XXXVIII.
Von dem vor diesem vor Gericht gewöhnlichen Versuch, ob einer zu dem ehelichen Werk geschickt seye, dessen Ursprung und Abstellung.

Mit welchen langsamen Schritten gehet nicht die Weltweisheit, und wie viele Mühe kostet es [73] nicht den erleuchtetern Geistern, sich wider die Stärke der ungegründeten Meynungen zu schützen, und die Vorurtheile, die sich in den gemeinen Köpfen so fest eingepflanzet haben, zu vertilgen! Wer sollte wohl glauben, daß man noch kaum vor hundert Jahren erst den dazumal vor Gericht gewöhnlichen Versuch der ehelichen Beywohnung abgestellet hat; daß man zu den Zeiten der Arnaulde und Seguiers, mitten in diesem, in den Jahrbüchern der Menschlichkeit auf ewig so berühmten Jahrhundert, hat einen beschämten Mann, und eine freche Frau in das Heiligthum der Gerechtigkeit bringen und ihnen befehlen können, sich ohne alle Zuruckhaltung solchen Dingen zu überlassen, die man nicht befiehlet? Wenn in dieser Sache einem neueren Schriftsteller 1 Glauben beyzumessen ist, so war das Gesetz, welches eine so ungewisse Probe befahle, nichts als ein Vorwand der Ehescheidung, und eine Wirkung der Geilheit und Frechheit der Weiber: welche, wie dieser Schriftsteller ferner sagt, selbst diese Gewohnheit den Richtern in Sinn gebracht haben: unter tausend Mannspersonen wird vieleicht nicht einer von diesem gerichtlich angestellten Versuch des Beyschlafes, siegreich weggehen können. Die Scham streitet wider die Liebe und vernichtet sie. Diese Empfindung ist nicht von der Art, daß sie kann getheilet [74] werden. Wo sie herrschet, daselbst herrschet sie allein und unumschränkt. Man würde der Freyheit zu viel zutrauen, wenn man glauben wollte, daß ein Mensch auf Befehl des Hofes die Macht hätte, die Natur in demjenigen, was ihr das allerehrwürdigste ist, zwingen zu können. Die Schriftsteller setzen den Anfang der Einführung dieser Art der ehelichen Beywohnung, in die Mitte des sechzehenden Jahrhundert (A. 1540.) Es ist zu vermuthen, daß irgend ein junger Mensch von einer starken Leibesbeschaffenheit, und der sich vieleicht gar zu viel zugetrauet hatte, der erste war, der darum anhielte. Die Abstellung dieses Gebrauches wurde erst A. 1677. festgesetzet. 2 Das Parlement schafte ihn durch einen merkwürdigen Schluß ab, welcher so wohl den geist- als weltlichen Richtern verbote, in Zukunft den Versuch des ehelichen Beyschlafes in Ehe-Sachen nicht mehr anzubefehlen; es geschahe solches aber nicht, ohne vorhero die gelehrten [75] Rechtslehrer unterschiedlichemal deswegen aufgebracht zu haben. Anna Ro bert, einer der berühmtesten Advocaten seiner Zeit, unterstunde sich, da er einstmals eine Sache in Ansehung der Unvermögenheit führte, welche durch die Appellation an das Parlement zu Paris gelangte, ohne sich zu fürchten, daß er dadurch dieser berühmten Gesellschaft misfallen möge, ihr mit vieler Freyheit das Aergerniß der ehelichen Beywohnung und der Besichtigung, die selbige befohlen hatte, vorzustellen. Er redete in einem Buch, welches er dem berühmten Achilles von Harlai zueignete, ebenfals mit vielem Feuer, von der Abscheulichkeit dieser Misbräuche. Ich will hier unten in einer Anmerkung die eigenen Ausdrücke anführen, deren er sich bediente, um die üblen Folgen zu schildern welche sie insgemein, und hauptsächlich die Besichtigung der Weibspersonen, nach sich ziehen. 3


