Vierte Szene
Speth. Willibald.
WILLIBALD
bleibt in der Türe stehen.
Pardon, Herr Speth, ich störe.
SPETH
verlegen.
O gar nicht, gar nicht, treten Sie gefälligst näher.
WILLIBALD.
Sie wollen ausgehn?
SPETH.
Ja – doch nein keineswegs – nachher.
WILLIBALD.
Aber Sie machen Toilette!
SPETH.
Verzeihen Sie – doch nicht.
[519]WILLIBALD
schließt die Tür und tritt zu Herrn Speth.
Ich habe nicht angepocht, unter so guten Freunden –
SPETH.
Versteht sich, versteht sich! nehmen Sie Platz; was ist gefällig?
WILLIBALD.
Lieber Freund, das läßt sich so schnell nicht abmachen; wenn Sie ausgehn müssen, will ich am Abende wiederkommen.
SPETH.
Am Abende? Bedenklich. Ja, lieber Herr Willibald, da möchte ich doch wohl verhindert sein.
WILLIBALD.
So sagen Sie mir wann? aber bald, und daß wir ordentlich Zeit vor uns haben.
SPETH
verlegen.
Meine Zeit ist sehr beschränkt, sehr; Sie denken sich's so gar nicht, ich bin oft des Abends abgehetzt, wie ein armer Windhund. Indessen – jetzt hätte ich wohl etwas Muße, aber jetzt; bitte, sprechen Sie! Ida tritt leise herein und setzt sich mit einer Handarbeit in die Fensternische, so daß der Vorhang sie halb verdeckt.
WILLIBALD
rückt den Stuhl, auf dem Speth gesessen, seitwärts und wirft sich darauf.
Speth packt einen andern Stuhl ab und setzt sich neben Willibald. Hören Sie, Herr Speth! Sie sind ein solider Mann, warum befassen Sie sich mit solch einem Schandblatte wie das Abendblatt?
SPETH
zurückfahrend.
Ei, Herr, Herr! Das sind starke Ausdrücke, da sind Sie doch der erste –
WILLIBALD.
Schlechte Spekulation!
SPETH
erstaunt.
Ich wollte, daß alle meine Spekulationen nicht schlechter wären; wissen Sie, wie viele Abonnenten das Journal hat?
WILLIBALD
nachlässig.
Ich weiß nicht, ich bekümmere mich nicht darum.
SPETH.
Dreitausend, Langsam. sage dreitausend,Rasch. und lauter gute Zahler.
WILLIBALD.
Dreitausend Narren!
SPETH.
Sie haben's gut vor! Indessen Narren oder nicht, wer mich bezahlt, ist in meinen Augen niemals ein Narr.
WILLIBALD.
Schöne Maxime! Also nur wer Ihnen nichts abkauft, verdient diesen Titel!
[520]SPETH
mit leisem Spotte.
Das will ich grade nicht behaupten; ich habe leider manches verlegt, wo ich es vielmehr sehr vernünftig finden mußte, daß man es mir auf dem Halse ließ.
WILLIBALD.
Wie kann ein Blatt gut sein, in dem Leute ohne den mindesten Geschmack das große Wort führen!
SPETH.
Herr, wie kommen Sie mir heute vor? Hat Sonderrath keinen Geschmack?
WILLIBALD.
Hm, Sonderrath, das ist eben auch 'ne Eintagsfliege; der wird sich bald ausgeschnurrt haben.
SPETH.
Das wollen wir nicht hoffen.
WILLIBALD.
Etwas verbrannte Phantasie, etwas Stil! Und dann, als Draperie, ganze Herden von –Verdrießlich. allerlei Ungeziefer, Schlangen, Kamele. – Speth lacht. Hm, selbst Kamel! Rasch. So etwas schüttle ich Ihnen alle Tage aus dem Ärmel, wenn ich will. Er steht auf, geht die Bühne auf und ab und bleibt zuweilen vor Speth stehen.
