[64] Doppelleben

Schattenkühl ein Prunksaal in einem dänischen Herrenhof.

Das Goldbraun der Ledertapete. Stumpfes Gelb, Grün. Nordische Arabesken. In schleppenden Wellen Äste, Ringe, Eichenblätter, Schlangen. Rostrote Runen. Eingetrieben mit schweren Schlägen in silbergraues Gebälk.

Alles kalt.

Goldranken, Delphinleiber, rote Blätter steif in eisigen strengen Linien.

Ein totes Leben.

Goldklingend, Sonnenschein am Saalende.

Ein hohes gotisches Spitzbogenfenster. Die Scheiben weit geöffnet. Die Eichenladen hinaus aufgeschlagen in den bleichglühenden Mittag.

Draußen Sonnenleben.

Grüne Feuer unter Buchengewölben. Goldenes Waldinnere.

In bleichem Flug flache Kornfelder.

Opalmatt die Fjordfläche in blauem Sonnenatem.

Fern eine schwarze Mühle, mit reglos schwarzem Rad. Stumm schwarz gegen den schrillweißen Mittaghimmel.

Über den Erdrand quellen Wolkenberge dumpfblau zerklüftet.

In der siedenden Mittagstille das Leben der Waldlaute, des Sonnenlichtes, der Wiesendüfte geht in wechselnden wehen und lachenden Wellen über die Landschaft:

Ein Möwenschrei.

Hoch unter der Sonne.

Fällt bleich in das warme Schweigen.

Dieser klagende kalte Laut ... Licht, Sonne, Gold[65] gerinnen grau in der harten trüben Frostfarbe dieses Schreies.

Während des Pochens einer Sekunde bleicht das Geld der Felder. Unter dem Klageschrei geht fahles Eis weit über das Land. Fahl in Winternebeln der Himmel. Aus brüchigem Schnee starren Scharen weißer Disteln, knistern im Frosthauch ...

Im Saal der Schrei schlägt über die Bogen und Gewölbe. Aber die Ranken, die heraldischen Lilien stehen kalt, reglos in blanken Lanzenklingen.

Der Schrei verklungen. –

Die Sonne blüht wieder golden. Gelb ziehen die Felder.

Am Horizont die weißumrissenen Wolkengletscher wachsen. Rollen Alabasterblöcke vor die Sonne:

Ein Wolkenschatten.

Sinkt grau in das Waldinnere.

Die grünen Sonnenfeuer löschen. Der laue stumpfe Schatten spült in grauer Flut durch die Blätter.

Das Waldinnere sinkt unter dem Wolkenschatten auf den dämmerigen Grund eines tiefen Sees.

Grau aus dem rotwelken Grund steigen in schlanken Stämmen graue Korallen.

Tief im trüben Geflecht grünen Lichter von Phosphor und Bernsteingeäder.

Durch die bleiche Wasserschicht leuchten hoch oben die Ufer einer silberweißen Welt ...

Der Wolkenschatten zieht weiter. Über das Herrenhaus grau. Der Schatten schwimmt dumpf in den Saal.

Die grünen gewundenen Drachen an den Säulenknäufen, die blauen gemalten Raben am Deckengewölbe, Äste, Blätter, Runen, stieren reglos, und schwingen nicht mit dem Aufblühen und Welken der Dämmerung, und bleiben steif. Die Schattenwelle gleitet an dem starren Leben ab.

Der Sonnenschein am Bogenfenster glüht wieder gelb auf. Die Wolke zieht weiter. –

Am weißen Himmelsrand langsam erst, steigen, fallen die schwarzen Kreuze der Mühle.

Über dem matten Fjordspiegel dunkelviolette Striche [66] und streichen unheimlich geduckt nach den Ufern. Flache Wellen gelüftet in Silberblättern.

Tief im Walde ein Rauschen. Steigt in Brandung auf:

Sturmstimme.

Die Stimme schnaubt heran.

Durch die Blätter, zischt, durch die Eichen, prasselt, lodert in schwarzen Flammen.

Und die schwarze Stimme stürzt für einen Augenblick den goldenen Tag, löscht schwarze Felder, Himmel.

In der plötzlich klaffenden schwarzen Nacht sieden rasende Wasserfälle, blendet die Kälte von nacktem Granit ...

In dem Sturm, Duft von Meerwasser quillt auf, Duft von verwestem Tang, schwülem Salz, scharfen Tierleichen vom Meergrunde:

Der Meerduft glüht heißer und heißer in der schwarzen Sturmstimme.

Ein glühendroter Mond steigt in der brausenden schwarzen Nacht. Steigt purpurn über die Klippenränder. Gießt Blut in die Klüfte ...

Der Sturm fällt in das Herrenhaus. Der Meergeruch füllt schwer den Saal.

Die schwarzen Sturmflammen, die Eisglut des Meerduftes brennen gegen die Schlangensäulen, die Delphinsessel, gegen die geschnitzten Eichenblätter.

Nur etwas Gold und Staub blättert ab, und die Ledertapete bläht sich leise. Aber das gezwungene Leben an Gewölbe und Wänden bleibt stumm und kühl.

Die Sturmstimme bäumt sich steiler in wildem Leben.

... ein schwarzer Windschrei.

Ein Pfiff von rostigen Eisen.

In den Angeln die hohen Eichenladen am Fenster schwanken.

Schlagen krachend zu.

Dunkel tot der Saal.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Ultra Violett. Einsame Poesien. Doppelleben. Doppelleben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-75EB-5