Amor Modernus Domesticus

Er ritt ein dunkelgraues Eselchen,
zwei bunte Tiere liefen vor ihm her,
wir konnten sie von ferne nicht erkennen.
Wir gingen still durch eine stille Flur,
ich und die Frau, die mir aus Liebe treu blieb,
wir gingen langsam eine lange Straße.
Die Pappeln zeigten schon vergilbte Blätter,
ein Dornbusch setzte neue Blüten an,
der Himmel schien auf abgemähte Wiesen
und streute Schatten auf die bunten Tiere;
Dorfkinder trabten um das Wunder mit.
Als nun aus ihrem Schwarm das Ohrenschütteln
des Eselchens allmählich mehr hervortrat,
erkannten wir: die Tiere hatten Hörner
und ihre Farben waren nicht Natur:
vor einem blaugetünchten Ziegenbock
lief eine schwarz und rot gefleckte Ziege.
Der Reiter aber auf dem Eselchen
war ein entzückend wilder schwarzer Krauskopf,
und lächelte mit jungen roten Lippen,
und seine blauen Augen rührten mich.
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Vor ihm und hinter ihm auf seinem Grauchen
hing allerlei unnützer Tändelkram,
wie Liebesleute sich zu schenken pflegen;
und jedes Stück war grell in Rot und Blau
und Schwarz mit einem Heiligenbild bemalt,
ich dacht an Hölle, Himmel und den Tod.
Der schöne Junge aber nickte hold
und rief uns beiden zu: »kauft, liebe Leute!«
und hob glückselig seine Waare hoch.
Auf einmal kam das bunte Ziegenpaar
mit kläglichem Gemecker angesprungen,
daß sich der Kinderschwarm bei Seite drückte,
und ich erschrak bis in die Eingeweide:
ich sah, der schöne Junge war verkrüppelt.
Die Beine hörten mit den Knieen auf,
die linke Hand war nur ein spitzer Stumpf,
der rechten mangelte der Zeigefinger.
So saß er zügellos auf seinem Grauchen
und schüttelte den schwarzen wilden Krauskopf
und hob glückselig seinen Kram noch höher
und sah uns rührend und entzückend an.
Und während ich noch stand und schauderte,
durch welch ein Unheil so entstellt sein mochte
die Lieblichkeit und Leiblichkeit des Lebens,
sagte die Frau, die mir aus Liebe treu blieb:
»Der arme Bursche! wie er sich verstellt!«
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Der schöne Krüppel aber lächelte
und sprach: »So wenig wie mein Eselchen!
nur meine beiden Ziegen tun mir leid.«
Sie fragte: »Warum dann bemalst du sie?
das muß dir doch sehr große Mühe machen;
durch welch ein Unheil bist du so entstellt?«
Da wurden seine roten Lippen traurig,
er blickte scheu auf seine Heiligenbilder
und sagte leise vor sich hin: »Geschäftspflicht« –
die blauen Augen winkten uns Lebwohl.
Noch lange sahn wir in der langen Straße
zwischen den Pappeln die Dorfkinder traben,
und sahn sein dunkelgraues Eselchen
und ab und zu sein buntes Ziegenpaar;
der Himmel schien auf abgemähte Wiesen.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
»Pflicht« – o Schreckwort jeden Übermuts –
spukhaft fuhr mir's durch die Knochen.
Stockte nicht vor lauter Pflicht mein Blut?
Sollt ich selbst mich unterjochen?
Treue – ah! du Deckwort jeder Knechtschaft –
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wütend schlug ich's in den Wind.
Gab mir meine Qual nicht Rechenschaft,
was für Übel alle Tugenden sind?!
Noch auf meinem stillen Lager heute
mahnt mich all mein reuiges Ringen
an die Wüstheit jener Rittersleute,
die vor Gottgier meist zum Teufel gingen.
Wie entraff ich mich dem heiligen Greuel?
Infernalisch wie ein blitzegeschwänzter
Drache lockt mich meiner Zweifel Knäuel –
niemals sah ich die Nacht beglänzter!
Gleißner ich! mit was für Reizen
hab ich stets mein Bestienpack bedacht,
vor mir selber mich als Priester spreizend,
der gewaltige Sündenböcke schlachtet!
Wie empfand ich mich als Sittenrächer,
der den Dämon seines Bluts befriedigte,
während ich, ein simpler Ehebrecher,
mich zu dir erniedrigte,

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Die Verwandlungen der Venus. Rhapsodie: Die Verwandlungen der Venus. Amor Modernus Domesticus. Amor Modernus Domesticus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/