Speth fängt an Federn zu schneiden.
WILLIBALD
erbittert.
Nun was ist's denn weiter? Ich studiere sechs Wochen lang den Koran und die persischen Dichter, und dann lasse ich einen ganzen Stall voll wilder Bestien los, die sich durcheinander beißen, was ist's denn weiter? Heftig. Der Mensch verdirbt die ganze Literatur.
Speth sieht vor sich nieder und spielt mit der Feder.
WILLIBALD.
Aber warten Sie, warten Sie noch ein paar Wochen, dann ist er kaputt.
SPETH.
Ich denke, das werden wohl die Jahrwochen Daniels sein.
WILLIBALD
heftig.
Ich zweifle nicht, daß sich schon irgendeine vernünftige Feder finden wird –
Speth steht auf und neigt die Feder gegen ihn.
WILLIBALD.
Was ist? Was meinen Sie? Nein, das nicht. Er räuspert. Übrigens wollt' ich von den Dichtern jetzt nicht reden, aber Sich vor Speth stellend. was für Schund von Rezensionen nehmen Sie auf? zum Beispiel von dem Seybold.
SPETH
lachend.
Herr, ich weiß nicht, was Sie wollen; der [521] Seybold macht ja jetzt Regen und Sonnenschein in der Literatur.
WILLIBALD.
Das sei Gott geklagt! Rasch. Übrigens so schlimm ist's auch nicht; es gibt noch eine Partei, Er fängt wieder an, auf und ab zu gehn. und zwar eine sehr große Partei, sage ich Ihnen, die recht gut weiß, was sie an ihrem Seybold hat. Apropos, lesen Sie denn seine Rezensionen?
SPETH.
Ich? O doch! – allerdings, und zwar mit vielem Vergnügen.
WILLIBALD.
Auch die in Nro. 43?
SPETH.
Sie sind alle schön, scharf und doch billig.
WILLIBALD.
Auch die in Nro. 43?
SPETH.
Ja Herr, ich kann Ihnen nicht so genau sagen, wo jedes Einzelne steht; was ist denn mit der? Was enthält die?
WILLIBALD.
Was? Den erbärmlichsten Unsinn, Verleumdungen, was die elendeste Oberflächlichkeit und Unkraft nur ersinnen können.
SPETH.
Gott steh' uns bei! wer kriegt denn so erbärmlich die Rute?
WILLIBALD.
Sie sind nicht sehr glücklich in ihren Ausdrücken, Herr Speth; übrigens können Sie wohl denken, daß es einen trifft, der nicht nach seiner Pfeife tanzen will. Er steht vor Speth, seine Hand auf die Lehne des nebenstehenden Stuhls gelegt.
SPETH
seine Hand auf die Willibalds legend.
Im Vertrauen, Herr Willibald, ich denke mir, wer die Schläge bekommen hat, der hat sie auch verdient.
WILLIBALD
zieht die Hand zurück.
Ich bedanke mich.
SPETH
erstaunt.
Wie! Nein, das ist nicht möglich!
WILLIBALD
bitter.
Es ist möglich, denn es ist. Herr Seybold kühlt sein Mütchen an meinem »Deutschen Eichenhaine«.
SPETH
hastig.
Den ich verlegt habe?
WILLIBALD.
Jawohl.
SPETH
erzürnt.
Das gefällt mir aber in der Tat sehr schlecht; was Henker! sollen mich denn die Krebse auffressen? Das ist ein perfider Streich.
[522]WILLIBALD
geht auf und ab.
Ja, sehn Sie, so macht er's.
SPETH
zornig.
Und ich bin immer so fromm gewesen und habe ihm alles ungelesen eingerückt – und so honett bezahlt. Heftig. Wissen Sie, was der Mensch für jede Rezension bekommt? Acht Louisdor, sage acht Louisdor! Schnell. und die hat er auch hierfür gekriegt. Nein, das ist schlecht!
WILLIBALD.
