1.
Sind mir die Schwingen denn gebrochen?
Ist mir die alte Kraft verraucht,
Daß ich nicht mehr des Herzens unstet Pochen,
Und was aus seinen dunklen Tiefen taucht
In buntem, vielgestalt'gem Reigen,
Bemeistern kann? Schloß schon das Schweigen
Die Dichterlippe – jenes große Schweigen,
[68]Das Ekel, Ueberdruß, Melancholie
Und Lebensunrast großsäugt in der Brust?
Versprühte mir schon alle Jugendlust?
Verlor ihr Diadem die Poesie?
Sind meine Wurzeln welk? Mein Stamm verdorrt?
Mein Laub von tauber Asche überstaubt?
Ich treibe fort und fort
In einem uferlosen Ozean,
Gebeugt das Haupt,
Das Auge stier und brennend, tränenlos ...
Jedwedes Menschenlos
Dünkt mich nur ein Gewirr von Trug und Wahn,
Drin Afterweisheit, blöder Aberwitz
Gehalt und Sinn und tiefre Ordnung finden ...
Und zuckt einmal in diese zähe Nacht
Blutrot ein Blitz
Aus einer höhern Zone:
Dann schau ich Frevel nur und Sünden
Und Schmach und Ohnmacht allerwärts ...
Und dem zertretnen Schmerzenssohne
Entschlägt sich seines letzten Hoffnungsschimmers
Das zerborstne Herz ...
Was mich bewegt
In meiner Jugend großen Schwärmertagen:
Ich muß ihm tränenlos entsagen ...
Das Urwort, das allein Erlösung beut,
Und das gewaltiger denn Raum und Zeit,
Drin alles Sein sich hell und klar begreift:
[69]Es wird doch ewig ungefunden bleiben!
Wir sind bestimmt, ziellos dahinzutreiben,
Und unser Schicksal will's, daß aller Blütenträume
Auch nicht ein einz'ger – nicht ein einz'ger reift!