Erstes Gespräch
B.: Ich habe das große Los in London gewonnen, weißt du schon?
A.: Das ganz große, oder das zweite?
B.: Das erste für diesmal; reine 20000 Pfund.
A.: Das wollten die andern auch gewinnen, und haben alle nicht können.
B.: Und ist nichts leichter als das.
A.: Und was willst du nun mit dem Gelde machen?
B.: Es wieder ausgeben; was sonst?
A.: Und wo denn?
B.: Vermutlich, wo ich es gewonnen habe. Ich werde auf den Flügeln der freien Sterlinge wohl schwerlich in einen Käficht fliegen.
A.: Nun, es wird ja außer England noch Länder geben die keine Käfichte sind.
B.: Es gibt deren freilich nach oben offen; aber mit irgendeiner Seite hängt's. In England ist es nach oben und nach allen Seiten offen.
A.: Mit den 20000 etwa, aber auch ohne?
B.: Auch ohne, und grade in England auch ohne. Da ist die Freiheit, wie der Himmel, über den Bettler Tom so hoch und blau gewölbt als über den Lord Hastings. – Und meinst du, daß ich das Freiheit nenne, was für Guinees gekauft wird, und für Guinees feil ist?
A.: Du bist ein Freiheitsfreund! Und scheinst dabei ein dankbar Gemüt zu haben. Ich will sagen, wenn der Sterlingregen dich z.E., von Bern aus, naß gemacht hätte; so würde etwa [294] die Schweiz mehr in Betrachtung kommen. Und unbesehends sollte man auch denken, daß dein »Gewölbe« in diesem Zauberlande wenn nicht so blau doch so hoch als in England gewölbt sein müsse, wenn sie nicht mit dem Kopf anstoßen sollen, denn der Fußboden ist hier viel höher. Aber was nennst du denn eigentlich Freiheit?
B.: Was alle Menschen so nennen; wenn mir niemand zu befehlen hat, wo ich tun kann was ich will.
A.: Also wo du falsche Wechsel machen kannst?
B.: Das will ich nicht.
A.: Freilich! Aber wenn du es wolltest, könntest du es denn in England?
B.: Beileibe nicht.
A.: So kannst du also in England nicht tun was du willst?
B.: Es versteht sich ja von selbst, daß ich nichts wollen muß, was die Gesetze verboten haben.
A.: Was verbieten denn die Gesetze in England, das Böse oder das Gute?
B.: Nun – freilich – das Böse.
A.: Du hättest denn in England die Freiheit: das Gute zu tun. Die Freiheit aber, sollte ich denken, hättest du in andern Ländern auch.
B.: Das wohl. Aber in England hat mir niemand zu befehlen als die Gesetze; kein König, kein Minister, kein Hofrat, kein Superndent, kein Konzertmeister, kein Korporal, kein Revisor, kein Küster, kein gnädiger Herr und keine gnädige Frau.
A.: Ich gestehe dir gerne, wo die alle befehlen, daß da der dritte Mann genug zu gehorchen habe, und sonderlich wenn sie nicht alle nach einer Richtung befehlen sollten.
B.: Wie wäre das möglich? Sind sie nicht Menschen, und gibt es Menschen die immer nach einer Richtung wollen? Ebendeswegen sind ja Gesetze erfunden worden, und ebendeswegen ist es ja um die Willkür eine so schreckliche und um Gesetze eine so große und herrliche Sache.
A.: Allerdings; in Ermangelung eines Bessern allerdings.
B.: Wie in Ermangelung eines Bessern?
A.: Die besten Gesetze können sich ja nicht selbst administrieren, sondern müssen wieder von Menschen administriert werden; und ein Mann, der immer sicher und unverrückt das Rechte wollte, ist ein Gesetz das sich selbst administriert.
[295] B.: Ich will aber nicht für mich wollen lassen; ich will selbst opfern.
A.: Gehorsam ist besser als Opfer. Nicht: Korban, lieber B.! Und wenn du selbst opfern willst, so müssen doch die andern alle auch dasselbe Recht haben. Und bei den vielen Opferern fallen mir die vielen Befehler wieder ein.
B.: Wir opfern alle nach einer Richtung.
A.: Aber du meinst ja selbst, daß das nicht möglich ist, daß Menschen nicht nach einer Richtung wollen können; daß ebendeswegen Gesetze erfunden worden, und daß es ebendeswegen um die Willkür eine so schreckliche und um Gesetze eine so herrliche Sache ist.
B.: Ich sage dir ja, daß ich das Gute tun will, aber nicht wenn und weil es andre wollen, sondern ich will es wollen, und ich will es tun weil ich es will.
A.: Das klingt edel! lieber B., und du junger mutiger Mann glaubst würklich die Arme nach der Juno auszustrecken; und doch könnte es wohl eine Wolke sein, die dich täuscht. Du sollst das Gute freilich wollen, und ich fodre kein Nicht – Wollen, sondern ein Nicht – Wollen. Sieh, wem das Gute selbst am Herzen liegt, der ist zufrieden wenn es nur geschieht, wenn es seinen Gang geht; und er geht gerne hinteroder nebenher. Wer es aber führen will, sieh, der will nur auf dem Bock sitzen; und wenn er das nicht soll, so läßt er den Wagen stehen und geht davon. Wie es ein sokratisches Nicht – Wissen gibt, so gibt es auch ein sokratisches Nicht – Wollen, und das ist die Juno selbst; und das Gegenteil davon ist dasselbe Ding, das in einem zu viel befehlen und in dem andern nicht genug gehorchen will, und grade das Ding, was die Willkür so schrecklich macht.
