Deutsches Thun

Eine Xenien-Epistel.


Lieber Freund! Zu Besuch bin ich eben bei Goethen und Schillern,
da – aus dem Schornstein herab – fliegt dein toscanischer Gruß.
Nämlich die hellen Gemächer und glänzenden Säle der Beiden
hatt' ich verlassen und war bis in die Küche gefolgt,
wo sie im Dienste des Morgens besorgten das pfeffrige Frühstück
gegen den nächtlichen Rausch ihrer verjammerten Zeit.
Doch nun empfahl ich mich schnell; und Goethe lächelte nickend,
denn er witterte wohl etwas Italisches gleich.
Und mein Handwerkszeug ergriff ich und wollte geschwinde
dir im gefügigen Reim weisen mein herrisch Gesicht;
aber da saß mir der Küchengeruch von Goethen und Schillern
fest in der Nase und hat ganz das Gehirn mir betäubt.
[151]
Ja! sie haben gar Manchen auf ihrem olymp'schen Gewissen,
seit sie ihr deutsches Gericht füllten in griechisch Geschirr.
Oder liegt es dem Deutschen im Blut, um den pochenden Kraftleib
immer zu hüllen ein Kleid, das er der Fremde geraubt?!
Mißt er nicht Freiheit und Recht sich zu nach der Römischen Elle,
gab nicht zum Bau seines Staats Gallien das Winkelmaß her?
Will in die Tiefen der Welt, in der Menschheit Tiefen er dringen,
steigt er hinab durch den Schacht, welchen der Britte ihm grub!
Oder sucht er im Glauben zu ruhn, so klimmt er zum Himmel
gar auf der Leiter empor, die ihm der Jude gefügt! –
Doch nun heb' ich den Blick: da versinkt der Erscheinungen Fülle,
und es entschwebt dem Gewirr sieghaft ein Einiger Geist!
Zwar die Schwingen zum Flug, er riß sie aus fremdem Gefieder;
aber die Kraft war in Ihm! aber die Kraft, sie ist deutsch!
Ruhend seh' ich ihn jetzt in den Höh'n, den ersehnten, sich wiegen,
daß er rauschender noch rege den Fittig dereinst:
bis er die Fernen erreicht, wo dem Blick auch die Völker verschwinden,
wo ihn, das ewige Haupt neigend, die Menschheit begrüßt!
Ja – mein Volk! den Beruf, den heiligsten, sollst du erfüllen:
lösen den Hochmutsbann, welcher die Völker zerdrückt.
[152]
Dazu wurdest du Volk, zu tilgen die Sünde der Völker:
hast du die Andern erlöst, hast du dich selber erlöst!
Nein! kein Gallier war's, kein Römer, kein Britte, kein Jude:
Menschen waren sie all, denen die Höhe du dankst! – –
So auch hab' ich getrost mir gesattelt das Roß des Hellenen,
daß ich mit Eigener Faust reite Parade vor Dir.
Lächeln wirst du vielleicht: Dazu die erhabenen Worte,
daß umso sicherer nur throne das ärmliche Ich?! –
Aber so geht es wohl stets: der Gedanken jeglicher deutet
immer aufs Ganze zurück, immer vom Ganzen auf Uns.
Und so schwanket der Mensch dahin zwischen Rechten und Pflichten;
heilig erscheint ihm sein Recht, heilig erscheint ihm die Pflicht.
Darum hab' ich mich auch der Zweifel und Fürchte begeben,
ob ich erringe das Ziel, das von mir selbst mich erlöst.
Denn ich hab' es erkannt, die Versöhnung ruht in derArbeit:
Arbeit ist uns Pflicht, Arbeit zugleich unser Recht.
Unerbittlich treibt Natur die Wesen zum Wirken,
heischt es vom Menschen der Mensch; aber – es ward ihm die Wahl!
Und für das Reich Meiner Wahl will treu bis ans Ende ich kämpfen,
ob ich erliege im Streit, ob ich erringe den Sieg.
Nämlich: wählte ich falsch, so hab' ich zum Ganzen gestrebt' doch!
nämlich: wählte ich falsch, lebte Mein Leben ich doch!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Erlösungen. Zur dritten Stufe: Leben und Arbeit. Deutsches Thun. Deutsches Thun. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/