Und dabei die unerlaubtesten Injurien; nennt mich – ich mag es gar nicht mal sagen!
SPETH
erzürnt.
Ja, er kann strohgrob sein.
WILLIBALD
heftig.
Er sagt – kurz, lesen Sie das Ding nach.
SPETH.
Strohgrob!
WILLIBALD.
Dann werden Sie sehn, daß es ein Mensch ist, mit dem Sie sich honetterweise gar nicht befassen können.
SPETH.
Ungeheuer grob.
WILLIBALD.
Ich habe Ihnen ja noch gar keine Details gesagt?
SPETH.
Macht nichts, ich kenne den Seybold ohne dieses.
WILLIBALD.
Dann wundert's mich, daß Sie sich so lange mit ihm eingelassen haben; seine Kritiken sind reine Injurien.
SPETH.
's ist unerlaubt.
WILLIBALD.
Wenn ich wirklich ein »flüsternder Wasserquell im Eichenhaine« bin –
SPETH
hastig.
So hat er doch kein Recht, es Ihnen ins Gesicht zu sagen.
WILLIBALD.
Nein, so mag er's mir ins Gesicht sagen.
SPETH
zornig.
Keineswegs, das grenzt an Injurie, und ein ehrlicher Mann soll den andern nicht zerdrücken, wenn er auch kann.
WILLIBALD
steht vor Speth still.
Zum Henker, Herr Speth, Sie sind ja noch viel gröber wie der Seybold?
SPETH
sich fassend.
Mißverstehn Sie mich nicht, lieber Freund. Sehn Sie, der Seybold ist nun eben en vogue, und hat für den Augenblick allerdings einen bedeutenden Einfluß aufs Publikum, – ob mit Recht oder Unrecht, das wollen wir nicht untersuchen, – genug, er hat ihn, und solange das währt, kann er den Besten niederhalten. Aber [523] verlassen Sie sich auf mich! Verlassen Sie sich auf mich! dieses soll ihm nicht so hingehn.
WILLIBALD
geht auf und ab.
Brechen Sie mit ihm, Herr Speth, brechen Sie ungescheut! es gibt noch Männer genug, die Ihr Blatt halten können; wir sind nicht so arm an guten Federn.
SPETH
beiseite.
O weh! Laut, bedenklich. gänzlich mit ihm zu brechen, das möchte nicht wohl angehn, schon des Skandals wegen; Rascher. indessen Sie sollen Satisfaktion haben, vollkommene Satisfaktion, verlassen Sie sich auf mich. Eine Pendüle schlägt Eins. Sehn Sie, Herr Willibald, daß wir unser Geschäft noch ganz gut vor Essenszeit abgemacht haben? Es schlägt eben Eins.
WILLIBALD
stellt sich an ein Büchergestelle und zieht ein Buch nach dem andern heraus.
»Das Echo im Felstal«, anonym – ist das hübsch?
SPETH.
Nehmen Sie es mit, ich mache mir ein Vergnügen daraus, es Ihnen zu schenken.
WILLIBALD.
Wer ist der Verfasser?
SPETH.
Ein Fräulein Briesen.
WILLIBALD.
Ach, die da, mit den weißen Kapitulationsfahnen auf dem Kopfe! also Weiberarbeit – pah! da wird mir schon ganz miserabel, die sollen bei ihrem Strickstrumpfe bleiben. Überhaupt, wen der echte Genius nicht treibt, der werde lieber ein ehrlicher Jurist, oder meinetwegen Schuster oder Schneider – immer besser!
SPETH
mit leisem Spotte.
Das sage ich auch. Beiseite. Er geht nicht, er hat noch etwas im petto, ich muß sehn, ob ich ihn ennuyieren kann. Laut. Erlauben Sie, daß ich in Ihrer Gegenwart einige notwendige Zeilen schreibe?
WILLIBALD.
Genieren Sie sich nicht.
Ida kommt herein und setzt sich mit ihrer Stickarbeit ans Fenster hinter die halbgeschlossene Gardine.