B.: Ich stehe für alles, wenn sie alle nur das Gute wollen.
A.: Meinetwegen. Ja, wenn sie wüßten was gut ist! – Aber wie sollen sie das erfahren, denn ein jeder hat seine Vernunft und seine Meinung?
B.: – Freilich, Gottes Wille müßte die Regel sein.
A.: Also unter Gottes Willen willst du doch stehen, und seine Anordnung lässest du gelten?
B.: Wie kannst du daran zweifeln? Es kann ja nicht anders als Unglück bringen, wenn einer davon abgeht.
A.: Das glaube ich auch; und ich verteidige den einen nicht der abgeht. Er tut sehr übel, er sei wer er wolle. Aber denn muß sich der zweite desto fester anhalten.
[296] B.: Aber, verdient das der erste der abgeht?
A.: Der abgeht nicht; aber der, von dessen Willen er abgeht, der verdient es; und der zweite selbst. Denn wenn der zweite auch abgeht, so gehen zwei ab, und so muß, nach deiner eignen Aussage, das Unglück größer werden. Auch hat, lieber B., dasFest-Anhalten größere Folgen, als allgemein geglaubt wird.
B.: Nun kurzum, ich gehe nach England; und zieh mit, du sollst auch England sehn, und die St. – Pauls – Kirche.
Und grade diese soll dich unter andern lehren, was Freiheit und Gesetze für Würkung haben. Diese St. – Pauls – Kirche hat hier ein Privatmann bloß aus seinem Herzen gebaut.
A.: Hierzulande kann man bloß aus dem Herzen nicht bauen.
B.: Verstehe doch, was ich sage.
A.: Dasmal verstehe ich, und ich habe großen Respekt für den Erbauer der St. – Pauls – Kirche. Übrigens hat Francke in Halle auch aus seinem Herzen gebaut, und Bork in Kopenhagen, und hundert andre an hundert andern Orten.
B.: Wohl! Aber Freiheit ist doch ein Wecker am Herzen, und ohne sie schläft der menschliche Wille ein wie eine alte Frau am Spinnrocken. Und ich suche ein Land, wo ich das Gute frei und lustig wollen kann und wo mich nichts hindert es zu tun.
A.: Lieber B., sage doch an, wenn du funden hast. Das Land suche ich auch.
B.: Nun, wie gesagt, so ziehe mit.
A.: Bauen denn z.E. alle Engländer St. – Pauls – Kirchen?
B.: Alle – St. – Pauls – Kirchen? – Du scheinst nicht zu wissen, was das ist eine St. – Pauls – Kirche. Sie ist nicht so in Taschenformat, wie die Kirchlein, die bei euch als Exklamationszeichen hinter dem elenden Dorfe stehen.
A.: Verstehe doch, was ich frage. Tun denn alle Engländer Gutes? Oder noch besser, die Despoten in der Welt, tun die und haben die von jeher lauter Gutes getan?
B.: Nicht lauter Gutes!
A.: Aber warum nicht? Sie sind doch nicht allein über anderer Menschen Willkür und allen äußerlichen Zwang, sondern auch über die Gesetze, und also nach deiner Meinung noch freier als die Engländer.
[297] B.: Sie müssen denn das Gute nicht mögen; müssen es im Grunde nicht wollen.
A.: Sie haben sich doch von jeher mit dem Schein des Guten zu decken und zu zieren gesucht. Und ist es nicht ein offenbarer Widerspruch: das Gute einsehen und nicht wollen? Auch wollen es alle Menschen im Grunde.
B.: Es scheint mir auch so. Aber, wenn sie es wollten, und sie nichts hindert; so würden sie es ja auch tun.
A.: Das denke ich auch. Es muß sie also etwas hindern.
B.: Du sagst ja den Augenblick, daß sie über andrer Menschen Willkür sind, und über allen äußerlichen Zwang?
A.: Also, andrer Menschen Willkür und äußerlicher Zwang hindert sie nicht.
B.: Und über die Gesetze?
A.: Also, die Gesetze hindern sie nicht.
B.: Aber, was bleibt denn übrig, was wären denn noch für Hindernisse?
A.: Die Frage ist sehr natürlich. Indes, sie mag beantwortet werden oder nicht; das ist und bleibt fest, daß Hindernisse da sein müssen. Und zwar scheinen diese Hindernisse die eigentlichen Hindernisse des Guten zu sein, weil sie das Gute würklich hindern.
B.: Ich kann mit keinem Feind fechten, der hinter dem Berge steht und den ich nicht sehe. Und, was mein Auge nicht sieht, das kränkt auch mein Herz nicht. Kurz, deine unbekannte Hindernisse wollen mir nicht ein.
A.: Sie wollen dir nicht ein, sagst du? Wie, wenn sie in dir wären, und dein schönes Herz würklich kränkten! –