[103] 2.

Der Nebel staut sich,
Hütten dunkeln,
Dorfgiebel fliegen über Lichtern hin,
noch bleicher wird die Nacht;
die jagende Wagenkette,
schwenkend, strafft sich,
die Maschine heult Warnung,
und vorbei.
Ein entlaubter Kirchhof,
und wieder kreisen
um mein klirrendes Fenster
die toten Wiesen,
huschen Büsche,
eilt der fahle Streifen Horizont
auf den kriechenden Wäldern lang;
mich fröstelt.
Drei Monate:
da war die Mondnacht warm und anders.
Wie auf Wolken
trug der kleine Kahn des stummen Fischers
uns den Strom hinab,
selbst die Schatten gaben Licht;
an meiner Seite saß ein Freund,
und ich sagte ihm
alle meine Sünde – und ihr Glück.
Und über ihrem Giebel,
unterm Baldachin der Königspappel,
als wir durch die Brücke bogen,
stand groß und strahlend,
wie in einem Tabernakel,
der goldne Mond
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und neigte flimmernd auf das Moos des Daches
sein grünes Haar.
Gestern aber, als ich Abschied nahm:
»Mein Fräulein, Glück?« – Und jener Freund
dachte wol schon damals:
du Tropf und Schuft!
Mein Fenster schwitzt;
das kühlt die Stirne;
gleich und gleich gesellt sich gern.
Wirbelnd rollt ein funkendurchwirkter Dampfknäul
bleich ins bleiche Feld;
ein Dornbusch zerreißt ihn.
Jetzt: dort starrt,
wie durch ein Gitter ein Wahnsinnskopf,
der grelle Vollmond durch die kahlen Birken;
die Zacken weichen,
mit seinen langen blassen Füßen
läuft er auf den blanken Schienen
meinen rasenden Gedanken nach.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Aber die Liebe. Mondnächte. 2. [Der Nebel staut sich]. 2. [Der Nebel staut sich]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/