Herren Subskribenten noch zum Beschluß etwas von der heiligen Wallfahrt der Japaneser nach Jisje erzählen. Man erzählt doch gern von seinen Reisen, und wer mir nicht auf mein Wort glauben will, kann den Kämpfer nachlesen, der auch in Japan gewesen ist, und ein sehr gutes Buch davon geschrieben hat. Er hat auch die Geschichte des Konstantin Phaulkon, viel umständlicher und besser als ich.

Ein jeder guter Japaneser muß wenigstens einmal in seinem Leben nach Jisje wallfahrten, zum Haupttempel ihres größten Gottes Tensjo Dain Sin; gewöhnlich wallfahrtet er aber alle Jahr dahin, und deswegen ist, sonderlich zu einer gewissen Jahrszeit, die Straße voll Pilger. Der Hof sollte es eigentlich auch tun; er macht sich's aber kommoder nach der beliebten Philosophie des Roosi, und schickt eine Deputation.

Die Pilger tragen auf dem Rücken eine aufgerollte Strohmatte, die des Nachts ihre Decke ist, haben einen Stab in der Hand, einen von Binsen geflochtenen weiten Hut auf dem Kopf, und einen Wasserschöpfer im Gürtel. Auf dem Hut und dem Wasserschöpfer steht des Pilgers Name und Geburtsort geschrieben.

Der Tempel, zu dem sie wallfahrten, liegt in einer Ebene, und ist von Holz klein und schlecht gebaut mit einem sehr niedrigen Strohdach. Inwendig ist nichts zu sehen, als ein Metallspiegel [158] in der Mitte, und, an den Wänden hin und her, weißes zerschnittenes Papier, und hinter dem Tempel ist eine kleine Kapelle »für den Geist«. Der Spiegel deutet auf die Allwissenheit des Tensjo Dain Sin, und das weiße Papier auf die Reinigkeit des Orts, und daß, wer sich ihm nahen will, ein reines Herz haben müsse. Um diesen Tempel stehen mehr als hundert andre Tempel minderer Gottheiten, zum Teil so klein, daß ein Mensch nicht darin stehen kann, und ein jeder Tempel hat seinen Wächter. Wenn ein Pilger ankömmt, meldet er sich bei einem der Canusj oder Geistlichen. Der läßt ihn erst durch seine Unterküster bei den Nebentempeln herumführen und ihm die Namen und Taten ihrer Gottheiten erklären, und endlich führt er ihn selbst an die Gittertür des Haupttempels. Hier kniet der Pilger demütig nieder, legt seine Stirne auf die Erde und bringt sein Anliegen vor, und hernach gibt er eine Gabe und wird von dem Canusj bewirtet und beherbergt. Überall in der Gegend um Jisje wohnen viele Nege, Tempelherren, oder Taije, Boten Gottes, die zur Beherbergung und Verpflegung der Pilger Wohnungen unterhalten.

Wenn der Pilger nun solchergestalt seine Andacht verrichtet hat, erhält er von dem Canusj 'n Ofarrai oder Ablaßzeichen, denn Farrai heißt auf japansch säubern, reinigen. Dieser Ofarrai ist eine kleine viereckigte Schachtel, etwa acht Zoll breit und einen und einen halben tief; sie ist von Tannenholz gemacht und voll dünne Stäbchen von ebendem Holz, die so lang als die Schachtel, und jedes säuberlich in rein Papier eingewickelt sind; vorn auf der Schachtel steht mit großen Buchstaben der Name des Tensjo Dain Sin, und unten der Name des Canusj. Der Pilger empfängt diese Holzware mit großer Ehrerbietigkeit, heftet sie vorn unter den Hut, und hinten am Hut ein Strohbündel dagegen, und trägt sie so auf seiner Stirn zu Hause. Hier werden denn die Ofarrais Mannes hoch an einem Leisten nach den Jahren aufgehängt, und wenn dem Japaneser bei Tage oder Nacht das Herz schwer ist, sieht er seine Ofarrais an, und wird besser.

Ich bitte die Herren Subskribenten um Vergebung, daß ich so lange von den Jammabos und Pilgern erzähle; aber ich kann mir nicht helfen. Ein Mensch, dem es in Ernst um Glückseligkeit zu tun ist und der im frommen einfältigen Glauben alles das, wonach andre sich die Beine ablaufen, kaltblütig oder mit verbissenen Zähnen vorbeigeht, 'n solcher Mensch, wo ich ihn auch treffe, ist für mich sehr rührend, und ich kann nicht wieder weg. Gott [159] höre jeden, der auf dem Fusi klingelt, und der vor der Gittertür zu Jisje seine Stirn auf die Erde legt! Und das tut auch Gott, glaub ich, denn ist er nicht auch der Japaneser Gott? Freilich ist er auch der Japaneser Gott.

Also nochmals um Vergebung, wenn einige Herren Subskribenten bei dieser Erzählung Langeweile gehabt haben! Auf der andern Seite ist eine kleine Kollation veranstaltet; und ich will bitten, sich's gut schmecken zu lassen und gütigst vorliebzunehmen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Dritter Teil. Vorlesung an die Herren Subskribenten. Vorlesung an die Herren Subskribenten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5411-D