[76] Es wäre zu wünschen, daß man in einigen Orten Deutschlandes den Franzosen, denen man sonst so gerne in den unnützlichsten Dingen nachzuahmen pfleget, auch in der Abstellung dieser ärgerlichen Gewohnheit nachfolgen möchte: die angeführte Schilderung des berühmten Herrn Roberts von diesem höchst anstößigen und verabscheuungswürdigen Gebrauch, ist der Natur und Beschaffenheit der Sache so gemäß, daß sie vieleicht an gehörigen Orten nicht ganz ohne alle gute Wirkung seyn mögte, damit sie aber auch bey solchen Personen, denen die lateinische Sprache zu einem Anstoß gereichet den zu wünschenden Nutzen, und die endliche Abstellung dieses Uebelstandes befördern helfen könne, so wollen wir sie gleichfals in der deutschen Uebersetzung liefern:


Soll ich die Besichtigung, einen des allgemeinen Hasses würdigen Anblick, der von allen Aemtern und Gerichten mit Recht sollte verbannet werden, [77] zu ihrem ewigen Abscheu mit Worten beschreiben? Verzeihet keusche Ohren, wenn die Bescheidenheit eines reinen Vortrages, durch die Schändlichkeit der Sache selbst leidet. Ein Mädchen liegt rücklings mit auf beyden Seiten ausgestreckten Beinen darnieder; die Schamtheile des Leibes, welche die Natur zum Vergnügen des menschlichen Geschlechts verborgen hat, liegen öffentlich vor Augen; Alte Weiber und Aerzte beschauen, betasten und verdehnen sie; Die obrigkeitliche Person verbirgt mit einem gezwungenen Gesicht das Lachen; die gegenwärtigen alten Weiber erregen wiederum innerlich bey sich die schon längst vergessene Venus; unter den Aerzten erinnert sich der eine nach der Beschaffenheit seines Alters seiner ehemaligen Kräften, ein anderer weidet sich mit der grösten Brunst an dem Anblick eines leeren Spiels; der Wundarzt bedienet sich entweder eines künstlichen eisernen Instruments (das sie den Mutter-Spiegel nennen) oder eines von Wachs nachgemachten männlichen Gliedes, untersuchet, öfnet und schliesset die Zugänge der Venus; Das darniederliegende Mädchen brennet von einem unsinnigen Kützeln, so daß sie, wenn sie auch gleich als eine Jungfer besichtiget worden ist, doch nicht ganz unbefleckt mehr weggehet.

Fußnoten

1 Venette.

2 Den 18. January auf die von dem Herrn General-Advocaten von Lamoignon geschehene Abschlüssung in Sachen des Herrn Renats von Corduan, Marquis von Langais, welcher, nachdem er, vermöge eines solchen Versuches für unvermogend erkläret worden war: demohngeachtet nachhero mit der Fräulein Diana von Montant Navailles, die er zur zweyten. Ehe heurathete, sieben Kinder zeugte.

3 Vultis ad perpetuam rei detestationem quam a Foro et Judiciis explodi convenit, visitationem (spectaculum odio publico dignum) verbis repraesentari? Parcite, pudicae aures, si quid in re obscena labatur verecundi sermonis modestia. Puella resupina jacet cruribus hinc inde distentis: praestant pudendae corporis partes quas natura ad delicias generis humani velavit, Has et Matronae et Medici inspiciunt, pertractant, diducunt; Magistratus vultu composito, risum dissimulat: matronae praesentes, Venerem dudum oblitam refricant: Medici, pro aetatis discrimine, hic vires pristinas reminiscitur; ille animo aestuante inanis ludicri spectaculo pascitur; Chirurgus aut ferramento fabrefacto (id speculum matricis vocari solet) aut cereo et factitio priapo, aditus venereos tentat, aperit, reserat: puella jacens titillatione vesana prurit: ut etiamsi virgo visitari caeperit, inde tamen non incorrupta recedat.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine. Werk. Medicinische Anecdoten. Medicinische Anekdoten. 38. Von dem vor diesem vor Gericht gewöhnlichen Versuch. 38. Von dem vor diesem vor Gericht gewöhnlichen Versuch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-86B3-D