SPETH
vor sich.
In meinem eigenen Hause! Schreibt.
WILLIBALD
hingeworfen.
Notabene, ich habe auch noch ein kleines Manuskript bei mir; wollen Sie das gelegentlich einmal ansehn?
[524]SPETH
beklemmt.
Ansehn? Ja, gern, wenn Sie es wünschen, aber etwas zu verlegen, dazu bin ich in diesem Augenblicke durchaus nicht im Stande; ich habe wirklich bereits schon zu viel übernommen.Er schreibt.
WILLIBALD
nimmt das Buch, leise trällernd: La, la, la, la, la, la.
Sie haben doch wahrlich eine sehr reiche Auswahl, Herr Speth.
SPETH
schreibt, zerstreut.
Es freut mich, daß Sie zufrieden sind.
WILLIBALD
trällernd.
La, la, la, la –. Nachlässig. Das Manuskriptchen, wovon ich Ihnen sagte, ist ein Trauerspiel, »Hermann und Thusnelde«.
SPETH
schreibend.
Richtig, jawohl.
WILLIBALD.
Ich habe darin versucht, den Hermann, der als Krieger schon so oft dargestellt ist, auch einmal von der Seite des Gemüts zu beleuchten.
SPETH
schreibend.
Schön, sehr schön!
WILLIBALD.
Seine Heldentaten sind ein wenig abgenutzt; aber dieses ist etwas ganz Neues, so ein kräftiges altdeutsches Herz offenzulegen.
SPETH.
Freilich, freilich!
WILLIBALD
tritt an den Tisch.
Wollen Sie das Werkchen übernehmen?
SPETH
fährt auf.
Wie?
WILLIBALD.
Ich meine, ob Sie das kleine Trauerspiel verlegen wollen?
SPETH.
Lieber Herr, ich habe Ihnen schon gesagt, es ist mir unmöglich, und vollends ein Trauerspiel! Das ist ja ganz dem herrschenden Geschmacke entgegen.
WILLIBALD
verächtlich.
Wer fragt nach dem erbärmlichen herrschenden Geschmacke!
SPETH.
Ich, lieber Herr, ich muß danach fragen, sonst mache ich bankerott.
Ein Diener tritt ein.
DIENER.
Herr Speth, in Ihrem Kabinette ist ein Herr, der Sie zu sprechen wünscht.
SPETH.
Ah, ich weiß schon. Herr Willibald, es ist mir leid, aber Sie sehn, daß ich Sie verlassen muß.
[525]WILLIBALD.
Kommen Sie bald zurück?
SPETH
peinlich.
Dafür kann ich Ihnen in der Tat nicht stehn.
WILLIBALD.
Hm, ich hätte doch noch einiges – ich will warten.
SPETH.
Sie werden sich ennuyieren.
WILLIBALD
hingeworfen.
Ich ennuyiere mich nie,Auf die Bücher zeigend. am wenigsten in so guter Gesellschaft.
SPETH
zögernd.
Nun, wie Sie wollen; aber wenn ich ausbleiben sollte, dann entschuldigen Sie mich. Es ist möglich, es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß ich mit dem Herrn im Kabinette ausgehn muß.
WILLIBALD
nachlässig.
Das macht nichts; ich kann ja gehn, wenn es mir zu lange währt. Speth verbeugt sich leicht und geht nach der Tür. Notabene, das Manuskriptchen lasse ich Ihnen jedenfalls hier, zur Durchsicht.
SPETH
wendet sich um.
O bitte, bitte, nein – nehmen Sie es mit; ich kann mich wirklich nicht –
WILLIBALD.
Ich verlange ja vorläufig nichts weiter als Ihr Urteil.
SPETH
steht einen Augenblick unentschlossen.
Ja, dann – Adieu! Er rafft einen Stoß Papiere vom Tische, beiseite. Ich muß nur drüben schreiben. Er verbeugt sich nochmals leicht und geht ab.