[77] 35.

Durch offne Fenster, lautlos, glänzt die Nacht.

Es regt sich nur das Licht der tausend Sterne.

Und Frühlingshauch. Und dunkelblaue Ferne.

Und manchmal eine Fledermaus auf Jagd.

Und Atemzüge, unterdrückt und schwer,

voller Spannung, mehr und mehr.

Jetzt rauscht ein Seidenglanz und bricht den Bann:

ein Weib drängt sich an einen Mann:


Lukas! was liegst du wie vom Alb gedrückt,

als ob du nichts von meinem Dasein fühltest!

Meinst du, mich hat die Zukunft nicht bedrückt,

wenn du mich Tag für Tag für Tag hinhieltest?!


[78] Und jetzt, wo dieser Druck mich fast erstickt –

Du! – Lukas?! – Wenn du – wenn du mit mir spieltest –


Sie schüttelt ihn, ihr Augenglanz wird hart;

er starrt hinein, wie vorher in die Ferne.

Und wieder regt sich nur das Licht der Sterne,

die Jagd der Fledermäuse. Und sie starrt:

sie starrt wie er – will drohn – da wirkt sein Bann:

sie zuckt, sie nickt, sie lacht ihn traumhaft an.

Und traumhaft geht sein Wort ihr zu Gemüt:


Fürstin, ich will nichts halb. Ich will dich sehn,

in ganzer Schönheit, ganzer Häßlichkeit.

Ich will vor dir, du sollst vor mir bestehn,

vom Alb der scheuen Ahnungen befreit;

ich will die nackteste Befreiung.

Wenn dann die Male deiner Mutterwehn

dich nicht dem Gott in meiner Brust verleiden

oder dem Tier in unsern Eingeweiden,

will ich nach so viel Sehnsucht und Kasteiung

nicht wie ein Nachttier mich mit dir vergehn:

ich will mit dir ins Licht der Menschlichkeit!

Sei bereit!


Er küßt sie wach; er drängt sie sanft zurück.

Sie sitzt und sinnt, wie über Raum und Zeit.

Zwei Menschen beten für ihr Glück.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Zwei Menschen. Erster Umkreis: Die Erkenntnis. Vorgänge: 1.. 35. [Durch offne Fenster, lautlos, glänzt die Nacht]. 35. [Durch offne Fenster, lautlos, glänzt die Nacht]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/