[191] An den Oberbarden der Pleisse 1

Ein Veilchen, das den lauen Stral
Des Lenzes in der Erde fühlt,
Drängt auf, und Mutter Erde wehrt
Es ihrem Kinde nicht.
Ein Lied, das in der Bardenbrust
Der Freundschaft holde Wärme fühlt,
Drängt auf, und welche Bardenbrust
Erstickt ein solches Lied?
Nicht meine, Freund! denn Freundschaft ist
Im Auge bunte Wiesenpracht,
Im Ohre Nachtigallenschall,
Im Gaumen Honig mir.
Und sang ich Den, der oben herrscht,
Und Joseph und Theresien,
Und dich, mein deutsches Vaterland!
Wen säng' ich Barde nun?
[192]
Als euch, Bewohner meiner Brust!
Und unter ihnen, Weiße! dich,
In dem der edlen Pleisse Trost
Seit Gellerts Falle grünt.
Du glänzest in den Hunderten
Der Barden Manas 2, wie der Stern,
Der Abendführer, der die Glut
Der Sommermonden dämpft.
Druiden locket er hervor
Aus ihrer Höhle, freudig sieht
Der braune Sohn der Arbeit ihn,
Und trocknet seinen Schweiß.
Auf Knabenspiele blinket er
Von seiner Bahn ins Grün' herab,
Und Mädchen ruft in's Thaugefild'
Sein Mitgefährt' der West.
[193]
So ward die sanfte Liederkraft
Für jedes Alter und Geschlecht;
So wohnet Lust für jedes Ohr
In deiner Harfe, Freund 3!
Auch Lust der Thränen gibst uns du,
Wenn sich zur Feier deines Volks
Der Herrscher Fall, der Helden Weh
Von ernster Bühne zeigt.
Auch heitre Scherze giebst uns du,
Wenn sich zur Feier deines Volks
Der Thoren lächerliches Bild
Von munt'rer Bühne zeigt.
Die tief umstand'ne Bühne schallt
Dein Lob, und mancher Feirer ruft:
»Hab't ihr denn Bühnen nur allein?
Ihr Fremden! ihr allein?«
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Er ruft es, und du wendest dich,
Und horchest deinem Lobe nicht,
Und deinen Werth, den alle seh'n,
Den siehst du, Barde! nicht.
Du siehst nur deiner Brüder Werth,
Und gönnest jedem seinen Kranz,
Und preisest sie den Kindern Teut's
Aus vollem Herzen an 4.
Und glimmet unter Brüdern Zwist,
Dann stehst du mitten. Niemal haucht
Dein Odem in die Glut. Du schweigst,
Und ehrest deinen Stand.
Ha, Biedermann! und wärest du
Auch Barde nicht, wie liebenswerth!
Nun bist du Barde, bist mein Freund,
Wie muß ich lieben dich!
Nimm dieses Lied, das dir, o Freund!
Mit Veilchen in dem Lenze sproß,
[195]
Der jedes fühlende Geschöpf
Zu sanften Trieben weckt!
Oft sing' ich's durch die junge Flur,
Und Nachtigall begleitet es,
Und Weste nicken Beifall ihm
In Blumenhäuptern zu.

Fußnoten

1 Weiße in Leipzig.

2 Mana der Deutschen zweiter Stammvater nach demTuito oder Teut. Tacitus nennt ihn Mannus. Schottel leitet, wie von Teut teutisch, teutsch, also von Mannis, oder Mana, mänisch, Mensch.

3 Man darf nur die Verschiedenheit seiner Arbeiten bemerken.

4 In der Bibliotheck der schönen Wissenschaften.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Denis, Michael. Gedichte. Gedichte. An den Oberbarden der Pleisse. An den Oberbarden der Pleisse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7DF7-D