Das Ende vom Liede

Vergessen können – ja! Das ist die Kunst,
Von allen Künsten dieser Welt die erste –
Von allen Künsten dieser Welt die schwerste,
Und bist du ihrer Herr, ist alles Dunst.
Ist alles Wurst, was jemals du gewesen,
Was du geliebt, gehaßt, getan, gefehlt, gewollt,
Ob sich dein Leben prunkvoll aufgerollt,
Ob du für andre warst bequemer Besen.
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Ob Sklave oder Herr – dann ist's egal,
Vergessen können – und nicht dran ersticken,
Hinunterschlucken, lachen, weiterkrücken,
Ins Leben weiter noch ein dutzendmal.
Dann tut's ja nichts! – Nun gut! Ich will's probieren,
Den letzten Lorbeerkranz will ich entblättern,
Das letzte Amulett will ich zerschmettern,
Wie man vergißt, will ich genau studieren.
Und eines Tages dann – ist mir's geglückt,
Ich atme auf in grenzenloser Leere
Und breche in die Knie und bete: Kehre,
O kehre wieder, die du mich entzückt:
Geliebte Sünde, die ich froh beging,
Geliebte Reue, die ich kühn genossen. – –
Gemach, mein Freund! Dein Schicksal ist beschlossen
Und um dich schürzt sich des Vergessens Ring.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Conradi, Hermann. Gedichte. Gedichte aus der Spätzeit. Das Ende vom Liede. Das Ende vom Liede. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-58AE-F