[145] 31.

Und sie schaukeln im Boot.

Die Nacht kommt. Sturm droht.

Die Wogen gehn hohl wie das Segeltuch.

Grell im Westen ringt noch und schwingt ein Streifen.

Die Möven kreischen.

Der Mann stemmt sich hoch, visiert den Bug:


Zieh die Leine straffer! so! setz dich fest!

Hast du Furcht? Ja lache, dann tanzen die Böen!

Sahst du mich nicht im Traum einst so stehn,

über Herren mit Kronen, die Rechte ums Steuer gepreßt!

Jetzt tut's die Linke! Horch: König Nord bläst zum Fest

wie auf meinen großen Heimatseen!


[146] Sieh: das Grenzband drüben wird schon blasser.

Nun ruft er die Geister übers Wasser!

Holla! keine Geister, die jenseits hausen:

das sind Meine Geister, allseits brausen sie!

Da: die schäumenden Wonnen mit den sprühenden Haaren.

Da das tiefschwarze Wehe treibt sie zu Paaren,

von den grauen Sehnsüchten überrannt.

Bis die schimmernde Liebe alle hinreißt und außer sich spannt

und deinen trunknen Blick ins Weiteste lichtet:

da entspringt dir, vom Odem der Brünste entbrannt,

deine eigne Inbrunst zur Gestalt verdichtet

– halt ihr Stand! –

Denn: fühlst du selber dich Geist genug,

dann verschwindet der sinnliche Spuk:

übern Erdrand auf flüchtendem Wasserbogen

kommt die Kraft deines Ursprungs hochgezogen,

und du streckst deine Hand aus, von Toden umbellt,

und schreist in den Aufruhr: O Meine Welt!


Meine Welt – mein Traum! – o nicht einst – allerwegen

seh ich dich so! – stammelt, jubelt das Weib –:


Aus mir selbst – letzte Nacht – hoch durch stürzenden Regen –

mit mir selbst – ja, ein Geist – stieg dein lichter Leib:

Himmelfahrt! Ja, fahr zu! Ich fahr mit! allerwegen


Dein! – Zwei Menschen steuern dem Sturm entgegen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Zwei Menschen. Zweiter Umkreis: Die Seligkeit. Vorgänge: 2.. 31. [Und sie schaukeln im Boot]. 31. [Und sie schaukeln im Boot]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/